Die Ampelkoalition hat sich unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ ein umfassendes Modernisierungsprogramm für unser Land vorgenommen. Wir sind gemeinsam der Ansicht, dass in vergangenen wirtschaftlich guten Jahren Chancen versäumt worden sind, Weichen für die Zukunft zu stellen. Dies gilt für die Außen- und Sicherheitspolitik ebenso wie für die Energiepolitik, aber namentlich auch für den Bereich der Rechtspolitik. Auch der Rechtsstaat steht vor neuen Herausforderungen. Als Beispiel seien neue Rechtsfragen durch die fortschreitende Digitalisierung und der Meinungskampf in der digitalen Welt genannt. Die Rechtspolitik bildet damit folgerichtig einen besonderen Schwerpunkt der Koalition.
Nach zwei Jahrzehnten anwaltlicher Berufspraxis im Marken-, IT-, Wettbewerbs- und Urheberrecht sind mir Fragen des innovationsfördernden und -sichernden Schutzes von geistigem Eigentum, eines fairen, den Wettbewerb befördernden und nicht beschränkenden Kartell- und Wettbewerbsrechts und der Digitalisierung des Rechts und des Rechtsstaats natürlich auch politisch Herzensangelegenheiten. Daher stellt das den Schwerpunkt dieses Beitrags dar.
Digitalisierung des Rechtsstaats
In der Anwaltschaft kommt uns bei der Digitalisierung des Rechtsstaats vor allem das besondere elektronische Anwaltspostfach beA in den Sinn. Während der Notariatsbereich eine Vorreiterrolle einnimmt, ist der Telefaxaustausch mit vielen Teilen der Justiz für die Anwaltschaft immer noch an der Tagesordnung. Die flächendeckende Einführung der E-Akte – ohnehin mit dem Ziel 2026 wenig ambitioniert – stockt an vielen Stellen. Daher geht die Ampelkoalition jetzt in die Offensive. In der Bereinigungssitzung hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags insgesamt 200 Millionen Euro bis zum Jahr 2026 (50 Millionen Euro davon für 2023) für einen Pakt für den digitalen Rechtsstaat bereitgestellt. Das Geld ist dafür vorgesehen, gemeinsame und übergreifende Projekte mit den Ländern zur Beschleunigung der Digitalisierung anzuschieben. Im Mittelpunkt stehen Überlegungen zur Entwicklung einer Justizcloud für eine sichere Datenspeicherung und das ebenso fundamentale Thema der Schnittstellen, um den Informationsaustausch zu verbessern. Niemand sollte mehr in der Justiz drucken oder faxen müssen. Der Bund wird dazu mit den Ländern Projekte im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten entwickeln. Dabei sind die Länder gefordert, sich darauf einzulassen. In Anbetracht der aktuellen Haushaltslage der Länder mit deutlichen Überschüssen ist es jedenfalls zu kurz gegriffen, immer nur mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt zu fordern.
Schutz geistigen Eigentums
Der Schutz geistigen Eigentums ist mir ein besonderes Anliegen. Nicht nur leisten die Systematik der Schutzrechte und das hohe Schutzrechtsniveau in Deutschland einen Anreiz zur Innovation und zur Offenlegung gleichermaßen. Eine zukunftsgewandte IP-Strategie ist sowohl ein wesentliches strategisches Thema der Rechtspolitik als auch ein Standortfaktor. Das gilt namentlich für Patente. Im Rahmen ihrer Vorhabenplanung für 2023 hat die EU-Kommission ein „Patent-licensing Package“ angekündigt. Die Bundesregierung verdient in ihrer klaren Positionierung, den Wert des Schutzes von geistigem Eigentum zu stärken und gerade vor dem Hintergrund der Erfolgsgeschichte der schnellen Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 bei der restriktiven Linie zu Zwangslizenzen und vergleichbaren Überlegungen zu bleiben, volle Unterstützung. Das geltende Recht hat sich auch im internationalen Zusammenhang bewährt, und keine Impfstoffproduktion ist bisher am Patentrecht gescheitert.
Ein besonderes Augenmerk gebührt den Überlegungen der EU-Kommission zu standardessentiellen Patenten (SEPs). Hierzu hat es eine breite öffentliche Konsultation gegeben, welche die Bedeutung des Themas unterstrichen hat. Aus praktischer Erfahrung ist zu sagen, dass es in diesem Bereich besonders wichtig ist, die mittelständische und die Zulieferindustrie in den Blick zu nehmen. Die Frage nach FRAND-Terms (FRAND: fair, reasonable and non-discriminatory) muss von der Rechtspolitik praxistauglich beantwortet werden. Für die Zulieferketten ist die Frage zu klären, wo SEP-Lizenzen zur Verfügung gestellt werden müssen – oder umgekehrt: ob und wann bei SEPs überhaupt Lizenzen zu angemessenen Bedingungen verweigert werden dürfen. Schließlich stehen schwierige kartellrechtliche Fragen im Raum. Hier sollte Deutschland einen erheblichen Einfluss ausüben. In diesen Kontext gehört auch die generelle Frage der Qualität von erteilten Patenten mit ihren Auswirkungen auf deren Durchsetzung. Den häufig erhobenen Forderungen nach einem weiteren, dritten, Patentrechtsmodernisierungsgesetz stehe ich sehr positiv gegenüber.
Schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren
Deutschland sagt (leider)niemand nach, besonders schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren zu haben. Die Beschleunigung dieser Verfahren war schon in den vergangenen Jahren Gegenstand nicht nur von politischen Diskussionen, sondern auch von Gesetzgebung. Die Ampelkoalition hat schon im Sondierungspapier als Ziel formuliert, die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren. Das erfordert grundsätzliches Nachdenken über Planungs- und Genehmigungsverfahren. Vorschläge für Änderungen liegen für das Verwaltungsprozessrecht vor. Realistischerweise darf man jedoch von kürzeren Gerichtsverfahren nicht allein den großen Wurf erwarten. Dennoch halten wir es in der Koalition für richtig, über eine stärkere Verfahrenskonzentration bei den Oberverwaltungsgerichten/Verwaltungsgerichtshöfen und Erleichterungen bei der Geschäftsverteilung zur Vermeidung der Überlastung einzelner Kammern und Senate sowie über Beschleunigungswege zu diskutieren. Zur Stärkung der Bundesjustiz sind bereits zwei zusätzliche Kammern beim Bundesverwaltungsgericht eingerichtet worden. Eine der spannendsten aktuellen Überlegungen, der wir vertieft nachgehen sollten, ist die Frage nach der Notwendigkeit einer Planrechtfertigung (und ihrer entsprechenden rechtlichen Prüfung). Klar ist dabei, dass die Rechte von Betroffenen in Planungs- und Genehmigungsverfahren gewahrt werden müssen. Durch eine Digitalisierung der Verfahren versprechen wir uns jedoch eine deutliche Beschleunigung.
Digitalisierung des Gesellschaftsrechts
Für die anwaltliche Praxis im Wirtschaftsrecht spielt die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts eine wichtige Rolle. Mit der Verstetigung der virtuellen Hauptversammlungen bei Aktiengesellschaften und der Generalversammlung bei Genossenschaften ist ein wichtiges Vorhaben des Koalitionsvertrags bereits umgesetzt. Der umfassende Austausch mit der Praxis im Rahmen der parlamentarischen Beratungen, die noch zu erheblichen Veränderungen geführt haben, war dabei besonders wichtig. Die praktischen Erfahrungen mit der neuen Regelung werden wir eng begleiten und beobachten. Sollten wir hier auf Themen stoßen, schauen wir uns das natürlich an. In diesem Kontext haben wir als Ampel angekündigt, dass wir uns auch das seit vielen Jahren kritisch diskutierte Beschlussmängelrecht gründlich ansehen und Vorschläge dazu erarbeiten werden. Auch hier ist uns der Austausch mit der Praxis wichtig.
Mit den bereits vorgestellten Eckpunkten für ein Zukunftsfinanzierungsgesetz treiben wir die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts weiter voran. Ganz wichtig ist dabei der Vorschlag, das Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) auch für Aktien zu öffnen. In den Eckpunkten enthalten sind Überlegungen zur Erleichterung des Kapitalmarktzugangs, die gerade Wachstumsunternehmen und KMUs besonders in den Blick nehmen. Das Mindestkapital für Börsengänge soll leicht abgesenkt werden.
Modernisierung des Kapitalmarktrechts
Die Eckpunkte sehen außerdem die Einführung von SPACs auf dem deutschen Kapitalmarkt vor. Die aktuellen Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass dies sicherlich kein Wundermittel ist. Das wollen wir auch so nicht verstanden wissen. Als zusätzliches Instrument mit klar umrissenen und transparenten Regeln gerade auch im Hinblick auf Börsennotierungen sehen wir es aber als Beitrag zur Öffnung des deutschen Kapitalmarkts für zusätzliche Instrumente. Die Marktteilnehmer sollen dann darüber entscheiden, ob und wann das ein passendes Instrument ist. Ich sehe es jedenfalls nicht als Aufgabe des Gesetzgebers an, Innovationen im Kapitalmarkt zu verhindern. Wir sollten eher mehr als weniger Möglichkeiten des Zugangs eröffnen – immer mit der Maßgabe klarer und verständlicher Information für die Marktteilnehmer und einem stringenten Anlegerschutz. Gleiches gilt für die Überlegungen zur Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien. Aus guten Gründen in den 1990er Jahren abgeschafft, ergibt sich heute wieder ein praktischer Wunsch nach diesem Instrument. Wir wollen hier eine Gestaltung finden, die dem Wunsch aus der Praxis genügt, aber dabei die Anlegerinteressen im Blick behält und den Kapitalmarkt weiter attraktiv hält. Daher wird es hier, wie in anderen Staaten auch, Einschränkungen geben. Schließlich wollen wir in diesem Kontext Kapitalerhöhungen erleichtern, indem wir die Gestaltungsspielräume etwa im Bereich von Bezugsrechtsausschlüssen in Richtung europäischer Standards erweitern und die Rechtssicherheit bei deren Durchführung weiter erhöhen.
Leitlinie über alledem ist und bleibt eine Steigerung der Attraktivität des Kapitalmarkts gerade auch für die Anlegerinnen und Anleger. Denn Angebote ohne Nachfrage werden sich nicht lange auf dem Markt halten. Deswegen bleiben der nachhaltige Schutz der Anleger und Transparenz für uns zentrales Gebot.
Zukunftsmusik: Daten als eigenständiges zivilrechtliches Regelungsinstrument
Noch etwas Zukunftsmusik ist das im Koalitionsvertrag angelegte Vorhaben eines Datengesetzes, das für mich eines der interessantesten Projekte darstellt. Es geht darum, für Daten als solche ein eigenständiges zivilrechtliches Regelungsinstrument zu schaffen, welches der Bedeutung von Daten Rechnung trägt und eine klare Zuordnung des Eigentums und der Rechte an Daten ermöglicht. Auch solche Vorhaben sollen zur angestrebten Stärkung des Rechtsstandorts Deutschland beitragen.