Im Blickpunkt: Rückruf von Rescue-Tropfen als Teil des Unterlassungsanspruchs

Von Dr. Oliver Stegmann und Maria Pregartbauer

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Hersteller wettbewerbswidrig gekennzeichneter Produkte können durch den Unterlassungsanspruch nicht nur dazu gezwungen sein, die Verbreitung der Waren zu stoppen. Sie müssen ihre Produkte unter Umständen auch aus den Vertriebswegen zurückrufen. Das entscheid der BGH am 29.09.2016 (Az. I ZB 34/15).

Von den Oberlandesgerichten war die Reichweite des Unterlassungsanspruchs bislang uneinheitlich beurteilt worden. Es herrschten daher ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, ob der Schuldner eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs nur dazu verpflichtet ist, in Zukunft die wettbewerbsschädigende Handlung zu unterlassen – also „einfach nichts mehr zu tun“ –, oder ob ihm zusätzlich auferlegt ist, aktiv und gegenüber Dritten dafür zu sorgen, dass die Rechtsverletzung nachhaltig beseitigt wird.

Sachverhalt

In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um den Vertrieb sogenannter Rescue-Tropfen und -Sprays. Diese Produkte waren falsch deklariert worden. Der Herstellerin war daher auf Betreiben einer Wettbewerberin gerichtlich verboten worden, die genannten Produkte zu bewerben und zu vertreiben. Zwar hielt sich die Herstellerin daran. Sie unternahm allerdings nichts dagegen, dass in einigen Apotheken die falsch deklarierten Produkte, die bereits vor dem Verbot ausgeliefert worden waren, weiter verkauft wurden. Darin sah die Wettbewerberin und Gläubigerin des Unterlassungsanspruchs einen Verstoß gegen das gerichtliche Verbot und beantragte die Festsetzung eines Ordnungsgelds gegen die Herstellerin durch das Vollstreckungsgericht.

Rechtlicher Hintergrund

Nach Ansicht des BGH verstieß die zur Unterlassung verpflichtete Herstellerin durch ihr passives Verhalten gegen das gerichtliche Verbot, und zwar auch ohne dass im erstinstanzlichen Urteil eine Pflicht zur Beseitigung eigens festgestellt worden wäre. Grundsätzlich soll der Unterlassungsanspruch eine bestehende rechtswidrige Handlung abstellen oder eine drohende verhindern. Der Anspruch ist damit klar auf die Zukunft ausgerichtet. Daneben kennt das Gesetz den Anspruch auf Beseitigung, der auf die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands gerichtet ist; bei ihm muss der Schuldner also aktiv auf bereits bestehende Umstände einwirken und die Folgen des rechtswidrigen Tuns rückgängig machen.

Für das Lauterkeitsrecht sind beide Ansprüche in § 8 Abs. 1 UWG geregelt. Dieser sieht vor, dass derjenige, der eine wettbewerbswidrige Handlung begeht, auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann. Die im Wortlaut angelegte Grenze ist allerdings nicht klar zu ziehen. Sie ist insbesondere in Fällen verschwommen, in denen die wettbewerbswidrige Handlung einen fortdauernden rechtswidrigen Zustand hervorruft, der – auch ohne Wiederholung der rechtswidrigen Handlung – schlicht fortbesteht. Wird etwa ein Plakat mit wettbewerbswidrigem Inhalt aufgehängt, ist es nicht ausreichend, über einen Unterlassungsanspruch lediglich den Schuldner dazu zu verpflichten, in Zukunft nicht wieder das gleiche Plakat aufzuhängen. Unbestritten gehört es hier zur Erfüllung der Unterlassungsverpflichtung, das Plakat auch zu entfernen. Deshalb ist es konsequent, dass der BGH bereits in einer frühen Entscheidung (BGHZ 120, 73, 76 ff. – „Filmhersteller“) festgestellt hatte: „Eine Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich nicht in bloßem Nichtstun, sondern umfasst die Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustandes, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot entsprochen werden kann.“ Auch in Fällen, in denen der Vertrieb rechtsverletzender Produkte untersagt worden war, hatte der BGH dies bejaht. Daher muss der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs zumutbare Anstrengungen unternehmen, um die fortdauernde Rechtsverletzung auch innerhalb des Vertriebs von bereits ausgelieferten Produkten zu verhindern (BGH, GRUR 2016, 720, 723 – „Hot Sox“). Die „Rescue“-Entscheidung fügt sich in diese Rechtsprechung ein und konkretisiert den Umfang dessen, was dem Unterlassungsschuldner als Anstrengung „zumutbar“ ist.

Überschneidung von Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch

Allerdings verschwimmen dadurch die Grenzen zwischen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch. Beide Ansprüche unterscheiden sich nämlich nicht nur in ihren Rechtsfolgen, sondern auch in ihren Tatbestandsvoraussetzungen. Während der Unterlassungsanspruch lediglich eine rechtswidrige Handlung und deren Wiederholungs- oder Begehungsgefahr voraussetzt, steht der Anspruch auf Beseitigung von durch eine solche Handlung entstehenden Zuständen anerkanntermaßen unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Beseitigung kann daher grundsätzlich nur verlangt werden, wenn zusätzlich die gegenüberstehenden Interessen abgewogen werden und dabei keine unbillige Härte zu Ungunsten des zur Beseitigung verpflichteten Schuldners festgestellt wird.

Für den Unterlassungsanspruch ist diese zusätzliche Kontrolle zumindest nicht ausdrücklich vorgesehen. Zwar gilt bei jeder Rechtsausübung der Grundsatz, dass sie nicht unverhältnismäßig sein darf. So wird es etwa als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gesehen, dass dem Unterlassungsschuldner unter bestimmten Umständen der Abverkauf rechtsverletzender Waren auch nach Feststellung der Rechtswidrigkeit weiter gestattet wird. Auch in Fällen der missbräuchlichen Rechtsausübung kann die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt sein. Eine, wie beim Beseitigungsanspruch, in jedem Fall vorzunehmende, tatbestandsmäßige Interessenabwägung kennt der sich aus § 8 Abs. 1 UWG ergebende Unterlassungsanspruch aber nicht.

Ob in den Fällen, in denen der Unterlassungsanspruch auch die aktive Beseitigung der Störung umfasst, das Merkmal der Verhältnismäßigkeit in den Tatbestand des Unterlassungsanspruchs mit hineinzulesen ist, lässt der BGH offen. Stattdessen stellt das Gericht fest, dass eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Erkenntnisverfahren entbehrlich sei, wenn der Schuldner sich nicht ausdrücklich darauf berufe. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit könne dann dem Vollstreckungsgericht überlassen werden. Der BGH verweist also auf § 712 ZPO, der bei einem vorläufig vollstreckbaren Urteil dem Schuldner grundsätzlich die Möglichkeit gibt, die Zwangsvollstreckung abzuwenden, wenn die Vollstreckungshandlung für ihn unzumutbar ist. Damit wird die Prüfung der Verhältnismäßigkeit in das Vollstreckungsverfahren verschoben und dem Vollstreckungsgericht auferlegt.

Zusammenfassung

Der BGH entscheidet die Frage nach dem Umfang des Unterlassungsanspruchs in Fällen der fortdauernden Störung klar zugunsten des Unterlassungsgläubigers. Dadurch wird eine nachhaltige Beseitigung der durch eine wettbewerbswidrige Handlung entstandenen Störung erleichtert. Schuldner eines Unterlassungsanspruchs sollten sich darauf einstellen, im Zweifel auch auf am Rechtsstreit nicht beteiligte Geschäftspartner einwirken zu müssen, um bereits ausgelieferte Waren aus dem Vertriebsweg zu holen.

Auch wenn die Entscheidung des BGH eine wettbewerbsrechtliche Konstellation betrifft, dürfte sie auf Fälle der Verletzung gewerblicher Schutzrechte übertragbar sein.

Eine Grenze für die Verpflichtung zum Rückruf bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dessen genauer Inhalt aber immer für den Einzelfall bestimmt werden muss. Allein der üblicherweise erwartbare Schaden, den die Geschäftsbeziehungen des Schuldners durch einen Produktrückruf nehmen könnten, dürfte hier nicht ausreichend sein.

Spannend ist, in welchem Umfang eine Rückrufverpflichtung bereits im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens besteht und durchsetzbar ist. Denn hier gilt das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache, das grundsätzlich schwer vereinbar mit dem Beseitigungsanspruch erscheint, sofern er über den Unterlassungsanspruch hinausgeht. Die Durchsetzung von Beseitigungsansprüchen im Wege der einstweiligen Verfügung ist zwar dennoch nicht prinzipiell ausgeschlossen. Setzt der Gläubiger den Beseitigungsanspruch bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren durch, drohen ihm allerdings aufgrund von § 945 ZPO Schadensersatzansprüche, wenn die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Entscheidung später wieder aufgehoben wird.

o.stegmann@esche.de

m.pregartbauer@esche.de

 

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