Nachhaltigkeit beginnt beim eigenen betrieblichen Arbeits- und Umweltschutz

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Die in Deutschland und Europa bestehende Gesetzes- und Pflichtenvielfalt im Präventivrecht des Arbeits- und Umweltschutzes ist ein regulatorisches Beben, das die Global Player ebenso herausfordert wie den deutschen Mittelstand. Die Compliance von „Health, Safety and Environmental“ (HSE; zu deutsch: Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, SGU) galt schon immer als Disziplin, für die besondere Ausdauer und Organisationsmanagement gefordert waren. Doch wächst mit ESG (Environment, Social, Governance) und den neuen Anforderungen rund um das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) die regulatorische Compliance weiter – und damit das Risiko, den Überblick zu verlieren. Wie ist effektiv und praxisgerecht auf die Entwicklungen zu reagieren? Und welche Maßnahmen sind unabdingbar, um die Flut an Regulatorik und die damit verbundenen Pflichten im Sinne einer starken Compliance zu meistern? Und was sind wahrscheinliche Konsequenzen, wenn man es unterlässt?

Ein Blick zurück auf die Geschichte der HSE ist wichtig, um zu verstehen, wie man ESG sowie der zunehmenden Regulatorik begegnen muss, will man stark in Compliance und dem Wettbewerb voraus sein.

HSE-Compliance: Von der Industrialisierung bis ins Zeitalter von ESG

Unternehmen haben sich im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte zunächst meist wenig um Arbeitsbedingungen oder die Umwelt gekümmert. Ein massives Umweltproblem, das nicht erst mit der Industrialisierung aufkam, war die Gewässer- und Luftverschmutzung. Auch mit Blick auf die Arbeitssicherheit wurden in Deutschland erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sukzessiv bessere Verhältnisse geschaffen, da insbesondere die Stahl- und Kohleindustrie massive Defizite im Arbeitnehmerschutz hatte. Neben anderen Umständen führte dies in den 1990er Jahren zu der zunehmend etablierten HSE-Praxis. Damit waren Unternehmen zunächst noch darauf fokussiert, ausschließlich im eigenen Betrieb für sichere und umweltbewusste Verhältnisse zu sorgen. Der Aspekt der „Nachhaltigkeit“ hat hierbei noch kaum eine Rolle gespielt. Es fehlte auch an der Auseinandersetzung mit menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen oder umweltschädigendem Verhalten bei Geschäftspartnern und Lieferanten.

Deutschland und die EU haben mittlerweile weltweit die wohl umfangreichste Arbeits- und Umweltschutz-Regulatorik. Dafür kann man sich aber auch damit rühmen, die global besten Arbeits- und Umweltschutzbedingungen zu bieten. Dabei kann die HSE-Compliance als Ursprung der sozialen und umweltbewussten unternehmerischen Verantwortung verstanden werden, die lange Zeit eine Art „eigene Disziplin“ war, um den betrieblichen Arbeits- und Umweltschutz präventiv im Unternehmen sicherzustellen. Mittlerweile ist sie integraler Bestandteil des Nachhaltigkeitsmanagements und der ESG-Compliance geworden und hat dadurch nochmal erheblich an Bedeutung gewonnen.

Es muss als unternehmerisches Grundbedürfnis verstanden werden, zunächst eine rechtskonforme, betriebliche Arbeits- und Umweltschutzpraxis zu etablieren, ehe man sich um Nachhaltigkeit auf diesen Gebieten bemüht. Das Rad wird mit ESG nicht neu erfunden, denn vieles davon wird bereits durch HSE abgedeckt und muss lediglich weiterentwickelt werden.

Eine Bestandsaufnahme: Umfang und Komplexität von HSE

Ziel ist und bleibt der Aufbau einer rechtskonformen Arbeits- und Umweltschutzorganisation, die Festlegung von innerbetrieblichen Verantwortungen sowie die Prüfung und Kontrolle rechtskonformer Pflichtenerfüllung gesetzlicher und nicht-gesetzlicher HSE-Anforderungen, um sich anschließend mit der Umsetzung seiner ESG-Compliance zu beschäftigen. Die Herausforderung, dies in seiner Organisation zu meistern und auch dauerhaft sicherzustellen, ist nicht zu unterschätzen.

In Deutschland wird die Anzahl der technischen Rechtsgebiete, zu denen auch der betriebliche und soziale Arbeitsschutz sowie das Umweltrecht zählen, mit 22 angegeben. Die Rechtsbereiche zu HSE lassen sich dabei allein auf zehn reduzieren. Aus diesen zehn Rechtsgebieten – dem Arbeitssicherheitsrecht, der Anlagensicherheit, dem Brandschutz, dem Gefahrstoffrecht, dem Strahlenschutz sowie aus den Umweltbereichen die Kreislaufwirtschaft, der Boden- und Gewässerschutz, der Immissions- und Naturschutz – sind für Unternehmen in der Spitze bis zu 85 Gesetze und Verordnungen sowie ca. 225 technische Regeln zu beachten.

Aus diesen Regelwerken resultieren wiederum bis zu 7.500 Handlungspflichten. Dieser Umfang muss gewiss nicht von jedem Unternehmen in gleichem Maße berücksichtigt werden, da viele Vorgaben branchen- und unternehmensspezifisch sind. Dennoch bleibt eine Vielzahl an Normbefehlen, die für ein Unternehmen erst einmal gebündelt, strukturiert und übersichtlich zusammengetragen und in der Folge dann auch aktuell gehalten werden müssen.

Hinzu kommt: Ein Großteil der Regulatorik zur HSE-Compliance wird in der Praxis entweder als wenig pragmatisch oder aber auslegungsbedürftig und somit untauglich wahrgenommen. So jedenfalls nimmt man es in Gesprächen mit Beauftragten, Führungskräften und Mitarbeitern wahr, die für die Umsetzung der Pflichten mit in die Verantwortung genommen wurden.

Daher gilt es, den Fokus zunächst auf das Umweltstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht zu legen und in einem zweiten Schritt die Nachverfolgung und Erfüllung seiner betrieblichen Verkehrssicherungspflichten sicherzustellen. Ordnungswidrigkeitstatbestände befinden sich im Umweltrecht in unterschiedlichsten Regelwerken wie dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (§ 62 BImSchG), dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 69 BNatSchG), dem Bundes-Bodenschutzgesetz (§ 26 BBodSchG), dem Wasserhaushaltsgesetz (§ 103 WHG), dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (§ 69 KrWG) oder dem Chemikaliengesetz (§ 26 ChemG), während Umweltstraftaten in den § § 324 ff. StGB normiert sind. Dabei ist die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wie Straftaten von dem entsprechenden Vergehen sowie dem Verwaltungsrecht, insbesondere verwaltungsbehördlichen Entscheidungen, abhängig. So ist das Betreiben einer nach Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftigen Anlage nur dann als Straftat einzustufen, wenn der Betreiber keine Genehmigung für den Betrieb vorweisen kann. Man spricht von der Verwaltungsakzessorietät von Ordnungswidrigkeit und Straftat, die sicherstellt, dass niemand für etwas, das ihm verwaltungsrechtlich erlaubt wurde, strafrechtlich belangt werden kann. Dem Umfang und der Komplexität „Herr zu werden“ erfordert mehr als reine, innerbetriebliche Fachkunde.

Lösungsansatz: So meistern Sie Ihre HSE-Compliance

Compliance ist mehr als bloße Regulatorik. Und doch muss diese zunächst verstanden werden, ehe man sich um Organisation, Prozesse, Verfahren, Dokumentationen und Kommunikation bemüht. Dabei gelten insbesondere folgende vier elementare Bausteine als unabdingbar.

1. Schaffen Sie Transparenz Ihrer unternehmensspezifischen Pflichten und vermitteln Sie die Anforderungen nachvollziehbar und verständlich an kontroll- und ausführungsverantwortliche Mitarbeiter.
Rechtliche Verpflichtungen vollständig zu erfassen, ist das eine. Diese dann auch verständlich und nachvollziehbar aufbereitet zur Verfügung zu stellen, so dass es Ausführungs- und Kontrollverantwortliche und damit (in der Regel) juristische Laien verstehen, ist das andere. Daher muss zunächst sichergestellt werden, dass das Recht und seine Verpflichtungen daraus bei den Mitarbeitern ankommen, und zwar so, dass sie auch verstehen, was verlangt wird. Die Aufbereitung des Rechts in einfache und pragmatische Handlungsanweisungen ist die Grundvoraussetzung einer rechtskonformen Pflichtenerfüllung.

2. Stellen Sie die dauerhafte Aktualisierung des Präventivrechts sicher und überprüfen Sie wiederkehrend Ihre Delegation der Unternehmerpflichten auf verantwortliche Funktionen.
Neben dem bestehenden und enormen Umfang der Regulatorik kann auch die fortlaufende Rechtsentwicklung und innerbetriebliche Fluktuation zu einem weiteren Stolperstein im HSE-Management werden. Durch regelmäßige Gesetzesänderungen oder Regelanpassungen und dauerhafte Änderungen im Personalwesen ist die Aktualisierung der Rechtsvorgaben sowie neuer Verantwortungen eine große Herausforderung, die es zu meistern gilt. Beides muss immer wieder angepasst und vor allem vermittelt werden. Hier drohen Unternehmen oftmals nicht angemessen oder zeitnah zu reagieren, was Lücken und damit Non-Compliance im HSE-Management zur Konsequenz hat.

3. Die Kontroll- und Überwachungsverantwortung
Die Sicherstellung der vorgenannten, formalen Grundvoraussetzungen bringt nichts, wenn man nicht die ordnungsgemäße Erfüllung aller Aufgaben überwacht und gegenprüft. Ein innerbetriebliches, konformes Management der HSE-Dokumentationen kann im Falle eines Umwelt- oder Personenschadens und im Rahmen behördlicher Ermittlungsverfahren exkulpierend wirken und muss zwingend sichergestellt werden. Digitale Systeme können hier genauso unterstützen, wie bei automatisierter Aktualisierung des Rechts oder im Schulungsmanagement der Mitarbeiter, Verantwortung und Aufgaben praxisnah zu vermitteln. Allerdings ist darauf zu achten, dass an ein Kontrollmanagement auch ein nachgeordnetes Maßnahmenmanagement gekoppelt ist, um Non-Compliance zeitnah und effektiv abstellen zu können.

4. Überprüfung und fortlaufende Optimierung des HSE-Managementsystems
Die Auditierung der Prozesse und Verfahren macht nicht nur bestehende Risiken oder Abweichungen offenkundig, sondern ermöglicht auch Chancen, das eigene HSE-Management sukzessive weiterzuentwickeln und auf das nächste Level zu bringen. Nur durch einen prüfenden Blick von außen schließt man bestehende Lücken und kann an seiner betrieblichen Praxis arbeiten – der erste Schritt für ein nachhaltiges Management und die Bewältigung weiterer Complianceherausforderungen unserer Zeit.

Ausblick: Digitales Compliancemanagement als Chance für Unternehmen

Unabhängig von der Frage, wie man zu den Rechtsentwicklungen steht, und losgelöst von der eigenen Einschätzung, ob die Vorgaben mit der operativen Praxis vereinbar sind: Die Entwicklung deutet darauf hin, dass die Regulatorik weiter zunehmen und die HSE-Compliance weiter an Bedeutung gewinnen wird. Wer bereits in seinem eigenen Geschäft die für ihn geltenden HSE-Vorgaben nicht einhält, der wird auch hinsichtlich ESG oder LkSG scheitern. Nachhaltigkeit setzt Prävention voraus, und ESG das HSE.

Nachhaltiger Umweltschutz, menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Lieferketten und Arbeitsschutz, der nicht stagniert, sondern sich entwickelt, kann man von sich und Dritten nur erwarten, wenn auch die präventive HSE gelingt.

Unternehmen sind angehalten, ihr HSE-Management entsprechend weiterzuentwickeln und in Einklang mit dem Nachhaltigkeitsmanagement zu bringen, um eine starke Compliance sicherstellen zu können. Hier können sie den Fortschritt durch die Digitalisierung nutzen. Effektive und smarte Compliance-Management-Tools am Markt decken bereits das HSE,- ESG,- und Lieferantenmanagement nach LkSG vollständig ab, so dass Unternehmen ihre Anforderungen in allen drei Disziplinen kennen und beherrschen. Unternehmen mit einer starken digitalen Compliance verschaffen sich dadurch erhebliche Wettbewerbsvorteile.

Wichtig in diesem Zusammenhang: Implementieren Sie nur digitale Lösungen, die den Anforderungen unserer Zeit gerecht werden. Dies setzt voraus, dass sie fähig sind, Managementsysteme wie das CMS und RMS miteinander zu verbinden wie auch die Themen rund um HSE, ESG und das LkSG. Zudem sollte das Tool auch einen Mehrwert im Hinblick auf Fort- und Weiterbildung Ihrer Mitarbeiter und ein Schulungsmanagement liefern. Nur so bleiben Mitarbeiter motiviert und Unternehmen leisten einen Beitrag zur betrieblichen, sozialen Nachhaltigkeit. Durch die Anschaffung vieler verschiedener Systeme droht anderenfalls neben der Gesetzes- und Pflichtenvielfalt zusätzlich eine innerbetriebliche Systemvielfalt, die es unbedingt zu vermeiden gilt.

 

mafritsch@deloitte.de

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