Einleitung
Ausweislich der Bestimmung des § 1055 ZPO stehen inländische Schiedssprüche hinsichtlich ihrer Rechtskraftwirkungen rechtskräftigen Urteilen staatlicher Gerichte gleich. Bei näherer Betrachtung sind die Rechtskraftwirkungen eines inländischen Schiedsspruchs indes ungleich stärker ausgeprägt, als ein ordentliches Rechtsmittel dagegen nicht gegeben ist. Anders als im Fall des § 705 ZPO tritt die formelle Rechtskraft eines Schiedsspruchs vielmehr bereits mit Erfüllung der förmlichen Voraussetzungen des § 1054 ZPO ein (vgl. BT-Drs. 13/5274, S. 56; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 1059 Rn. 3). Hingegen steht die Möglichkeit, ein Verfahren zur Aufhebung eines Schiedsspruchs nach § 1059 Abs. 1 ZPO einzuleiten, dem Eintritt der formellen Rechtskraft nicht entgegen, da es sich hierbei nach vorherrschender Auffassung nicht um ein echtes Rechtsmittelverfahren handelt, sondern vielmehr um einen außerordentlichen, kassatorischen Rechtsbehelf (so etwa BGH, Beschluss vom 09.05.2018 – I ZB 77/17, WM 2018, 1652, Rn. 17; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 1059 Rn. 3; Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand 01.09.2021, § 1055 Rn. 1.4; ähnlich BGH, Beschluss vom 27.05.2004 – III ZB 53/03, BGHZ 159, 207, Rn. 15; missverständlich BGH, Beschluss vom 02.05. 2017 – I ZB 1/16, WM 2017, 1305, Rn. 47). Hieran ändert auch die Fristenpräklusion im Aufhebungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren nach §§ 1059 Abs. 3, 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO a priori nichts, da diese nach ihrem Sinn und Zweck gerade dazu bestimmt ist, die Bestandskraft von Schiedssprüchen zu stärken (vgl. BT-Drs. 13/5274, S. 60; Münch, in: MünchKomm, ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1055 Rn. 3).
Problemaufriss
Wenngleich es sich bei der Aufhebungsentscheidung nach §§ 1059 Abs. 1 und 2 ZPO oder § 1060 Abs. 2 Satz 1 ZPO um einen rechtsgestaltenden – und nicht etwa rechtshindernden – Akt handelt (zutreffend BGH, Beschluss vom 17.01.2008 – III ZR 320/06, SchiedsVZ 2008, 94, juris-Rn. 12), ist die Einhaltung der in §§ 1059 Abs. 3, 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO normierten Dreimonatsfrist für die Frage, ob ein Schiedsspruch im Ergebnis Bestand haben kann, aber dennoch von zentraler Bedeutung. Versäumt die im Schiedsverfahren unterlegene Partei eben jene Frist, führt dies nämlich zur Präklusion mit den in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Aufhebungsgründen, was insbesondere zur Folge hat, dass Verfahrensfehler des Schiedsgerichts (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d ZPO) nur noch ausnahmsweise zur Aufhebung des Schiedsspruchs führen können, sofern sich in ihnen zugleich ein Verstoß gegen den ordre public als von Amts wegen zu prüfenden Aufhebungsgrund (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO) verwirklicht. In Anbetracht dessen, dass die in § 1060 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Aufhebungsgründe nach dem Wortlaut des Gesetzes „begründet geltend“ zu machen sind, stellt sich bei der Auslegung und Anwendung der §§ 1059 Abs. 3, 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO indes die praxisrelevante Frage, ob nur der Aufhebungsantrag selbst innerhalb der Dreimonatsfrist gestellt werden muss oder vielmehr auch die „begründete Geltendmachung“ jener Aufhebungsgründe binnen Frist zu erfolgen hat.
Das Kammergericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2007 – wenngleich ohne vertiefte Begründung – hierzu die Rechtsansicht vertreten, die in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Aufhebungsgründe seien innerhalb der Dreimonatsfrist des § 1059 Abs. 3 ZPO auch begründet geltend zu machen, weil eine Nachbesserung der Begründung nach Ablauf der Frist nicht mehr möglich sei (KG, Beschluss vom 17.12.2007 – 20 Sch 5/07, SchiedsVZ 2009, 179, juris-Rn. 22-23). Dieser Auffassung hat sich unlängst das Hanseatische Oberlandesgericht in einer bislang unveröffentlichten – und bis dato nicht rechtskräftigen – Entscheidung (Az. 11 Sch 2/20) angeschlossen. Abseits dessen wird die aufgeworfene Frage in Rechtsprechung und Schrifttum – soweit ersichtlich – nicht unmittelbar streitig diskutiert. Mittelbar wird die Frage aber sehr wohl uneinheitlich beurteilt, da im Schrifttum Uneinigkeit über den Streitgegenstand des Aufhebungsverfahrens herrscht. So wird bisweilen die Auffassung vertreten, der Antragsgegenstand beschränke sich auf den konkret geltend gemachten Aufhebungsgrund, so dass die nachträgliche Geltendmachung eines anderen Aufhebungsgrundes als Klageänderung (§ 263 ZPO) zu qualifizieren sei (vgl. Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand 01.09.2021, § 1059 Rn. 58; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 1059 Rn. 35). Die Gegenauffassung nimmt demgegenüber an, der Aufhebungsantrag habe nur einen einheitlichen Streitgegenstand, nämlich das Aufhebungsbegehren als solches, auch wenn dabei mehrere Aufhebungsgründe geltend gemacht werden (so etwa Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 1059 Rn. 55; Münch, in: MünchKomm, ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1059 Rn. 62). In Anbetracht dessen erscheint es geboten, der aufgeworfenen Rechtsfrage weiter nachzugehen.
Rechtliche Würdigung
Bei einer vertieften Befassung mit der Fragestellung sprechen indes gewichtige Gründe gegen die Annahme, dass die in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Aufhebungsgründe innerhalb der Frist des § 1059 Abs. 3 ZPO zugleich begründet geltend zu machen sind.
Nach ihrem Wortlaut sieht die Fristenregelung in § 1059 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO – vergleichbar etwa mit § 519 ZPO – lediglich vor, dass der Aufhebungsantrag innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Zustellung des Schiedsspruchs bei Gericht eingereicht werden muss. Dass auch die Antragsbegründung binnen dieser Frist eingereicht werden müsste, ergibt sich aus dem Gesetz hingegen nicht. Im Gegenteil sieht das Gesetz lediglich vor, dass die in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genannten Aufhebungsgründe vom Antragsteller begründet geltend gemacht werden müssen. Die Bestimmung des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sieht aber nicht vor, dass die Aufhebungsgründe des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO innerhalb der Dreimonatsfrist des § 1059 Abs. 3 ZPO begründet werden müssten. Nichts anderes gilt für die Bestimmung des § 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO, welche die Berücksichtigungsfähigkeit der in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Aufhebungsgründe im Vollstreckbarerklärungsverfahren allein davon abhängig macht, dass der Antragsgegner binnen der Dreimonatsfrist einen Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs gestellt hat. Nach dem gängigen Sprachgebrauch im Prozessrecht (vgl. etwa § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 23 FamFG) deutet der Begriff „Antrag“ jedoch darauf hin, dass es sich hierbei nur um das verfahrenseinleitende Schriftstück handelt (vgl. dazu Münch, in: MünchKomm, ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1063 Rn. 1b-2).
In dieselbe Richtung weist auch die Genese der Vorschrift des § 1059 Abs. 3 ZPO. Denn die dort normierte Fristenregelung entspricht – mit Ausnahme der Sonderregelung des Satzes 2, die den Fristbeginn ausnahmslos an den Zugang des Schiedsspruchs anknüpft – den Vorgaben des § 34 Abs. 3 des UNCITRAL-Modellgesetzes 1985 (vgl. BT-Drs. 13/5274, S. 60). Eben jene Modellnorm regelt jedoch ausschließlich, dass eine Aufhebungsklage nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nicht mehr erhoben werden kann. Mithin wird auch hierdurch nur die Klageerhebung, nicht aber die -begründung einer Ausschlussfrist unterworfen, so dass folgerichtig nichts anderes für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts (§ 1059
Abs. 3 ZPO) gelten kann. Diese Differenzierung ergibt sich zudem auch ausdrücklich aus den Gesetzesmaterialien, wenn es bezüglich der an die Zustellung des Schiedsspruchs anknüpfenden Fristenregelung in § 1059 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO erläuternd heißt (vgl. BT-Drs. 13/5274, S. 60):
„Diese Regelung (…) soll bewirken, dass dem Schuldner durch einen besonderen, vom Gläubiger zu veranlassenden Akt [scil.: der Zustellung des Schiedsspruchs] die Notwendigkeit der baldigen Einleitung eines Aufhebungsverfahrens deutlich gemacht wird.“
Entscheidend für die Wahrung der Dreimonatsfrist des § 1059 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist auch hiernach also nur die Einleitung des Aufhebungsverfahrens, nicht aber die Begründung des Aufhebungsantrags.
Nur dies entspricht dem Sinn und Zweck der Fristenpräklusion nach §§ 1059 Abs. 3, 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers hat die Fristenregelung nämlich zum Ziel, nach einer angemessenen Zeit Klarheit über die Bestandskraft des Schiedsspruchs zu gewinnen (vgl. BT-Drs. 13/5274, S. 60). Zur Erreichung dieses Gesetzeszwecks genügt es jedoch, wenn – wie im Fall der Verjährungshemmung oder der Rechtsmittelbegründung, wo es ebenfalls um die Herstellung von Rechtssicherheit geht – der Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs rechtzeitig bei Gericht eingeht und auf diese Weise der Eintritt der Bestandskraft des Schiedsspruchs verhindert wird.
Dem entspricht es, dass das Aufhebungsverfahren nach § 1059 Abs. 1 ZPO als rechtsmittelähnliches Verfahren respektive als außerordentliches Rechtsmittel qualifiziert wird, weshalb gemeinhin anerkannt ist, dass in formeller Hinsicht die Anforderungen an eine Revisionsbegründung (§ 551 Abs. 3 ZPO) entsprechend gelten (vgl. Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 1059 Rn. 23; Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand 01.09.2021, § 1059 Rn. 68). Durch die Vorgabe, die Aufhebungsgründe im Sinne des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO „begründet geltend“ zu machen, wird folglich also nur die Darlegungslast des Antragstellers konkretisiert, mithin klargestellt, dass es insoweit nicht ausreicht, wenn sich ein dahingehender Aufhebungsgrund schlicht aus den Schiedsakten ergibt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15.07.1999 – III ZB 21/98, BGHZ 142, 204, juris-Rn. 6; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 1059 Rn. 23). Vergleichbar dem Rechtsmittelverfahren wird hierdurch aber gerade nicht ausgeschlossen, dass nach fristgerechter Antragstellung die begründete Geltendmachung einem weiteren Begründungsschriftsatz vorbehalten bleiben kann.
Für die gegenteilige Sichtweise, nach der die Berücksichtigungsfähigkeit der in § 1060 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Aufhebungsgründe streng von der begründeten Geltendmachung im Rahmen des Aufhebungsantrags nach § 1059 Abs. 1 ZPO abhängen würde, fehlt es hingegen an der sachlichen Rechtfertigung. Dem Sinn und Zweck der Antragsfrist, nach einer angemessenen Zeit Klarheit über die Bestandskraft des Schiedsspruchs zu erlangen, lässt sich ohne weiteres durch eine sachgemäße Verfahrensleitung des angerufenen Oberlandesgerichts Rechnung tragen. Andernfalls käme es zu Friktionen, wenn die im Schiedsverfahren obsiegende Partei nach Empfang des Schiedsspruchs einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach § 1060 Abs. 1 ZPO stellte. Wäre nämlich allein maßgeblich, ob die Aufhebungsgründe innerhalb der Dreimonatsfrist des § 1059 Abs. 3 ZPO begründet geltend gemacht werden, müsste der Antragsgegner in der besagten Situation, falls zu befürchten steht, dass seine Antragserwiderung erst nach Ablauf jener Frist eingereicht wird, in einem weiteren Verfahren einen separaten Aufhebungsantrag stellen und noch vor Ablauf der Frist zu den Aufhebungsgründen des § 1060 Abs. 2 Nr. 1 ZPO substantiiert vortragen. Dies macht jedoch aus prozessökonomischen Gründen wenig Sinn, da nach herrschender Auffassung ein zulässiger Antrag auf Vollstreckbarerklärung wegen der Regelung des § 1060 Abs. 2 Satz 1 ZPO den Aufhebungsantrag der Gegenseite „absorbiert“ (vgl. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 1059 Rn. 4). Dies wiederum hat zur Folge, dass das Gericht in jener Situation regelmäßig nur noch das Vollstreckbarerklärungsverfahren betreibt und die Aufhebungsgründe in diesem Verfahren inzident mit prüft. Vieles spricht daher dafür, die Präklusionsnorm des § 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass diese nur dann zur Anwendung gelangt, wenn der Vollstreckbarerklärungsantrag nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 1059 Abs. 3 ZPO gestellt wird und bis dahin ein Aufhebungsantrag nicht gestellt wurde.
Fazit
Nach vorzugswürdiger Auffassung sind die §§ 1059 Abs. 3, 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO dahingehend auszulegen, dass es für die Fristwahrung ausreicht, wenn lediglich der Aufhebungsantrag als verfahrenseinleitendes Schriftstück binnen Frist gestellt wurde, wohingegen die Antragsbegründung – wie auch in den sonstigen Fällen, in denen Rechtsmittelfristen laufen – auch nach Fristablauf bei Gericht eingereicht werden kann. Richtigerweise darf es sich daher auf den Prüfungsumfang im Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht auswirken, wenn nur der Aufhebungsantrag, nicht aber die Antragsbegründung innerhalb der Dreimonatsfrist bei Gericht eingeht. Die obergerichtliche Rechtsprechung scheint indes der gegenteiligen Sichtweise zuzuneigen. Wünschenswert wäre daher eine klarstellende Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die bis dato noch aussteht.
ludwig@siegmann-partnerschaft.de