Bericht der deutschen Landesgruppe für den AIPPI World Congress 2022

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Einleitung

Diagnostizierverfahren sind Verfahren am lebenden menschlichen oder tierischen Körper zu medizinischen Zwecken, die der Erkennung, Lokalisierung oder dem Ausschluss von pathologischen (krankhaften) Zuständen dienen und deren Ergebnisse eine Grundlage für die weitere Therapie sein können (BPatG, Beschluss vom 06.03.2008, Az. 21 W (pat) 45/05). In Deutschland – ebenso wie in den übrigen Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens – kann derzeit kein Patentschutz für derartige Verfahren erlangt werden (§ 2a Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. PatG, Art. 53(c), 2. Alt. EPÜ). Die Begründung für diesen Patentierungsausschluss liefern sozialethische und gesundheitspolitische Erwägungen: Die Entscheidungsfreiheit des Arztes bei der Auswahl von Methoden zur Diagnose von Krankheiten soll erhalten bleiben, ohne durch die Sorge um eine etwaige Patentverletzung beeinträchtigt zu werden. Kritik an dieser Regelung wird seit jeher geübt (vgl. Moufang, GRUR Int. 1992, 10). In jüngerer Zeit wird – die Diagnostik pandemiebedingt wortwörtlich in aller Munde – besonders kritisch hinterfragt, dass wertvolle und innovative Erkenntnisse aus dem Bereich diagnostischer Verfahren Gefahr laufen, keinen Patentschutz zu erhalten. Mit dieser Frage hat sich in Vorbereitung des World Congress 2022 in San Francisco, USA, auch die deutsche Landesgruppe der AIPPI auseinandergesetzt. Den Bericht der deutschen Landesgruppe, der unter Leitung von Dr. Nora Wessendorf und unter Mitwirkung von Dr. Svenja Steinbrink sowie weiterer Co-Autorinnen und Autoren entstanden ist, fasst der vorliegende Beitrag zusammen.

Derzeitige Rechtslage – Praxisbeispiele

Die deutsche Landesgruppe unterstützt das Bedürfnis, die ärztliche Behandlung von der Sorge um eine etwaige Patentverletzung freizuhalten. Gleichwohl scheint die derzeitige Rechtslage diesem Ziel nicht vollumfänglich gerecht zu werden. Denn einem Teil der Erfindungen, die einen wertvollen Beitrag zur Gesundheitsfürsorge leisten können, wird der Patentschutz versagt. Dies schmälert den Anreiz für forschende Unternehmen, auf diesem Gebiet zu investieren. Zugleich führt die restriktive Auslegung des Patentierungsausschlusses dazu, dass Ärzte nicht in dem intendierten Umfang vom Risiko einer Patentverletzung ausgenommen sind.

Denn eine geschickte Formulierung der angemeldeten Patentansprüche macht es möglich, trotz der gesetzlichen Regelung Patentschutz zu erlangen. Vom Patentschutz ausgeschlossen sind diagnostische Verfahren nämlich – nur – dann, wenn (1) der (Patent-)Anspruch als Verfahrensanspruch formuliert ist, (2) der Verfahrensanspruch alle Schritte eines diagnostischen Verfahrens und somit auch den deduktiven Schritt, bestimmten Messwerten einen Gesundheitszustand zuzuordnen, enthält, und (3) alle der Diagnose vorangehenden technischen Schritte der Datenerhebung am menschlichen oder tierischen Körper durchgeführt werden. Patentansprüche, die anders aufgebaut sind, können erteilt werden. Dies hat zur Folge, dass der Patentierungsausschluss für Diagnostizierverfahren unvollständig ist. Beispielsweise können Patentansprüche erteilt werden, die den letzten Schritt einer Diagnose nicht einschließen oder die sich auf eine – im Vorfeld aus dem Körper entnommene, jedoch außerhalb des Körpers analysierte – Probe stützen. Eine Verletzungsklage aus einem mit derartigen Ansprüchen erteilten Patent gegen den anwendenden Arzt ist nach geltender Rechtslage nicht ausgeschlossen. Denn ein Patent, dessen Ansprüche nicht das gesamte Verfahren abdecken, sondern beispielsweise Schritte einer Diagnosemethode nicht aufführen, weist einen weiteren Schutzbereich auf. Daher läuft ein Arzt, der alle Schritte eines Diagnoseverfahrens durchführt – das heißt einschließlich des im Anspruch fehlenden Schritts –, Gefahr, das Patent zu verletzen. Das Gleiche gilt, wenn ein Arzt einem Patienten eine Probe (zum Beispiel Blut) entnimmt, um sie außerhalb des Körpers des Patienten zu analysieren oder analysieren zu lassen. Da ein derartiges diagnostisches Verfahren dem Patentschutz zugänglich ist, kann der Arzt dadurch Täter oder Mittäter einer Patentverletzung werden. Zudem gilt der Patentierungsausschluss nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren. Darüber hinaus sind diagnostische Erfindungen als solche, einschließlich Ansprüchen, die auf in-vitro-diagnostische Verfahren gerichtet sind, in Deutschland patentierbarer Gegenstand.

Dadurch entsteht eine Rechtsunsicherheit für Ärzte. Diese Berufsgruppe hat in der Regel keine patentrechtlichen Kenntnisse, die eine Einschätzung von Schutzbereich oder Rechtsbestand eines Patents ermöglichen, und ist darauf angewiesen, gegebenenfalls auch kurzfristig medizinische Entscheidungen zu treffen, ohne sich dem Vorwurf einer Patentverletzung ausgesetzt zu sehen. Zuzugestehen ist, dass es in Deutschland offenbar keine dokumentierten Fälle gibt, in denen ein Arzt auf Grund einer Patentverletzung rechtlich belangt worden ist. Schließlich setzt sich ein Patentinhaber, insbesondere als Angehöriger der Pharmaindustrie, der Ärzte wegen einer angeblichen Patentverletzung belangt, einem gehörigen Imageschaden aus. Die gesetzgeberische Intention, diese Berufsgruppe bereits durch legislative Maßnahmen zu schützen, und nicht allein durch das Vertrauen auf ausbleibende Rechtsverfolgung, gibt Anlass dazu, den geltenden Rechtsrahmen kritisch zu hinterfragen.

Patentierungsausschluss für Diagnostizierverfahren am menschlichen oder tierischen Körper aufheben

Vor diesem Hintergrund erscheint es der deutschen Landesgruppe zielführender, den Patentierungsausschluss für Diagnostizierverfahren am menschlichen oder tierischen Körper aufzuheben. Dies würde sicherstellen, dass alle Erfindungen auf dem Gebiet der Diagnostik patentfähig sind, und würde das Erteilungsverfahren einschließlich der Formulierung von Patentansprüchen auf diesem Gebiet erheblich vereinfachen. Um gleichwohl das intendierte Ziel der Privilegierung der ärztlichen Diagnose zu gewährleisten, muss diese Maßnahme von einer entsprechenden gesetzlichen Regelung flankiert werden, die eine Patentverletzung durch das ärztliche Verhalten ausschließt.

Soweit das deutsche Patentgesetz verhindern will, dass bestimmte Handlungen als Patentverletzung verfolgt werden können, sieht es die Möglichkeit vor, die Wirkung eines Patents mit Blick auf bestimmte Nutzungsarten zu begrenzen (§§ 11, 12 PatG) oder ein Nutzungsrecht einzuräumen (§ 24 PatG). Insoweit hat die deutsche Landesgruppe vorgeschlagen, die in § 11 PatG genannten Fallgruppen um Handlungen von Ärzten im Rahmen der Diagnose von Patienten zu erweitern. Dies würde den Ärzten die Freiheit geben, die jeweilige Diagnose auszuwählen, ohne durch das Risiko einer Patentverletzung eingeschränkt zu werden. Zugleich würde für die forschende Industrie der Anreiz für Investitionen in Forschung und Entwicklung gesetzt, weil das Diagnostizierverfahren an sich patentfähig wäre. Unternehmen, die diagnostische Tests, Kits, Reagenzien und Geräte anbieten und verkaufen, würden von einer liberaleren Regelung der Patentierbarkeit von Diagnostizierverfahren profitieren.

Rein deutsche Regelung ist nicht ausreichend

Um den Bedürfnissen der grenzüberschreitenden Wirtschaft gerecht zu werden, sollte die vorgeschlagene Regelungsänderung jedoch nicht auf deutscher Ebene Halt machen, sondern beispielsweise auch in Art. 27 des UPC Agreements Niederschlag finden. Im internationalen Kontext ist es erforderlich, wenigstens im Grundsatz eine Übereinstimmung der Rechtslage in den übrigen anderen Industrienationen herbeizuführen. Denn Harmonisierung erhöht die Rechtssicherheit und ermöglicht gleiche Wettbewerbsbedingungen und fördert somit auch indirekt Innovation. Auch der Aufbau internationaler Patentportfolios wird durch harmonisierte rechtliche Voraussetzungen gefördert. Gleichzeitig macht es ein harmonisiertes Rechtssystem den Marktteilnehmern leichter, patentverletzendes Verhalten zu vermeiden, wenn sie international tätig sind. Wie stets – und nicht auf das Gebiet des Patentrechts beschränkt – ist bei Reformvorschlägen, die eine etablierte Regelungssystematik in Frage stellen, spürbarer Gegenwind absehbar. Eine – auch aktuellen Entwicklungen geschuldete und deshalb erforderliche – kritische Auseinandersetzung mit dieser Frage sollte allerdings Voraussetzung für eine Änderung der gesetzlichen Regelung sein.

Weitergehende Überlegungen

Anzumerken ist, dass entsprechende Überlegungen nach Ansicht der deutschen Landesgruppe auch hinsichtlich des Patentierungsausschlusses von Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers (§ 2a (1) Nr. 2, 1. Alt. PatG, Artikel 53 (c), 1. Alt. EPÜ) veranlasst sind. Die zugrundeliegenden ethischen und medizinischen Erwägungen und Grundsätze für den Ausschluss oder die Gewährung von Patentschutz stimmen im Wesentlichen überein. Der Umfang und die möglichen rechtlichen und praktischen Auswirkungen eines möglichen dahingehenden Vorschlags bedürfen sorgfältiger Prüfung und sollten deshalb unbedingt Gegenstand einer separaten Studienfrage sein.

 

steinbrink@zsp-ip.de

n.wessendorf@taylorwessing.com

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