Das Ende traditioneller Unternehmensermittlungen?

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Die Anwälte von heute verlassen sich bei Due-Diligence-Prüfungen, der Identifizierung von Vermögenswerten, der Unterstützung bei Rechtsstreitigkeiten und bei Cyberuntersuchungen auf Corporate-Intelligence-Unternehmen. Unternehmensjuristen und Anwälte in Anwaltskanzleien können aus den Erfahrungen der Wirtschaftsdetekteibranche ebenfalls wertvolle Lehren ziehen. Künstliche Intelligenz (KI) zwingt viele Ermittlungsberater dazu, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben. Angesichts der anhaltenden globalen Gesundheitskrise wird der Anreiz, sich auf maschinelles Lernen statt auf Menschen zu verlassen, immer stärker.
Die Berater und ihre Dienstleister wissen aus eigener Erfahrung, dass technische Innovationen heute ganze Betriebe in einem noch nie dagewesenen Ausmaß beeinflussen. Führungskräfte erwarten aufgrund der Allgegenwart von Suchmaschinen Antworten auf rechtliche Fragen innerhalb von Minuten, nicht von Tagen. Die heutigen Anwälte und die von ihnen betreuten Unternehmen müssen bereit zur Veränderung sein. Sie erwarten auch von ihren Ermittlungsberatern, dass sie trotz der Bedrohung durch Betrug, Cyberangriffe und der globalen Gesundheitskrise in der Lage sind, bahnbrechende Technologien einzusetzen.
Angesichts der Pandemie, die die Art und Weise, wie wir Geschäfte machen, stetig verändert, ist es wichtig, die Rolle von Spitzentechnologie bei Ermittlungen anzusprechen. Das bedeutet, die Corporate-Intelligence-Industrie, die Unternehmensjuristen, Rechtsanwälte und andere Rechts- und Compliancepraktiker berät, muss sich selbst zukunftssicher machen.
Wie wird sich das Corporate-Intelligence-Geschäft in den kommenden Jahren verändern? Und wie können sich die Vermittler von (oft geheimen) Informationen einen Weg in die Zukunft bahnen?

Ein Blick auf die Aussichten von Unternehmensermittlungen inmitten des Aufstiegs von KI kann Rechtspraktikern dabei helfen, sich auf die Trends in den Bereichen Risikominderung, Betrugsprävention und anderen sensiblen Unternehmensangelegenheiten vorzubereiten.

Ein Blick in die Corporate-Intelligence-Branche
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Corporate-Intelligence-Branche, die oft sowohl interne als auch externe Anwälte im Namen von deren Kunden berät, den Ruf undurchsichtiger Geschäftspraktiken hat, die zur Wirtschaftsspionage und zum Aufspüren versteckter Vermögenswerte an exotischen Orten eingesetzt werden.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Ermittlungen im Auftrag von Unternehmen jedoch von Nacht-und-Nebel-Aktionen hin zu einem milliardenschweren und höchst professionellen Unterfangen entwickelt. Diese Unternehmen stehen heute in den Bereichen Cyber- und Unternehmenssicherheit, Compliance, Betrugsaufdeckung, forensische Buchhaltung und Due Diligence an vorderster Front.
Die Hauptakteure reichen von Privatdetektiven und Datenbankanbietern bis hin zu multinationalen Beratungsunternehmen. Sie alle setzen zunehmend neue Technologien ein und müssen sich inmitten eines wettbewerbsorientierten Markts und kostenbewusster Kunden behaupten.
Vorträge (immer häufiger durch „Zoom“) auf den neuesten Rechtskonferenzen, von New York bis Singapur, unterstreichen drei brandaktuelle Themen, die für die Rechts- und Corporate-Intelligence-Gemeinschaften von immer größerer Bedeutung werden:
Betrug nimmt einen digitalen und grenzenlosen Charakter an, oft in Form von Cyberbedrohungen.
Weltweit operierende Unternehmen verlangen nach zuverlässigen, kostengünstigen und pandemiesicheren Lösungen für investigative Due-Diligence-Ermittlungen zur Überprüfung potentieller Geschäftspartner.
Ermittlungsunternehmen bieten mehr KI-orientierte Dienstleistungen an.
Als Reaktion darauf setzen Corporate-Intelligence-Unternehmen zunehmend neue Technologien wie KI in einem wettbewerbsorientierten Markt mit kostenbewussten Kunden ein.
Aber ist KI wirklich der Retter von Unternehmensermittlungen? Oder drängt sie den Handel letztlich dazu, sich auf Produkte zu verlassen, die schnell zur billigen Handelsware werden könnten – genauso wie bei hochfrequentierten und repetitiven juristischen Aufgaben, die bereits heute schon von KI-basierten Drittanbietern, wie InCloudCounsel oder AxiomAI, erledigt werden?

Der Aufstieg der künstlichen Intelligenz bei Unternehmensuntersuchungen: brandneu oder brandgefährlich?
Angesichts der sich ständig weiterentwickelnden Betrugsschemata und des Wettbewerbs in der Branche waren Ermittlungsfirmen schon immer durch die Entwicklung neuer Technologien geprägt. Untersuchungskommissionen setzen zunehmend auf maschinelles Lernen, insbesondere bei Due-Diligence- und Antigeldwäscheuntersuchungen (AMLs).
Man denke zum Beispiel an die Entstehung von Onlinedatenbanken, die die Notwendigkeit von Gerichtsdienern, sich mit Aufzeichnungen manuell zu befassen, fast völlig überflüssig machen.
Heutzutage stellen Ermittlungsunternehmen auf maschinelles Lernen und automatisierte Technologien um, insbesondere wenn es um Due-Diligence- und AML-Dienstleistungen geht.
Start-ups wie Checkr und Dokumentenüberprüfungsdienste wie Onfido sagen etablierten Backgroundcheckfirmen im Niedrigpreissegment der Massen-Due-Diligence den Kampf an. Darüber hinaus bietet IBMs Watson Konzernen Betrugsbekämpfungsprogramme an, die auf KI und Massendatenanalyse basieren.
Unbeeinflusst von Reisebeschränkungen und sozialen Distanzierungsmaßnahmen, scheinen KI-gesteuerte Ermittlungsprodukte attraktiv zu sein, insbesondere für die dauerhafte Unterstützung bei Due Diligence, der Betrugsaufdeckung, der Identifizierung von Vermögenswerten und internen Untersuchungen.
Künstliche Intelligenz kann auch zur Beschleunigung der Datenfilterung und -sortierung beitragen, den Weg für Analysten ebnen und in einigen Fällen die datenintensive Arbeit von Unternehmensjuristen, Rechtsanwälten und Complianceexperten erleichtern.

Einschränkungen von KI
Dennoch kommt KI nicht ohne Einschränkungen. KI-basierte Hintergrundüberprüfungen erzeugen ein trügerisches Gefühl von Sicherheit, da man sich auf aggregierte Risikobewertungen verlässt. Dieses Vertrauen ermöglicht es den Tätern, Schlupflöcher auszunutzen und so das Risiko potentiell zu erhöhen.
Und obwohl die Cyberverteidigung Muster verwenden kann, um bestimmte Betrugsebenen aufzudecken und zu verhindern, passen sich die Kriminellen an diese Entwicklungen an, indem sie immer wieder neue Möglichkeiten schaffen und konzipieren, um Einzelpersonen und Unternehmen zu betrügen.
In einem der neuesten Fälle benutzten Kriminelle KI, um eine Stimme zu erzeugen, die einen CEO nachahmte, und gaben einem Buchhalter Anweisungen, Gelder zu überweisen. Diese Täuschung stellt eine neue Form des Phishings dar, die mit einfachen Algorithmen nur schwer zu erkennen sein wird, da sie speziell entwickelt wurde, um menschliche Schwächen auszunutzen.
Ebenso können Täuschungstaktiken, die Autoritätsvorurteile ausnutzen (etwa ein Betrüger, der sich als FBI-Agent ausgibt, um Mitarbeiter um Firmengelder zu betrügen, indem er Identitätsbetrug vorgibt), nur durch menschliches Eingreifen beendet werden.
Darüber hinaus gibt es nach wie vor noch viele andere Probleme, die eine vollständige Einbeziehung der KI in die Untersuchungen verhindern:
Kosten – wenn KI-Anwendungen für repetitive Arbeitsverfahren nicht skalierbar sind, ist es möglicherweise nicht kosteneffektiv, einen KI-Ingenieur als Ersatz für einen guten Forscher, Ermittler oder Analytiker einzustellen.
Datenzugriff – öffentliche Aufzeichnungen und proprietäre Quellen können nicht ohne weiteres von KI durchsucht werden.
Genauigkeit – künstliche Intelligenz kann noch nicht zwischen Personen und Firmen mit gebräuchlichen Namen unterscheiden, was eine Genauigkeit von nur 96% ergibt.
Handelt es sich bei KI also bereits um eine Technologie der Spitzenklasse, oder muss sie weiter ausreifen? Denn in der Welt der Unternehmensuntersuchungen gleicht sie eher einem zweischneidigen Schwert.
Wie ein Staubsaugerroboter, der sich in Ihrer Wohnung bewegt, kann ein Supercomputer möglicherweise die meisten offensichtlichen Warnsignale beseitigen. Wenn sich der Staub jedoch erst einmal gelegt hat, bleiben die schmutzigen Ecken unangetastet. Genau dort lauern Betrüger, während sich die Unternehmen weiterhin in einem selbstgefälligen (und ohne deren Wissen gefährlichen) Gefühl von Sicherheit wiegen.

Sind Detektivmethoden der alten Schule heute noch relevant?
Die Robotisierung von Intelligenz ist derzeit weder imstande, die meisten Ermittlungsmethoden der alten Schule zu ersetzen, noch kann sie die menschliche Kreativität und Neugierde bei Ermittlungen kopieren. Praxisnahe Methoden beinhalten immer noch eine persönlichere Note, insbesondere bei der Untersuchung komplexer Angelegenheiten.
Doch selbst scheinbar unkomplizierte Due-Diligence-Prüfungen bei der Einstellung von Führungskräften, potentiellen Joint-Venture-Partnern oder Akquisitionskandidaten können erfolglos sein, wenn sie keine von Menschen durchgeführten Reputationsüberprüfungen und Recherchen beinhalten.
Überweisungen auf Offshorekonten können maschinell ausgeführt werden und sich als Firmenhülle tarnen, letztlich wird die Transaktion aber von Menschen ausgeführt. Von Madoffs milliardenschwerem Schneeballsystem bis hin zu den heutigen Robocalls und Spear-Phishing-Angriffen sowie raffinierten Plänen gieriger Individuen und direktem Betrug – es bedarf immer noch der menschlichen Intervention, um Betrug zu bekämpfen, da es nicht Maschinen sind, sondern Menschen, die den Betrug begehen.
Unternehmensermittler müssen über umfassende Kenntnisse in Sachen Forschungstechniken, Überwachungsmethoden, branchenspezifische Ausrüstung und Befragungstechniken verfügen, um der von Betrügern verursachten Bedrohung Einhalt gebieten zu können.

Ermittlungspraktiken, die sich angesichts von Covid-19 weiterentwickeln
Im derzeitigen Klima, gezeichnet von der düsteren Lockdown-Situation und Quarantäne, führen private Geheimdienstmitarbeiter weiterhin Befragungen über sichere Videochatdienste durch – die gewohnten Befragungen von Angesicht zu Angesicht finden nun online statt.
Derartige Hilfsmittel müssen angesichts der Fülle von Datenschutzgesetzen und Cyberbedrohungen in der Welt der Unternehmensuntersuchungen mit großer Sorgfalt angewandt werden. Doch trotz dieser Vorschriften werden sie weiterhin in zunehmendem Maß persönliche Befragungen und Treffen ersetzen.
Ermittlungen aus der Ferne stellen eine bedeutende Möglichkeit dar, Geld einzusparen und gleichzeitig den Ermittlungsprozess zu beschleunigen. Datenerhebungen, Treffen und Interviews vor Ort werden jedoch immer ihren Platz haben, auch wenn sie zunehmend einer Rechtfertigung bedürfen, da sich die Welt infolge der Pandemie verändert.
Lokales Wissen und Beziehungspflege sind von wesentlicher Bedeutung, ebenso wie ein profundes Verständnis, das nur die menschliche Intelligenz im Zusammenhang mit Betrugsversuchen und den Methoden zu deren Verhinderung bieten kann.
In Wirklichkeit sieht es so aus, dass Personalisierung, Anpassung und intellektuelle Kreativität der Menschen immer noch die standardisierten und rigorosen Maschinenplattformen in vielen Betrugsfällen übertreffen, und daran wird sich auch in einer Pandemie nichts ändern.

Schlussfolgerung: Diese neue Welt braucht einen hybriden Ansatz
Wenn es um den Abgleich von Daten in der Welt der Unternehmensintelligenz geht, liegt der entscheidende Erfolgsfaktor darin, neue Technologien mit menschlicher Intelligenz in Einklang zu bringen. Eine menschliche Komponente ist nach wie vor notwendig, um nicht nur die größten und komplexesten Rechtsfälle, sondern auch einfache Hintergrundüberprüfungen zu bewältigen.
Tatsache bleibt, dass alle Algorithmen ihre Grenzen haben. Die Ermittlungsherausforderungen, denen sich Rechtsberater stellen müssen, sind komplex, und obwohl KI in der Lage ist, viele Möglichkeiten in kurzer Zeit zu berücksichtigen, sind Sachverhalte mit hohem Risiko nach wie vor auf menschliche Intelligenz angewiesen. Maschinelles Lernen zeigt seine Stärken bei der Verarbeitung von sich wiederholenden Daten, doch wenn zu viele einzigartige Datenpunkte im Spiel sind, gehören menschliche Instinkte und Entscheidungen, die „direkt aus dem Bauch heraus“ kommen, immer noch zu den wirksamsten Waffen gegen Betrug und andere sensible Angelegenheiten.
Das ist der Grund, weshalb die Unternehmensintelligenz grade ein starkes Wiederaufleben von retrospektiven Techniken und Initiativen erlebt. Es handelt sich zwar nicht um einen kompletten Schritt zurück in die Vergangenheit, aber die alten Vorgehensweisen nehmen wieder zu und machen sich auch auf technologischer Ebene wieder bemerkbar.
Durch den Einsatz fortschrittlicher analytischer Ansätze, kombiniert mit praxiserprobten menschlichen Erkenntnissen, können Unternehmen Betrugsangriffe wirksam aufdecken, isolieren und entschärfen.
Obwohl KI in der Rechts- und Ermittlungslandschaft immer beliebter wird, ist menschliche Intelligenz nach wie vor der einzige wirklich zuverlässige Weg, um Anwälten von Unternehmen und Kanzleien dabei zu helfen, wichtige Informationen zu erhalten und auszuwerten, um einen Fall zu begründen, eine Verteidigung aufzubauen oder eine Transaktion abzuschließen. Im Sinne einer harmonischen Vereinigung kann KI dazu verwendet werden, große Datenmengen zu zerkleinern, während Menschen ihre unnachahmlichen Fähigkeiten einsetzen, um die verzwickteren und komplizierteren Ermittlungsrätsel zu lösen.
Wenn es Unternehmensermittlern nicht gelingt, auf menschliche Intelligenz zu verzichten, müssen Anwälte auch ihre eigenen internen Ermittlungsinstrumente sorgfältig prüfen. Menschliche Ermittler sollten daher KI und fortgeschrittene Analysen nutzen, um Anwälten bessere und schnellere Beratungsdienste anbieten zu können.
Während sich die jüngsten Nachrichten und Trends auf den sich wandelnden Puls der Branche beziehen, könnte die Zukunft der Corporate-Intelligence-Industrie durchaus in dessen Vergangenheit liegen. Menschliche Intelligenz ist mehr Kunst als Wissenschaft – etwas, mit dem KI noch nicht konkurrieren kann.

bkunde@interfor.international

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