Im Blickpunkt: Die fünf großen Irrtümer hinsichtlich Wirtschaftskriminalität
Von Mirco Vedder und Ulrich Hoffmann
Irrtum Nr. 1: Fraud betrifft die anderen
Bei der Durchsicht der Tagespresse, im Fernsehen oder auch im Austausch mit Geschäftspartnern oder Freunden und Verwandten werden wir regelmäßig mit wirtschaftskriminellen Handlungen im Unternehmensumfeld konfrontiert. Ob Bilanz- oder Umweltskandale, Korruptionsnetzwerke, Preiskartelle, Untreuehandlungen oder Angriffe gegen digitale oder physische Vermögensgegenstände eines Unternehmens – sie spielen für Unternehmen im In- und Ausland in wiederkehrenden Abständen eine Rolle. Unternehmenslenker sprechen – entgegen der Analyse der einschlägigen Studien zum Thema Wirtschaftskriminalität – immer wieder davon, dass es doch eher andere Unternehmen betreffe, nicht das eigene. Interessanterweise sind nach unserer Erfahrung immer die Unternehmensentscheider dieser Ansicht, die entweder noch nicht Opfer von Unternehmensstraftaten wurden oder es bisher nur noch nicht gemerkt haben. Spätestens nach dem ersten Krisenfall spüren die Mitglieder der Geschäftsleitung, die Mitarbeiter und Eigentümer, dass Fraud kein Problem der anderen ist, sondern ein generelles. Überall da, wo Menschen und Geld in Form von Bargeld, Buchgeld oder materiellen und immateriellen Vermögensgegenständen zusammenkommen, sind die Grundvoraussetzungen für Wirtschaftsstraftaten geschaffen. Die Möglichkeiten der Durchführung und Verschleierung solcher Taten wird durch den Einsatz von Informationstechnologie noch erhöht, so dass Vermögen in noch größerem Umfang und in noch schnellerer Zeit abfließen kann.
Laut Bundeslagebild des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2016 insgesamt 57.546 Fälle registriert mit einem Gesamtschaden in Höhe von 2,970 Milliarden Euro. Darin nicht enthalten sind Wirtschaftsstraftaten, die von Staatsanwaltschaften und/oder von Finanzbehörden unmittelbar und ohne Beteiligung der Polizei bearbeitet wurden (etwa Wettbewerbsdelikte [insbesondere der Produkt- und Markenpiraterie], Gesundheitsdelikte, Arbeitsdelikte und Subventionsbetrug) sowie Korruptions- und Cybercrimedelikte.
Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts gab es im vergangenen Jahr 3.469.039 Unternehmen in Deutschland. Das bedeutet, dass mindestens jedes 60. Unternehmen in Deutschland im Jahr 2016 von Fraud betroffen war und einen durchschnittlichen Schaden in Höhe von rund 52.000 Euro hatte.
Aufgrund der in der Statistik fehlenden Korruptions- und Cybercrimedelikte ist die Dunkelziffer jedoch deutlich höher. Nur in geschätzt einem von zehn Fällen werden Strafanträge gestellt, die bei der Polizei bearbeitet werden. Berücksichtigt man auch diese Fälle, erhöhen sich die Anzahl der tatsächlichen Delikte und der Schaden um ein Vielfaches.
Irrtum Nr. 2: Fraud ist sicher zu verhindern
In der populärwissenschaftlichen Literatur werden Wirtschaftsstraftaten mit dem sogenannten „Fraud-Triangle“ erklärt. Danach wird die Wahrscheinlichkeit von Fraud im Unternehmen durch die Summe der Eintrittswahrscheinlichkeit der Faktoren Gelegenheit, Motivation und Rechtfertigung bestimmt. Dabei handelt es sich bei der Gelegenheit generell um die mögliche Überwindung des unternehmerischen internen Kontrollsystems, das mehr oder weniger gut entwickelt ist. Die Motivation wird durch die inneren Beweggründe eines Mitarbeiters in seinem privaten wie beruflichen Umfeld bestimmt. Mit der Motivation eng verbunden ist die Rationalisierung des Mitarbeiters, der zur Erklärung seiner Taten unterschiedliche kognitive Vorgänge verwendet, durch die er seine Taten mit gemachten Erfahrungen, Erlebnissen oder Beobachtungen nachträglich zu erklären versucht. Während die Motivation noch von externen Einflüssen geprägt ist, ist die Rationalisierung stark individualisiert.
Ein probates Mittel von Unternehmenslenkern zur Sicherstellung der Unternehmensziele und zur Reduzierung von Vermögensschäden sind Organisationsstrukturen zur Steuerung und Kontrolle von Unternehmensprozessen, aber sie sind begrenzt. Ein internes Kontrollsystem müsste sich, um wirksam bleiben zu können, jeder prozessualen Weiterentwicklung im Unternehmen in einer Geschwindigkeit anpassen, in der ein Mitarbeiter keine Möglichkeit hat, dieses System in seiner Gesamtheit zur verstehen, die Lücken zu erkennen und diese auszunutzen.
Die Aufdeckung und insbesondere die Prävention von Wirtschaftsstraftaten werden deutlich schwieriger, wenn dieser Mitarbeiter mit externen Dritten zusammenarbeitet. Denn sobald Unternehmenstätigkeiten und Absprachen ohne entsprechende Dokumentation außerhalb des Unternehmens stattfinden, ist das interne Kontrollsystem beeinträchtigt. Sicher reduziert sich die Fraud-Wahrscheinlichkeit in einem Unternehmen mit ausgeprägten Kontrollstrukturen und Mitarbeitern, die gerne zur Arbeit gehen. Doch jeder Geschäftskontakt mit Außenstehenden erhöht das Risiko von Wirtschaftsstraftaten.
Irrtum Nr. 3: Die Täter sind in der Regel neue Mitarbeiter
In zahlreichen Studien werden Profile der klassischen Wirtschaftsstraftäter vorgestellt: männlich, zwischen 35 und 50 Jahre alt, gut ausgebildet, mit selbstbewusster Einstellung und leicht egomanischem Charakter. Ein solches Profil ist sicher hilfreich, um sich dem Thema Wirtschaftskriminalität zu nähern, spiegelt die Realität aber nur bedingt wider. Die Erfahrung zeigt, dass die Merkmale der Täter sehr stark vom Einzelfall abhängen und dass die Täter auch weiblich, unter 35 und über 50 Jahre alt, eher schüchtern, zurückhaltend und genügsam sein können. Gemein haben alle diese Profile eines: Sie haben zu Positionen in einer Vertrauensstellung geführt, die die Betroffenen in die Lage versetzt, Entscheidungen mit Vermögensdispositionen höheren Ausmaßes zu treffen. Das Erlangen einer solchen Vertrauensstellung braucht Zeit und ist damit eine Frage der Dauer der Firmenzugehörigkeit. Je länger ein Mitarbeiter im Unternehmen tätig ist, desto besser ist er vernetzt und umso mehr Vertrauen genießt er, möglicherweise lässt auch die Kontrolle nach. Er kennt die Unternehmensprozesse, die Schwächen der IT-Systeme und der Mitarbeiter, kann diese mit Fehl- oder Falschinformationen täuschen und Auffälligkeiten mit teilweise sehr komplexen Regularien oder anderen scheinbar nachvollziehbaren Gründen erklären. Er ist damit der ideale Wirtschaftsstraftäter.
Irrtum Nr. 4: Kleine Unternehmen – geringes Risiko; große Unternehmen – hohes Risiko
Viele Unternehmer von kleinen Gesellschaften (bis 25 Mitarbeiter) sind der Ansicht, dass sie im Vergleich mit größeren Gesellschaften deutlich weniger von Wirtschaftskriminalität betroffen seien. Häufige Argumente sind die ausgeprägte Menschenkenntnis und die Erfahrung des Unternehmers bei der Einstellung neuer Mitarbeiter, die umfassende Kenntnis der Unternehmensprozesse, Kunden, Lieferanten und bestehenden Mitarbeiter, das richtige Näschen beim Aufspüren von Auffälligkeiten oder sogar Unregelmäßigkeiten und die Fähigkeit, im Fall einer Wirtschaftsstraftat rigoros und konsequent dagegen vorzugehen. Diese Ansichten sind grundsätzlich nachvollziehbar. Allerdings wird dabei häufig übersehen: Oft informiert sich ein Unternehmer nicht mittels weiterer Quellen über die Herkunft und Hintergründe seiner Mitarbeiter. Es sind auch keine diagnostischen Instrumente zur Mitarbeitereinschätzung im Einsatz. Regelmäßig sind die Kontrollstrukturen nur mäßig entwickelt. Die dargestellte Fähigkeit des Unternehmers als die umfassende Steuerungs- und Kontrollinstanz nimmt mit jedem weiteren Mitarbeiter ab. Da die Wahrscheinlichkeit, einen potentiellen Wirtschaftsstraftäter einzustellen, annahmegemäß normalverteilt ist, muss der Unternehmer einer kleineren Gesellschaft davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Fraud-Falls unter sonst gleichen Umständen nicht geringer ist als in einem größeren Unternehmen.
Irrtum Nr. 5: Heilen ist besser als Vorbeugen
Wer schon einmal einen Fraud-Fall hatte, der kann sich in die Situation des Geschäftsführers A. hineinversetzen. Erst kam der externe Hinweis, dann weitere Informationen von Mitarbeitern. Irgendwann war der Geschäftsführer gezwungen zu handeln. Dabei stand er vor der Entscheidung, die Behörden einzuschalten oder nicht. Er entschied sich für die interne Ermittlung. Es ging um Korruptions- und Untreuevorwürfe, die durch die beauftragte Sonderuntersuchung bestätigt wurden. Der Täter und ein Schaden in Höhe von rund 380.000 Euro wurden ermittelt. Die Tathandlungen erstreckten sich über einen Zeitraum von fünf Jahren. Der Täter wurde außerordentlich gekündigt, es wurde versucht, einen Teil des Schadens erstattet zu bekommen. Teilweise mussten Bilanzen und die Steuererklärungen korrigiert werden. Die Kosten für die Aufdeckung und rechtliche Weiterverfolgung waren fünfstellig. Die Gesamtkosten lagen damit bei über 400.000 Euro. A. sah vor dem Fall keine Veranlassung, sich mit Fraud-Prävention zu beschäftigen. Eine Durchführung von internen Revisionen hielt er nicht für erforderlich.
In der Medizin gilt der Grundsatz „Vorbeugen ist besser als Heilen“, im o.g. Fall wurde dieser Grundsatz im Zusammenhang mit Fraud missachtet. Hätte Geschäftsführer A. eine interne Revision installiert, hätte diese eine abschreckende Wirkung gehabt, der Fraud-Fall wäre wahrscheinlich früher aufgedeckt worden, und durch die interne Revision wären die Prozesse seines Unternehmens zugleich noch verbessert worden.
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