Im Blickpunkt: TTIP, CETA und das EU-Modell zur Investitionsgerichtsbarkeit
Ein Gastbeitrag von Dr. Peter Schneiderhan
Zur Einführung: Staatliche Gerichte sind unabdingbarer Bestandteil des Rechtsstaats
Neben einer demokratischen Gesetzgebung durch frei gewählte Abgeordnete sind unabhängige Gerichte unverzichtbares Element des Rechtsstaats. Artikel 92 des Grundgesetzes (GG) vertraut die rechtsprechende Gewalt den Richtern an, welche diese durch das Bundesverfassungsgericht, die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder ausüben. Auf Ebene der Europäischen Union sichert der Gerichtshof die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge, Artikel 19 Abs. 1 Vertrag über die Europäische Union (EUV). Die staatlichen Gerichte der Mitgliedstaaten und der Europäische Gerichtshof (EuGH) erfüllen damit durch ihre Rechtsprechung verfassungs- und primärrechtlich vorgegebene Aufgaben in einem den Rechtsstaat sichernden System. Eingriffe in dieses System bedürfen einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage und einer besonderen Rechtfertigung.
Einrichtung von Investitionsgerichten
Die geplanten Handelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) enthalten jeweils Regelungen zur Errichtung von Investitionsgerichten, Investment Court Systems (aktuelle Textgrundlage: TTIP: tradoc 153955, chapter II, section 3; CETA: tradoc 154329, section F article 8.18 ff.). Diese sind Teil des dort zum Investorenschutz angelegten Streitbeilegungsmechanismus und stehen Investoren zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen die EU oder Mitgliedstaaten zur Verfügung. Dabei bleibt offen, ob es sich bei den jeweiligen „Tribunals“ tatsächlich um das von der Europäischen Kommission angestrebte „gerichtsähnliche System“ (Pressemitteilung vom 12.11.2015 zu TTIP) handelt oder „nur“ um verstetigte Schiedsgerichte. Wesentlich ist ihre Aufgabe zur verbindlichen Entscheidung über Ansprüche von Investoren gegen die EU oder Mitgliedstaaten außerhalb des europäischen Gerichtssystems.
Die Rechtsgrundlage für den Abschluss eines Abkommens zur Errichtung von Investitionsgerichten
Die Annahme einer grundsätzlichen Zuständigkeit der EU für den „Abschluss internationaler Abkommen (zur Unterwerfung unter dessen Entscheidungen)“ kann sich auf das Gutachten des EuGH 01/91 zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stützen (dort Rdnr. 40), welches u.a. auch im Gutachten 02/13 vom 18.12.2014 zum Beitritt der Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bestätigt wurde (dort Rdnr. 182). Ob allerdings Art. 207 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) mit einer Zuständigkeit der EU für den Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen im Rahmen der „gemeinsamen Handelspolitik“ als Kompetenzübertragung der Mitgliedstaaten für die Einrichtung von Investitionsgerichten angesehen werden kann, erscheint fraglich. Auch wenn man den offenen Charakter der Regelung anerkennt, ist festzustellen, dass weder dort noch in Art. 218 Abs. 6 AEUV, der vom Zustimmungsbedürfnis des Europäischen Parlaments bei Einführung eines „institutionellen Rahmen(s)“ spricht, die Kompetenz für die Errichtung einer internationalen Sondergerichtsbarkeit ausdrücklich erwähnt wird.
System europäischer Gerichtsordnung
Einen Eingriff in das europäische Gerichtssystem durch eine Zuständigkeitsübertragung an ein Drittgericht hat der EuGH bisher immer zurückgewiesen. In seinem hier einschlägigen Gutachten zur Errichtung eines Europäischen Patentgerichts 1/09 vom 08.03.2011 (den Gutachten 01/91 und 01/00 folgend) hat er an der Bedeutung des europäischen „ … System(s) von Rechtsbehelfen und Verfahren, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe gewährleisten soll (Rdnr. 70)“, festgehalten und betont, dass in dieses System nicht eingegriffen werden darf (Rdnr. 89). Diese Rechtsprechung hat er im Gutachten 02/13 bestätigt und festgestellt, dass die Möglichkeit der EU, einem Gerichtssystem beizutreten, dort seine Grenzen findet, wo die Autonomie des Unionsrechts beeinträchtigt wird (Rdnr. 183). Nicht angegriffen werden dürfen die in den Verträgen festgeschriebene „Zuständigkeitsordnung und damit die Autonomie des Rechtssystems der Union, deren Wahrung der Gerichtshof sichert“ (Rdnr. 201).
Eine konkrete Entscheidung des EuGH zu Investitionsgerichten liegt bisher nicht vor. Es ist jedoch kaum zu erwarten, dass der Gerichtshof seine Rechtsprechung, die von den nationalen Gerichten bis hin zu den Verfassungsgerichten getragen wird, aufgeben wird. Dies würde das Vorlagesystem des Art. 267 AEUV und damit die Stellung der nationalen Richter als Unionsrichter und so die gleichmäßige Umsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten erheblich erschüttern.
Es ist zu erwarten, dass Investitionsgerichte auch über europäisches Recht entscheiden müssen. Beihilfeentscheidungen – etwa im Zusammenhang mit gewährten Steuerprivilegien –, aber auch Rechtsakte der EU oder Entscheidungen im Bereich des Daten- oder Umweltschutzes, der Daseinsvorsorge, des Arbeits- und Sozialrechts können zu Rechtsfragen führen, welche Investitionsgerichte auf der Basis des durch die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit entwickelten Rechtskörpers anders entscheiden werden als europäische Gerichte unter Rückgriff auf das EU-Recht. Gerade diese zu erwartenden unterschiedlichen Entscheidungen – „nationale Gerichte wenden völkerrechtliche Abkommen der EU … nicht an“ (BMWi) – dienen als Basis der Rechtfertigung für die Errichtung von Investitionsgerichten.
Notwendigkeit und Ausblick
Investitionen in der EU müssen nicht durch ein Investitionsgericht abgesichert werden. Die in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte Praxis, Schiedsgerichte anzurufen, rechtfertigt einen solchen Eingriff in das Gerichtssystem der EU nicht. Sofern – unausgesprochen – Mitgliedstaaten vorgehalten wird, ihre Justiz genüge den Anforderungen eines modernen Investitionsschutzes nicht, ist es Aufgabe der Europäischen Kommission, im Rahmen des europäischen Semesters über das Judicial Scoreboard Schwachpunkte zu identifizieren und den Regierungen der betroffenen Mitgliedstaaten Hilfe anzubieten. Best Practice, Schulungen von Richtern, ausreichende Ausstattung der Handelsgerichte und ein europäischer Rechtsrahmen für die innereuropäische Umsetzung der Handelsabkommen sind ausreichend, um Investoren Rechtssicherheit in der Union zu garantieren.
Sind die Mitgliedstaaten nicht bereit, in die eigenen Gerichte zu investieren verbliebe eine Einbindung der Investitionsgerichte in das europäische Gerichtssystem. Dies erscheint rechtlich möglich.
Eine Vorlagepflicht für Investitionsgerichte beim EuGH müsste durch eine Änderung von Art. 267 AEUV, um diese Vorlagemöglichkeit zu eröffnen, abgesichert werden. Denkbar wäre, der Entwicklung des Einheitlichen Patentgerichts zu folgen und ein Investitionsgericht als gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten zu errichten. Damit würde es dessen Verpflichtungen zur Anwendung europäischen Rechts unterliegen. Es bestünde insbesondere die Vorgabe, bei Fragen der Auslegung des Unionsrechts diese dem EuGH vorzulegen (zum Patentgericht DOK: 16351/12 Art. 1; Referentenentwurf BMJV vom 19.11.2015, S. 12).
Denkbar wäre auch, das EFTA(European Free Trade Agreement)-Gericht zum Vorbild zu nehmen und die Zuständigkeit der Investitionsgerichte auf Ansprüche gegen die Partnerstaaten zu beschränken. Dazu bedarf es eines rechtsstaatlichen Gefälles zwischen den Vertragsparteien. Gegenüber Ländern, in denen die Rechtssicherheit von Investitionen kaum zu gewährleisten ist, erscheint dies ein rechtlich gangbarer Weg. Es würde zwar die dortige Bevölkerung um die Möglichkeit bringen, auch zum eigenen Vorteil Rechtsstaatlichkeit als Investitionsanreiz von ihrer Regierung zu fordern, könnte aber notwendige Investitionen erleichtern.
Zu fordern ist, dass die Europäische Kommission diese Rechtsfragen und -optionen klären lässt, den Weg des Art. 218 Abs. 11 AEUV beschreitet und zu diesen Fragen ein Gutachten beim EuGH einholt. Für Hoffnung sorgt, dass die Kommission die Vertragsverhandlungen bei
CETA so rasch zu dem nun vorliegenden Ergebnis geführt hat, um für ein solches Gutachten die sichere Grundlage zu schaffen und diesen Schritt gehen zu können.
Das Investitionsgericht
Neben diesen Rechtsfragen wird – sofern ein Investitionsgericht überhaupt unter den obengenannten Vorgaben eingerichtet werden soll – von den Mitgliedstaaten politisch zu entscheiden sein, wie die Wahl der Richter erfolgen soll. Die Verträge sehen die Wahl der Richter durch ein Committee (Art. 9 Abs. 2 TTIP) bzw. ein CETA Joint Committee (Art. 8.27 Abs. 2) vor. Während TTIP zur Zusammensetzung des Committee noch schweigt (nach Art. 30), enthält CETA dazu in Art. 26.1 Abs. 1 Angaben. Das CETA Joint Committee besteht aus Mitgliedern der kanadischen Regierung und der Europäischen Kommission und wird vom jeweils amtierenden kanadischen Handelsminister und dem für Handel zuständigen Kommissar geleitet. Es tagt nach einer eigenen Geschäftsordnung. Die Zusammensetzung des CETA-Investitionsgerichts liegt damit ausschließlich in der Hand der politischen Exekutive der beiden Vertragsparteien.
Die Richter müssen Juristen mit Erfahrung im International Public Law, vorzugsweise mit Spezialkenntnissen im International Investment Law (Art. 9 Abs. 4 TTIP, Art. 8.27 Abs. 4 CETA) sein. Dies trifft auch für die Richter der Berufungskammern zu (Art. 10 Abs. 7; Art. 8.28 CETA). Richterliche Erfahrung wird nicht gefordert; die Anstellung bei einer Regierung oder die Tätigkeit für eine Anwaltskanzlei oder internationale Firma ist kein allgemeiner Ausschlussgrund (Art. 11 Abs. 1 Fn 6 TTIP; Art. 8.30 Abs. 1 Fn 10 CETA).
Die fehlende Übereinstimmung dieser Regelungen mit der Magna Charta der Richter des Consultative Council of European Judges (CCJE) vom 17.11.2010 (CCJE – 2010/3) ist offensichtlich. Die Ernennungsverfahren und die Auswahlkriterien entsprechen nicht den dortigen Vorgaben, wonach die Auswahl und die Ernennung von Richtern auf objektiven Kriterien beruhen und von derjenigen Stelle getroffen werden müssen, die die Unabhängigkeit gewährleisten soll (Ziffer 5). Auch die fachliche Unabhängigkeit der Richter (Ziffer 3 Magna Charta) ist gefährdet, da Richter beider Instanzen auf sechs (TTIP) oder fünf (CETA) Jahre mit einer einmaligen Wiederwahl durch die obengenannten Gremien (Art. 9 Abs. 5.10 Abs. 5 TTIP; Art. 8.27 Abs. 5, Art. 8.28 CETA) gewählt werden.
Das Ernennungsverfahren, aber auch die Bezahlung der Richter mit einer Standgebühr (Retainer Fee, Art. 9 Abs. 12 TTIP), um ihre Verfügbarkeit sicherzustellen zeigen den Hintergrund des Gerichts als Schiedsgericht und sind wenig mit der Forderung des Europäischen Parlaments in der Entschließung vom 08.07.2015 vereinbar, wonach ein Investitionsgericht „öffentlich bestellte, unabhängige Berufsrichter“ besitzen muss (Rdnr. S 2 a d XV). Es ist unabdingbar, dass sich nicht nur das Europäische Parlament, sondern auch die Regierungen der Mitgliedstaaten und die dortigen Parlamente hierzu äußern.
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