Die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs gilt für die Anwaltschaft ab 01.01.2022 – Henning Müller berichtet dazu in dieser Ausgabe. Der Weg dorthin war durchaus holprig. Die Wogen haben sich gelegt und wer sich einmal darauf eingelassen hat, will nicht mehr zurück in die Welt der Faxe und der Briefpost. Dennoch lohnt sich zum Jahreswechsel die Überlegung, wie es mit der Kommunikation in der Zukunft aussehen soll und was nach dem aktuellen besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) kommen könnte.
Sicherheit des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs
Im Dezember 2017 wurde der Start des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs durch Sicherheitsprobleme bis in den September 2018 verzögert. Sicherheitsprobleme wurden auch danach trotz eines Gutachtens weiter thematisiert. Zuletzt hat der BGH (Senat für Anwaltssachen) mit Urteil vom 22.03.2021 zur Sicherheit des beA Stellung genommen (vergleiche Lapp, juris Praxisreport IT-Recht, 25/2021 vom 17.12.2021). Hintergrund der Auseinandersetzung ist, dass die BRAK im Zusammenhang mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) plakativ eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2EE) angekündigt hatte. In der Informatik gibt es ganz konkrete Vorstellungen davon, was unter E2EE zu verstehen ist. Die BRAK hatte jedoch zur besseren Handhabung in der Anwaltschaft keine E2EE geplant. Von dieser unglücklichen Kommunikation hat sich der BGH nicht ablenken lassen und festgestellt, dass weder BRAO noch Grundgesetz noch andere Normen eine bestimmte Ausgestaltung der Sicherheit des beA vorschreiben und die von der BRAK gewählte Ausgestaltung als im Rechtssinn sicher anzusehen ist. Auch ohne E2EE ist das beA sicherer als Fax.
Empfangsbestätigung beim beA
Kürzlich gab es eine Änderung beim beA. Da das beA kein Archivsystem darstellt, sollten eingehende und ausgehende Nachrichten stets exportiert und abgespeichert werden. Bislang wurde die entsprechende Datei mit einer elektronischen Signatur versehen und diente dadurch dem Nachweis, welche Dokumente dem Gericht gesendet wurden. Der Wegfall dieser Funktion sorgte für erhebliche Unruhe in der Anwaltschaft, da das automatisch erstellte Empfangsbekenntnis der Justiz nur die Tatsache einer Sendung, nicht aber deren Inhalt, umfasst. Müller weist in dieser Ausgabe zu Recht darauf hin, dass der VGH Kassel in diesem Empfangsbekenntnis einen Anscheinsbeweis für die korrekte Übermittlung gesehen hat.
Probleme des EGVP und der „besonderen“ Postfächer
Die genannten Probleme ändern nichts daran, dass das beA aktuell der beste Weg für den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten ist. Als Brückentechnologie sowie als Türöffner haben die Postfächer eine gewisse Berechtigung. Das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ist eine Eigenentwicklung der Justiz und stellt mit den besonderen Postfächern einen eigentümlichen Sonderweg dar. Bei allen anderen Kommunikationsformen (Brief, Telegramm, Fax, Telefon) nutzte die Justiz stets allgemeine Verfahren, ohne einen eigenen Sonderweg zu konstruieren. Die bisherigen Investitionen in diese Technik sollten nicht als einziges Argument für den weiteren Betrieb genügen. Hinzu kommt, dass die Justiz, aber auch die BRAK und die Betreiber der anderen besonderen Postfächer mit der Aufgabe, eine Kommunikationsinfrastruktur zu betreiben, überfordert sind. Die unprofessionelle Kommunikation der BRAK ist nicht einmal der wichtigste Aspekt. Wer die aktuellen Informationen zu Ausfällen bei EGVP und Postfächern beobachtet, sieht deutlich die Unzulänglichkeiten. Auch wer viel im beruflichen oder privaten Bereich per E-Mail kommuniziert, kennt außerhalb der Justiz solche Ausfallmeldungen nicht. Die Frage ist berechtigt, warum trotz der hohen Investitionen kein Standard geschaffen werden kann, der allgemein am Markt verfügbaren Systemen entspricht.
Erschwerend kommt hinzu, dass Benutzerfreundlichkeit und Funktionsumfang nicht mit aktuellen Kommunikationslösungen mithalten können. Das besondere elektronische Anwaltspostfach hat den Charme und die Bedienungsfreundlichkeit von Free Mail Clients um die Jahrtausendwende. Zum aktuellen Stand dieser Clients oder von Lösungen wie Outlook wird das beA niemals aufschließen, sondern immer weiter zurückfallen, da angesichts des überschaubaren Kreises der Nutzer nicht genug Mittel zur Verfügung stehen.
De-Mail kann als abschreckendes Beispiel herangezogen werden. Gestartet als eigener, besonders sicherer Kommunikationsweg und Alternative zum Brief, kann dieser Sonderweg als gescheitert angesehen werden. Der Bundesrechnungshof zieht nach einer Prüfung eine verheerende Bilanz zu diesem Projekt (https://www.computerwoche.de/a/katastrophale-bilanz-fuer-innenministerium,3552272). Statt Millionen einzusparen, haben die Behörden Millionen investiert, die privaten Betreiber gehen sogar von einem dreistelligen Millionenbetrag (Telekom) als Verlust aus. Als isolierte Lösung hat De-Mail keine ausreichende Akzeptanz gefunden.
Vor diesem Hintergrund ist es Zeit, über die nächste Generation des elektronischen Rechtsverkehrs auf Basis allgemein etablierter und international kompatibler Kommunikationswege nachzudenken.
Anforderungen an den elektronischen Rechtsverkehr
Sicherer elektronischer Rechtsverkehr setzt zunächst voraus, dass Nachrichten nachweislich vom darin angegebenen Absender stammen (Authentizität) und seit der Versendung durch diesen Absender nicht unbemerkt verändert worden sind (Integrität). Beide Anforderungen können durch fortgeschrittene elektronische Signaturen nach Art. 4 Nr. 10 eIDAS-Verordnung erfüllt werden. Qualifizierte elektronische Signaturen bieten noch höhere Sicherheit, sind nach Art. 25 Abs. 2 eIDAS-VO den eigenhändigen Unterschriften gleichgestellt und erfüllen nach §§ 126, 126a BGB die gesetzliche Schriftform. Lange Zeit wurde gegen qualifizierte elektronische Signaturen (qeS) vorgebracht, diese seien teuer in der Anschaffung und umständlich in der Benutzung. Im Vergleich zum beA hält diese Argumentation dem Praxistest nicht (mehr) stand. Beim beA werden die gleichen Karten wie bei qeS eingesetzt, daher können Signaturkarten für qeS auch zur Nutzung des beA eingesetzt werden und beA-Karten ohne technische Veränderung für qeS genutzt werden. Auch die Nutzung ist beim beA mit zweifacher PIN-Eingabe nicht einfacher als bei qeS.
Durch die eIDAS-VO wurden zudem Fernsignaturen eingeführt, welche die Rahmenbedingungen deutlich verändert haben. qeS können heute im Rechenzentrum erstellt werden und verlangen keine hohen Anfangsinvestitionen mehr, sondern können jeweils pro Transaktion für überschaubare Kosten erstellt werden. Wenn nach der Eingewöhnung dann viele qeS ausgestellt werden, sinken die Kosten pro Transaktion oder man kann doch noch auf die Signaturkarten umsteigen.
Vertraulichkeit ist eine wichtige weitere Komponente des sicheren elektronischen Rechtsverkehrs. E2EE bietet die höchste Sicherheit, da die Nachrichten beim Absender verschlüsselt werden, während des gesamten Transports verschlüsselt bleiben und erst beim Empfänger entschlüsselt werden. Nur der Empfänger verfügt über den erforderlichen geheimen Schlüssel. Jeder Teilnehmer des elektronischen Rechtsverkehrs (Gerichte, Anwaltskanzleien etc.) könnte für den Empfang von Nachrichten öffentliche Schlüssel zum verschlüsselten Versand bereitstellen. Mit Signaturkarten für qeS werden häufig solche Schlüssel (für qualifizierte und fortgeschrittene Signaturen oder Siegel) bereitgestellt, Verschlüsselungszertifikate könnten aber auch unabhängig davon bereitgestellt werden.
Die Erreichbarkeit aller Beteiligten auf sicherem elektronischem Wege war eines der wichtigsten Ziele beim beA. Dazu ist es aber nicht erforderlich, eine eigene Infrastruktur besonderer Postfächer aufzubauen, da bereits alle Beteiligten über elektronische Postfächer verfügen. Mit gängigen Techniken, die in alle Mailprogramme (Outlook etc.) integriert sind, lässt sich sicherer elektronischer Rechtsverkehr mit E2EE ohne weiteres erreichen. Anstelle des beA müsste jedes Mitglied einer Rechtsanwaltskammer lediglich ein elektronisches Postfach sowie ein Verschlüsselungszertifikat mit öffentlichem Schlüssel bekanntgeben und damit die Bereitschaft erklären, auf diesem Wege elektronische Nachrichten entgegenzunehmen.
Durch die Verbindung des beA mit dem bundesweiten amtlichen Anwaltsverzeichnis der BRAK wird auch gleichzeitig die Zulassung zur Anwaltschaft bestätigt. Für Anwaltskanzleien auf Empfängerseite könnte dies durch die Eintragung des gewählten elektronischen Postfachs und des Verschlüsselungszertifikats in dieses bundesweite amtliche Anwaltsverzeichnis in gleicher Weise sichergestellt werden. Schon das Signaturgesetz 1997 hatte die Möglichkeit vorgesehen, die Zulassung zur Anwaltschaft als Attribut mit der qeS zu verbinden. Die Rechtsanwaltskammern haben entsprechende Strukturen aufgebaut und für interessierte Rechtsanwälte die Zulassung bestätigt. Die Justiz hat sich von Anfang an geweigert, dieses Attribut im Zertifikat zur Kenntnis zu nehmen. Seit Wegfall der lokalen Zulassung hatten die Gerichte aufgehört, bei eingehenden Schriftsätzen die Zulassung zu prüfen und hatten nun kein Interesse mehr, diese Prüfung für elektronische Dokumente neu einzuführen. Nach der eIDAS-VO wäre es möglich, qeS mit dem Nachweis der Zulassung zur Anwaltschaft als Attribut zu verbinden. Keine Prozessordnung sieht jedoch eine Pflicht vor, die Zulassung zur Anwaltschaft bei Schriftsätzen nachzuweisen, und auch die anderen nach § 130a ZPO zulässigen Übermittlungswege sehen keinen derartigen Nachweis vor. Werden Berufsrichter als Schiedsrichter eingesetzt, ist der elektronische Rechtsverkehr auch mit ihnen ohne EGVP und beA ohne weiteres möglich.
Nach wie vor bereitet der Einsatz des beA in bestimmten IT-Umgebungen, insbesondere in großen Unternehmen, erhebliche Probleme. Mit dem Einsatz allgemein genutzter Kommunikationsmittel anstelle von EGVP und beA wären diese Probleme Vergangenheit.
Ergebnis
Weder Justiz noch Anwaltschaft noch die anderen Betreiber besonderer Postfächer sind strukturell und finanziell in der Lage, Infrastrukturen für sichere elektronische Kommunikation mit Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit auf zeitgemäßem Standard zu gewährleisten. So wie in der Papierwelt die gleichen Postdienstleister genutzt wurden und wie für den persönlichen Gang zum Gericht die gleichen Verkehrsmittel eingesetzt werden, sollten auch für den elektronischen Rechtsverkehr die allgemein üblichen elektronischen Kommunikationsmittel genutzt werden. Die eIDAS-VO bietet heute ausreichende Möglichkeiten, die Kommunikation rechtssicher zu gestalten.