Darum sollten kleine und große Unternehmen jetzt handeln

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Endlich kommt Bewegung in das längst überfällige deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG, siehe hier) und dieses Mal könnte es sogar schneller gehen als gedacht. Nach jetzigem Stand soll der aktuelle Gesetzentwurf am 31.03.2023 durch den Bundesrat gehen. Das neue Gesetz würde dann sogar bereits einen Monat nach Verkündung in Kraft treten. Konkret bedeuten würde dies, dass Unternehmen ab 250 Beschäftigten schon sehr zeitnah interne Meldekanäle eingerichtet haben müssten. Kleineren Firmen mit 50-249 Beschäftigten bliebe eine Übergangsfrist bis Mitte Dezember 2023.

Das Gesetzesvorhaben hat eine lange Vorgeschichte, welche bis Dezember 2020 zurückreicht. Im Dezember 2022 wurde der Entwurf dann vom Bundestag beschlossen, scheiterte jedoch im Februar 2023 an der mehrheitlichen Zustimmung im Bundesrat. Nun folgte ein zweiter Anlauf Mitte März. Die Koalitionsfraktionen hatten das Vorhaben in zwei Gesetzentwürfe aufgespalten, von denen ihrer Auffassung nach nur einer im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Die beiden Initiativen wurden im Anschluss an die Bundestagsdebatte am 17.03.2023 zur weiteren Beratung an den Rechtsausschuss überwiesen, der am 27. März darüber berät (siehe hier).

Der Entwurf setzt die EU-Direktive 2019/1937 zum Schutz von Hinweisgebern und Hinweisgeberinnen allerdings nicht vollständig um, da Beamte und Gemeinden der Länder vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind und auf die ansonsten erforderliche Änderung des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (BeamtStG) verzichtet wurde. Ein Ergänzungsgesetz enthält separate Regelungen für Beamtinnen und Beamten der Länder.

Eigentlich hätte die EU-Whistleblower-Richtlinie bereits Ende 2021 in ein nationales Gesetz umgesetzt werden müssen. Die EU-Kommission leitete bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und andere EU-Länder ein, da diese die Richtlinie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist umgesetzt haben.

Wer fällt unter den Schutz des Gesetzes?

Mit dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz wären Personen, die Missstände in Unternehmen oder Organisationen aufdecken, vor Repressalien wie Mobbing, Abmahnungen, Disziplinarverfahren oder Kündigungen geschützt, sofern die Meldung unter den vom Gesetz geschützten Anwendungsbereich fällt. Der aktuelle Gesetzentwurf geht an dieser Stelle über die Richtlinie hinaus und beschränkt sich nicht nur auf das Unionsrecht, sondern bezieht nationales Recht mit ein, wenn es sich um strafbewehrte oder bußgeldbewehrte Vergehen handelt, die Gesundheit/Leben gefährden, und stellt demnach auch Hinweise auf Straftatbestände wie Korruption oder Steuerhinterziehung unter Schutz.

Ausgeschlossen vom persönlichen Anwendungsbereich sind „Beamtinnen und Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie die sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst.“ So wäre es möglich, dass das Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet werden kann. Diese Einschränkung wird in einem zweiten Gesetzentwurf „zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz“ wieder aufgehoben.

Interner Meldekanal als zentrale Anforderung

Wenn das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz, wie aktuell erwartet, Ende März durch den Bundesrat kommt, haben Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden, öffentliche Einrichtungen und Gemeinden ab 10.000 Einwohnern voraussichtlich nur einen Monat nach Verkündung des Gesetzes Zeit, um einen sicheren internen Meldekanal vorzuweisen. Dieser wird vom Gesetzgeber allerdings nicht näher definiert. Unternehmen könnten also auch eine Telefon-Hotline oder ein E-Mail-Postfach oder einen speziellen Briefkasten für Hinweise einrichten.

Allerdings erfüllen diese Kanäle allenfalls Mindeststandards – die von Experten dringend eingeforderte Wahrung der Anonymität der meldenden Personen kann mit diesen Lösungen nicht sichergestellt werden. Die Hinweisgebenden könnten am Ende über die Stimme, Schrift oder die IP-Adresse identifiziert werden.

Auch anonymen Meldungen muss laut Gesetz nachgegangen werden

Eine der Anforderungen an die interne Meldestelle ist zudem, dass anonym eingehende Meldungen ebenfalls verpflichtend bearbeitet werden müssen. Hierfür müssen Meldekanäle angeboten werden, welche die anonyme Kontaktaufnahme und die anonyme Kommunikation zwischen Whistleblower und Meldestelle ermöglichen.

Dies ist positiv hervorzuheben, denn die Bedeutung von anonymen Hinweisen kann gar nicht oft genug herausgestellt werden. Laut dem „Whistleblowing Report 2021“ (siehe hier), einer internationalen Studie der Fachhochschule Graubünden in Kooperation mit der EQS Group, die auch mehrfach im Gesetzentwurf zitiert wird, ist im Jahr 2020 bei den Unternehmen, die anonymes Melden erlauben, jeder zweite Hinweis ohne Angaben zur Person eingereicht worden – ohne diese anonymen Meldungen würden sich die Unternehmen damit einem deutlich höheren Risiko aussetzen.

Hinweisgebersysteme als effiziente Frühwarnsysteme

Laut der oben genannten Studie konnten fast 40% der befragten Gesellschaften über 80% des finanziellen Gesamtschadens durch ihre Meldestellen aufdecken. In Deutschland war im Jahr 2020 immerhin jedes dritte Unternehmen von illegalem und unethischem Verhalten betroffen. Den dadurch entstandenen Schaden bezifferte gut ein Viertel der Befragten mit jeweils mehr als 100.000 Euro. Die drohenden finanziellen Auswirkungen von Missständen sind damit deutlich abschreckender als die Bußgelder von bis zu 20.000 Euro, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, wenn die Vorgaben nicht erfüllt werden. Hinzu können Imageschäden kommen, die häufig noch schwerer wiegen. Deshalb sollten die Verantwortlichen auf dieses effiziente Frühwarnsystem nicht leichtfertig verzichten.

Digitale Systeme als Best Practice

Viele große Unternehmen und Behörden arbeiten bereits seit Jahren mit digitalen Hinweisgebersystemen und profitierten dabei von den automatisierten Prozessen. Diese webbasierten Lösungen haben sich damit als Best Practice etabliert, denn sie sind die einzige Option, um anonym und vertraulich zu kommunizieren – es sind also auch Rückfragen möglich, was die Aufklärung der Tatbestände sehr erleichtern kann. Die Mitarbeitenden haben so Tag und Nacht Zugriff auf das Tool und können meist zwischen verschiedenen Sprachen wählen. Letzteres ist vor allem für internationale Konzerne wichtig, denn Sprachbarrieren sind eine zusätzliche Hemmschwelle für Hinweisgebende. Idealerweise sollte daher die Abgabe eines Hinweises in der jeweiligen Landessprache möglich sein.

Ein effizientes Meldesystem, das die Hinweisgebenden und deren Identität umfassend schützt, trägt auch maßgeblich dazu bei, Risiken zu identifizieren. So wird auch die Hemmschwelle bei Mitarbeitenden oder externen Stakeholdern, die vor allem vor der ersten Meldung sehr hoch ist, deutlich herabgesetzt. Denn: Nur wenn die meldenden Personen keine Repressalien befürchten müssen, leisten sie auch tatsächlich „einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen“, wie es im Gesetzentwurf ausdrücklich betont wird.

Auch bestehende Systeme müssen noch einmal auf den Prüfstand

Der Whistleblowing Report 2021 zeigt, dass vor zwei Jahren, als die Einführung des Hinweisgeberschutzgesetzes bereits terminiert war, nur jedes siebte deutsche Unternehmen bereits alle Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie erfüllt hatte. Allerdings sind auch viele Gesellschaften proaktiv tätig geworden. So verfügten hierzulande 55% der befragten Gesellschaften bereits über interne Hinweiskanäle – allerdings sollten auch diese noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden.

Denn durch die neue Gesetzgebung ändern sich auch die Anforderungen an die internen Prozesse: So sollten die Hinweisgebenden beispielsweise spätestens sieben Tage nach Eingang der Meldung eine Empfangsbestätigung erhalten, nach spätestens drei Monaten zudem eine Rückmeldung zu den geplanten oder bereits ergriffenen Maßnahmen – diese Workflows lassen sich ebenfalls automatisieren. Ebenso wie die Dokumentation, um später die Einhaltung der Fristen belegen zu können.

 

marcus.sultzer@eqs.com

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