Zur Darlegungs- und Beweislast von Vorteilsanrechnungen bei der Schadensbemessung

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In den vergangenen Jahren hat die Inanspruchnahme von Steuerberatern wegen angeblicher Beratungsfehler merklich zugenommen. Eine Verschärfung der Steuerberaterhaftung durch die Rechtsprechung, insbesondere im Bereich der Hinweispflichten, dürfte diese Entwicklung maßgeblich gefördert haben. Dass für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Steuerberatern gleichwohl hohe Hürden zu überwinden sind, bestätigte das Landgericht Kiel mit Urteil vom 16.06.2022 (Az. 6 O 315/21). Das Urteil insoweit bemerkenswert, als es die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich etwaiger erlangter Vorteile dem geschädigten Mandanten und nicht dem Steuerberater auferlegt. Dies verwundert vor dem Hintergrund, dass nach allgemeinen Haftungsgrundsätzen der Schädiger (und nicht der Geschädigte) den Vorteilsausgleich im Sinne eines Einwands darzulegen und zu beweisen hat. In der Realität verschwimmt aber oftmals die Abgrenzung zwischen der Darlegung des Schadens durch den Geschädigten einerseits und dem Einwand der Vorteilsanrechnung durch den Schädiger andererseits. So entschied das Landgericht Kiel mit seinem Urteil, dass die geschädigte Gesellschaft bei der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen zur Darlegung des Schadens nicht nur die finanziellen Nachteile, sondern auch die Vorteile substantiiert darlegen und beziffern muss. Da der Gesellschaft dieser Nachweis nicht gelang, ist die Klage abgewiesen worden.

Sachverhalt

Die vermeintlich geschädigte Gesellschaft beauftragte eine Steuerberatergesellschaft mit der Erstellung von Steuererklärungen und Jahresabschlüssen. Im September 2010 ist zusätzlich die Tochtergesellschaft der Steuerberatergesellschaft mit der Lohn- und Finanzbuchhaltung beauftragt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gesellschaft zwei Gesellschafter, Herrn S und Herrn R. Herr S hielt 50,39% und Herr R hielt 49,68% der Gesellschaftsanteile. Die Gesellschaft behandelte das Beschäftigungsverhältnis des Gesellschafters R bis zu seinem Ausscheiden Ende 2016 als sozialversicherungsfrei und führte dementsprechend keine Sozialversicherungsbeiträge an die Rentenversicherung ab.

Die Steuerberatergesellschaft übernahm zunächst die Einstufung des Gesellschafters R von dem vorigen Steuerberater, erteilte aber im Februar 2011 der Gesellschaft den Hinweis, dass bisher kein Sozialversicherungsabzug für die Gesellschafter vorgenommen worden sei. Die Gesellschaft sollte klären, ob ein sozialversicherungsrechtliches Prüfungsverfahren durchgeführt worden ist. Zugleich wurden der Gesellschaftervertrag sowie Protokolle zu Gesellschafterversammlungen angefordert. Die Geschäftsführung übersandte lediglich den Gesellschaftervertrag, der allein die Höhe des Stammkapitals auswies, aber keine Beteiligungsverhältnisse oder Stimmrechte der Gesellschafter. Auf erneute Nachfrage der Steuerberatergesellschaft im Jahr 2011 erhielt sie die Information, dass die Gesellschafter wohl hälftig beteiligt und damit sozialversicherungsfrei seien, aber nochmals erneut Rücksprache mit der Geschäftsführung erfolgen solle. Das Thema wurde im Oktober 2011 erneut bei der Geschäftsführung angesprochen. Bei der Erstellung des Entwurfs für den Jahresabschluss 2010 nahm die Steuerberatergesellschaft bei den „Gesellschaftlichen Grundlagen“ auf, dass die Gesellschafter hälftig das Stammkapital hielten. Die Geschäftsführung äußerte diesbezüglich keine Änderungswünsche.

Im Jahr 2019 führte die Rentenversicherung bei der Gesellschaft für die Jahre 2015 bis 2018 Betriebsprüfungen durch. Die Rentenversicherung stellte dabei fest, dass der Gesellschafter R sich mangels Sperrminorität in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bei der Gesellschaft befand, und forderte für die Jahre 2015 und 2016 eine Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von rund 18.000 Euro.

Die Gesellschaft warf der Steuerberatergesellschaft nun vor, den Status des Geschäftsführers R nicht geprüft und nicht die Einholung eines sozialversicherungsrechtlichen Beraters empfohlen zu haben. Sie forderte deshalb die Steuerberatergesellschaft zur Zahlung der nachzuzahlenden Arbeitnehmeranteile auf.

Urteil des Landgerichts Kiel

Das Landgericht Kiel verneinte die Haftung der Steuerberatergesellschaft mit Urteil vom 16.06.2022 (Az. 6 O 315/21) mit der Begründung, die Gesellschaft habe den Schaden nicht ausreichend substantiiert dargelegt.

Das Landgericht ließ dabei das Vorliegen einer Pflichtverletzung offen, stellte jedoch klar, dass eine Pflichtverletzung grundsätzlich in Betracht komme. Stellen sich bei der Lohnbuchhaltung rechtliche Schwierigkeiten, so muss ein Steuerberater dem Mandanten empfehlen, sich rechtliche Beratung zu suchen. Dies ist der Fall, wenn der Steuerberater konkrete Anhaltspunkte erkennt oder ein besonderer Anlass besteht, die Richtigkeit der Lohnbuchhaltung zu hinterfragen. Vorliegend erkannte die Steuerberatergesellschaft die Problematik mit der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung des Gesellschafters R richtig. Sie wies die Geschäftsführung darauf hin, dass bisher bei der Lohnbuchhaltung kein Sozialversicherungsabzug vorgenommen wird und die Gesellschaft daher prüfen muss, ob ein Überprüfungsverfahren diesbezüglich bereits stattgefunden hat. Ferner forderte sie Unterlagen von der Gesellschaft an und thematisierte mehrmals die mögliche Sozialversicherungspflicht des Gesellschafters R.

Bei der Entscheidung des Landgerichts Kiel blieb letztlich offen, ob ein Steuerberater explizit die Einholung eines Rechtsrats empfehlen muss oder ob bei einem Wirtschaftsunternehmen davon ausgegangen werden darf, dass dieses sich nach dahingehenden Hinweisen ihres Steuerberaters ohne eine solche ausdrückliche Empfehlung eigenverantwortlich um eine entsprechende rechtliche Klärung kümmert.

Für das Landgericht Kiel bedurfte es allerdings keiner abschließenden Entscheidung hinsichtlich der Pflichtverletzung. Der Anspruch gegen die Steuerberatergesellschaft scheiterte nach Ansicht des Gerichts bereits daran, dass die Gesellschaft den Schaden nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat.

Im Schadensrecht gilt die Differenzhypothese gemäß § 249 Abs. 1 BGB. Dabei wird die Vermögenslage des Geschädigten mit und ohne das schadensbegründende Ereignis verglichen. Bei diesem Gesamtvermögensvergleich werden nicht einzelne Rechnungsposten gegenübergestellt. Vielmehr ist die (gesamte) tatsächliche Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich aufgrund des angeblichen Beratungsfehlers darstellt, mit derjenigen (hypothetischen) Vermögenslage zu vergleichen, wie sie sich bei einer ordnungsgemäßen Beratung ergeben hätte. Nach allgemeinem Schadensrecht ist der Geschädigte dabei für den Schaden darlegungs- und beweisbelastet; der Schädiger ist hingegen grundsätzlich für einen etwaigen Vorteilsausgleich darlegungs- und beweisbelastet.

Die Abgrenzung von Vorteilsausgleich und Schadensberechnung gestaltet sich in der Praxis oftmals schwierig. Im vorliegenden Fall entschied das Landgericht Kiel, dass der geschädigte Mandant nicht nur die finanziellen Nach-, sondern auch die Vorteile, für die im Rahmen der Schadensberechnung vorzunehmenden Saldierung darzustellen hat. Die Gesellschaft legte als Schaden lediglich die nachzuzahlenden Arbeitnehmeranteile dar, welche sie nicht mehr vom Gesellschafter R fordern konnte und daher selbst an die Rentenversicherung nachzahlen musste. Die finanziellen Vorteile, die der Gesellschaft durch die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge entstanden sind, sind hingegen nicht dargelegt und beziffert worden. So minderte die Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge als Betriebsaufwand die Steuerlast der Gesellschaft. Weiter legte die Gesellschaft nicht die ersparten Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung für die Jahre 2010 bis 2014 dar. Diese wurden aufgrund der angeblichen Pflichtverletzung nicht abgeführt und mussten wegen der Verjährung von Rückforderungsansprüchen der Rentenversicherung auch nicht mehr nachgezahlt werden.

Die Nichtzahlung von Arbeitgeberanteilen ist laut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) als kongruenter Vorteil bei der Schadensberechnung miteinzubeziehen. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile bei der Sozialversicherung stehen in einem engen inneren Zusammenhang. Beide Rechnungsposten sind daher als Rechnungseinheit zu betrachten. Vorliegend zahlte die Gesellschaft fünf Jahre keine Arbeitgeberbeiträge und musste rund zwei Jahre Arbeitnehmeranteile an die Rentenversicherung nachzahlen. Da die Gesellschaft keine andere Schadensberechnung darlegte, ging das Landgericht Kiel davon aus, dass bei der Berechnung überhaupt kein Schaden für die Gesellschaft entstanden sein kann und wies die Klage infolgedessen ab.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass es für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen häufig hohe Hürden zu überwinden gilt. Auch wenn sich wegen einer Verschärfung von Neben- oder Hinweispflichten eine Pflichtverletzung in den meisten Fällen sehr schnell bejahen lässt, so gestaltet sich die Darlegung und der Nachweis eines hieraus entstandenen Schadens in der Praxis allerdings häufig als sehr schwierig.

Bemerkenswert ist die Entscheidung des Landgerichts Kiel insoweit, dass sie die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich erlangter Vorteile dem Geschädigten und nicht dem Schädiger aufbürdet. Denn nach allgemeinen Haftungsgrundsätzen obliegt es grundsätzlich dem Schädiger im Sinne eines Einwandes darzulegen und zu beweisen, dass der Geschädigte durch das Fehlverhalten des Schädigers neben Nachteilen auch Vorteile erlangt hat und daher der Schaden geringer ausfällt. Das Landgericht Kiel bewertete dies – in Anlehnung an BGH-Rechtsprechung – bei nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträgen anders: mit der Nachzahlung verbundene Vorteile gehören noch zur Darlegung des Schadens durch den Geschädigten.

 

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valerie.hoffmann@advant-beiten.com

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