Neben Geldwäsche jetzt auch „Grünwäsche“ im Fokus der Regulatoren

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Nachhaltigkeit – Ein unaufhaltsamer Trend

Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der im Laufe der letzten Jahre im gesellschaftlichen Diskurs omnipräsent geworden ist. Der Austausch über nachhaltigere Produkte und Investitionen, klimafreundliches Wirtschaften, einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen sowie sichere und faire Arbeitsbedingungen involviert weltweit Verbraucher, Investoren, NGOs, Unternehmen und Regulatoren. Dieser Trend motiviert Unternehmen sich für ethische und umweltbewusste Verbraucher und Investoren attraktiv darzustellen. Innerhalb der Gesellschaft wächst hingegen die kritische Beurteilung von „grünen“ und „nachhaltigen“ Bezeichnungen und Labels sowie die Wahrnehmung dafür, dass das was zuvor lediglich als verwerfliche Marketingstrategie erschien, als „Greenwashing“ zunehmend rechtlich geahndet werden kann.

Was steckt überhaupt hinter Greenwashing?

„Greenwashing,“ was man ins Deutsche als Grünfärberei übersetzen kann, bezeichnet gemeinhin falsche oder irreführende Behauptungen von Unternehmen hinsichtlich der Sozial- und Nachhaltigkeitsaspekte sowie der Umweltauswirkungen ihrer Produkte und Unternehmenspraxis in Form von beispielsweise PR-Methoden oder nichtfinanzieller Unternehmensberichterstattung. Auf diese Weise versuchen zahlreiche Unternehmen die Attraktivität ihrer Produkte zu steigern, ohne dass die Angaben auf überprüfbaren Fakten basieren. Vorwürfe, die in diesem Rahmen geäußert werden, umfassen unter anderem Betrug, Irreführung, (Verbraucher-)Täuschung und Wettbewerbsverzerrung.

Die Bandbreite von Greenwashing-Klagen wird vielseitiger

Hieraus resultierende Klagen wurden meist von NGOs und Verbraucherschutzorganisationen eingereicht. Im Zentrum standen überwiegend Werbeaussagen und PR-Methoden sowie die ESG-Berichterstattung (Environmental, Social and Governance) von Unternehmen.

Ein Beispiel ist die umfangreiche Beschwerde, die die NGO Earth Client 2019 gegen den Öl- und Gasriesen BP hinsichtlich seiner Marketingkampagnen „Possibilities Everywhere“ und „Keep Advancing“ bei der britischen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen einreichte. Earth Client warf BP vor, seine kohlenstoffarme Energieproduktion im Verhältnis zu seinem traditionellen Öl- und Gasgeschäft in den Vordergrund zu rücken, obwohl BP nur 4 von 100 Pfund tatsächlich in saubere Energie investiere. Daraufhin zog BP im Februar 2020 seine Werbekampagnen zurück.

Die Berichterstattung der vergangenen Jahre macht deutlich: Keine Industrie ist vor Greenwashing sicher. Während der Energie- und Ressourcensektor sowie die Konsumgüterindustrie von Beginn an im Zentrum von Greenwashing-Fällen standen, gerät zunehmend die Finanzdienstleistungsbranche in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Investitionsvolumen privater Anleger in „nachhaltige“ Geldanlagen stieg in Deutschland von 2019 auf 2020 um mehr als das Doppelte auf 39,8 Milliarden Euro an (Stand 31.12.2020). Zeugnis davon, dass auch der Finanzsektor zukünftig umfassenden Prüfungen standhalten muss, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, sind die international vielbeachteten Untersuchungen der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC, des US-Justizministeriums, der BaFin sowie der EZB zu Greenwashing-Anschuldigungen gegen die Fondstochter der Deutschen Bank DWS (Deutsche Gesellschaft für Wertpapiersparen). Der DWS wird vorgeworfen, dass sie ihre nachhaltigen Anlagen überhöht ausgewiesen und damit einen Etikettenschwindel mit ihren Produkten betrieben hat. Fälle wie jener der DWS, deren Aktienkurs zwischenzeitlich im zweistelligen Bereich einbrach, veranschaulichen, wie schnell sich Reputationsschäden durch Greenwashing-Vorwürfe in einem Wertverlust manifestieren können.

Die Erweiterung der Bandbreite von Rechtsstreitigkeiten im Bereich Greenwashing von Verbraucherschutzthemen auf Wettbewerbsfragen wird an dem Beispiel des italienischen Rechtsstreits Alcantara S.p.A. gegen Miko S.r.l. deutlich. Miko S.r.l., ein italienischer Hersteller eines wildlederähnlichen Mikrofaserprodukts für die Automobilbranche, hat seine Produkte beispielsweise mit den Aussagen und Begriffen „umweltfreundlich“, „die erste nachhaltige und recycelbare Mikrofaser“, „100% recycelbar“, „Verwendung neutraler und ungiftiger Farbstoffe“ sowie „Reduzierung des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen um 80%“ vertrieben. Sein italienischer Wettbewerber Alcantara S.p.A. argumentierte, dass die „grünen Behauptungen“ von Miko vage, falsch, nicht geprüft oder nicht überprüfbar seien und damit eine irreführende Werbung im Sinne der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (Nr. 2005/29/EG) darstellen würden. Hierdurch ergab sich dem Kläger zufolge eine unlautere Wettbewerbshandlung gemäß Art. 2598 Abs. 3 des italienischen Zivilgesetzbuchs. Alcantara beantragte eine einstweilige Verfügung, die dem Konkurrenten Miko untersagt, mit derartigen umweltbezogenen Angaben für seine Produkte zu werben. Das Gericht urteilte, dass die Umweltbehauptungen von Miko, gemessen an den von der Europäischen Kommission veröffentlichten Leitlinien zur Anwendung der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, nicht den rechtlichen Ansprüchen genügen. Diese Leitlinien besagen, dass Behauptungen zum Umweltschutz zutreffend und überprüfbar sein müssen. Infolgedessen ordnete das Gericht von Gorizia in Friaul-Julisch Venetien an, dass Miko „vage, falsche und nicht überprüfbare grüne Behauptungen“ in der Vermarktung ihrer Produkte zu unterlassen hat. Zudem verpflichtete es das Unternehmen, das Gerichtsurteil 60 Tage lang auf seiner Website zu veröffentlichen. In der Begründung seines Urteils verwies das Gericht auf die Wettbewerbsvorteile, die sich Unternehmen angesichts des gestiegenen Bewusstseins für Umweltfragen durch Greenwashing verschaffen und die Kaufentscheidungen von Verbrauchern stark beeinflussen können. Während Unterlassungsklagen in Italien zuvor bereits von Behörden eingereicht wurden, ermöglichte es die EU-Richtlinie in diesem Fall einem Unternehmen gegen das Greenwashing eines Wettbewerbers vorzugehen. Dieser Fall könnte in anderen europäischen Staaten zukünftig als Präzedenzfall dienen und verdeutlicht, inwiefern Wettbewerbsvorteile durch Greenwashing zu einem bedeutenden Thema zwischen konkurrierenden Unternehmen werden. Auf Basis der EU-Richtlinie könnten Wettbewerber zudem Schadensersatzforderungen geltend machen, wenn es ihnen gelingt, den auf Greenwashing zurückzuführenden Verlust von Marktanteilen nachzuweisen.

Neue Regulatorik – Lösung und Problem zugleich?

Gemessen wird eine Nachhaltigkeitsberichterstattung daran, ob es eine hinreichende Grundlage und konkrete Belege für die entsprechenden Aussagen gibt. Zu den zentralen Herausforderungen und Problemfeldern für alle beteiligten Akteure zählen jedoch die Nachvollziehbarkeit konkreter Maßnahmen, ihre Messbarkeit und Wirksamkeit im Rahmen des jeweiligen Geschäftsmodells. Weiterhin fehlt es an einer Regulatorik, die eine einigermaßen einheitliche und vergleichbare Berichterstattung über nachhaltige Aspekte sicherstellt.

Gegenwärtig werden jedoch einheitliche Standards für Angaben und Berichterstattung zu nachhaltigen Themen auf internationaler und nationaler Ebene vorangetrieben. Hierbei soll eine neue Institution, das International Sustainability Standards Board (ISSB), international verbindliche, inhaltlich klare und vergleichbare Standards für die Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsaspekten schaffen. Die Gründung dieses Gremiums, mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, wurde vom Kuratorium der IFRS Foundation im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Glasgow am 3. November 2021 bekanntgegeben. Auf europäischer Ebene soll die bereits stark umstrittene EU-Taxonomie (Verordnung (EU) 2020/852) die Kriterien für die Einschätzung von Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig liefern und damit Vorgaben für nachhaltige Investitionen bestimmen. Die EU-Offenlegungsverordnung vom 27.11.2019 regelt zudem, welche Informationen Finanzmarktteilnehmer hinsichtlich der Nachhaltigkeit ihrer Strategien, Prozesse und Produkte veröffentlichen müssen. Hinzu kommen landesspezifische Anforderungen. So hat die BaFin im August 2021 den Entwurf einer Richtlinie für nachhaltig ausgerichtete Investmentvermögen veröffentlicht. Diese besagt, dass Anlagebedingungen eine von drei Vorgaben erfüllen müssen, um als nachhaltig vermarktet werden zu dürfen: es muss eine Mindestinvestitionsquote von 75% in nachhaltige Vermögensgegenstände erfüllt sein, eine nachhaltige Anlagestrategie verfolgt oder ein nachhaltiger Index abgebildet werden.

Die Anforderungen an die Berichterstattung nichtfinanzieller Informationen ist im Begriff ein neues Niveau an rechtlicher Verbindlichkeit zu erreichen. Die Zweifel und starke Kritik an der Einstufung von Investitionen in Atom- und Gaskraftwerken als „nachhaltig“ durch die EU-Kommission belegen jedoch die Uneinigkeit der unterschiedlichen Interessensgruppen und Schwierigkeiten auf dem Weg zu anerkannten Definitionen nachhaltiger Praktiken und Ressourcen als Basis für gesetzliche Standards. Die Beurteilung der Europäischen Kommission selbst wurde von einem Experten für nachhaltige Finanzen als „wohl größter Greenwash aller Zeiten“ betitelt: „Das ist so, als würde man Pommes frites als Salat bezeichnen“ (SZ, 12.01.2022). Von der Bundesregierung und den Regierungen anderer europäischer Länder erntete die EU-Kommission für ihren Entwurf ebenfalls starke Kritik. Derartig divergierende Einschätzungen riskieren die Verunsicherung unter Anlegern zu erhöhen und die Glaubwürdigkeit in neue Regulatorik zu mindern.

An weiterer Komplexität gewinnen die Chancen und Risiken nachhaltigen Wirtschaftens durch sogenanntes stellvertretendes Greenwashing („vicarious greenwashing“). Diese Form des Greenwashings tritt auf, wenn Unternehmen Vorleistungsgüter oder Fertigerzeugnisse von einem Lieferanten beziehen, dessen Verhalten im Widerspruch zu den Nachhaltigkeitsangaben des Unternehmens stehen (Pizzetti et al. 2019). Ein prominentes Beispiel hierfür sind die Produktionsstätten von Textilunternehmen wie C&A, H&M und Primark in Myanmar, die in der Vergangenheit für Kinderarbeit, Löhne unterhalb des Existenzminimums und weitere Arbeitsrechtsverletzungen in der Kritik standen. Das deutsche Lieferkettengesetz, das am 01.01.2023 in Kraft tritt, verpflichtet Unternehmen zukünftig den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte, einschließlich des Schutzes von Kinderrechten, auch in ihren Lieferketten zu achten. Entsprechende Gesetze und Gesetzentwürfe finden sich unter anderem in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Unternehmen droht im Fall von Greenwashing hinsichtlich ihrer Wertschöpfungskette nicht nur ein hoher Reputationsschaden, sondern zukünftig auch ein steigendes Haftungsrisiko.

Ausblick – Aufdeckung und Prüfung wird leichter

Greenwashing zu erkennen, nachzuweisen und zur Anklage bringen zu können wird in absehbarer Zeit durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Form von NLP-Werkzeugen (Neuro-Linguistisches Programmieren) erleichtert werden. KI wird es ermöglichen, undurchsichtige und sehr umfangreiche nichtfinanzielle Berichterstattungen von Unternehmen auf Nachhaltigkeitsangaben hin zu analysieren. Ein Beispiel hierfür ist der von schweizer und deutschen Forschern entwickelte ClimateBert, ein KI-gestütztes neuronales Sprachmodell, das auf die Analyse der Offenlegung von klimabezogenen Angaben, insbesondere die Kriterien der TCFD (Task Force on Climate-related Financial Disclosures), trainiert wurde. Die beteiligten Wissenschaftler planen dieses Tool für jedermann zugänglich zu machen. Hierbei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Die TCFD selbst benutzte im Rahmen ihres Statusberichts für das Jahr 2021 ein komplexes KI-Modell, um zu beurteilen, ob eine entsprechende Unternehmensberichterstattung mit ihren Kriterien übereinstimmt. Auch der Finanzstabilitätsrat (FSB) setzte KI-gestützte Technologie bereits ein, um Unstimmigkeiten in der Unternehmensberichterstattung von Finanzdienstleistern, einschließlich deren Nachhaltigkeitsangaben, zu identifizieren. Schon jetzt zeigt sich, dass die Nutzung von KI helfen wird, zukünftige Herausforderungen bei entsprechenden Prüfungen weitaus effizienter zu bewältigen. Als solches weist es nicht nur das Potenzial auf, Behörden Untersuchungen zu erleichtern, sondern gibt auch Verbrauchern und NGOs ein machtvolles Werkzeug an die Hand, um Greenwashing-Fälle aufzudecken.

susanne.kind@pwc.com

zita.x.bevardi@pwc.com

 

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