Stellungnahme des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten

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Die Möglichkeit, mündliche Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung, umgangssprachlich Videoverhandlungen, nach § 128a ZPO durchzuführen, hat in den Zeiten der Pandemie entscheidend dazu beigetragen, dass Rechtsstreitigkeiten noch innerhalb akzeptabler Zeiten durchgeführt und abgeschlossen werden konnten. Die Mitgliedskanzleien des BWD ziehen ausnahmslos ein positives Fazit. Die befürchteten technischen Schwierigkeiten ließen sich beheben, ein Rechtsmissbrauch fand nicht statt. Die Ersparnisse an Zeit und Ressourcen waren beträchtlich. Daher begrüßt der BWD die Initiative aus dem Bundesjustizministerium, den Anwendungsbereich von Videoverhandlungen zu erweitern und auszubauen. Rechtsstreitigkeiten können erheblich beschleunigt werden, wenn nicht alle Verfahrensbeteiligten zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Ort erscheinen müssen. Gerade die Möglichkeit, nicht nur die Parteien, sondern auch Zeugen, Sachverständige und Übersetzer per Videokonferenz einbeziehen zu können, wird helfen, frühere Termine zu finden. Für die Parteien stellt das eine ­einfache, günstige und angenehme Möglichkeit dar, auch dann an Rechtsstreitigkeiten persönlich teilzunehmen, wenn das persönliche Erscheinen nicht angeordnet ist.

Entscheidend ist: Technische Voraussetzungen schaffen

Ob diese Initiative erfolgreich sein wird, hängt zunächst davon ab, ob die dafür erforderlichen technischen Voraussetzungen an allen Gerichten kurzfristig geschaffen werden können. Dies unterstellt, empfiehlt der BWD jedoch, Korrekturen an einzelnen Punkten vorzunehmen und sicherzustellen, dass die Justiz auch in Zeiten der Videoverhandlung ihr Ansehen in der Bevölkerung behält.

Begründung: Die Videoverhandlung ist bereits von Amts wegen oder auf Antrag möglich (§ 128a ZPO). Sollte der Referentenentwurf Gesetz werden, ändert sich hieran wenig. Das Gericht soll zukünftig gehalten sein, die Videoverhandlung zu gestatten, wenn die Parteien dies übereinstimmend beantragen. Die Parteien sind gerade in der Zivilgerichtsbarkeit Herren des Verfahrens. Daher sollte dieser Antrag nur dann abgelehnt werden können, wenn es hierfür einen triftigen technischen Grund in der Ausstattung des angerufenen Gerichts gibt. Andernfalls steht zu befürchten, dass die Praxis der Videoverhandlungen sich selbst innerhalb eines Justizstandorts sehr unterschiedlich entwickeln wird, je nach den persönlichen Präferenzen der beteiligten Richter. Umgekehrt sollte eine Videoverhandlung nicht von Amts wegen anberaumt werden können, wenn andere Verfahrensbeteiligte eine Videoverhandlung nicht wünschen. Der Wunsch des Richters, die Verhandlung außerhalb des Gerichts durchführen zu können, tritt dann hinter das vermutete berechtigte Interesse der Parteien an einer Verhandlung im Gerichtssaal zurück.

Der Beschluss des Gerichts, die Teilnahme im Wege der ­Videokonferenz zu ermöglichen, ist nach derzeitiger Rechtslage unanfechtbar (§ 128a Abs. 3 ZPO). Nach dem Referentenentwurf sollen die Beschlüsse des Gerichts nun begründungspflichtig und angreifbar werden. Es steht zu befürchten, dass diese Möglichkeit von Verfahrensbe­teiligten ohne Interesse an einer Beschleunigung des Rechtsstreits genutzt werden wird. Es sollte daher bei der bisherigen Regelung bleiben, insbesondere dann, wenn die Rechte der Verfahrensbeteiligten – wie vom BWD vor­geschlagen – gegenüber dem Referentenentwurf gestärkt werden.

Keine verpflichtenden vorbereitenden ­Stellungnahmen zu Bedenken gegen eine Videoverhandlung

Wenig sinnvoll erscheinen vor diesem Hintergrund die verpflichtenden vorbereitenden Stellungnahmen der Parteien in der Klageschrift und der Klageerwiderung zu den Bedenken gegen eine Videoverhandlung (§ 253 Abs. 3 Ziffer 4 ZPO-E bzw. § 277 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO-E). Schon aus anwaltlicher Vorsicht werden die Prozessbevollmächtigten Videoverhandlungen zu diesem Zeitpunkt nicht zustimmen können. Selbst wenn die Klageforderung unbestritten bleibt, mögen die Beklagten der Auffassung sein, hiergegen aufrechnen oder Zurückbehaltungsrechte geltend machen zu können.

Der BWD regt deshalb an, dass alle Verfahrensbeteiligten sich abschließend innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist (Notfrist) von zwei Wochen nach Erhalt der Ladung zu einem Termin für die mündliche Verhandlung final äußern müssen. Die Entscheidung des Spruchkörpers für die mündliche Verhandlung in Form einer Videoverhandlung bliebe so bestehen, es sei denn, alle Parteien insistierten auf einer mündlichen Verhandlung in Präsenz im Gerichtsgebäude.

Auf diese Weise könnten frühe erste Termine (§ 275 ZPO) häufig als Videoverhandlung durchgeführt werden, aber die Möglichkeit, die mündliche Verhandlung in Präsenz durchzuführen, bliebe bestehen.

Der Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit würde die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung für den Spruchkörper erleichtern. Eine zweigleisige Vorbereitung auf eine mündliche Verhandlung (in Präsenz oder virtuell) entfiele. Jeder Anreiz für eine Partei, die nicht an der mündlichen Verhandlung interessiert ist, das Verfahren durch eine kurz vor dem Termin eingelegte Beschwerde zu verzögern, also der Anreiz zu einer „Flucht in die Präsenz“, entfiele ebenso.

Konsequent gestattet der Referentenentwurf dem Gericht, das persönliche Erscheinen im Sinne des § 141 ZPO auch als Teilnahme an einer Videoverhandlung anzuordnen. Diese Möglichkeit wird vom BWD ausdrücklich begrüßt. So werden auch gerade Verfahrensbeteiligte aus dem Ausland sinnvoll und effizient einbezogen werden können. Dies wird auch dafür sorgen können, dass der von einer Partei häufig vorgebrachte Wunsch nach einer Terminänderung (§ 227 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO) entfallen oder unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Videoverhandlung abgelehnt werden kann (§ 227 Abs. 1 Satz 3 ZPO-E).

Nach § 227 Abs. 1 Satz 3 ZPO-E soll eine Terminänderung unterbleiben, wenn der Termin als Videoverhandlung nach § 128a ZPO-E oder als Beweisaufnahme nach § 284 Abs. 2 ZPO-E durchgeführt werden kann. Häufig verhindern Staus oder Verspätungen der Bahn das pünktliche Erscheinen der Verfahrensbeteiligten beim Termin. Diese Verhandlungen sollten nach Ansicht des BWD dann nicht spontan in eine Videoverhandlung umgewandelt werden. Besser erscheint die Anberaumung eines nahegelegenen Termins, der von vornherein als Videoverhandlung geplant wird.

Nach § 284 Abs. 2 Satz 3 ZPO-E kann gegenüber zu ver­nehmenden Parteien und Zeugen angeordnet werden, dass sich die zu vernehmende Person an einer vom Gericht ­näher zu bestimmenden Gerichtsstelle aufzuhalten hat. Diese Option sollte auch auf Sachverständige ausgedehnt werden.

Ausschluss der Videoverhandlung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

Für die nach den Eindrücken der Mitgliedskanzleien des BWD zunehmend häufiger genutzten mündlichen Verhandlungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Arrest und einstweilige Verfügung) sollte die Videoverhandlung ausgeschlossen werden. Hierbei spielen präsente Zeugen eine entscheidende Rolle. Im Konflikt zwischen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens und der Option, Verfahren möglicherweise auch aus der Distanz entscheiden zu können, sollten der Eilbedürftigkeit und dem Schutz des in seinen Rechtsgütern (möglicherweise) verletzten Antragstellers der Vorrang eingeräumt werden. Hiervon sollte nur abgewichen werden können, wenn alle Verfahrensbeteiligten ausdrücklich zustimmen. Der Beschluss des Spruchkörpers sollte dann unanfechtbar sein.

Nach bisheriger Regelung befinden sich die Mitglieder des Spruchkörpers stets im Gerichtsgebäude, und nur einzelne oder alle Verfahrensbeteiligten schalten sich aus der Ferne zu. Wenn alle Verfahrensbeteiligten und die Mitglieder des Spruchkörpers per Video an der Verhandlung teilnehmen, darf auch der Vorsitzende die Videoübertragung nutzen. Angesichts des Trends zur Übertragung der Rechtsstreitigkeiten auf den Einzelrichter sowie bei Handelsstreitigkeiten auf den Vorsitzenden Richter wird dies möglicherweise die neue Regel werden. Der BWD regt an, die Würde des Gerichts (und aller Mitglieder des Spruchkörpers) durch die Wahl eines einheitlichen Hintergrunds zu wahren.

Der Ort, von dem aus der Vorsitzende die Verhandlung ­leitet, ist entscheidend. Leitet der Vorsitzende eine reine ­Videoverhandlung, sollte nicht seine private Wohnung (wie nach § 219 Abs. 1 Satz 2 ZPO-E vorgesehen) zum Ort der Verhandlung werden, sondern der Sitz des Gerichts, an dem die Verhandlung stattgefunden hätte, wenn der Spruchkörper und die Verfahrensbeteiligten sich nicht auf die Videoverhandlung geeinigt hätten. Bisher wird die Übertragung nach § 128a Abs. 3 ZPO nicht aufgezeichnet. Gemäß § 160a Abs. 1 ZPO-E soll der Inhalt des Protokolls der Verhandlung jetzt aber per Video aufgezeichnet werden können. Dies soll insbesondere der Regelfall werden, wenn dies eine der Parteien oder ein Nebenintervenient beantragt. Gerade bei komplexen Zeugenvernehmungen oder Sachverständigenanhörungen wird dies sinnvoll sein. Im Nachgang zur Beweisaufnahme erhielten die Parteien so Gelegenheit, innerhalb einer vom Spruchkörper gesetzten Frist Stellung zu beziehen. In diesen Fällen könnten die Parteien dann statt auf die vom Richter formulierte Zusammenfassung auf die vollständigen Aussagen des Sachverständigen oder der Zeugen zurückgreifen. Den Parteien sollte von Amts wegen das vollständige Videoprotokoll übermittelt werden. Dies sollte und kann nicht vom Ermessen des Vorsitzenden (§ 299 Abs. 3 Satz 2 ZPO) abhängen, wie es aber § 160a Abs. 5 ZPO-E vorsieht.

Bestandteil der Verfahrensakten

Die Aufnahmen einer Videoverhandlung sind wichtiger Bestandteil der Verfahrensakten.

Sie sollten daher genauso lange aufbewahrt werden müssen wie die Verfahrensakten selbst. Eine vorzeitige Vernichtung der vorläufigen Protokollaufzeichnung, wie es § 160a ZPO-E vorsieht, erscheint nicht sachgerecht. Anders als bei den bisherigen Aufzeichnungen auf Ton- und Datenträgern ist geplant, das gesprochene Wort nicht vollständig in das schriftliche Protokoll zu übertragen. Vielmehr soll nach § 160a Abs. 2 Satz 2 ZPO-E der Hinweis auf die Aufnahme in Ton und Bild im Protokoll genügen. Das ist vernünftig, aber dann wird die Aufnahme in Bild und Ton endgültig zu einem unverzichtbaren Teil der Verfahrensakten und verliert den Status als „vorläufige“ Protokollaufzeichnung. Die Möglichkeit, den Inhalt des Protokolls auf Antrag einer Partei unmittelbar in Ton oder in Bild und Ton aufzuzeichnen (§ 160a Abs. ZAHL Satz 2 ZPO-E), ist zu begrüßen. Warum die Aufzeichnung nur in Ton angeboten wird, erschließt sich nicht. Diese Option sollte entfallen. Sehr sinnvoll erscheinen die geplanten Änderungen zur möglichen Videovernehmung von Sachverständigen und Zeugen. Jeder Praktiker kennt Situationen, in denen die Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen im Gerichtssaal selbst unverzichtbar erscheint, aber in der Mehrzahl der Rechtsstreitigkeiten wird die Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen per Video völlig ausreichend sein. Dies wird häufig der Fall sein, etwa bei der Einvernahme von Polizeibeamten, die Verkehrsunfälle protokollieren. Sie werden zumeist zur Aufklärung der Schuld an der Entstehung eines Unfalls wenig beitragen können.

Die Möglichkeit, Gerichtsvollziehern die Abnahme von Vermögensauskünften in einer Videokonferenz zu gestatten, begegnet keinen Bedenken des BWD.

Wie die Öffentlichkeit der Verhandlung ­sichergestellt werden kann

Der Vorschlag des ZPO-E (§ 128 Abs. 5 Satz 3 ZPO-E), die Wahrung der Öffentlichkeit für den Fall der vollvirtuellen Verhandlung durch die Schaffung eines öffentlich zugänglichen Gerichtsraums zu schaffen, überzeugt den BWD. ­Allerdings sollten die Teilnehmer der Öffentlichkeit sich registrieren lassen, so dass sichergestellt ist, dass von einem der Verfahrensbeteiligten benannte Zeugen nicht – vom Gericht und den Verfahrensbeteiligten unbemerkt – bereits Kenntnis von der Erörterung im Gerichtssaal erhalten oder der Einvernahme anderer Zeugen oder Sachverständigen beiwohnen können. Eine darüber hinausgehende Öffentlichkeit, etwa durch die Herausgabe der Einwahldaten an nicht am Verfahren beteiligte Dritte, sollte nicht gestattet werden.

 

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stefan.rizor@bundesverband-wirtschaftskanzleien.de

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