Im Blickpunkt: Passt das Markenrecht auf Smartphone-Apps? – Das BGH Urteil vom 28.01.2016, I ZR 202/14
Von Judith Hesse, LL.M.

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Bisweilen gleicht der Versuch der Rechtsprechung und Gesetzgebung, mit der „Digitalen Revolution“ Schritt zu halten, einem Kampf gegen Windmühlen. Freilich nicht so aussichtslos wie der Kampf Don Quijotes im gleichnamigen Roman von Miguel de Cervantes. Doch die rechtlichen Herausforderungen der technischen Entwicklung sind gewaltig. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang immer wieder stellt: Passt das geltende Recht auf neue technische Errungenschaften? Und ganz konkret: Passt das Markenrecht auf Smartphone-Apps?

Grundsätzlich sind Namen von Apps natürlich genauso dem Markenschutz zugänglich wie andere Wortzeichen – sofern sie die „Hürde“ der Markenfähigkeit meistern, insbesondere also unterscheidungskräftig sind. Zur Überwindung dieses Schutzhindernisses genügt nach ständiger Rechtsprechung des BGH „jede noch so geringe Unterscheidungskraft“ (vgl. etwa BGH GRUR 2014, 565, 567 Rz. 12 – smartbook mit weiteren Nachweisen). Allerdings war diese Hürde für App-Bezeichnungen in der Vergangenheit oft zu hoch. Dies in der Regel, weil der Titel beschreibend war für den Inhalt der App und somit nicht unterscheidungskräftig. Wie sich aber nun schützen gegen verwechslungsfähige App-Bezeichnungen? Ein valides Instrument könnte das Werktitelschutzrecht mit seinen mitunter erleichterten Schutzvoraussetzungen bieten. Dann müsste eine App mit ihrer Bezeichnung grundsätzlich werktitelschutzfähig sein. In der Literatur mehren sich bereits seit längerem Stimmen, die dies befürworten (etwa: Deutsch, GRUR 2013, 113 – Neues zum Titelschutz; Zöllner/Lehmann, GRUR 2014, 431 – Kennzeichen- und lauterkeitsrechtlicher Schutz für Apps). Nun hatte der BGH Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Entscheidung.

Worum ging es?

Vorab sei betont: Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels lagen die Entscheidungsgründe des BGH noch nicht vor. Die Pressestelle des BGH nahm in einer ­Pressemitteilung Stellung.

Die RTL interactive GmbH („Klägerin“) betreibt unter dem Domainnamen „wetter.de“ eine Internetseite, auf der ortsspezifische Wetterdaten und Informationen zum Thema Wetter angeboten werden. Seit 2009 bietet sie derlei Informationen darüber hinaus auch über eine App unter der Bezeichnung „wetter.de“ für mobile Endgeräte (insbesondere Smartphones und Tablet-Computer) an.

Die Mowis GmbH („Beklagte“) ist Inhaberin der Domainnamen „wetter.at“ und „wetter-deutschland.com“. Hier stellt sie ebenfalls Wetterdaten zum Abruf bereit. Zudem bietet sie seit Ende 2011 auch eine App mit entsprechenden Inhalten unter den Bezeichnungen „wetter DE“, „wetter-de“ und „wetter-DE“ an.

Die Klägerin ging gegen die Benutzung dieser App-Bezeichnungen vor. Sie sah darin eine Verletzung ihrer Titelschutzrechte an dem Domainnamen sowie dem App-Namen „wetter.de“. Nach entsprechender – aber erfolgloser Abmahnung hat sie die Beklagte vor dem LG Köln auf Unterlassung, Auskunft und Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch genommen sowie die Feststellung der Schadenersatzpflicht der Beklagten begehrt. Das LG Köln hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin ist ebenfalls erfolglos geblieben. Auch die gegen das Urteil des Berufungsgerichts eingelegte Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof jetzt zurückgewiesen.

Was kann als Werktitel geschützt sein?

Um die eingangs erwähnte Frage zu beantworten, ob das geltende Markenrecht auf den hier zugrundeliegenden Fall passt, muss notwendigerweise zunächst geklärt werden, was überhaupt ein Werktitel ist oder sein kann.

Werktitel sind nach § 5 Abs. 3 MarkenG „die Namen oder besonderen Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken“. Wesen eines Werktitels ist, im Unterschied zur Marke, dass er ein bestimmtes Produkt kennzeichnet und nicht auf ein produktverantwortliches Unternehmen hinweist.

Der Schutz eines Werktitels entsteht mit Benutzungsaufnahme, sofern der Titel originär kennzeichnungskräftig ist, andernfalls mit Erlangung der Kennzeichnungskraft durch Verkehrsgeltung. Die titelmäßige Kennzeichnungskraft ist als der Grad der Eignung eines Zeichens zu verstehen, durch seine Eigenart dem Verkehr als namensmäßige oder sonst zur Unterscheidung von anderen Werken geeignete Bezeichnung eines Werkes im Gedächtnis zu bleiben und so wiedererkannt zu werden (vgl. Ingerl/Rohnke, § 15 Rn. 162 m.w.N.). Dieser Grad kann nach herrschender Ansicht variieren, so dass die nötige Höhe der Kennzeichnungskraft maßgeblich von der jeweiligen Werkart abhängt.

So setzt die Rechtsprechung beispielsweise im Bereich von Zeitungs- und Zeitschriftentiteln einen abgesenkten Maßstab hinsichtlich der Unterscheidungskraft an. Denn bei Zeitungen und Zeitschriften sei der Verkehr seit ­langem daran gewöhnt, dass ihr Titel regelmäßig nur aus inhaltlich oder räumlich konkretisierten Gattungs­bezeichnungen bestehe. Der Käufer wisse, dass er im Rahmen seiner Kaufentscheidung auf feine Unterschiede in den Bezeichnungen zu achten habe (vgl. Ingerl/Rohnke § 5 Rn. 92 ff. mit weiteren Nachweisen). Aufgrund dieser verminderten Schutzvoraussetzungen wurde daher etwa folgenden Titeln Schutz zugesprochen: ­Auto Magazin (BGH GRUR 2002, 176), Leichter leben (OLG München GRUR-RR 2008, 402), NEWS (OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 312), FOCUS MONEY/MONEY SPECIALIST (OLG München GRUR-RR 2005, 191), ELTERN (OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 104).

Kann eine App-Bezeichnung ein Werktitel in diesem Sinne sein?

Diese „Gretchenfrage“ beantwortet der BGH eindeutig: Ja!

Nach zutreffender Ansicht des BGH fällt die App nämlich unter die Kategorie „sonstiges Werk“ in § 5 Abs. 3 MarkenG. Als solches sind nach ständiger Rechtsprechung Werkarten erfasst, die eigenständige geistige Leistungen beinhalten, die in dem Werk verkörpert sind (BGH GRUR 1998, 155, 156 – PowerPoint). Parallel zu den Kategorien Software und Homepages, die anerkanntermaßen titelschutzfähig sind, muss auch eine App im Interesse eines umfassenden Immaterialgüterrechtsschutzes als „sonstiges Werk“ geschützt sein. Denn eine App ist regelmäßig lediglich eine mobile Übertragungsform des entsprechenden Onlineangebots, da über die App sämtliche unter dem Onlineportal präsentierten Beiträge wegen des Zugriffs auf dieselbe Datenbank abrufbar sind und die App demnach denselben Inhalt wie das Onlineangebot aufweist (so die Vorinstanz, OLG Köln GRUR 2014, 1111, 1112).

Ist die Bezeichnung „wetter.de“ ein Werktitel in diesem Sinne?

Der BGH sagt: Nein!

Denn der Bezeichnung „wetter.de“ komme keine für einen Werktitelschutz hinreichende originäre Unterscheidungskraft zu. Und damit hat der BGH recht: Die Bezeichnung „wetter.de“ ist für eine Internetseite und für Apps, auf denen Wetterinformationen zu Deutschland angeboten werden, glatt beschreibend. Der Titel erschöpft sich lediglich in einer werkbezogenen Inhaltsbeschreibung, ohne dass er dem Verkehr die Unterscheidung von anderen Apps erlaubt.

Gelten keine verminderten Anforderungen?

Auch hier ein klares Nein des BGH. Und auch hier zu Recht.

Es besteht keine Veranlassung, für Apps Erleichterungen im Hinblick auf die Kennzeichnungskraft anzuwenden. Denn Apps sind mit Werkkategorien wie Zeitungen und Zeitschriften keinesfalls zu vergleichen. Bei der Entscheidung für oder gegen eine App muss der Nutzer (noch) nicht auf feine Unterschiede in den Titeln achten. Denn zum einen werden Apps (noch) nicht „in der Regel“ mit beschreibenden oder an beschreibende Bezeichnungen angelehnten Titeln gekennzeichnet. Zum anderen stehen dem Kunden in der konkreten Kaufsituation weitere Entscheidungshilfen zur Verfügung: So halten die geläufigen App-Stores immer auch ein individualisierendes Icon sowie eine entsprechende Beschreibung zur App bereit. Der Nutzer muss daher nicht allein anhand des Titels seine Entscheidung für oder gegen die App treffen.

Ob sich künftig im Hinblick auf Apps eine Gewöhnung des Verkehrs an beschreibende Titel und somit ein ­Bedürfnis entwickeln wird, die Grundsätze der verminderten Anforderungen zu übertragen, bleibt abzuwarten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dies aber eher wahrscheinlich.

Kann nicht Verkehrsgeltung gelten?

Der BGH hat schließlich entschieden, dass die Bezeichnung „wetter.de“ auch keinen Werktitelschutz unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsgeltung genießt. Zwar kann auf diese Weise auch bei App-Titeln eine fehlende originäre Unterscheidungskraft überwunden werden. Angesichts des glatt beschreibenden Charakters der Bezeichnung „wetter.de“ könne die untere Grenze für die Annahme einer Verkehrsdurchsetzung aber nicht unterhalb von 50% angesetzt werden. Dass mehr als die Hälfte der angesprochenen Verkehrskreise in der Bezeichnung „wetter.de“ einen Hinweis auf eine bestimmte Internetseite mit Wetterinformationen sehe, belege das von der Klägerin vorgelegte Verkehrsgutachten indes nicht.

Dieser Hinweis des BGH kam für die Klägerin freilich zu spät, bietet für künftige Verfahren aber einen wertvollen Anhaltspunkt dafür, welcher Grad der Durchsetzung im Verkehr für die Bejahung der Verkehrsgeltung beschreibender Titel auf jeden Fall erreicht und belegt werden muss.

Aber was ist mit der Verwechslungsgefahr?

Auch die Versuche der Klägerin, Ansprüche wegen einer angeblichen Verwechslungsgefahr der Zeichen herzuleiten, verfangen zu Recht nicht. Denn was nicht als Kennzeichen geschützt ist, das unterliegt auch nicht dem markenrechtlichen Verwechslungsschutz. Alles andere liefe dem Grundsatz zuwider, ungerechtfertigte Monopole zu verhindern.

Der BGH hat dem Begehren der Klägerin folglich insgesamt – zu Recht – eine Absage erteilt.

Trübe Aussichten für App-Bezeichnungen?

Mitnichten!

Auch wenn sich die Klägerin nach dem Urteil erwartungsgemäß enttäuscht zeigte: Damit werde Dritten Tür und Tor geöffnet, sich durch geschickte Wortwahl bei Apps an etablierte Angebote anzulehnen, um so Nutzer, die andere Angebote aufrufen wollten, zu ihnen zu locken, soll ein Sprecher der Mediengruppe RTL Deutschland etwa gesagt haben.

Für den Schutz von App-Titeln insgesamt bestehen aber gute Aussichten: Der Titel der App muss „nur“ über die Beschreibung ihres Inhalts hinausgehen. Dann trotzt der Titel den Gezeiten!

 

judith.hesse@df-mp.com

 

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