3-Key-Learnings von Europas größter Compliancekonferenz

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Klimawandel, Kriege, Rezession, Coronapandemie – unsere Welt steht vor enormen Herausforderungen. Bei den Lösungsansätzen nehmen Wirtschaft und Unternehmen eine zentrale Rolle ein. Lange Zeit galt das Motto der Freiwilligkeit, doch mittlerweile bezweifeln die meisten Expertinnen und Experten, dass dies ausreichend ist – und fordern schärfere Vorschriften. Die Folge ist eine zunehmende Regulierung in der EU, wie die EU-Whistleblower-Richtlinie oder der Vorschlag für ein Gesetz über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD; siehe hier). In Deutschland tritt im Januar 2023 zudem das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG; siehe hier) in Kraft, das erstmals von Unternehmen die Prüfung der direkten Zulieferer und Lieferanten fordert.

Vor diesem Hintergrund lautete im Rahmen der „ECEC 2022“, der größten Konferenz für Compliance und Ethik in Europa, die zentrale Frage: Leben wir demnach in einer Welt, die per Gesetz dazu gezwungen werden muss, das Richtige zu tun, um gut zu sein? Das Interesse an der Diskussion dieses Themas war mit über 7.500 Teilnehmenden aus über 140 Ländern enorm. Neben den Kernthemen Compliance, Ethik und Whistleblowing nahm bei der zweitägigen Konferenz erstmals auch das Thema ESG einen größeren Raum ein.

ESG: „Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei. Wir brauchen klare Regeln.”

ESG (hier) steht für Environment, Social und Governance und ist für Investoren mittlerweile ein wichtiger Score, um ihre Anlageentscheidung nicht mehr nur nach finanziellen Kriterien zu bewerten. Immer wichtiger wird, wie Unternehmen in Sachen Umwelt, Soziales und guter Unternehmensführung aufgestellt sind. Auch wenn der Gedanke des verantwortungsvollen Investierens und Finanzierens nicht neu ist, hat sich das Thema ESG in den letzten Jahren zu einem Megatrend entwickelt. Den großen Stellenwert dieses immer noch recht jungen Fachgebiets machte Ethik-Unternehmensberaterin Dr. Bettina Palazzo deutlich, als sie ausführte, dass die Toleranz für das Fehlverhalten von Führungskräften dramatisch gesunken sei: Allein im Jahr 2018 sollen danach in den USA mehr Vorstände aufgrund ethischen Fehlverhaltens entlassen worden sein als wegen schlechter Finanzergebnisse.

Die Frage, ob wir Vorschriften für eine bessere Welt brauchen, beantwortete auch Ursula Bittner von Greenpeace Österreich mit einem eindeutigen Ja: „Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei.” Unternehmen müssten vielmehr ihr Kerngeschäft nachhaltiger gestalten, dazu gehörten zum einen klare Regeln aber auch ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. Dies adressiert an uns alle, nicht zuletzt in unserer Rolle als Konsumenten, denn es müsste nicht nur weniger produziert, sondern gleichzeitig auch weniger konsumiert werden, machte die Wirtschaftsexpertin deutlich, die bei ihrer Arbeit unter anderem das Greenwashing beleuchtet, also die irreführende und beschönigende Kommunikation über die eigenen Geschäfts- und Umweltpraktiken.

Diversity und Inklusion müssen als feste Unternehmenswerte verankert werden

Als weiteres relevantes Zukunftsthema kristallisierten sich bei der ECEC die Themen Diversity und Inklusion für die Complianceverantwortlichen in Unternehmen heraus. Ein regelrechter Weckruf war der Vortrag von Roselyn Baah, die betonte, dass es bei diesen Themen nicht um reine Pflichterfüllung durch „Check the box” gehen darf, sondern diese als feste Werte in der Unternehmenskultur verankert werden müssen. Complianceabteilungen spielten dabei eine zentrale Rolle. Sie sollten sicherstellen, dass Diversity in der Compliance kein reines Lippenbekenntnis bleibt. Baahs Handlungsempfehlungen hierfür: Complianceteams müssten regelmäßige Schulungen zu Diversity und Inklusion anbieten und zusätzlich dafür Sorge tragen, dass Fehlverhalten auch ernsthafte Konsequenzen zur Folge hat. Nur so könne der Belegschaft gezeigt werden, dass die Verantwortlichen es wirklich ernst damit meinen. „Es geht darum, kleine progressive Schritte zur Schaffung einer integrativen Kultur zu unternehmen, die unsere Unterschiede berücksichtigt. Es gibt kein Patentrezept”, erklärte die Gründerin des GRC Network, eines Online-Netzwerks für Complianceverantwortliche.

„Geschlechterdiskriminierung sollte heutzutage überhaupt kein Thema mehr sein, ist allerdings leider in vielen Unternehmen immer noch an der Tagesordnung”, kritisierte Sandra Mori, die als Botschafterin von In2law tätig ist. Die Überwindung dieser Kluft zwischen den Geschlechtern sei eine große Investition, die allerdings nicht an einem Tag erledigt werden könne. Für die italienische Rechtsanwältin ist deshalb klar: „Bevor man im Unternehmen über Compliance spricht, muss sichergestellt werden, dass Menschen innerhalb der Organisation gleich und fair behandelt und nicht diskriminiert werden.”

Umfassender Hinweisgeberschutz ist essentiell für eine integre Gesellschaft

Wie wichtig die EU-Whistleblower-Richtlinie und das kommende Hinweisgeberschutzgesetz ist, zeigte das beeindruckende Gespräch zwischen dem britischen Journalisten Philip Whiteley und dem Whistleblower Xavier André Justo (hier), der einen der größten Finanzskandale weltweit aufdeckte und dafür einen enormen Preis zahlen musste: „Ich bin bankrott, habe anderthalb Jahre meines Lebens mit meinem Sohn und meiner Frau verloren – und leide wegen der Entscheidung, aber ich würde es wieder so machen“, erklärte der Schweizer, der 18 Monate mit 40 Mitgefangenen in einer kleinen Gefängniszelle in Thailand saß.

Doch es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen bereit sind, dieses persönliche Risiko einzugehen, solange sie Gefahr laufen, beruflich und privat negative Konsequenzen zu erleiden, nur weil sie Verbrechen und Missstände aufdecken. Im Fall Justo ging es um fast 5 Milliarden Dollar, die dem malaysischen Staatsfonds 1MDB auf unlauterem Wege entnommen wurden.

Daher ist es umso wichtiger, dass Hinweisgebende in Zukunft endlich den gesetzlichen Schutz erhalten, den sie verdienen und keine Repressalien mehr befürchten müssen. In Deutschland ist es nun bald so weit: Nach aktuellem Stand könnte das neue Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG; siehe hier) im November verabschiedet werden und Anfang 2023 in Kraft treten. Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden, öffentliche Einrichtungen und Gemeinden ab 10.000 Einwohnern müssen dann einen sicheren internen Meldekanal (hier) vorweisen. Kleinere Unternehmen (zwischen 50 und 249 Mitarbeitenden) haben zwar eine Übergangsfrist bis Ende 2023, dennoch sollten diese nicht mit der Bereitstellung eines Meldekanals warten, denn Personen, die Missstände oder Rechtsverstöße melden wollen, können sich bereits vorher auf den gesetzlichen Schutz berufen. Das bedeutet: Ist kein interner Meldekanal vorhanden, können sich Hinweisgebende an die Aufsichtsbehörden auf Landes- oder Bundesebene wenden. Damit geben die Verantwortlichen das Heft des Handelns aus der Hand, was auch nicht im Sinne des Unternehmens sein kann.

Dass es aber bereits auch sehr viele positive Beispiele für gute Unternehmensführung gibt, zeigen jedes Jahr die zahlreichen Bewerbungen für den „ECEC AWARD“ (siehe hier), eine Initiative, welche die positiven Beispiele für gelungene Compliance hervorhebt, anstatt immer nur auf die Skandale zu schauen. Dieses Jahr ging die Auszeichnung für herausragende Complianceprojekte in die Schweiz: Die Novartis AG setzte sich mit ihrer innovativen Complianceinitiative im Live-Voting knapp gegen TÜV Austria durch. Das Unternehmen mit Sitz in Basel hatte ein Experiment zur Förderung der psychologischen Sicherheit durchgeführt, das Führungskräften bei der Durchführung von 1:1-Gesprächen helfen soll. Ziel des Projektes war, neue Wege zu finden, wie Unternehmen die psychologische Sicherheit zwischen Mitarbeitenden und ihren Managern erhöhen können, um so die Speak-Up-Kultur im eigenen Unternehmen zu stärken.

 

marcus.sultzer@eqs.com

 

 

Die ECEC findet auch im kommenden Jahr wieder statt. Sie haben bereits jetzt die Möglichkeit, sich hier für ein Ticket vorzumerken. Dort finden Sie auch alle Aufzeichnungen und Präsentationen der über 40 Sessions der „ECEC 2022“.

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