Aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs ab 01.01.2022

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Rechtsgrundlage für die Einführung der aktiven Nutzungspflicht sind die §§ 130d ZPO, 55d VwGO, § 65d SGG, § 52d FGO, § 46g ArbGG, § 14b FamFG und § 32 d StPO. Danach tritt die aktive Nutzungspflicht am 01.01.2022 kraft Gesetzes an sämtlichen deutschen Gerichten mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts und einiger Landesverfassungsgerichte ein. Briefpost oder Telefax an die Gerichte hat damit für alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts am 31.12.2021 ein Ende. Viele andere sogenannte „professionelle Verfahrensbeteiligte“, insbesondere die prozessvertretenden Gewerkschaften und Verbände, folgen am 01.01.2026.

Nachweis des rechtzeitigen Eingangs

Einer der Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs gegenüber der Briefpost oder dem Telefax ist der einfache Nachweis der fristwahrenden Übermittlung des elektronischen Dokuments. Insbesondere (und anders als beim Telefax) erhält der Absender nicht nur ein „Sendeprotokoll“, sondern eine echte Eingangsbestätigung, § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO (sogenannte „Acknowledgement-Datei“, „x_export.html“). Hierdurch kann im elektronischen Rechtsverkehr auch im Nachhinein noch der genaue Zeitpunkt ermittelt werden, zu dem das elektronische Dokument im Machtbereich des Empfängers eingegangen ist. Dieser Machtbereich ist bei den EGVP-gestützten elektronischen Übermittlungswegen (EGVP, beA, beN, beBPo und zukünftig eBO und beSt) der Intermediär als „Ablagepunkt“ für den Absender der Nachricht und auch der „Abholpunkt“ für den Empfänger.

Technisch informiert die Bestätigung des Intermediärs insbesondere über den Empfangszeitpunkt: Die automatische Empfangsbestätigung enthält hierfür unter anderem den Absender, den Empfänger, die beim Versand angegebenen Aktenzeichen von Absender und Empfänger, den Namen des Intermediärs, den Dateinamen, die Dateigröße und – sekundengenau – das Ende des Empfangsvorgangs auf dem Intermediär. Bedingt durch das sogenannte „Prinzip des doppelten Briefumschlags“ im OSCI-Standard kann der Intermediär über den Dateinamen und die Dateigröße der Anhänge keine eigene Rückmeldung geben, sondern die Informationen hierzu werden erst in der Darstellung des Absenders aufgrund der OSCI-ID der Nachricht erzeugt.
Legt ein Verfahrensbeteiligter einen Ausdruck der vom gerichtlichen Empfangsserver automatisch versandten Eingangsbestätigung für den Eingang eines Schriftstücks per EGVP vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das Schriftstück zu dem auf der Eingangsbestätigung ausgewiesenen Zeitpunkt auf dem Gerichtsserver eingegangen ist2. Einen noch höheren Beweiswert hat die Vorlage der Eingangsbestätigung in ihrer elektronischen Form, die für das beA dem beA-Webclient, für andere Übermittlungswege über den jeweils genutzten Client bereitgestellt wird.

Das beA verarbeitet und protokolliert jeweils den Versand- und Empfangszeitpunkt einer Nachricht. Die gerichtliche Eingangsbestätigung lässt sich der gesendeten Nachricht entnehmen, wenn diese im beA-Webclient, Ordner „Gesendet“, mittels Doppelklick geöffnet wird3. Darüber hinaus sollte diese Nachricht stets „exportiert“ werden4. Der Export der Nachricht erzeugt eine ZIP-Datei, die unter anderem den versandten Schriftsatz selbst und zudem die Eingangsbestätigung in der Datei „x_export.html“ enthält. Hierdurch kann jederzeit der rechtzeitige Zugang eines bestimmten Schriftsatzes bei Gericht nachgewiesen werden5. Nicht ausreichend sind dagegen andere automatisiert generierte Dokumente, aus denen sich aber der Eingang auf dem Server des Gerichts nicht ablesen lässt und die nur indiziell auf eine elektronische Versendung schließen lassen, beispielsweise ein Transfervermerk6.

Wichtig im Hinblick auf die anwaltliche Sorgfaltspflicht ist weiter, die automatisierte Eingangsbestätigung („x_export.html“) aufzubewahren. Dies kann auch weiterhin, jedenfalls unter einer gewissen Verbesserung des Beweiswerts, dadurch geschehen, dass sie exportiert und ihre Integrität zeitnah mit einer (manuell angebrachten) elektronischen Signatur gesichert wird oder sie revisionssicher abgelegt wird. Eine zeitnahe integritätssichernde Ablage in einer elektronischen Akte oder sonstigen elektronischen Datensenke wird den indiziellen Wert der Datei jedenfalls nochmals erhöhen.

Korrespondierend mit dieser Nachweismöglichkeit fordert neuere Rechtsprechung insbesondere von der Rechtsanwaltschaft eine spezifische Organisation der elektronischen Ausgangs- sowie Zugangskontrolle als Teil der anwaltlichen Sorgfaltspflichten7.

Was tun bei Störungen?

Kommt es zu Störungen des elektronischen Rechtsverkehrs, sieht das Gesetz eine Ersatzeinreichung vor, § 130d Satz 2-3 ZPO8. Die Einreichung kann also auf einem beliebigen anderen prozessrechtlich vorgesehenen Wege erfolgen – per Post, Fax oder Bote.

Die Störung muss nach dem Wortlaut der Norm und ihrem Sinn und Zweck vorübergehender Natur sein. Professionelle Einreicher können sich daher nicht auf § 130d ZPO berufen, wenn ein zugelassener Übermittlungsweg noch gar nicht in Betrieb genommen oder eingerichtet worden ist9, selbst wenn dies kurz vor Eintritt der aktiven Nutzungspflicht noch in Angriff genommen, aber nicht abgeschlossen ist. § 130d Satz 2-3 ZPO kann daher keine Nachlässigkeit absichern.

Die Ursache der Störung muss technischer Natur sein. Nicht zwingend ist dagegen, dass sie nicht aus der Sphäre des Einreichers stammt. Grundsätzlich soll gelten, dass jede Form eines technischen Ausfalls dem Einreicher nicht zum Nachteil gereicht. So können etwa auch Fehlbedienungen und vergessene Passwörter das Merkmal der technischen Störung erfüllen10. Fehlendes Verschulden des Einreichers ist keine Voraussetzung. Im Fall einer vorsätzlichen Herbeiführung der Unmöglichkeit zum Zwecke der Ermöglichung einer Ersatzeinreichung dürfte freilich nach allgemeinen Regeln ein rechtsmissbräuchliches Verhalten anzunehmen sein, so dass sich der Einreicher auf seine Privilegierung nicht berufen kann.

Die Störung muss zur Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung führen. Unvermögen des Einreichers genügt nach dem Sinn und Zweck der Norm hierfür. Nicht ausreichend ist dagegen ein – möglicherweise auch auf grundsätzlichen Erwägungen beruhender – Unwillen, Ängstlichkeit vor der Techniknutzung oder aber ein bloß vorübergehender erhöhter Aufwand der Nutzung eines elektronischen Übermittlungswegs. Mit Spannung zu erwarten dürften Fälle in den Grauzonen dieser abstrakten Definition werden, so etwa der Ausfall der Kanzleisoftware, wenn die beA-Weboberfläche zur Verfügung steht. Hier dürfte wohl zu differenzieren sein, ob die Weboberfläche von dem Einreicher bereits früher genutzt wurde und ihre Wiederbenutzung daher eher zumutbar wäre, oder ob die beA-Weboberfläche noch nie genutzt wurde und entsprechender Einarbeitungs- oder Einrichtungsaufwand notwendig wäre11<7sup>. Allerdings ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Das ArbG Lübeck hat hierzu in einer vielbeachteten Entscheidung12 gefordert, dass die Glaubhaftmachung der Störung stets erforderlich sei, selbst wenn das Gericht Kenntnis von der Störung habe. Zur Feststellung von Störungen empfiehlt es sich, den EGVP-Newsletter zu abonnieren, um per E-Mail über Störungen informiert zu werden. Auch ein Screenshot oder Log-Dateien der eingesetzten Anwaltssoftware kommen zur Glaubhaftmachung in Betracht13. Auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen, wodurch den Gerichten Scanaufwände erspart werden sollen.

Zusammenfassung

Die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs trifft ab dem 01.01.2022 sämtliche Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts in allen gerichtlichen Verfahren, mit Ausnahme von verfassungsrechtlichen Streitigkeiten. Vorab zu organisieren ist eine ausreichende Postausgangskontrolle. (Nur) Bei technischen Störungen des elektronischen Rechtsverkehrs kommt eine Ersatzeinreichung auf konventionellem Wege in Betracht. Über Störungen kann man sich automatisiert durch das kostenfreie Abonnement des Newsletters unter www.egvp.de informieren lassen. Natürlich lohnt es auch, sich über die Rechtsprechung zum elektronischen Rechtsverkehr auf dem aktuellen Stand zu halten, beispielsweise durch meinen Blog www.ervjustiz.de. Der elektronische Rechtsverkehr ist ab 2022 für die Profis im gerichtlichen Verfahren die neue Normalität.

1 Dr. Henning Müller ist Fachbeirat des e-Justice Magazin, Autor des eJustice-Praxishandbuchs, 6. Aufl. 2021. Er betreibt unter www.ervjustiz.de einen Blog zum elektronischen Rechtsverkehr.
2 VGH Kassel v. 26.09.2017 – 5 A 1193/17.
3 beA-Newsletter 7/2017.
4 beA-Newsletter 7/2017 und beA-Newsletter 27/2019.
5 So auch LArbG Schleswig-Holstein vom 19.09.2019 – 5 Ta 94/19 mit zust. Anm. Müller, NZA-RR 2019, 659 f.; siehe zum Beweiswert folgenden Link.
6 AG Frankenthal vom 26.02.2021 – 3c C 59/20.
7 BGH v. 11.5.2021 – VIII ZB 9/20; VerfGH RLP vom 24.09.2019 – VGH B 23/19; Hier und hier.
8 Wortgleiche Entsprechungen finden sich in sämtlichen Verfahrensordnungen.
9 Gädeke in: jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 65d SGG Rn. 29.
10 Gädeke in: jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 65d SGG Rn. 27 unter Hinweis auf BT-Drs. 17/12634, S. 27.
11 Vgl. etwa BGH-Urteil vom 17.12.2020 – III ZB 31/20; Link; siehe auch Windau, NZFam 2020, 71.
12 ArbG Lübeck Urteil vom 01.10.2020 – 1 Ca 572/20.
13 LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 08.04.2021 – 1 Sa 358/20; siehe auch OLG Braunschweig Beschluss v. 18.11.2020 – 11 U 315/20 m. Anm. Günther/Grupe, K&R 2021, 226, 227; Müller, RDi 2021, 154, 158; Schafhausen, AnwBl 2021, 303; zur Postausgangskontrolle siehe ferner BGH-Beschluss vom 11.05.2021 – VIII ZB 9/20 m. Anm. Toussaint, beck-online FD-ZVR 2021, 440263.

henning.mueller@sg-darmstadt.justiz.hessen.de

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