E-Justice im Rat der Europäischen Union: Wie alles anfing und wohin die Reise geht
Von Norbert Pott
In dieser Rubrik stellen wir Ihnen zukünftig regelmäßig die E-Justice-Aktivitäten auf europäischer Ebene vor. In der ersten Ausgabe des Magazins steht dabei die Historie zum Europäischen Justizportal und zur Ratsarbeitsgruppe „e-Law“ (e-Justice) im Vordergrund. In den folgenden Ausgaben wird auf einzelne Projekte, wie e-CODEX (e-Justice Communication via Online Data Exchange; www.e-CODEX.eu), eingegangen werden.
Der Startschuss
E-Justice macht vor nationalen Grenzen nicht halt. Diese Erkenntnis hat bereits im Jahr 2007 unter der deutschen Ratspräsidentschaft dazu geführt, dass der Rat der Europäischen Union in der 2.807. Tagung des Rates für Justiz und Inneres unter anderem folgende Schlussfolgerungen angenommen hat:
(…)
2. Der Rat ist sich darin einig, dass die Beratungen auf dem Gebiet der E-Justiz mit dem Ziel der Verwirklichung einer technischen Plattform auf europäischer Ebene fortgeführt werden sollten; diese Plattform soll im Justizbereich Zugang zu den bestehenden oder künftigen elektronischen Systemen auf nationaler Ebene, auf der Ebene der Gemeinschaft und gegebenenfalls auf internationaler Ebene in den in Nummer 6 aufgeführten Bereichen schaffen.
Es soll sich um ein dezentrales System handeln. Es wird jedoch zu prüfen sein, ob und inwieweit es einer Koordinierung bedarf, um beim Betrieb eines E-Justiz-Systems auf europäischer Ebene die Kohärenz zu wahren.
(…)
6. Das Handeln der Gemeinschaft bzw. Union in Bezug auf ein E-Justiz-System sollte auf grenzüberschreitende Aspekte von Zivil- und Handelssachen sowie von Strafsachen beschränkt sein und sich auf Folgendes erstrecken:
a) Einrichtung einer europäischen Schnittstelle (E-Justiz-Portal);
b) mögliche Verwendung von Informationstechnologien für die Kommunikation zwischen Justizbehörden und den Betroffenen (Kläger, Beklagte und andere Verfahrensbeteiligte);
c) mögliche Verwendung der Informationstechnologien im Rahmen spezieller Verfahren;
d) Zugang zu gerichtlichen Registern in elektronischer Form bei uneingeschränkter Achtung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten.
7. Für die künftigen Arbeiten sollten folgende Prioritäten gelten:
a) Einrichtung einer europäischen Schnittstelle (E-Justiz-Portal);
b) Schaffung der Voraussetzungen für die Vernetzung der folgenden Register:
– Strafregister,
– Insolvenzregister,
– Handels- und Unternehmensregister sowie
– Grundbuchregister;
…
Erste Aktivitäten der Mitgliedstaaten
Noch im Juli 2007 kamen Österreich und Deutschland überein, einen Prototyp für die Recherche der Insolvenz-bekanntmachungen zu entwickeln und unter Beteiligung Portugals in ein rudimentäres Portal als Vorläufer eines europäischen Justizportals einzubinden. Der rechtzeitig zur E-Justice-Konferenz der portugiesischen Ratspräsidentschaft im September 2007 fertiggestellte Entwurf fand zwar Anklang, aber es wurde auch schon deutlich, welche Probleme noch zu lösen waren, um eine gemeinsame europaweite Lösung zu realisieren. Unterschiedliche Rechtssysteme, abweichende Datenkategorien und divergierende Aufbewahrungszeiten stellten sich als große Hindernisse dar.
Gegen Ende des Jahres 2007 wurde klar, dass für die neugegründete e-Justice-Ratsarbeitsgruppe eine eigene Arbeitsstruktur erforderlich war. Die Themenkreise „e-Law“ und „e-Justice“ wurden bereits in unterschiedlichen Besetzungen bearbeitet; die Aufgabenteilung im Übrigen war aber noch nicht klar definiert.
Für das weitere Vorgehen innerhalb der Ratsarbeitsgruppe wurde daher vorgeschlagen, die künftig anstehenden Aufgaben unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten zusammenzutragen. Aus diesen Aufgaben sollte ein konkreter Maßnahmenkatalog zum weiteren Vorgehen erarbeitet und noch unter der slowenischen Präsidentschaft abschließend erstellt werden. Dieser Katalog sollte dann im Rahmen der Schlussfolgerungen des formellen Rates für Justiz und Inneres am Ende der Ratspräsidentschaft im Sommer 2008 beschlossen werden.
Strategie und erster Aktionsplan
Die Europäische Kommission legte Ende Mai 2008 eine „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: eine europäische Strategie für die e-Justiz“ vor. Diese Mitteilung gab vor dem Hintergrund der bereits laufenden Aktivitäten einiger Mitgliedstaaten Anlass zu lebhaften Diskussionen über Strukturierung und Aufgabenverteilung. Unter der französischen Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2008 konnte dann ein Aktionsplan für das weitere Vorgehen erarbeitet werden, der durch den Rat der Innen- und Justizminister angenommen wurde.
Dabei konnten wichtige strukturelle Punkte für die E-Justice-Aktivitäten festgelegt werden, die heute noch Geltung haben. So bestimmt der Rat die Prioritäten und Leitlinien der E-Justice-Aktivitäten. Die Kommission setzt diese als „Dienstleister“ um und muss dem Rat regelmäßig berichten. Außerdem setzt sie ein Expertengremium ein, in das alle interessierten Mitgliedstaaten ihre Experten entsenden können. Das Gremium tagt in regelmäßigen Abständen und sorgt für die kohärente Umsetzung der Projekte. Den Mitgliedstaaten bleibt es weiterhin freigestellt, neue Pilotprojekte in eigener Verantwortung zu starten und fortzusetzen.
Für das Europäische e-Justice-Portal – siehe dazu: https://e-justice.europa.eu/ – wurde entschieden, dass es als echtes Portal unter Einbindung diverser Funktionalitäten und nicht nur als reine Linksammlung konzipiert wird, wie dies die Strategie der Kommission ursprünglich vorsah. Ebenfalls abweichend von der Strategie wurde die Registervernetzung als Kernbereich von E-Justice definiert und damit nicht als Teilbereich dem E-Government zugeordnet.
Umsetzung des Aktionsplans und Aufbau des Portals
Unter der Verantwortung der Kommission wurde im Jahr 2009 der technische Aufbau des Europäischen e-Justice-Portals in Angriff genommen. Inhaltlich wurden fast alle Ideen berücksichtigt, die die Mitgliedstaaten entwickelt hatten.
Der Aufbau war keine leichte Aufgabe. So war die Freischaltung des Portals ursprünglich für den 15.12.2009 vorgesehen. Dieser Termin konnte nicht eingehalten werden. Vor allem die Mehrsprachigkeit bereitete Schwierigkeiten, denn alle Informationen waren in 22 Sprachen (aktuell ist das Portal in 23 Sprachen verfügbar, Stand: Januar 2016) zu übersetzen. Erst nach umfangreichen Nacharbeiten war es am 16.07.2010 dann endlich so weit – das Europäische Justizportal wurde eröffnet.
Die erste Version enthielt zwar nur Informationen und Links, aber von Anfang an war dafür zu sorgen, dass die Informationen stets aktuell bleiben. Für Deutschland wurde dies so gelöst, dass das Bundesjustizministerium seine Änderungswünsche über das Redaktionsteam des Justizportals des Bundes und der Länder (www.justiz.de) an die Kommission übermittelt. Damit wird zugleich vermieden, dass Informationen doppelt und schlimmstenfalls widersprüchlich in die Portale eingestellt werden. Eine inhaltliche Überprüfung wird zusätzlich von der Kommission im Jahresrhythmus angestoßen.
Seit der Eröffnung wurden verschiedene Releases des Portals umgesetzt. Weitere Informationsseiten unter anderem zu Beschuldigten- und Opferrechten wurden im Januar 2011 freigeschaltet. Erweiterte Suchfunktionen und dynamische Formulare für das EU-Mahnverfahren („EPO“) und das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen („small claims“) folgten Anfang 2012. Mit der dritten Version im Oktober 2012 gab es Verbesserun-gen für den Gerichtsatlas und das Content-Management-System. Ende Mai 2013 folgte Version 4.0 mit dynamischen Formularen. Das Webdesign wurde zugleich für mobile Endgeräte optimiert. Integriert wurden außerdem das Europäische Justizielle Netzwerk in Zivil- und Handelssachen und eine Anwalts- und Notarsuche.
Der Aktionsplan 2014–2018
Nachdem der Rat am 06.12.2013 eine E-Justice-Strategie angenommen hatte, in der abstrakt die Ziele der europäischen E-Justice-Aktivitäten angesprochen wurden, wurde im Anschluss der Aktionsplan für die Jahre 2014–2018 abgestimmt und am 14.06.2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (2014/C 182/02). Er enthält ein Verzeichnis der im Planungszeitraum zur Durchführung in Betracht gezogenen Projekte mit Angaben zu den Projektbeteiligten, den Maßnahmen für die praktische Durchführung der Projekte und – soweit möglich – einem unverbindlichen Zeitplan. Die Ratsarbeitsgruppe „e-Justice“ überprüft die Durchführung des Aktionsplans mindestens einmal pro Halbjahr. Er wird erforderlichenfalls an den künftigen Bedarf und an künftige Entwicklungen angepasst.
Die Projekte umfassen so verschiedene Themenbereiche wie Register (etwa: Insolvenzregister, Handelsregister, Landregister), European Case Law Identifier (ECLI), European Legislation Identifier (ELI), semantische Interoperabilität (etwa: LEGIVOC), Videokonferenzen und die sichere Übermittlung von Informationen zwischen den Mitgliedstaaten (e-Delivery).
Über einige dieser Projekte wird in den künftigen Ausgaben des e-Justice-Magazins zu berichten sein.
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