Rechtspolitische Gestaltungsmöglichkeiten für eine schnelle und effiziente Justiz

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Eine schnelle und effiziente Justiz ist Kernelement eines jeden demokratischen Rechtsstaats. Überlange Verfahren und langwierige Rechtsstreitigkeiten führen zur Frustration der im konkreten Fall Streitenden und der Richter und sie führen zunehmend auch dazu, dass ­drängende politische Ziele nicht schnell genug erreicht werden. Dies wird derzeit besonders deutlich an dem in den letzten Jahren nur langsam voranschreitenden Ausbau der erneuerbaren Energien oder an der Verkehrswende. Die Bundesregierung hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Das ist kein Selbstzweck, sondern dient beispielsweise mit Blick auf die Modernisierung unserer Infrastruktur letztlich dem Erhalt unseres Wohlstands und unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wir brauchen ein neues Deutschlandtempo.

Aufgrund des angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen weiter anwachsenden Bedarfs ist der Gesetzgeber angehalten, gesetzliche Grundlagen für die Justiz zu verbessern, um diese zu ermächtigen, schnell und effizient gute Entscheidungen zu treffen. In diesem Kontext hat der Bundestag Anfang Februar ein Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich beschlossen. Dieses beinhaltet eine Novellierung der Verwaltungsgerichtsordnung sowie punktuelle Änderungen in Fachgesetzen, zum Beispiel im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz.

Eckpunkte der VwGO-Novelle – ­verwaltungsprozessrechtliche Neuerungen

Primäres Ziel dieses Gesetzes ist es, im Bereich bedeutender Infrastrukturvorhaben eine prozessuale Beschleunigung zu erreichen. Es ist unbestritten, dass die großen Potentiale für mehr Tempo außerhalb der gerichtlichen Kontrolle zu verorten sind. Es braucht einfache, leicht handhabbare materielle Gesetze, die wenig Raum für Streit bieten, schlanke und vollständig digitalisierte Entscheidungswege in der Verwaltung und eine ausreichende Versorgung mit gutem Personal. Denn Anträge genehmigen sich nicht von selbst.

Und dennoch muss jeder Bereich seinen Beitrag leisten, damit die Modernisierung unseres Landes gelingt, auch die Justiz. Dabei sollen Partizipations- und Einspruchsrechte der Bürgerinnen und Bürger nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Elementarer Bestandteil eines jeden erfolgreichen rechtspolitischen Vorhabens ist es, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herzustellen und diese nicht zu gefährden. Um dies zu gewährleisten, müssen rechtspolitische Akteure stets in engem und konstruktivem Austausch mit der Rechtspraxis stehen, gleichzeitig aber auch mutig und pragmatisch vorangehen, wenn es um neue rechtspolitische Gestaltungen geht.

Unbeachtlichkeitsregel des § 80c VwGO und Kostentragung

Eine zentrale Neuerung der VwGO-Novelle, die im Geiste dieses gesunden Pragmatismus steht, ist die Einfügung des § 80c am Ende des achten Abschnitts der VwGO. Dieser enthält Sondervorschriften für wichtige Infrastrukturverfahren nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 15 und § 50 Abs. 1 Nr. 6. Gemäß § 80c Abs. 2 kann das Gericht im Eilrechtsverfahren einen Mangel außer Acht lassen, wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird. § 87c Abs. 2 Satz 2 enthält sodann Regelbeispiele für Mängel im Sinne des Satzes 1. Diese können nicht nur formeller Natur sein, sondern auch Abwägungsmängel im Rahmen der Planfeststellung oder Plangenehmigung, in engen Grenzen sogar Mängel im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die vom Anwendungsbereich des § 87c erfassten Mängel beschränken sich nicht nur auf die dort als Regelbeispiele explizit aufgeführten, sondern unterliegen letztlich der richterlichen Handhabung in der Praxis. Entscheidend ist, dass sie behebbar sind und ihre Behebung in absehbarer Zeit offensichtlich ist.

In dieser Hinsicht wird interessant sein, wie die Rechtsprechung die Kriterien der Offensichtlichkeit und der absehbaren Zeit ausformen wird. Als Gesetzgeber haben wir uns bewusst dazu entschieden, den Gerichten möglichst viel Spielraum zu überlassen. Kritik an unbestimmten Rechtsbegriffen verkennt, dass über den Erfolg eines Antrags maßgeblich die Abwägung aller Belange entscheidet, die das Gericht im Eilverfahren in eigenem Ermessen durchführt. In diesen Prozess als Gesetzgeber übermäßig einzugreifen, wäre praxisfremd und letztlich nicht zielführend. Durch die oben beschriebene Ausgestaltung ermöglichen wir dagegen den Gerichten möglichst weite Flexibilität in der Handhabung der Norm.

Die Unbeachtlichkeitsregel wird flankiert durch eine veränderte Kostentragung durch den neuen § 154 Abs. 5. Der Antragsteller, der den Prozess allein aufgrund der Unbeachtlichkeit nach § 80c VwGO verliert, muss danach seine Kosten nicht selbst tragen. Dies basiert auf der Erwägung, dass im Anwendungsbereich des § 80c der Antragsteller einen eigentlich rechtswidrigen Zustand aufgezeigt hat. So wird auch verhindert, dass eine mögliche Unbeachtlichkeit gemäß § 80c und eine daraus resultierende Niederlage im Eilverfahren niemanden unverhältnismäßig davon abhält, Rechtsschutz zu begehren.

Formelle Präklusion gemäß § 87b Abs. 4 VwGO

Während zentrale Punkte der Gesetzesnovelle sich primär an die Gerichte richten, ist durch die Einfügung des § 87b Abs. 4 im Verwaltungsprozess eine maßgebliche Anforderung an die Kläger hinzugekommen. So gilt für Kläger in wichtigen Infrastrukturverfahren künftig eine prozessuale Präklusionsfrist. Für Umweltverbände beträgt diese wie bisher auch zehn Wochen. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach der vom Gericht gesetzten Frist eingereicht werden, sind für den Fortgang präkludiert. So soll der entscheidungsrelevante Prozessstoff zügig gebündelt werden, ohne Rechtsschutzmöglichkeiten nennenswert zu verkürzen. Dies strafft die verwaltungsgerichtlichen Prozesse.

Das Beschleunigungsgebot des § 87c Abs. 1 VwGO und Entscheidungen in kleinerer ­Besetzung

Ein weiterer Baustein der VwGO-Novelle ist das sogenannte Priorisierungs- und Beschleunigungsgebot, das zukünftig in § 87c Abs. 1 zu finden ist. Nach § 87c Abs. 1 Satz 1 sollen wichtige Infrastrukturverfahren vorrangig durchgeführt werden. Die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift bietet den Gerichten weitere Flexibilität in ihrer Anwendung. Eine besondere Priorisierung erhalten darüber hinaus gem. § 87c Abs. 1 Satz 3 solche Vorhaben, über die ein Bundesgesetz feststellt, dass sie im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Letzteres hat den Vorteil, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber auch fortlaufend im Lichte seiner politischen Prioritäten in einem gewissen Ausmaß steuern kann, welche Vorhaben gerichtliche Priorisierung genießen, ohne in übermäßiger Form in die innere Gerichtsorganisation einzugreifen. Die Priorisierung darf selbstverständlich nicht dazu führen, dass andere Prozesse unzumutbar lang verzögert werden. Die praktische Bedeutung der Vorschrift wird daher auch davon abhängen, dass vor allem die Länder ihre Oberverwaltungsgerichte ausreichend mit Stellen für Richterinnen und Richter, Sekretariate und wissenschaftliche Mitarbeiter ausstatten. Andernfalls bremst die Höhe des Aktenbergs die Periodisierung wieder teilweise aus.

Schließlich seien noch kleinere Änderungen erwähnt, in denen die Bedeutung der Kooperation von rechtspolitischem Gesetzgeber und Rechtspraxis besonders deutlich wird. §§ 9 Abs. 4 und 10 Abs. 4 VwGO ermöglichen Oberverwaltungsgerichten und Bundesverwaltungsgericht in einfach gelagerten Fällen eine Entscheidung in kleinerer Besetzung, wodurch richterliches Personal effizienter genutzt wird. Dabei ist beispielsweise an erstinstanzlich anhängige, unzulässige Klagen zu denken, die ressourcenschonender abgearbeitet werden können. In § 87c Abs. 2 VwGO findet sich zudem eine Klarstellung, wonach die Gerichte in geeigneten Fällen (und nur in diesen) einen frühen ersten Erörterungstermin zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits ansetzen sollen. Gerade die Verwaltungsgerichte haben im parlamentarischen Verfahren darauf gedrängt, dass sie selbst am besten abschätzen sollten, wann ein früher erster Termin Beschleunigungspotential hat. Dieser Wunsch der Rechtsprechungspraxis findet sich nun auch im Gesetz. Auch hier wird deutlich, dass zur Erreichung des Ziels einer effizienten Justiz der Gesetzgeber nicht übermäßig in die prozessualen Abläufe eingreifen sollte, sondern vielmehr Rahmenbedingungen schaffen muss, die es den Richterinnen und Richtern ermöglichen, gute Entscheidungen zu treffen. Am Ende unternimmt die Reform auch erste Schritte, um die Verfahrensakte handhabbarer zu machen. Das digital durchsuchbare Dokument wird durch eine Neufassung des § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO künftig zum Standard vor den Verwaltungsgerichten. Im nächsten Schritt muss auch die digitale Behördenakte zum Standard werden. Gleichzeitig hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, welche Beschleunigungspotentiale in der Strukturierung des Klägervortrags stecken.

Eine effiziente Justiz als notwendige ­Bedingung für ein modernes Land

Beim Deutschlandtempo geht es letztlich um die Frage, ob wir unsere Lebensgrundlagen erhalten, die Verkehrswende konsequent umsetzen können und unseren Wohlstand dabei sichern. Eine effiziente Justiz, die anfallende Verfahren in guter Weise schnell entscheiden kann, ist dafür ein elementarer Bestandteil. Es braucht schlanke behördliche und gerichtliche Verfahren, die Rechtssicherheit und Rechtsfrieden schaffen. Das geht nicht ohne mehr Personal. Änderungen im materiellen Recht dürfen vor allem mit Blick auf Europa- und Völkerrecht ebenfalls kein Tabu sein. Für den Gesetzgeber muss dabei im Zentrum stehen, mutig und pragmatisch voranzugehen, jedoch durch den Austausch mit der Rechtspraxis für rechtssichere Normen zu sorgen, die gut zu handhaben sind und für tatsächliche Verbesserungen sorgen.

 

kaweh.mansoori@bundestag.de

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