Covid-19-Pandemie, Ukrainekrieg, geopolitische Verwerfungen, Rohstoff- und Energieknappheit und Klimakrise – Unternehmen sehen sich in den letzten Jahren anhaltenden und globalen Herausforderungen enormen Ausmaßes gegenüber. Um diese zu meistern, steigt der Bedarf der Zusammenarbeit zwischen auch im Wettbewerb miteinander stehenden Konkurrenten. Das Kartellrecht findet dabei ebenfalls in Krisenzeiten grundsätzlich uneingeschränkt Anwendung. Die jüngere kartellbehördliche Praxis und bereits erfolgte oder anstehende Gesetzesinitiativen zeigen aber, dass krisenbedingte Kooperationen in Einzelfällen erlaubt sein müssen. Die zugrundeliegende kartellrechtliche Bewertung und die von den Kartellbehörden geforderten Maßnahmen können über den akuten Notfall hinaus als Blaupause dienen. Denn die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen hat Konjunktur und wird neben dem klassischen Transaktionsgeschäft ein immer wichtigeres Instrument zur Bewältigung der multiplen Anforderungen unserer Zeit.
Kartellrechtliche Einordnung von Unternehmenskooperationen
Kooperationen zwischen Wettbewerbern, die auf derselben Marktstufe tätig sind – sogenannte horizontale Vereinbarungen – sind kartellrechtlich stets genau zu prüfen. Die grundsätzlich bestehende Vertragsfreiheit für die beteiligten Unternehmen wird durch das Kartellverbot des Artikels 101 AEUV beziehungsweise § 1 GWB gesetzlich eingeschränkt. Insoweit birgt insbesondere die Zusammenarbeit zwischen unmittelbaren Wettbewerbern die Gefahr erheblicher Wettbewerbsbeschränkungen. Wer miteinander im Wettbewerb steht, ist dabei mehr und mehr im Fluss. Technologiekonzerne dringen heute in Bereiche der traditionellen Industrieunternehmen vor, die wiederum immer mehr den digitalen Wandel durchlaufen. Unternehmen, die ehemals keinerlei Überschneidungen hatten, können über Nacht zu Wettbewerbern werden. Zwischen Wettbewerbern dürfen aber etwa Vereinbarungen über Preise, Mengenbeschränkungen oder Marktaufteilungen und vermehrt auch Absprachen über Technologien keinesfalls die Folge einer Kooperation sein. Bei einem jeweils im Einzelfall zu bewertenden Verstoß gegen das Kartellverbot drohen empfindliche Bußgelder und potentielle Schadensersatzprozesse.
Allerdings beschränken nicht alle Formen der horizontalen Zusammenarbeit den Wettbewerb. Kooperationen können erhebliche Vorteile für Verbraucher mit sich bringen. So kann beispielsweise eine Forschungs- und Entwicklungskooperation neue Innovationen ermöglichen, die die Beteiligten allein nicht oder nicht in der gebotenen Geschwindigkeit hätten entwickeln können. Mittels Einkaufsgemeinschaften können Effizienzen erzielt werden, die wiederum unmittelbar oder mittelbar den Verbrauchern weitergegeben werden. Das Benchmarking führt ebenfalls dazu, sektorenübergreifende Synergien zu ermitteln. Um vom Kartellverbot freigestellt zu werden, müssen aber je nach Art der Kooperation bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Jedes Unternehmen ist selbst verantwortlich, die kartellrechtliche Zulässigkeit seines Handelns zu bewerten. Bei Bewertungsschwierigkeiten wird in der Praxis auch immer öfter der Dialog mit den zuständigen Wettbewerbsbehörden gesucht, die dafür immer größere Offenheit zeigen und entsprechende Instrumente (zum Beispiel den Comfort Letter der Europäischen Kommission oder das Vorsitzendenschreiben des Bundeskartellamts) stärken.
Reaktionen der Wettbewerbsbehörden auf Kooperationen in Krisenzeiten
Auch wenn auf europäischer Ebene und in Deutschland stets betont wird, das Kartellrecht finde auch in Krisenzeiten uneingeschränkt Anwendung, haben die Behörden zudem im Zuge des Energienotstands aufgrund des Ukrainekriegs wie schon während der Covid-19-Pandemie Flexibilität bewiesen. Dies zeigt ein aktuelles Beispiel aus der Zuckerindustrie.
Vier deutsche Zuckerunternehmen strebten vor dem Bundeskartellamt eine Kooperation zur Verarbeitung von Zuckerrüben an, sollte diese bei einem Gasversorgungsnotstand nicht gesichert sein. Dabei sollen bei einem Produktionsausfall gegenseitige Produktionskapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Bemerkenswert daran ist vor allem, dass es sich in dieser Konstellation um direkte Wettbewerber in einem vergleichsweise konzentrierten Marktumfeld handelt. Dennoch entschied die Behörde im Ergebnis im Rahmen des eigenen Aufgreifermessens, kein Verfahren zur Prüfung der Kapazitätskooperation einzuleiten.
Auch bezüglich der Zusammenarbeit der großen deutschen Gasimporteure beim Aufbau und Betrieb von LNG-Terminals äußerte das Bundeskartellamt keine Bedenken. Dabei hob die Behörde hervor, dass den potentiell negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb aktuell offenkundige und gewichtige Vorteile für Verbraucher gegenüberstehen.
Schon während der Covid-19-Pandemie hat das Bundeskartellamt mehrere Kooperationen erlaubt, um die wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen abzufedern. Dazu äußerte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts: „Das Kartellrecht erlaubt weitgehende Kooperationen zwischen Unternehmen, wenn es dafür – wie in der aktuellen Situation – gute Gründe gibt.“ So wurde insbesondere die Kooperation zu Produktions- und Zulieferthemen für zulässig erachtet. Dabei ist jedes Mal deutlich gemacht worden, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handelt.
Auch die Europäische Kommission verteilte in der Pandemie zwar keine pauschalen Freifahrtscheine. Allerdings veröffentlichte sie im Frühjahr 2020 eine befristete Mitteilung bezüglich der kartellrechtlichen Bewertung von Kooperationen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie. Damit sollten insbesondere potentielle Versorgungsengpässe durch Kooperationen zwischen Unternehmen abgewendet werden. Im Oktober 2022 hat die Europäische Kommission diese Mitteilung aufgehoben, gleichzeitig aber eine neue Bekanntmachung veröffentlicht, die flexiblere Voraussetzungen für die informelle Beratung zwischen den Unternehmen und der europäischen Wettbewerbshüterin bietet. Darin legt sie fest, welche Anforderungen an Anfragen von Unternehmensseite zu stellen sind.
Zu Beginn des Ukrainekriegs veröffentlichten schließlich die dem Netzwerk der europäischen Wettbewerbsbehörden (European Competition Network, ECN) angehörigen Kartellbehörden eine gemeinsame Erklärung zur Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln während des Kriegs. Darin erklären die Mitglieder des ECN geschlossen, nicht gegen Kooperationen von Unternehmen vorzugehen, soweit diese zeitlich begrenzt und zur Überwindung von Versorgungsengpässen oder zur Minderung erheblicher wirtschaftlicher Schäden, die infolge des Kriegs oder aufgrund von Sanktionen der EU entstehen, unerlässlich sind. Auch in dieser Veröffentlichung wurde auf die Möglichkeit der informellen Beratung durch die Wettbewerbsbehörden hingewiesen.
Diese Instrumente werden flankiert durch anstehende umfassendere Reformen zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskooperationen, etwa im Zuge der Erneuerung der Horizontalleitlinien der Europäischen Kommission, die Anfang 2023 umgesetzt werden soll, oder im Rahmen der anstehenden GWB-Novellen, die nach Maßgabe des Anfang 2022 veröffentlichten 10-Punkte-Papiers des BMWK die Rechtssicherheit für Nachhaltigkeit im Kartellrecht erhöhen sollen.
Hohe Anforderungen an die Freistellung von Kooperationen
Auch in Krisenzeiten gilt die Faustregel: Je einschneidender die von einer Kooperation ausgehenden Beschränkungen für den Wettbewerb sind, desto höher müssen die Anforderungen an eine Freistellung vom Kartellverbot sein. Die jüngsten Entscheidungen des Bundeskartellamts enthalten hilfreiche Hinweise, worauf es bei Kooperationen ankommt. Das Bundeskartellamt nennt explizit Ringfencing-Mechanismen, Clean-Team-Strukturen oder die Hinzuziehung neutraler Drittunternehmen – Instrumente, die in der unternehmerischen Praxis ohnehin schon etabliert sind. Sie zeigen, dass mit den richtigen Vorkehrungen sowohl das Interesse der Unternehmen an notwendiger Zusammenarbeit als auch das Interesse der Kartellbehörden am Schutz des Wettbewerbs gewahrt werden kann.
Im Beispiel der Kooperation der deutschen Zuckerproduzenten machte das Bundeskartellamt klar, dass die Hürde für eine zulässige Kooperation hoch ist. Die Kooperation muss zeitlich begrenzt und freiwillig sein. Produktionskapazitäten dürfen nur gegenseitig zur Verfügung gestellt werden, wenn es durch hoheitliche Maßnahmen zu Kürzungen oder Kappungen der Gasversorgung und folglich zum Produktionsstillstand kommt. Dennoch müssen die Unternehmen auch bei Eintritt der antizipierten Notlage zunächst versuchen, die Produktionskapazitäten in anderen eigenen Standorten zu nutzen. Nur wenn dies wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre, könne darauf verzichtet werden. Dabei wird der Verband der Zuckerindustrie (VdZ) als Dritter eingesetzt, um die Kapazitäten abzufragen. Innerhalb der Kooperation ist der Informationsaustausch auf das unerlässliche Minimum zu reduzieren, um den potentiellen Einfluss auf den Wettbewerb so gering wie möglich zu halten. Insoweit läuft die Abrechnung der Verarbeitung über einen ökonomischen Berater, der den Unternehmen einen Gesamtbetrag mitteilt, ohne jedoch Produktionskosten und Berechnungsansatz offen zu legen.
Daraus lässt sich ableiten, dass es sich auch bei Kooperationen in Krisenzeiten um Einzelfallentscheidungen handelt, die von der Behörde genau überwacht werden. Wichtig sind insbesondere die zeitliche Befristung und das Einbinden neutraler Dritter. Auf diese Weise wird der Informationsfluss auf ein Mindestmaß beschränkt und den Unternehmen die Möglichkeit eines wettbewerbsschädlichen Parallelverhaltens genommen.
Ausblick für die Zukunft
Die Praxis der jüngeren Vergangenheit zeigt, dass auch die Kartellbehörden in Krisenzeiten erhebliche Flexibilität bieten und zu echten Krisenmanagern herangereift sind. Die Behörden betonten dabei stets, dass das Kartellrecht auch in Krisenzeiten gilt. Insoweit sind die Voraussetzungen für zulässige Unternehmenskooperationen noch immer sehr eng – und im Einzelfall zu eng. Bei den dazu erforderlichen Kontakten zwischen Wettbewerbern ist dies keine Überraschung. Gleichzeitig haben die anhaltenden Krisen aber eine erhöhte und aus Unternehmenssicht zu begrüßende Gesprächsbereitschaft der Behörden hervorgebracht, die künftig vermehrt helfen kann, die gegenseitigen Interessenlagen besser zu verstehen und auszugleichen.
Auch außerhalb von Krisen besteht die Möglichkeit der Kooperation zwischen Wettbewerbern. Hierbei ist die kartellrechtliche Zulässigkeit ebenso im Einzelfall anhand einer Selbsteinschätzung zu prüfen. Das Verhalten der Behörden bei Krisenkooperationen zeigt aber, dass Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern nicht per se verboten ist. Nicht alle Formen der horizontalen Zusammenarbeit beschränken den Wettbewerb in unzulässiger Weise. Aus Compliancesicht ist bei der Zusammenarbeit mit Wettbewerbern besondere Vorsicht geboten. Mit der Einrichtung der richtigen Sicherheitsvorkehrungen kann aber der Austausch wettbewerblich sensibler Daten verhindert beziehungsweise über dafür eingerichtete Clean-Teams und/oder externe Dritte ermöglicht werden.
Gerade im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld, getrieben von Inflation und steigenden Zinsen, wird die Kooperation eine immer bedeutendere Alternative zum klassischen M&A-Geschäft. Kooperationen bieten Unternehmen auch außerhalb von Krisen ein Instrument, die aktuellen und künftigen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam zu stemmen. Hier seien etwa die Energie- und Mobilitätswende, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und nicht zuletzt der Klimawandel erwähnt. Die wachsende Kommunikationsoffenheit der Behörden ist ein insoweit wichtiger Schritt, um Unternehmen zu Kooperationen und diesbezüglichem Austausch mit Wettbewerbsbehörden zu ermutigen.