Produktivität ermitteln, Projektfrieden schaffen

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Eines der komplexesten Themen bei der Auseinandersetzung mit gestörten Bauabläufen ist die Feststellung und Quantifizierung von Produktivitätsänderungen. In Bauverträgen mit fest vereinbartem Preis für das bestellte Werk und die damit verbundene Leistung, wie Einheitspreis- oder Pauschalvertrag, ergeben sich regelmäßig Streitigkeiten, da das Vorliegen von Produktivitätsverlusten zwar meist evident, jedoch nicht konkret in ihrer Höhe im Rahmen der vertraglichen Parameter bestimmbar ist.

Aus Sicht des Auftraggebers (AG) äußert sich ein Produktivitätsverlust üblicherweise in Verzug und aus der Sicht des Auftragnehmers (AN) in der Unterdeckung der Kosten. Dabei kommt es häufig zu einseitigen Darstellungen der beteiligten Akteure, die bei Uneinigkeit über die zu Grunde liegenden Sachverhalte zu Streit führen.

Was ist eine Produktivitätsminderung?

Die Wirtschaftswissenschaften definieren Produktivität als Leistung je Produktionseinheit oder auch als Verhältnis von Output zu Input. Angewandt auf Bauprojekte steht vorwiegend das Verhältnis von produktiven Arbeitskräften und Geräten als Produktionseinheit zur Dauer der Leistungserbringung bei der Beschreibung der Produktivität im Vordergrund.

Kommt es bezüglich des geplanten Bauablaufs zu Änderungen oder Störungen, lässt sich das durch den AN kalkulierte Kosten-Leistungsverhältnis mitunter nicht mehr realisieren. Dabei treten Faktoren auf, die sich sowohl aus der Risikosphäre des AG, als auch aus der Risikosphäre des AN ergeben können.

AN-induzierte Faktoren sind in erster Linie die nicht Verfügbarkeit oder der Ausfall der notwendigen Produktionsmittel. Der AG beeinflusst die Produktivität meist durch das Unterlassen der rechtzeitigen Bereitstellung von Baufreiheit oder der Planung sowie durch Änderungswünsche. Hinzu kommen Störungen, die weder AG, noch AN beeinflussen können, wie das Wetter oder zuletzt pandemiebedingte notwendige Anpassungen der Bautätigkeit.

Wie kann die Produktivität ermittelt werden?

Um Produktivitätsverluste zu prognostizieren und zu berechnen, muss zunächst eine Methode gewählt werden, anhand derer man die Produktivität bestimmt. Zur Quantifizierung der tatsächlichen Produktivität können verschiedene Methoden herangezogen werden:

• Measured-Mile-Methode
• Earned-Value-Analyse-Methode
• Total-Labour-Cost-Methode
• Modified-Total-Labour Cost-Methode

Measured-Mile-Methode
Als Beispiel zur Anwendung dieser Methode dient ein fiktiver Straßenbau (lineare Baustelle), wobei man die Produktivität an einem Teilstück (einer Meile) fertiggestellter Straße misst und die gemessene Produktivität als Faktor für die tatsächliche Produktivität im Gesamtprojekt verwendet.

Earned-Value-Analyse-Methode
In einem Bauprojekt wird das Projektbudget aufgestellt und ein Projektzeitplan festgelegt. Das Budget wird in einzelne Aufgaben und Meilensteine unterteilt, und der Wert jeder Aufgabe wird bestimmt. Während der Ausführung der Arbeiten wird der tatsächliche Wert der geleisteten Arbeit erfasst und mit dem geplanten Wert verglichen. Die Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert und dem geplanten Wert wird als „Earned Value“ bezeichnet. Dieser Wert stellt die erbrachte Leistung bzw. den Wert der abgeschlossenen Leistung dar. Durch den Vergleich des Earned Value mit den tatsächlichen Kosten der geleisteten Arbeit kann festgestellt werden, ob das Projekt über oder unter dem Budget liegt.

Total-Labour-Cost-Methode
Die Bestimmung der „Gesamtarbeitskosten“ erfolgt hier durch die Berechnung der Arbeitskosten als Produkt aus den geleisteten Stunden und den Kosten für eine Arbeitsstunde (Stundenlohn) zuzüglich der indirekten Lohnkosten (Kosten für die Organisation und den Verbleib der Arbeitskräfte am Leistungsort).

Modified-Total-Labour Cost-Methode
Zusätzlich zur „Total-Labour-Cost-Methode“ wird hier noch ein Faktor zur Bewertung der geltenden Bauumstände hinzugerechnet, der zum Beispiel das Wetter oder andere projektspezifische Parameter berücksichtigt. Diese Faktoren sind Erfahrungswerte für den jeweiligen Parameter.

Kompensation von Produktivitätsminderungen – eine streitbehaftete Aufgabe

Produktivitätsminderungen infolge von Störungen können, basierend auf der jeweiligen Methode zur Berechnung der Produktivität, als Differenz zwischen Soll-Produktivität und der Ist-Produktivität ermittelt werden. Dabei wird regelmäßig festgestellt, dass diese Differenz lediglich geschätzt, nicht aber konkret berechnet werden kann. Insbesondere ist die Vorhersage der tatsächlichen Produktivität ungenau.

Deshalb ergibt sich die Forderung nach Kompensation von Produktivitätsminderungen durch den AN häufig im Zuge einer ex-post Betrachtung des Bauablaufs.

Die ex-post Sichtweise mit der Logik „Ist-Kosten abzüglich Soll-Kosten gleich Mehrkosten“ scheitert dabei in der Auseinandersetzung zwischen AG und AN regelmäßig daran, dass Zweifel an der korrekten Aufstellung der Soll-Kosten gehegt werden und dass ein Verschweigen von Eigenverschulden bei den Ist-Kosten vermutet wird. Dabei ist die Darstellung der Plausibilität der Soll-Kosten und die Validität der Ist-Kosten schwierig zu belegen.

Darüber hinaus existieren weitere Methoden zur Ermittlung der Folgen aus Produktivitätsverlusten. Zu nennen wären hier zum Beispiel:

1. Zeit-Kosten-Analyse: Bei dieser Methode wird die zusätzliche Zeit geschätzt, die zur Erledigung einer Aufgabe aufgrund von Produktivitätsverlusten erforderlich ist, und diese Zeit dann in zusätzliche Kosten umgerechnet.

2. Analyse der Kosten der Verzögerung: Hier werden die Kosten der Verzögerung aufgrund von Produktivitätsverlusten geschätzt, einschließlich erhöhter Materialkosten, Auswirkungen auf den gesamten Projektzeitplan und eventuell anfallende Schadensersatzzahlungen.

3. Analyse der Kosten verlorener Gelegenheiten: Es werden die potentiellen Kosten für entgangene Gelegenheiten, wie zum Beispiel entgangene Einnahmen oder entgangene Geschäftsmöglichkeiten, geschätzt, die sich aus der Verzögerung eines Projekts aufgrund von Produktivitätsverlusten ergeben können.

4. Analyse der Auswirkungen: Bei dieser Methode werden die Auswirkungen des Produktivitätsverlusts auf das Gesamtprojektbudget und den Zeitplan abgeschätzt und die Kosten für etwaige Abhilfemaßnahmen ermittelt, die zum Ausgleich des Verlusts erforderlich sind.

Im Zuge der immer stärker werdenden Bedeutung für die im Nachtragsfall anzusetzenden „tatsächlich erforderlichen Kosten“ erscheint das grundlegende Misstrauen des AG bei der Forderung des AN nach der Kompensation der Mehrkosten aus AG induzierten Produktivitätsverlusten nachvollziehbar. Die Berechnungsmethoden 1-4 beziehen sich größtenteils auf Schätzungen, die tatsächlich erforderlichen Kosten nicht unbedingt gleichkommen. Das Schätzen beginnt mitunter schon bei der Angebotskalkulation/Urkalkulation, bei der die im Wettbewerb getroffenen Annahmen unter Umständen zu optimistische Ausprägungen der erreichbaren Produktivität enthalten. Die hypothetisch ungestörte Produktivität als Grundlage einer Berechnung von Mehrkosten nach jedweder Methode zu ermitteln, ist in diesem Zusammenhang weitestgehend unabdingbar, aber häufig nicht konkret ermittelbar, oder, da spekulative Teile der Urkalkulation und Preisgestaltung dann evident werden, vom AN häufig nicht erwünscht.

So bleibt noch eine weitere Methode, und zwar

5. Analyse der Grundursache: Bei dieser Methode werden die Hauptursachen für den Produktivitätsverlust ermittelt und analysiert und die mit jeder Ursache verbundenen Kosten bestimmt, zum Beispiel die Kosten für Nacharbeit, zusätzliche Arbeitskräfte und die Miete von Geräten. Dieser Ansatz stellt insbesondere im Zusammenhang mit Stillständen infolge von Behinderungen oder gut abgrenzbaren Verschiebungen eine sinnvolle Vorgehensweise dar, ist aber für den Verlangsamungsfall weniger geeignet.

Das Produktivitätsverlust-Kosten-Vergütungsdilemma

Somit ergibt sich das streitträchtige Dilemma dadurch, dass sich AG und AN zwar über das Vorliegen von Produktivitätsverlusten einig sein können, die Quantifizierung aber scheitert oder die Positionen zu weit auseinander liegen. Eine prozessuale Auseinandersetzung über die Forderung von Mehrkosten aus Produktivitätsverlusten scheitert häufig schon an der notwendigen konkret Bauablauf bezogenen Darstellung der Ursachen für diese Art von zusätzlichen Kosten. Je nachdem von welcher Rechtsvorschrift ausgehend Mehrkosten aus Produktivitätsverlusten argumentiert werden (Behinderung, Annahmeverzug, zusätzliche Leistung etc.) ergeben sich umfangreiche Möglichkeiten, Zweifel an der Forderung zu formulieren. Die Prozesse in solchen Fällen sind dann nicht selten zeit- und kostenintensiv für beide Seiten mit unvorhersehbarem Ausgang.

Wie kann Projektfrieden geschaffen werden?

Neben der von Baurechtlern und Baubetrieblern sinnvoller Weise geforderten akribischen baubegleitenden Dokumentation des tatsächlichen Bauablaufs zur Schaffung einer „Single Source of Truth“ für die Aufbereitung des tatsächlichen Bauablaufs, ist die nachvollziehbare Auswertung der Folgen von Störungen bereits während des Bauens und die regelmäßige Kommunikation über die sich einstellenden Effekte ein Modus Vivendi, von dem AG und AN profitieren können. So kann das in Bauverträgen angestrebte partnerschaftliche Verhalten gelingen. Voraussetzung ist, dass ein AN einsieht, dass Produktivitätsverluste durch Fehlkalkulation oder Eigenverschulden entstehen können, und dass der AG nicht zuletzt im Budget berücksichtigt, dass seine unter Umständen notwendigen Eingriffe in den Bauablauf im Allgemeinen nicht nur direkte Mehrkosten sondern auch Sekundärfolgen mit sich bringen, die es zu vergüten gilt.

Nach Meinung des Verfassers liefert der Ansatz der US-amerikanischen Mechanical Contractors Association of America mit ihren „Factors Affecting Labor Productivity“ eine Grundlage zur Bemessung der Folgen von Produktivitätsminderungen die auch für Bauverträge im BGB/VOB Zusammenhang ein gangbarer Weg ist. Diese Faktoren liefern für die Berechnung der Folgen standardisierter Sachverhalte Faktoren, die auf die Produktionsmittel der jeweiligen Arbeits- oder Betriebsstunden angewendet werden, die in Folge einer Störung eine „Verlangsamung“ in der Leistungserbringung erfahren. Hier könnte beispielsweise die Vereinbarung über die Anwendung solcher Faktoren schon im Vertrag erfolgen und so eine einheitliche Grundlage zur Ermittlung der Folgekosten aus Produktivitätsminderungen geschaffen werden. Bedingung wäre ein gemeinschaftlich dokumentierter Bauablauf mit frühzeitiger Reaktion auf die sich ändernden Umstände sowie eine sich einstellende Kostentransparenz, um einen dauerhaften Projektfrieden zu gewährleisten.

 

andre.maiwald@pwc.com

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