Das Fremdbesitzverbot für Rechtsanwaltskanzleien in Deutschland: Wem nützt es?

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15 Jahre Echternacher Springprozession

Seit nunmehr 15 Jahren wird in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten der EU mehr oder weniger intensiv über das „Fremdbesitzverbot“ für Rechtsanwaltskanzleien diskutiert. Doch selbst bei der aktuellen BRAO-Reform 2022 hat sich an der Rechtslage nichts geändert, und weiterhin ist damit § 59e BRAO einschlägig: „(1) Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft können nur Rechtsanwälte und Angehörige der in § 59a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 genannten Berufe sein. Sie müssen in der Rechtsanwaltsgesellschaft beruflich tätig sein …“. Dies wird abgesichert dadurch, dass die Mehrheit von Stimmrechten und Geschäftsanteilen ebenfalls Rechtsanwälten zustehen muss (Abs. 2), und dann heißt es erläuternd weiter, dass Anteile an einer Rechts­anwaltsgesellschaft nicht für Rechnung Dritter gehalten und Dritte nicht am Gewinn beteiligt werden dürfen (Abs. 3).

Konsequenz dieser Regelung ist, dass es Rechtsanwälten in Start-up-Deutschland 2022 weiterhin verboten ist, auf Beteiligungskapital, Private Equity oder Wagniskapital zurückzugreifen, selbst „Family and Friends“ geht nicht. Doch darüber hinaus sind auch andere Strukturen, wie etwa stille Gesellschaften oder partiarische Darlehen sowie virtuelle Beteiligungen (Phantom-Stocks), untersagt (Jürgen Christoph, „Finanzierung von Anwaltskanzleien“, AnwBl online, 2022, S. 94, 95). Faktisch führt das dazu, dass innovative Neugründungen von Kanzleien, die stark auf Digitalisierung etc. und damit verbundenen Kostenaufwand setzen, weitgehend durch Eigenkapital finanziert werden müssen. Allein schon die Finanzierungsregeln der Banken setzen dabei dem Fremdkapitaleinsatz – wenn nicht private Sicherheiten zur Verfügung stehen – erhebliche Grenzen. Weiterhin sind auch „Buy & Build“-Strategien, wie wir sie gerade sehr erfolgreich im Bereich von Optikergeschäften sehen, für Rechtsanwälte faktisch untersagt. Insoweit muss man sich fragen: Wem nützt das?

Zunächst einmal nützt es etablierten Großkanzleien mit stabilen Cashflows, die sehr viel eher in der Lage sind, Zukunftsinvestitionen – etwa im Bereich Legal-Tech oder Digitalisierung – zu finanzieren. Daneben stellt das Fremdbesitzverbot eine (weitere) Markteintrittsbarriere dar und sichert insoweit den Status quo ab.

Interessant ist dabei, dass die Diskussion von den Verteidigern des Status quo vor allem unter ethischen Gesichtspunkten geführt wird (siehe etwa Nico Härting, „Fremdbesitz – ein Ethikthema“, AnwBl online, 04.12.2019). Das Fremdbesitzverbot wird so zum Bewahrer der Gemeinwohlorientierung des Anwaltsberufs – quasi als notwendiger Bestandteil seiner Stellung als Organ der Rechtspflege. Heißt das dann im Gegenschluss, dass etwa Geschäftsführer von Private-Equity- oder Venture-Capital-finanzierten Unternehmen per se nicht am Gemeinwohl orientiert agieren und nur an Profit denken?

Der Wandel des Anwaltsberufs

Der Anwaltsberuf in Europa, Deutschland und weit darüber hinaus, vor allem in den Vereinigten Staaten, unterliegt seit 30 Jahren einem fundamentalen Strukturwandel. Die Zulassung überörtlicher Sozietäten und der Markteintritt großer internationaler Law-Firms, zunächst aus den USA und dem UK, zunehmend aber auch aus anderen Jurisdiktionen wie China oder Australien, hat dazu maßgeblich beigetragen. Heute gliedert sich der Markt in internationale Kanzleien, die Top 100 der nationalen mittelständischen Kanzleien, Anwaltsgesellschaften der Big Four und dann kleinere Sozietäten, Bürogemeinschaften und Einzelanwälte. In den Rankings, die etwa JUVE veröffentlicht, sind die entscheidenden Parameter heute der Umsatz pro Berufs­träger (UBT), der Gewinn pro Partner sowie der Gesamtumsatz. Die führenden Anwaltskanzleien, die sich ­einem intensiven Wettbewerb stellen müssen, sind Wirtschaftsunternehmen und werden wie Wirtschaftsunternehmen geführt [siehe etwa Christoph Vaagt (Ed.), „Law Firm Strategies for the 21st Century“, 2nd edition, 2020].

Doch trotz dieser Entwicklung ist der Markt für Rechtsanwaltsdienstleistungen weiterhin stark fragmentiert. Weniger als 30 Rechtsanwaltskanzleien weltweit (inklusive chinesischer Law-Firms) haben mehr als 2.000 Berufsträger, eine geradezu lächerliche Zahl, verglichen etwa mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder anderen Dienstleistern. Angesichts dieser Entwicklung kann man sicherlich nicht von einer Kommerzialisierung des Rechtsberatungsmarkts sprechen. Nichtsdestotrotz sind aber Skandale, wie etwa CumEx, mit Milliardenschäden trotz Fremdbesitzverbots gerade in Deutschland und anderen Staaten mit vergleichbaren Strukturen, wie etwa Dänemark, möglich gewesen.

Die europäische Komponente

Ende der 2000er Jahre wurde in der Anwaltschaft sowie bei vielen anderen sogenannten freien Berufen zunehmend ein von der Europäischen Union ausgehender „Liberalisierungsdruck“ gespürt (Michael Kleine-Cosack, „Vom freien Beruf zum gewerblichen Unternehmer“, BB Special 3, 2008. S. 1 ff.). Damals wurde befürchtet, dass der EuGH durch seine Rechtsprechung das „traditionelle“ Recht der freien Berufe liberalisieren würde, ohne dass der (nationale) Gesetzgeber und die Interessenverbände dabei mitwirken könnten. Dazu ist es dann nicht gekommen, nichtsdestotrotz entstanden Anfang der 2010er Jahre erste vergleichende Untersuchungen zur Rechtsstellung von Freiberuflern und nicht zuletzt Rechtsanwälten in Deutschland und der EU (EESC/COMM/05/2013). Dabei wurde das Fremdbesitzverbot vor allem im Licht der Rechtsprechung des EuGH unter der Fragestellung diskutiert: Sind Anwälte eher Optiker oder Apotheker? (Reinhard Singer, „Die Zukunft des Fremdbesitzverbots für Anwaltssozietäten“, AnwBl 2010, S. 79 ff.; Matthias Kilian, „Das Fremdbeteiligungsverbot im Spannungsfeld von Berufs-, Gesellschafts- und Unionsrecht“, AnwBl, 2014, S. 114 f.), denn für Optiker wurde das Fremdbesitzverbot weitgehend aufgehoben, für Apotheker nicht.

Erlaubter Fremdbesitz

Wenn man für einen (vollständigen oder auch nur teil­weisen) Verzicht auf das Fremdbesitzverbot plädiert, wird einem immer wieder entgegengehalten, dass dieses Prinzip weltweit, mit Ausnahme von drei Jurisdiktionen – Austra­lien (der Vorreiter), England und Wales – gelte. Und ja, das ist richtig, doch warum dies zum einen eine negative ­Abschreckungswirkung haben soll und zum anderen ­dokumentiert, dass sich das Prinzip des Verzichts auf das Fremdbesitzverbot nicht durchgesetzt hat, ist schwer nachzuvollziehen (siehe etwa Matthias Kilian/­Stefanie Lemke, „Anwaltsgesellschaften mit berufsfremder Kapitalbeteiligung“, AnwBl 2011, S. 800 ff.; Markus ­Hartung, „Fremdbesitz an Kanzleien: Weniger Nebelkerzen – Weitblick zählt“, AnwBl, 2012, S. 727). Die Liberalisierung in den drei angloamerikanischen Jurisdiktionen wird „erkauft“ mit einer hohen Regulierungsdichte fremdfinanzierter Sozietäten, die an die Inhaberkontrolle bei Banken erinnert. Selbstverständlich sind damit Kosten und Aufwand verbunden, auf der anderen Seite ermöglicht dieser Ansatz erst das Modell, und soweit man es überblicken kann, sind bisher keine gravierenden Missstände fest­stellbar.

Neben Australien, England und Wales gibt es darüber hinaus in vielen EU-Mitgliedsstaaten und der Schweiz die Möglichkeit von Minderheitsbeteiligungen an Anwaltskanzleien. Im Kern dienen diese vor allem der Vererbbarkeit von Sozietätsanteilen oder der Beteiligung von aus­geschiedenen Sozien – Themen, die in Deutschland etwa über „Rentenansprüche“ in Sozietätsverträgen geregelt werden können. Dabei bleibt die Bedeutung von § 59e Abs. 1 Satz 2 BRAO offen, nämlich die Frage der aktiven beruf­lichen Tätigkeit eines Gesellschafters in der Sozietät. Wir sollten davon ausgehen, dass derzeit in zahlreichen Sozie­täten beruflich nicht mehr tätige Rechtsanwälte an den ­Gewinnen beteiligt sind.

BRAO-Reform 2022

Nachdem die Diskussion über das Fremdbesitzverbot in Deutschland etwas ruhiger geworden war, wurde sie durch die Vorbereitung der BRAO-Reform, die jetzt zum 01.08.2022 in Kraft tritt, noch einmal intensiviert. Dabei stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, ob nicht „punktuell“, etwa für Investitionen in Legal-Tech, das Fremdbesitzverbot „aufgeweicht“ werden sollte. Hintergrund war die Überlegung, dass ein erheblicher Kapitaleinsatz für die Entwicklung von Software und KI-Prozessen notwendig ist und hierfür Wagniskapital dringend benötigt wird. Den Gesetzgeber und zahlreiche Standesvertreter hat das nicht überzeugt, und das Fremdbesitzverbot wurde nicht angefasst. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass die Finanzierung von Legal-Tech in internationalen und Großkanzleien weniger problematisch ist und im Übrigen in (Nichtanwalts-)Parallelgesellschaften, an denen sich Anwälte frei beteiligen können, erfolgen kann (Jürgen Christoph, a.a.O.).

Die Diskussion ist aber noch nicht beendet. So findet sich im aktuellen Koalitionsvertrag auf S. 89 folgende Aufgabe für das FDP-geführte Bundesjustizministerium: „Wir erweitern den Rechtsrahmen für Legal-Tech-Unternehmen, legen für sie klare Qualitäts- und Transparenzanforderungen fest und stärken die Rechtsanwaltschaft, indem wir das Verbot von Erfolgshonoraren modifizieren und das Fremdbesitzverbot prüfen.“

Quo vadis Fremdbesitz?

Das Fremdbesitzverbot für Rechtsanwaltskanzleien ist mit vielen Mythen verbunden, und die Diskussion ist weiter stark emotional aufgeladen. Doch im Kern geht es um eine sehr grundsätzliche Frage: Wenn man Innovation bei der Rechtsberatung will, auch und gerade in streng regulierten Anwaltskanzleien und nicht in Parallelgesellschaften (man denke nur an 2008), dann sollte man diesen nicht die Möglichkeit nehmen, Innovationen mit Hilfe von Wagniskapital umzusetzen. Gleiches gilt etwa für „Buy & Build“-Strategien. All dies würde die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege stärken, weil ihm die Bedeutung dieser Stellung sehr viel bewusster gemacht und er sie nicht einfach als „gegeben“ hinnehmen würde.

 

christoph.schalast@schalast.com

 

Hinweis der Redaktion:
Prof. Dr. Christoph Schalast ist im BWD Leiter der Task Force „Fremdbesitz“. (tw)

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