Erneut hebt der BGH in einem Beschluss vom 27.04.2022 (Az.: 5 StR 278/21) die Bedeutung von Compliance-Management-Systemen für die Bemessung einer Verbandsgeldbuße hervor. In seiner Entscheidung trifft er grundlegende Aussagen zur Zumessung von Verbandsgeldbußen und geht im Zusammenhang mit dem Abschöpfungsteil der Geldbuße auf den maßgeblichen wirtschaftlichen Vorteil und im Einzelnen auf die abzugsfähigen Posten ein. Für die Praxis zeigt sich abermals, dass die umfassende Implementierung von Compliancemaßnahmen sowie die Einrichtung eines Hinweisgebersystems nicht überschätzt werden kann – sogar im Nachgang zur Tatendeckung kommt ihre Einführung dem Unternehmen noch zugute.
Sachverhalt
Die Nebenbeteiligte, ein Straßenbauunternehmen, erzielte einen großen Anteil ihres Umsatzes durch Aufträge eines Bauhofes. Der Leiter des Bauhofes war neben der Vergabe öffentlicher Aufträge für Straßenbauarbeiten an Drittfirmen zuständig für die Verwaltung des entsprechenden Budgets. Hierbei etablierte er eine Praxis, die vorsah, dass bei der Erteilung der Aufträge entgegen des geltenden Rahmenvertrages die Auftragsvolumina pauschal festgelegt wurden. Die Nebenbeteiligte sollte nach dieser Maßgabe keine vorherige Kostenschätzung abgeben. Dies führte dazu, dass die Auftragsvolumina häufig überschritten wurden und die Nebenbeteiligte auch Arbeiten verrichtete, die nicht mehr durch das Auftragsvolumen gedeckt waren. Der Ausgleich dieser nicht abrechenbaren Arbeiten erfolgte erst, indem diese bei Folgerechnungen für andere Aufträge zusätzlich „eingepreist“ wurden.
Spätestens im Januar 2010 kam der Geschäftsführer der Nebenbeteiligten, welche mittlerweile von den Aufträgen des Bauhofes wirtschaftlich abhängig war, der Forderung des Leiters nach, eine „Gegenleistung“ für die zukünftige Vergabe von Aufträgen zu ermöglichen und übergab diesem hierfür eine Tankkarte. Der Leiter ließ sich bei der Erteilung von Straßenbauaufträgen an die Nebenbeteiligte ab diesem Zeitpunkt bewusst sachwidrig allein davon leiten, dass ihm durch die gewährte Tankkartennutzung wirtschaftliche Vorteile zukamen. Im Zuge des bereits zuvor geschaffenen „Systems der Verrechnung“ sollten die Tankkartenumsätze in den Abrechnungen als verdeckte Kick-back-Zahlungen aufgenommen werden. Die entsprechend erhöhten Rechnungen für nicht oder nicht in dem Umfang geleistete Arbeiten unterzeichnete der Leiter des Bauhofes. Die Aufträge wurden an die Nebenbeteiligte entweder direkt vergeben oder in vielen Fällen von Unternehmen „weitergereicht“, die dafür eine Provision in Höhe von 5% der jeweiligen Netto-Rechnungssumme erhielten. Auf diese Weise sollten die internen Verwaltungsvorgaben der sogenannten „Streuungsliste“ umgangen werden, um so der Nebenbeteiligten mehr Aufträge zu verschaffen, als ihr nach dieser Liste zustanden. Daneben erhielt der Leiter des Bauhofes, wie mit dem Geschäftsführer der Nebenbeteiligten vereinbart, drei Barzahlungen in Höhe von 10.000 Euro als Gegenleistung für die weitere Auftragsverschaffung. Zudem gewährte der Geschäftsführer auch dem stellvertretenden Leiter des Bauhofes Vorteile für seine Mithilfe bei der Auftragsvergabe.
Entscheidungshergang
In der Vorinstanz hatte das Landgericht Hamburg (Urteil vom 06.01.2021 – 608 KLs 5/17 5701 Js 54/14) den Geschäftsführer der Nebenbeteiligten wegen Bestechung in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Der Leiter sowie sein Stellvertreter erhielten jeweils Freiheitsstrafen wegen Bestechlichkeit, ebenfalls unter der Strafaussetzung zur Bewährung (ein Jahr und zehn Monate für den stellvertretenden Leiter und drei Jahre und zehn Monate für den Leiter des Bauhofes). Gegen die Nebenbeteiligte hat das Landgericht wegen der Straftaten des Geschäftsführers eine Geldbuße nach § 30 OWiG in Höhe von 150.000 Euro festgesetzt. Mit der von ihr eingelegten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Höhe der Geldbuße. Die Nebenbeteiligte legte ebenfalls Revision gegen den Geldbußenausspruch ein.
Die Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Nach Auffassung des BGH hatte das Landgericht die Bußgeldbemessung zutreffend anhand der relevanten Kriterien vorgenommen. Die Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG setzt sich aus einem Abschöpfungsteil und einem Ahndungsteil zusammen; sie soll den wirtschaftlichen Vorteil aus der Tat übersteigen.
Nach Ansicht der Richter habe das Landgericht den Abschöpfungsteil der Geldbuße unter Anwendung des geltenden Nettoprinzips gemäß § 17 Abs. 4 OWiG rechtsfehlerfrei bestimmt. Hierbei sei der Rohgewinn der Nebenbeteiligten, der sich aus den durch die Aufträge des Bauhofs erzielten Netto-Umsätzen ergebe, maßgeblich. Der BGH betont, es seien in diesem Zusammenhang grundsätzlich sogar grobe Schätzungen ausreichend, wenn sie auf nachprüfbaren Angaben beruhten. Der BGH bestätigt die vom Rohgewinn in Abzug gebrachte Steuer-, Sicherheits- und Kostenpauschale in Höhe von insgesamt rund 44,5%.
Instruktiv erläutert der Senat die Berechnung des maßgeblichen „wirtschaftlichen Vorteils“, die eine Saldierung voraussetzt. Dabei seien die durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächse in Form von Kosten und sonstigen Aufwendungen abzuziehen. Konkret handele es sich dabei um Aufwendungen, die durch den Erwerbsvorgang veranlasst werden beziehungsweise in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der zu ahndenden Tat stehen und ohne diese nicht angefallen wären. Maßgeblich sei somit eine tatsächliche Betrachtungsweise nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wobei die Abzugsfähigkeit jeweils anhand des Einzelfalles zu beurteilen sei. Daher ist es nach der Auffassung des BGH nicht zu beanstanden, von dem Gewinn des Nebenbeteiligten die von ihr geleisteten Schmiergeldzahlungen abzuziehen beziehungsweise diese nicht als gewinnerhöhend zu betrachten, soweit sie allein der Rückführung von Schmiergeldern dienten. Dies resultiere aus dem Nettoprinzip – dessen Folge sei es gerade, dass die rechtliche Missbilligung solcher Zahlungen außer Betracht bleibe, denn auch diese schmälerten nach der wirtschaftlichen Betrachtung gerade den „wirtschaftlichen Vorteil“ im Sinne des § 17 Abs. 4 OWiG.
Einen Abzug von Aufwendungen hingegen zu versagen, soweit diese „gänzlich unzulässig“ waren, hieße nach Ansicht des 5. Strafsenats, den gesetzlich bestimmten Maßstab zu verändern. Darin liege insbesondere ein deutlicher – gerade vom gesetzgeberischen Willen getragener – Unterschied zum Einziehungsrecht, für welches das „Bruttoprinzip“ gelte (vgl. nach § 73d StGB, § 29a OWiG). Das dem Einziehungsrecht immanente Bruttoprinzip sei bei der ordnungswidrigkeitsrechtlichen Geldbuße gerade nicht als Bemessungsmaßstab anzusetzen. Im Übrigen wird auch eine Minderung des Abschöpfungsteils um die Höhe der Steuerlast mit Blick auf die zugehörigen und endgültig abgeschlossenen Besteuerungsverfahren nicht beanstandet.
Hinsichtlich der Bemessung des Ahndungsteils, der zutreffend nach den Maßstäben des § 17 Abs. 3 OWiG festgesetzt worden sei, bestehen nach der Auffassung des BGH ebenfalls keine Bedenken. Das Landgericht habe sich zutreffend an der Bedeutung der Anlasstat und dem Ausmaß der Pflichtverletzung des Geschäftsführers sowie an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Nebenbeteiligten orientiert. Mildernd wurde etwa berücksichtigt, dass dem Straßenbauunternehmen aufgrund der Verhängung der Geldbuße eine Eintragung in das Wettbewerbsregister sowie damit einhergehend der Ausschluss von weiteren öffentlichen Vergabeverfahren drohe und auch das Risiko einer zusätzlichen zivilrechtlichen Inanspruchnahme bestehe. Insbesondere aber honorierte die Vorinstanz nach Ansicht des Senats zu Recht, dass die Nebenbeteiligte nach den Taten einen umfangreichen Selbstreinigungsprozess durchlaufen habe. Der BGH unterstreicht in diesem Zusammenhang explizit die Einführung umfassender Compliancemaßnahmen sowie eines Hinweisgebersystems.
Praxishinweise
Die Entscheidung des BGH ist nicht allein mit Blick auf die Konkretisierung der Bemessung einer zu verhängenden Geldbuße begrüßenswert. Insbesondere hebt sie nochmals die Bedeutung von Compliancemaßnahmen im Unternehmen hervor und bestätigt dabei die im Jahr 2017 ergangene Entscheidung des 1. Strafsenats, in der, soweit erkennbar, erstmals Compliance-Management-Systeme ausdrücklich als bußgeldmildernd berücksichtigt wurden (BGH, Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16). Die Einführung entsprechender Systeme wirken sich nicht nur im Vorfeld, sondern durchaus auch nach einem Verstoß im Rahmen eines Selbstreinigungsprozesses positiv für ein Unternehmen aus.
Das Gericht legt ausdrücklich dar, welche Kriterien bei der Bemessung einer Geldbuße sowohl im Abschöpfungsteil als auch im Ahndungsteil in die Bewertung einfließen. Neben der Hervorhebung der Anwendung des Nettoprinzips bei der Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils wird die Abzugsfähigkeit unterschiedlicher Aufwendungspositionen im Einzelfall erläutert. Dabei sind Steuern und Kosten für die Auftragsdurchführung (hier der Straßenbauarbeiten) ebenso abzugsfähig wie Schmiergeldzahlungen, deren rechtlich zu missbilligender Aspekt bei der Berechnung gänzlich außer Betracht bleibt. Der BGH zeichnet hier den deutlichen Unterschied zum Einziehungsrecht und dem dort vorherrschenden Bruttoprinzip.
Eine besondere Bedeutung kommt den mildernden Zumessungskriterien zu. Die Vermeidung von mittelbaren Doppelbestrafungen des Täters, etwa durch Eintragungen in relevante Register (hier Wettbewerbsregister), oder das Risiko einer zusätzlichen zivilrechtlichen Haftung fließen dabei zu Gunsten der Nebenbeteiligten in die Bewertung ein. Vor allem aber stellt der BGH erneut ausdrücklich fest, dass sich auch die im Zuge eines „Nachtatverhaltens“ eingeführten Compliancemaßnahmen durchaus positiv für das Unternehmen auswirken. Die zusätzliche Erwähnung der Implementierung eines Hinweisgebersystems spiegelt zudem die Bedeutung einer solchen Maßnahme wider, die mit dem zeitnah erwarteten Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes für zahlreiche Unternehmen in naher Zukunft auch verpflichtend sein wird. Mit Blick auf die seit dem 01.06.2022 bestehende Verpflichtung zur Abfrage des Wettbewerbsregisters entfaltet die „Selbstreinigung“, als Voraussetzung für die Löschung eines entsprechenden Eintrags, eine zusätzliche Relevanz und setzt unter anderem eine Sachverhaltsaufklärung sowie angemessene Compliancemaßnahmen voraus.
Einmal mehr wird deutlich, dass auch in Zukunft die Bedeutung von angemessenen Compliancemaßnahmen sowohl für Ermittlungsbehörden sowie im Anschluss auch für die Gerichte ein unverzichtbares Kriterium bei der Bewertung von straf- und bußgeldrechtlich relevantem Verhalten und seinen Folgen ist. Die Compliancebemühungen von Unternehmen werden stets honoriert – auch solche, die erst in Folge eines Verfahrens vorgenommen werden.
Neben dem ohnehin bestehenden Pflichtentrias im Falle von Complianceverstößen – „Aufklären, Abstellen, Ahnden“ – ist Unternehmen in jedem Fall zu empfehlen, eine umfassende Risikoanalyse durchzuführen und anschließend ein individuell zugeschnittenes Compliance-Management-System zu implementieren beziehungsweise Optimierungen und Anpassungen mit Blick auf Gesetzesverschärfungen vorzunehmen.
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