Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs wird Arbeitsprozesse in Kanzleien grundlegend verändern – das ist eine Chance, keine Gefahr!
Interview mit Petra Seeburger

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Stichtag 29.09.2016: Das beA kommt. Und dann? – Ebenso wichtig ist die Frage: Und bis dahin? Fest steht schon heute: Wer als Rechtsanwalt, Bürovorsteher oder Kanzleimanager jetzt Zeit verliert und das Thema beA unterschätzt, der kann sicher sein, dass er schon bald erhebliche Probleme mit seinen Arbeitsabläufen bekommt. Über die praktischen Auswirkungen der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs und die damit verbundenen Anforderungen an Kanzleien sprach Thomas Wegerich mit Petra Seeburger, Produktmanagerin bei unserem Kooperationspartner, der STP Informationstechnologie AG in Karlsruhe.

e-Justice: Frau Seeburger, es ist eine bekannte Tatsache, dass zahlreiche Abläufe in vielen Kanzleien technisch optimiert werden können. Abzusehen ist schon jetzt, dass die Software zukünftig eine noch zentralere Bedeutung in der Praxis haben wird. Was kommt da auf die Kanzleien zu, und was ist zu tun?

Seeburger: Das Potential, das sich für Kanzleien aus dem beA ergibt, ist enorm. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass es sich bei Wirtschaftskanzleien eben auch um Wirtschaftsunternehmen handelt. Deshalb sind wirtschaftliches Denken und Handeln natürlich wichtige Erfolgsfaktoren. Die Chancen, Kanzleiabläufe und Arbeitsprozesse in der Kanzlei zu optimieren, sind hoch. Leider wird das noch zu oft nicht so gesehen, oder es wird nicht deutlich genug gesehen. Aktueller Stand ist, dass sehr viele Kanzleien, auch Wirtschaftskanzleien, bisher nicht gut genug vorbereitet und sich wahrscheinlich der Herausforderungen auch nicht ausreichend bewusst sind. Zu häufig wird das Thema einfach an die IT-Abteilung delegiert oder an einen externen Dienstleister. Dass es sich bei der Positionierung zum beA und der Umsetzung auch um einen Teil der Kanzleistrategie handelt, sehen bisher zu wenige.

e-Justice: Der Termin zur Einführung des beA ist von der BRAK auf den 29.09.2016 festgesetzt worden. Spätestens jetzt ist das Thema damit sehr konkret, wie auch unser Fachbeirat Wolfram Viefhues in dieser Ausgabe von e-Justice beschreibt (HIER). Warum sollten sich Kanzleien ohne weiteren Zeitverlust mit dem elektronischen Rechtsverkehr beschäftigen?

Seeburger: Um die Dimension einmal aufzuzeigen: Der Präsident der BRAK, Ekkehart Schäfer, hat in seiner aktuellen Pressemitteilung ausgeführt, dass ab dem 29.09.2016 etwa 165.000 Berufsträgerinnen und Berufsträger sowie ihre 300.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Möglichkeit haben, am sicheren elektronischen Rechtsverkehr teilzunehmen. Das ist schön. Aber – sehr rasch werden die Beteiligten nicht nur teilnehmen können am elektronischen Rechtsverkehr, sondern werden das auch müssen. Papier wird zunehmend zu einem Problem, denn alles, was nicht elektronisch vorliegt, sondern noch in Papierform, stellt einen Medienbruch dar. Eben dieser Medienbruch bietet nicht nur Gefahrenpotential, sondern hemmt auch die Effizienz der Aktenbearbeitung.

e-Justice: Auch dazu haben wir ja einen sehr schönen Beitrag von Prof. Bläsi und Dr. Müller in dieser Ausgabe (HIER). Beide Herren bestätigen Ihre These. Aber ganz konkret: Welche Vorteile bringt das beA insbesondere für Wirtschaftskanzleien?

Seeburger: Zunächst muss man sagen, dass auch die Wirtschaftskanzleien in Deutschland noch lange nicht flächendeckend an den Innovationen im Bereich Information und Kommunikation partizipieren. Es ist davon auszugehen, dass die Einführung des beA und damit der gelebte elektronische Rechtsverkehr echte Treiber sein werden. Der Druck auf die Kanzleien, auch von Seiten der Mandanten, wird steigen. Gerade Unternehmensmandanten setzen zunehmend auf Digitalisierung auch in der Kommunikation mit ihren eigenen Dienstleistern. Heute kann man sich stark positionieren, wenn man professionell, also schnell, sicher, von überall und jederzeit transparent auch komplexe Sachverhalte kommunizieren kann.

Natürlich sind die Steigerung der Effizienz und das verbesserte Organisationspotential weitere Themen. Im Kanzleialltag geht es ja eben nicht nur um persönliche Mandantenbetreuung, sondern auch um die Organisation des Unternehmens Kanzlei. Wenn alles sauber elektronisch erfasst ist, kann zum Beispiel eine Rechnungsstellung leicht und rasch erfolgen. Zahlungsströme fließen schneller, und es gibt weniger Klärungsbedarf.

e-Justice: Wieder ganz konkret: Welche Gefahren gibt es für Kanzleien und deren Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem beA?

Seeburger: Gefahren entstehen dann, wenn man sich mit dem Thema nicht ausreichend auseinandersetzt. Beispielsweise muss klar sein, dass das beA keine Archivlösung sein wird. Das bedeutet, eingehende Nachrichten werden nach einer gewissen Zeit automatisch gelöscht. Die Datenflut wird auch hier schnell unüberschaubar. Wenn dann allerdings der betreffende Anwalt seine Nachrichten noch nicht abgerufen hat, bekommt er im Zweifel ein Problem, denn für die Gerichte gilt als zugestellt, was beim Anwalt im Postfach landet. Auch die Versicherer werden sich hier sicher sehr rasch und klar positionieren und genau prüfen, wie der Umgang mit dem beA in den Kanzleien tatsächlich geregelt ist und wie er gelebt wird.

e-Justice: Daraus folgt, dass bereits der Posteingangsprozess sehr gut organisiert sein muss?

Seeburger: Genau. Die Sekretariate oder die Berufsträger selbst laden die Posteingänge aus dem beA herunter. Das ist schon mal der wichtigste Schritt, denn so ist der Posteingang im beA aktualisiert, und die Posteingänge sind nicht mehr von einer automatischen Löschung bedroht. Aber das muss eben alles wirklich gut organisiert werden, und auch an Vertretungen sollte und Berechtigungsvergaben muss gedacht werden.

e-Justice: Und welche Möglichkeiten hat der Anwalt, der oft nicht die Zeit hat, sein Postfach jeden Tag durchzusortieren, die Eingänge den Akten zuzuordnen und gegebenenfalls weitere Kollegen über relevante Posteingänge zu informieren? Ein allgemeines elektronisches Kanzleipostfach gibt es nach heutigem Stand ja nicht.

Seeburger: Das stimmt. Das beA ist immer an einen einzelnen in Deutschland zugelassenen Anwalt gekoppelt.

Es gibt natürlich verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Wir bei STP setzen auf den größtmöglichen Automatisierungsgrad, denn nur so lässt sich Effizienzpotential für die Kanzlei wirklich ausschöpfen und lassen sich Medienbrüche vermeiden. Aus diesem Grund empfehlen wir den Einsatz eines Dokumentenmanagementsystems. Dieses System erleichtert den Umgang mit allen Informationen in der Kanzlei. Mandanten- und auch Mandatsinformationen werden sofort in elektronische Akten sortiert und für die tägliche Bearbeitung bereitgestellt. Weiterhin können wissensrelevante Dokumente, wie etwa Urteile, direkt für die gesamte Kanzlei zur Verfügung gestellt werden.

e-Justice: Lassen Sie uns einmal nach vorn schauen. Würden Sie für unsere Leser bitte den weiteren Fahrplan nach der beA-Einführung skizzieren?

Seeburger: Am 29.09.2016 wird das beA jedem zugelassenen Anwalt zur Verfügung gestellt. Allerdings wird es wohl schon einige Wochen vorher möglich sein, sich zu registrieren. Am 30.09.2016 wird das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) abgestellt. Ab dem 01.01.2017 sind Rechtsanwälte verpflichtet, Schutzschriften ausschließlich beim elektronischen Schutzschriftregister einzureichen. Ab dem 01.01.2018 wollen alle Gerichte elektronisch zuverlässig erreichbar sein. Dann wird es auch das elektronische Empfangsbekenntnis geben. Spätestens am 01.01.2022 gilt die flächendeckende Verpflichtung für Rechtsanwälte zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten. Es ist sogar möglich, dass die Länder die Verpflichtung der Nutzung von 2022 auf 2020 vorziehen. Einige Länder sind Vorreiter und liegen gut im Plan, so dass ein früherer Start denkbar ist.

e-Justice: Frau Seeburger, ich danke Ihnen für das Gespräch. Es ist das Hauptanliegen von e-Justice, die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs in Deutschland in den nächsten Jahren publizistisch eng zu begleiten. Daher werden wir die Entwicklung rund um das beA natürlich verfolgen und dokumentieren.

Hinweis der Redaktion: Sie können anhand eines umfassenden Fragenkatalogs jetzt schon prüfen, ob Ihre Kanzlei auf das beA vorbereitet ist. Hier geht es entlang. (tw)

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