Als Bestandteil von systematischen Compliance-Management-Systemen hat das Hinweisgebersystem schon immer eine wichtige Rolle gespielt – nicht nur durch internationale Standards. Denn Hinweisgeber sind – wenn das System gut funktioniert – für ein Unternehmen Gold wert.
Dennoch verfügen in der EU derzeit nur wenige Mitgliedstaaten über gesetzliche Regelungen zum Hinweisgeberschutz und verpflichten Unternehmen Hinweisen strukturiert nachzugehen.1
Mit der EU-Whistleblower-Direktive sollen Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, einheitlich stärker geschützt werden (Art. 1 EU-WBL-RL).2 Die Mitgliedstaaten haben bis zum 17.12.2021 Zeit, die Direktive in nationale Gesetze umzusetzen.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat am 11.12. 2020 einen ersten Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Direktive vorgelegt.3 Einigkeit über die darin getroffenen Regelungen konnte bislang nicht erzielt werden. Ein finaler Beschluss liegt noch nicht vor.
Unternehmen sollten die Zeit nutzen ihre bestehenden Meldekanäle und Prozesse zu überprüfen, und zwar aus zwei Gründen. Zu einen werden auch in Deutschland in absehbarer Zeit verbindliche Regelungen zur Implementierung von Hinweisgebersystemen getroffen werden. Zum anderen trägt ein funktionierendes Hinweisgebersystem wesentlich dazu bei, Compliance-Risiken frühzeitig zu erkennen, diese entsprechend zu managen und das Unternehmen nachhaltig zu verbessern. Dass es hier noch Nachholbedarf gibt, zeigt auch der EY Global Integrity Report 2020. So gaben 53 Prozent der Befragten, die bereits einmal eine Meldung abgegeben haben an, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlten, dies nicht zu tun. Weiter haben sich 33 Prozent der Befragten weltweit trotz Bedenken gegen eine Meldung entschieden. Gründe dafür waren unter anderem mangelndes Vertrauen in die Wirksamkeit des Meldesystems oder das Gefühl vom Management unter Druck gesetzt zu sein die Meldung nicht abzugeben.4 Dabei werden 43 Prozent der Betrugsfälle in Unternehmen durch Hinweise aufgedeckt.5
Die Anforderungen der EU-Direktive im Überblick
Die EU-Hinweisgeberrichtline verpflichtet neben Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern und juristischen Personen des öffentlichen Sektors auch alle Unternehmen des privaten Sektors mit 50 Mitarbeitern und mehr vertrauliche Meldekanäle, 6 Prozesse zur Nachverfolgung von Hinweisen7 und dem Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien einzurichten.8
Für die Entgegennahme und Bearbeitung von Hinweisen soll eine unabhängige Meldestelle eingerichtet werden.9 Eine weitere Aufgabe der Meldestelle ist, klare und leicht verständliche Informationen über die internen und externen Meldewege zur Verfügung zu stellen.10 Daneben soll Hinweisgebern innerhalb von sieben Tagen der Eingang der Meldung bestätigt werden sowie innerhalb von drei Monaten eine Rückmeldung gegeben werden, welche Folgemaßnahmen ergriffen wurden.11
In den Schutzbereich der EU-Direktive fallen Personen, die im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße gegen Unionsrecht erlangt haben. Dies schließt sowohl (aktuelle und ehemalige) Arbeitnehmer, Auftragnehmer, Unterauftragnehmer und Lieferanten sowie deren Mitarbeiter ein.12 Entscheidend ist, dass die Person zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprachen.13 Es muss sichergestellt werden, dass die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung genannt werden, gewahrt wird, die Abgabe von Meldungen nicht behindert wird und der Hinweisgeber keinen (angedrohten) Repressalien im Zusammenhang mit seiner Meldung ausgesetzt wird.14
Dem Hinweisgeber wird freigestellt, ob er sich an die interne Meldestelle oder eine externe Meldestelle (behördliches Meldesystem) wenden möchte. Versagen beide Meldewege, weil beispielsweise keine angemessenen Folgemaßnahmen ergriffen wurden, oder besteht eine Gefahr für das öffentliche Interesse, kann der Hinweisgeber seine Meldung sogar offenlegen.15
Wird das Vertraulichkeitsgebot missachtet, die Abgabe von Meldungen beeinträchtigt oder der Hinweisgeber benachteiligt, sollen die Mitgliedstaaten entsprechende Sanktionen vorsehen.16 Der Hinweisgeber muss nicht beweisen, dass das Vertraulichkeitsgebot verletzt wurde oder er Benachteiligungen ausgesetzt war. Das Gegenteil ist der Fall. Die Beweislast dafür, dass die oben dargestellten Grundsätze nicht verletzt wurden, liegt bei den Unternehmen.17
Diskussionsstand Regierungsentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG-E)
Das BMJV hat in seinem letzten Referentenentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz den sachlichen Anwendungsbereich über die Meldung von Verstößen gegen Unionsrecht hinaus ausgedehnt. So sieht die letzte Fassung des Entwurfs vor, dass das Gesetz auch für Meldungen über Verstöße, die straf- oder bußgeldbewehrt sind, gelten soll (§2 Absatz 1 Nr.1 HinSchG-E). Die Ausgestaltung der Meldekanäle bleibt weitestgehend den Unternehmen überlassen, vorausgesetzt der Hinweisgeber kann mündlich oder in Textform berichten und auf Verlangen auch persönlich. Des Weiteren werden die Aufgaben sowie das Verfahren für Meldungen konkretisiert, beispielweise sollen die Meldestellen Kontakt zum Hinweisgeber halten, eine Stichhaltigkeitsprüfung durchführen und geeignete Folgemaßnahmen ergreifen. Darüber hinaus wird eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Hinweisgeber festgelegt, wenn dieser aufgrund seiner Meldung benachteiligt wird (§ 36 Absatz 1 HinSchG-E). Schadensersatzpflichtig soll aber auch die vorsätzliche oder grob fahrlässige Meldung unrichtiger Informationen sein (§ 37 HinSchG-E). Daneben sollen die Mitarbeiter der Meldestelle regelmäßig für die Ausübung ihrer Tätigkeit geschult werden (§ 15 Absatz 2 HinSchG-E). Sanktionsmaßnahmen und die Höhe von etwaigen Bußgeldern werden konkretisiert. So sollen Verstöße gegen das Vertraulichkeitsgebot mit einem Bußgeld bis zu EUR 20.000 sowie die Behinderung der Meldungserstattung und Ergreifen oder Androhen von Repressalien mit einem Bußgeld bis zu EUR 100.000 geahndet werden (§ 39 Absatz 4 HinSchG-E).
Der derzeitige Entwurf des HinSchG wird kontrovers diskutiert. Innerhalb der Bundesregierung bestehen große Bedenken, dass unter anderem der erweiterte Anwendungsbereich eine zusätzliche Belastung für Unternehmen bedeuten würde, 18 weshalb die Verhandlungen hierzu zunächst gescheitert sind und die bis dato diskutierte Version des HinSchG-E durch die Parteien im April abgelehnt wurde.19
Die Literatur ist der Ansicht, dass der Gesetzgeber die Gestaltungsmöglichkeiten, um einen umfassenden Schutz für Hinweisgeber und betroffene Personen zu schaffen, nicht genutzt hat.20 Stattdessen beinhalte der Referentenentwurf die nötigsten Regelungen, sei aber nicht dafür geeignet, einen umfassenden Hinweisgeberschutz zu gewähren.21
Die Beschränkung insbesondere des sachlichen Anwendungsbereiches wird in der Praxis nur schwer zu rechtfertigen sein. Es ist nicht ersichtlich, warum der Hinweisgeber, der Informationen über einen Verstoß gegen interne Richtlinien oder Verstöße gegen Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht – welche eine hohe praktische Relevanz haben22 – weniger Schutz genießen soll als ein Hinweisgeber, der einen Verstoß gegen Unionsrecht meldet. Im Gegenteil, der sachliche Anwendungsbereich sollte so wenige Einschränkungen wie möglich enthalten23, denn nur, wenn Hinweisgeber unabhängig von der Art ihrer Meldung geschützt werden, kann Vertrauen in einem funktionierenden Speak-up-Prozess aufgebaut werden.
Der Einfluss der Speak-Up-Kultur auf die Wirksamkeit von Hinweisgebersystemen
Neben der Schaffung formeller Strukturen und Prozesse zur Abgabe von Hinweisen spielt auch die „Speak-up-Kultur“ eine große Rolle für den Erfolg eines Hinweisgebersystems. Der „tone from the top“, die Beschreibung von gewünschten Verhaltensweisen in Form eines Verhaltenskodex, aber auch die regelmäßige Kommunikation und Schulungen können wesentlich dazu beitragen. Die oftmals bestehenden Unklarheiten über die möglichen Meldewege und zuständigen Ansprechpartner sollten beseitigt werden. Unternehmen sollten aber auch die informellen Aspekte, nämlich ob die niedergeschriebenen Werte dann auch gelebt werden, nicht unterschätzen. Wesentliche Faktoren hierfür sind das Vertrauen in die Unternehmensführung, die Schaffung eines ethischen Arbeitsklimas und das klare Bekenntnis zum Verbot von Benachteiligungen von Hinweisgebern sowie die Berücksichtigung von Integritätsaspekten im Human-Ressource-Lifecycle.
Die Implementierung eines Hinweisgebersystems hat auch einen positiven Einfluss auf die Kultur im Unternehmen. So wird nicht nur das Vertrauen des Wettbewerbs ins Unternehmen, sondern auch das der eigenen Mitarbeiter gestärkt.24 Das Unternehmen zeigt damit, dass Meldungen von Gesetzes-Verstößen oder beobachteten Missständen nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich gewünscht und keineswegs negativ behaftet sind.25 Dies kann ein Anreiz dafür sein, dass Hinweisgeber auf Missstände im Unternehmen aufmerksam machen und so Unternehmensrisiken frühzeitig erkannt werden können.
Fazit
Unternehmen sollten die kommende Pflicht zur Implementierung von Hinweisgebersystemen nicht als Last, sondern vielmehr als Chance sehen ihr Unternehmen nachhaltig zu verbessern. So können sie durch ein wirksames Hinweisgebersystem das Risiko für externes Whistleblowing verringern, aus den Daten frühzeitig Risiken-, Prozess- und Kontrollschwächen identifizieren und ihre Unternehmenskultur verbessern. Die EU-Hinweisgeberrichtlinie gibt hierfür die Rahmenbedingungen vor. Unabhängig davon, wie diese durch nationale Gesetzgebung konkretisiert wird, wird das Zusammenspiel von effektiven, rechtssicheren und systematischen Prozessen zur Aufnahme und Bearbeitung von Hinweisen auf der einen Seite und die Entwicklung einer vertrauensvollen Compliance- und Integritätskultur entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen sein.
Fußnoten
1 Frankreich, Ungarn, Irland, Italien, Litauen, Malta, Niederlande, Slowakei, Schweden, vgl. https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20190410IPR37529/whistleblower-neue-vorschriften-fur-eu-weiten-schutz-von-informanten.
2 Richtlinie 2019/1937 der Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10. 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABlEU Nr. L 305/17 vom 26.01. (weiter als EU-Hinweisgeber-RL).
3 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, abrufbar unter: https://www.whistleblower-net.de/wp-content/uploads/2021/02/Referentenentwurf-BMJV-WB-RL-Umsetzungsgesetz.pdf.
4 EY Global Integrity Report 2020, abrufbar unter: https://www.ey.com/en_gl/global-integrity-report.
5 Association of Certified Fraud Examiners (ACFE), Report to the Nations: 2020 Global Study on occupational Fraud and Abuse, abrufbar unter: https://acfepublic.s3-us-west-2.amazonaws.com/2020-Report-to-the-Nations.pdf.
6 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 8 Nr.1, Nr. 3, Nr. 9 S.2.
7 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 9 Nr.1, Art. 11.
8 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 19, Art. 21.
9 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 9 Nr. 1 c.
10 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 9 Nr. 1 g.
11 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 9 Nr. 1b,f.
12 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 4 Nr.1, Erwägungsgrund 38, 39,
13 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 6 Nr.1.
14 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 16 Nr.1, Art. 19 ff.
15 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 10, Art. 15.
16 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Art. 23.
17 Vgl. EU-Hinweisgeber-RL, Erwägungsgrund 93.
18 SZ/dpa/saul/jsa, 28.04.2021, in: Süddeutsche Zeitung: Koalition scheitert bei Whistleblower-Gesetz, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/whistleblower-lambrecht-unternehmen-1.5278761.
19 Newsdienst Compliance 2021, Heft 4, 410111.
20 Vgl. Dilling, J. (2021): Der Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz- Steine statt Brot für Whistleblower und betroffene Personen, in: CCZ 2021, Heft 2, S.60.
21 Vgl. Dilling 2021, S.60.
22 So auch Gerdemann, S. (2021): Referentenentwurf für ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz, in: ZRP 2021, Heft 2 S. 37.
23 So auch Dilling 2021, S. 61.
24 Vgl. Tur, K. (2020): Effektive Hinweisgebersysteme: Eigenschaften, Implementierung, Management, in: Wieland, J.; Steinmeyer, R.; Grüninger, S. (Hrsg). (2020): Handbuch Compliance-Management: Konzeptionelle Grundlagen, praktische Erfolgsfaktoren, globale Herausforderungen, 3. Aufl., Berlin: Erich Schmidt Verlag, S. 896 Rn. 31.
25 Vgl. Buchert, R. (2016): §42. Ombudsmann und Hinweisgebersysteme, in: Hauschka, C.; Moosmayer, K.; Lösler, T. (Hrsg.) (2016): Corporate Compliance: Handbuch der Haftungsvermeidung im Unternehmen, 3. Aufl., München: C.H. Beck oHG, § 42 Rn. 85, 89.