Im Blickpunkt: Die Änderung von Patentansprüchen in der Praxis
Von Dr. Christoph Cordes, LL.M. (New York), und Maria Pregartbauer
Der deutsche und der europäische Gesetzgeber schreiben aus gutem Grund das „First to File“-Prinzip vor, also dass demjenigen Erfinder ein Patent zu erteilen ist, der die Erfindung zuerst anmeldet. Denn der Anmeldetag lässt sich leicht eindeutig ermitteln. Der US-amerikanische Gesetzgeber hat dieses Prinzip inzwischen übernommen, nachdem in den USA jahrzehntelang das „First to invent“-Prinzip galt, es also maßgeblich war, wer die Erfindung als Erster gemacht hatte. Letzteres bringt zwar ein Mehr an materieller Gerechtigkeit, aber auch ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit mit sich. Im Streitfall konnte beim „First to invent“-Prinzip der frühere Erfinder gegebenenfalls noch nach Jahren durch Vorlage von Laborberichten, Zeugenbeweis oder Ähnliches nachweisen, dass er tatsächlich die fragliche Erfindung früher getätigt hatte.
Die Maßgeblichkeit des Anmeldetags führt zu einem „Rennen zum Patentamt“ und in der Folge dazu, dass Patentanmeldungen häufig unter hohem Zeitdruck verfasst werden. Das trägt nicht immer zur Qualität der Patentanmeldung bei. Änderungen erscheinen daher in späteren Stadien oftmals erforderlich oder zweckmäßig.
In der Praxis entscheidend ist die Möglichkeit, die Patentansprüche abzuändern, da der Schutzbereich des Patents durch die Ansprüche vorgegeben wird. Beschreibung und Zeichnungen dienen nur zur Auslegung derselben.
Grenzen der Abänderbarkeit
Allerdings setzt das Gesetz der Möglichkeit zur Änderung der Patentansprüche Grenzen. Es muss weiterhin dieselbe Erfindung unter Schutz gestellt werden. Der durch die Ansprüche bestimmte Schutzbereich darf über den ursprünglich in der Anmeldung offenbarten Umfang nicht hinausgehen, und es darf kein Aliud beansprucht werden.
Andernfalls wäre die Zuteilung eines bestimmten Anmeldedatums bedeutungslos. Dem Missbrauch wären Tür und Tor geöffnet.
Was ist dieselbe Erfindung?
Für die Beurteilung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung mit dem offenbarten Gehalt der technischen Lehre identisch ist, gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen in ihrer Gesamtheit „unmittelbar und eindeutig“ als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann. Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung.
Unproblematisch zulässig ist, ein ursprünglich nur in der Beschreibung offenbartes Merkmal in den Anspruch mit aufzunehmen, wenn dadurch die zunächst weiter gefasste Lehre eingeschränkt wird und das weitere Merkmal in der Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen war.
Die Patentansprüche dürfen aber auch gegenüber der Anmeldung durchaus anders formuliert werden – selbst unter Verwendung einer neuen Terminologie. Entscheidend ist allein, dass es (noch) um dieselbe Erfindung geht, die in den Ursprungsunterlagen offenbart wurde.
Eine häufig vorkommende und in der Praxis schwierig zu beantwortende Frage ist, inwieweit Verallgemeinerungen von im Patentanspruch verwendeten Begrifflichkeiten zulässig sind. Dies ist möglich, wenn der Fachmann die enger gefassten Begriffe lediglich als in der Ursprungsanmeldung enthaltene Ausführungsbeispiele begreift. So wurde es beispielsweise als zulässig angesehen, in den Anspruch die Formulierung „Kommunikationskanal“ anstelle von „Frequenzteilungs-Duplex-Kanal“ aufzunehmen (BGH GRUR 2014, 542 – „Kommunikationskanal“) oder eine Folie als „teilreflektierend“ zu bezeichnen, wenn die Offenbarung fordert, die Folie müsse „30% bis 50%, vorzugsweise 30% des auf sie treffenden Lichts“ reflektieren (BGH GRUR 2016, 50 – „Treilreflektierende Folie“). Das ist aber stets eine Entscheidung des Einzelfalls, die vom Offenbarungsgehalt der Ursprungsanmeldung abhängt.
Ein unzulässiges Aliud liegt beispielsweise vor, wenn das Höhenprofil des Bodens einer Duschwanne durch Hinzufügen eines Anspruchsmerkmals von einem zunächst beanspruchten monoton abnehmenden Krümmungsverlauf in einen „von konvex nach konkav wechselnden Krümmungsverlauf“ umgeändert wird [BPatG, Beschluss vom 19.04.2016, 8 W (Pat) 45/12].
Soll man ändern, und, wenn ja, wann?
Im Erteilungsverfahren sind bis zum Eingang des Prüfungsantrags gemäß § 38 PatG die Beseitigung offensichtlicher Unrichtigkeiten, die Beseitigung von durch die Prüfungsstelle gerügten Mängeln sowie die Änderung der Patentansprüche zulässig. Da der Prüfungsantrag spätestens sieben Jahre nach Eingang der Anmeldung zu stellen ist, verbleibt ausreichend Zeit, um eine ursprüngliche Anmeldung nachzubessern und das Patent erteilungsfähig zu machen. Diese Möglichkeit sollte in jedem Fall genutzt werden.
Gleiches gilt bei der Anmeldung von deutschen oder europäischen Patenten, welche die Priorität einer älteren ausländischen Patentanmeldung in Anspruch nehmen. Auch hier gelten die Verbote der unzulässigen Erweiterung und der Beanspruchung eines Aliud. Im Einzelfall kann aber eine verallgemeinernde Formulierung der Patentansprüche durchaus geboten sein, wenn die ausländische Voranmeldung einer Jurisdiktion entstammt, die restriktiver als die deutsche oder europäische Praxis ist. Das muss aber sorgfältig geprüft werden. Die diesseits und jenseits des Atlantiks häufig zu beobachtende Tendenz, dem Anmelder vermeintlich dadurch Gutes tun zu wollen, dass man durch großzügige Weglassungen von Anspruchsmerkmalen den Schutzbereich der Nachanmeldung erweitert, ist nicht immer von Erfolg gekrönt.
Kommt es zur Erteilung des Patents mit unzulässigen Erweiterungen, kann es im Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren angegriffen und auf diese Weise vernichtet werden. Dem begegnet man auf Seiten des Patentinhabers regelmäßig durch das Stellen von Hilfsanträgen, mit denen die Aufrechterhaltung der fraglichen Patentansprüche in einer Fassung, die die unzulässigen Erweiterungen nicht mehr enthält, begehrt wird. Geht es um ein Aliud, besteht eine solche Verteidigungsmöglichkeit nicht, weil Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren nur die Beschränkung der erteilten Ansprüche zulassen. Solche Patentansprüche sind gegebenenfalls dem Untergang geweiht und können auch nicht teilweise aufrechterhalten werden.
Eine nicht triviale Frage ist, ob der Patentinhaber von sich aus eine Beschränkung des Patents beantragen sollte, wenn er nach der Patenterteilung erkennt, dass eine unzulässige Erweiterung vorliegt. Möglich ist dies nach § 64 PatG. Auch wird der Einwand der unzulässigen Erweiterung von den Verletzungsgerichten für die Entscheidung, ob gegebenenfalls im Hinblick auf ein paralleles Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren das Verletzungsverfahren auszusetzen ist, regelmäßig geprüft. Problematisch ist an einem solchen Vorgehen aber, dass nach Auffassung der Verletzungsgerichte in Düsseldorf und Mannheim für ein solchermaßen beschränktes Patent nicht mehr die Vermutung der Rechtsbeständigkeit streitet. Denn die beschränkte Fassung war nicht Gegenstand der amtlichen Erteilungsentscheidung.
Sonderfall „giftige Teilanmeldung“
Eine bis vor kurzem vermeintlich „tödliche Gefahr“ waren die sogenannten giftigen Teilanmeldungen („poisonous Divisionals“): Innerhalb des Prioritätsjahres wird eine europäische Patentanmeldung unter Rückgriff auf die Priorität einer nationalen Ausgangsanmeldung eingereicht. Aus der europäischen Patentanmeldung (Stammanmeldung) wird später eine Teilanmeldung abgezweigt. Enthielt die Stammanmeldung eine unzulässige Erweiterung, war sie nach Ansicht einiger rettungslos verloren. Denn typsicherweise enthalten Stamm- und Teilanmeldung weitgehend die gleiche Beschreibung, und die Beschreibung der Teilanmeldung, die die neuheitsschädliche Merkmalskombination offenbarte, sollte nach dieser Ansicht zwar die Priorität der Ausgangsanmeldung wirksam in Anspruch nehmen können, nicht aber die die unzulässige Erweiterung aufweisenden Patentansprüche der Stammanmeldung (Beispiel: „Schraube“ in der Ausgangsanmeldung, „Befestigungseinrichtung“ in der Stammanmeldung).
In einer solchen Konstellation hatte zuletzt eine Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) im Jahr 2014 (T557/13) der Großen Beschwerdekammer des EPA die Frage vorgelegt, ob die Teilanmeldung als teilweise neuheitsschädlich angesehen werden muss, weil sie das Ausführungsbeispiel mit der Priorität der Ausgangsanmeldung vorweggenommen habe. Die vorlegende Kammer schien dies bejahen zu wollen. Die Entscheidung G1/15 der Großen Beschwerdekammer vom 29.11.2016 hat erfreulicherweise den gegenteiligen Standpunkt eingenommen und auch solche Fehler des Erteilungsverfahrens für korrigierbar gehalten.
Zusammenfassung
Die Änderung von Patentansprüchen erfordert komplexe Überlegungen. Die häufig als „Notanmeldung“ unter hohem Zeitdruck eingereichte Patentanmeldung kann und sollte möglichst noch im Erteilungsverfahren „glattgezogen“ werden, wenn die Formulierung der Ansprüche eine unzulässige Erweiterung oder gar ein Aliud nahelegt. Fehler im Erteilungsverfahren können in späteren Verfahrensabschnitten nur noch zum Teil korrigiert werden.
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