Eine Chance für Small Investments

Beitrag als PDF (Download)

 

Auch wenn der Rechtsschutz innerhalb der EU für viele Investoren aufgrund des Wegfalls bilateraler Investitionsschiedsabkommen mittlerweile zum größten Teil ausgehebelt wurde, bieten andere Regionen in Europa wie der SEE- und CEE-Bereich durchaus noch die Möglichkeit eines schiedsgerichtlichen Investitionsschutzes. In der Regel sind Investitionsschiedsverfahren jedoch mit sehr hohen Streitwerten und Kosten verbunden. Die Verfahrensdauer beträgt oft mehrere Jahre, selbst ein Schiedsspruch in einem ICSID-Verfahren wird erst nach einer Durchschnittsdauer von 500 Tagen nach der letzten mündlichen Verhandlung erlassen. Bereits das Verfahren selbst ist als Investment an Zeit und Kosten zu betrachten, dessen Einleitung mittels einer Nutzen-Kosten-Analyse gut abgewogen werden muss. Investoren kleinerer Investitionen fallen bei diesen schwierigen Rahmenbedingungen oft um den gewünschten Rechtsschutz, um sich effektiv gegen entschädigungslose Enteignungen oder unfaire und ungleiche Behandlung des Investitionsstaats zu wehren. Das Vienna International Arbitral Centre („VIAC“) hat nun als erste europäische Schiedsinstitution am 01.07.2021 ein eigenständiges Regelwerk mit Investitionsschiedsregeln herausgebracht, das genau an diesen Kritikpunkten ansetzt und geeignete rechtliche Rahmenbedingungen insbesondere für kleinere Investments schafft.1

Breiter Anwendungsbereich der Vienna Investment Arbitration Rules

Die Vienna Investment Arbitration Rules2 sind ein auf den bewährten Wiener Regeln aufbauendes Regelwerk, das die Besonderheiten von Investitionsverfahren berücksichtigt und die Vorteile der flexiblen Verfahrensführung aus der Handelsschiedsgerichtsbarkeit bewahrt. Die Investitionsschiedsregeln werden durch die Wiener Mediationsregeln für Investitionsverfahren ergänzt, die unabhängig von oder in Verbindung mit einem Schiedsverfahren zur Anwendung kommen können. Die Vienna Investment Arbitration Rules können in Schiedsvereinbarungen vereinbart werden, die auf einem Vertrag, Gesetz oder völkerrechtlichen Vertrag beruhen.3
Gerade um langjährige Zuständigkeitsstreitigkeiten zu reduzieren, finden sich in den Investitionsschiedsregeln grundsätzlich keine Einschränkungen betreffend deren Anwendbarkeit. Die Regeln können bei Beteiligung einer souveränen Partei zur Anwendung kommen. Das kann ein Staat sein, aber auch ein staatliches Unternehmen, eine Gebietskörperschaft oder eine internationale Organisation. Es finden sich keine Einschränkungen in Bezug auf die Staatsangehörigkeit oder Parteifähigkeit. Es bleibt gänzlich der Disposition der Parteien vorbehalten, was die Parteien als Investitionsstreitigkeit qualifizieren. Damit fehlt den Vienna Investment Arbitration Rules jegliche Beschränkung betreffend die Art oder Natur des Rechtsstreits. Es gibt auch keine Definition einer von den Schiedsregeln erfassten Investition.
Die Vienna Investment Arbitration Rules können auch in Schiedsverfahren mit Staaten vereinbart werden, die nicht dem Übereinkommen vom 18.03.1965 zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten („ICSID-Konvention“) beigetreten sind. Dazu gehören etwa Polen, Liechtenstein, Kirgistan und Russland. Die Zustimmung, eine Streitigkeit den Vienna Investment Arbitration Rules zu unterwerfen, gilt als Verzicht auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit einer Partei, die ihr ansonsten in Bezug auf im Zusammenhang mit dem Schiedsverfahren stehende Verfahren zustehen könnte. Der Verzicht erstreckt sich jedoch nicht auf die Immunität von der Vollstreckung, auf welche gesondert verzichtet werden muss.4

Wahl des Schiedsrichters, Zusammensetzung des Schiedsgerichts

Die Parteien können den Schiedsrichter frei wählen, wobei Schiedsrichter nicht die Staatsangehörigkeit einer der Parteien besitzen dürfen, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren.5 Bis zu Streitwerten von 10 Millionen Euro entscheidet ein Einzelschiedsrichter, erst danach kommt es zu einem Dreiersenat. Im Einzelfall kann das VIAC-Präsidium in besonders komplexen Fällen oder wenn es besondere Umstände erfordern, auch bei geringeren Streitwerten die Bestellung eines Dreiersenats zulassen.6 Oftmals nimmt in ICSID-Verfahren die Konstituierung des Schiedsgerichts mehrere Monate in Anspruch. Mit Benennungen in Klage und Klagebeantwortung und einer relativ kurzen Frist von 30 Tagen für die Benennung des Vorsitzenden durch die parteiernannten Schiedsrichter, soll dieser Prozess unter den Vienna Investment Arbitration Rules deutlich rascher erfolgen.

Vorzeitige Abweisung des Anspruchs

Die Vienna Investment Arbitration Rules sehen auf Antrag einer Partei eine summarische (vorzeitige) Abweisung eines Anspruchs beziehungsweise Gegenanspruchs oder eines Verteidigungsmittels vor, wenn dieser/dieses offensichtlich außerhalb der Zuständigkeit des Schiedsgerichts liegt, offensichtlich unzulässig oder rechtlich unbegründet ist. Wird der Antrag vom Schiedsgericht zugelassen, ist der anderen Partei die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Das Schiedsgericht hat dann über den Antrag innerhalb von 60 Tagen zu entscheiden.7 Damit sollen insbesondere sogenannte „frivolous claims“ in einem frühen Verfahrensstadium abgewiesen werden, ohne dass es eines langjährigen kostenintensiven Verfahrens bedarf.

Beschleunigtes Verfahren

Ebenfalls ist nach den neuen Investitionsschiedsregeln die Möglichkeit eines beschleunigten Verfahrens vorgesehen, wobei dies eine ausdrückliche Einigung der Parteien auf ein beschleunigtes Verfahren voraussetzt. Das Einlassen auf die Vienna Investment Arbitration Rules reicht nicht aus, eine Einigung auf ein beschleunigtes Verfahren zu begründen. Wird ein beschleunigtes Verfahren gewählt, ist der Endschiedsspruch binnen sechs Monaten nach Fallübergabe an das Schiedsgericht zu erlassen.8

Frist zur Erlassung des Schiedsspruchs

Auch ohne beschleunigtes Verfahren sehen die Investitionsschiedsregeln eine Frist für den Erlass von Schiedssprüchen vor und möchten dem aus Investitionsverfahren bekannten Problem für lange Verfahrensdauern vorgreifen. Das Schiedsgericht hat den Schiedsspruch innerhalb von sechs Monaten nach der letzten mündlichen Verhandlung oder nach dem letzten zugelassenen Schriftsatz zu erlassen.9 Eine weitere Motivation der raschen Verfahrensführung ist das Schiedsrichterhonorar, das VIAC bei besonderer Ineffizienz des Schiedsgerichts um bis zu 40% reduzieren kann.10

Einbeziehung Dritter

In Investitionsschiedsverfahren, die auf Vertrag basieren, können Dritte als zusätzliche Partei, Nebenintervenienten oder in sonstiger Weise je nach Schiedsvereinbarung zugelassen werden. Dies ist bei Verfahren, die auf einem internationalen Abkommen oder Investitionsschutzgesetzen beruhen, nicht möglich.
In Verfahren, die auf Staatsvertrag oder Gesetz basieren, können nach Anhörung der Parteien und unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände auf Antrag Amicus Curiae-Stellungnahmen zu Rechts- und Tatsachenfragen zugelassen werden.11 Staaten und internationale Organisationen, die Parteien eines völkerrechtlichen Vertrags sind, auf dessen Grundlage die Streitigkeit den Investitionsschiedsregeln unterworfen wurde, jedoch nicht Parteien des Verfahrens sind, haben das Recht eine Stellungnahme abzugeben. Dieses Recht ist auf Fragen der Auslegung des völkerrechtlichen Abkommens beschränkt und soll der korrekten Auslegung des zugrundeliegenden Staatsvertrags dienen.12

Prozessfinanzierung

Zur Vermeidung von Interessenkonflikten der Schiedsrichter ist jede Partei verpflichtet, das Vorhandensein einer Prozessfinanzierung und die Identität des Prozessfinanzierers in der Klage oder Klagebeantwortung beziehungsweise unverzüglich nach späterem Abschluss der Vereinbarung über die Prozessfinanzierung offenzulegen. Konkrete Details über die Finanzierungsvereinbarung müssen nicht offengelegt werden, jedoch kann das Schiedsgericht die Offenlegung anordnen, wenn es dies etwa für die Entscheidung eines Antrags auf Prozesskostensicherheit für erforderlich hält.13

Verfahrenskosten

Die Kosten für die Einleitung des Verfahrens bei VIAC, die VIAC-Administrierungsgebühr sowie das Schiedsrichterhonorar sind moderat im Vergleich zu anderen Institutionen. Die Einschreibgebühr beträgt bei VIAC derzeit bis zu 1.500 Euro und die vom Streitwert abhängigen Verwaltungsgebühren bewegen sich zwischen 500 und 75.000 Euro. Verwaltungsgebühren fallen nur einmalig an.14 Schiedsrichterhonorare berechnen sich ebenfalls am Streitwert und liegen für einen Schiedsrichtersenat bei einem Streitwert von 10 Millionen Euro bei etwa 208.000 Euro.
Gerade für mittel- und osteuropäische Investitionen sind die neuen Vienna Investment Arbitration Rules eine attraktive und kostengünstigere Alternative, bei staatlichen Eingriffen in die Investition effizienten Rechtsschutz zu erlangen.
1 VIAC Schieds- und Mediationsordnung für Investitionsverfahren 2021, siehe hier.
2 VIAC Schieds- und Mediationsordnung für Investitionsverfahren 2021, gültig ab 1.7.2021.
3 Artikel 1 Abs 1 WRIV.
4 Artikel 4 WRIV.
5 Artikel 16 Abs 1 WRIV.
6 Artikel 17 WRIV.
7 Artikel 24a WRIV.
8 Artikel 45 WRIV.
9 Artikel 32 Abs 2 WRIV.
10 Artikel 44 Abs 8 WRIV.
11 Artikel 14 Abs 1 WRIV.
12 Artikel 14 Abs 2 WRIV.
13 Artikel 13a WRIV.
14 Bei ICSID-Verfahren gibt es jährliche Verwaltungsgebühren.


 

Aktuelle Beiträge