Im Blickpunkt: Verträge des Bundes und der Privatwirtschaft

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Explodierende Baukosten aufgrund der Covid-19-Pandemie hatten die Baubranche bereits im vergangenen Jahr stark beeinträchtigt. Durch den Angriff auf die Ukraine haben sich die Probleme aktuell noch verschärft und zu weiteren Preissteigerungen geführt. Kosten für Baumaterialien variieren täglich. Nahezu unvorhersehbare Preisschwankungen führen zu fast unkalkulierbaren Preisrisiken. Um dem zu begegnen, versuchen Bauunternehmen, Preisanstiege an die Bauherren weiterzugeben. Rechtlich ist dabei einiges zu beachten.

Bei Verträgen des Bundes

Mit Erlass vom 25.03.2022, hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) Sonderregelungen für den Bereich der Bundesbauverwaltung vorgegeben, die zunächst nur bis zum 30.06.2022 gelten sollten. Diese enthalten Anweisungen zur Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in neue und bestehende Verträge. Mit fast wortgleichem Inhalt hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMVI) in einem Rundschreiben für die obersten Straßenbaubehörden der Länder und die Autobahn GmbH des Bundes auf die aktuellen Entwicklungen reagiert. Die jeweiligen Bestimmungen sollen den Auswirkungen auf laufende und kommende Bundesbaumaßnahmen für die Produktgruppen Stahl und Stahllegierungen, Aluminium, Kupfer, Erdölprodukte, Epoxidharze, Holz und andere entgegenwirken. Ausweislich einer Pressemitteilung des BMWSB wurden die Regelungen mittlerweile angepasst und deren Geltungsdauer bis zum 31.12.2022 verlängert.

Wie daraus hervorgeht, können ab einem Stoffanteil von 0,5% an der Auftragssumme Preisgleitklauseln vereinbart werden. In laufenden Vergabeverfahren, bei denen die Angebote noch nicht geöffnet wurden, sind Preisgleitklauseln nachträglich einzubeziehen, Ausführungsfristen anzupassen und Angebotsfristen zu verlängern. Nach Angebotsöffnung ist das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, um die Klauseln nachträglich einbeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können.

Für bestehende Verträge haben die Bundesministerien die Anwendung der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB mit folgender Begründung anerkannt:

Die Vertragsparteien haben den Vertrag in der Annahme geschlossen, dass sich die erforderlichen Materialien grundsätzlich beschaffen lassen und deren Preise nur den allgemeinen Unabwägbarkeiten des Wirtschaftslebens unterliegen. Sie hätten den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen, wenn sie gewusst hätten, dass die Kriegsereignisse in der Ukraine derart unvorhersehbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen würden. Das Materialbeschaffungsrisiko liegt grundsätzlich in der Sphäre des Unternehmens, nicht jedoch im Fall höherer Gewalt.

Die Zumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag ist eine Einzelfallentscheidung, wobei es keine feste Grenze gibt, ab deren Überschreitung von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist. In Rechtsprechung und Literatur wird die Unzumutbarkeit bei Werten zwischen 10% und 29% sowie 15% und 25% Mengen- beziehungsweise Preissteigerungen angenommen. Dabei kommt es jedoch auf eine Gesamtbetrachtung des Vertrags an und nicht auf die einzelne Position.

Sofern im Einzelfall eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bejaht werden kann, hat das Unternehmen einen Anspruch auf Preisanpassung für die betroffenen Positionen, welche „nach den Umständen des Einzelfalls“ festzusetzen sind. Ausweislich des Erlasses/Rundschreibens ist jedenfalls eine Verpflichtung zur Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten durch den Auftraggeber regelmäßig unangemessen.

Bei Verträgen der Privatwirtschaft

Für privatwirtschaftliche Verträge gibt es keine derartigen Vorgaben. Die Sonderregeln der Bundesministerien sind nicht direkt übertragbar, könnten jedoch Indizwirkung entfalten.

Auszugehen ist hier von der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung: Die Preiskalkulation für Baumaterialien fällt grundsätzlich in den Risikobereich des Auftragnehmers. Er trägt zudem regelmäßig das Beschaffungsrisiko, also das Risiko, die erforderlichen Baustoffe rechtzeitig zu beschaffen. Dabei hat er auch andere Lieferanten anzufragen und entstehende Mehrkosten zu tragen.

Folgen für bestehende Verträge

Enthält der Vertrag eine Anpassungsregelung (wie zum Beispiel eine Stoffpreisgleitklausel), hat der Auftragnehmer das Vorliegen der Voraussetzungen für diese Anpassung darzulegen, zu beweisen und gegenüber dem Auftraggeber geltend zu machen.

Ohne entsprechende Anpassungsregelung hat der Auftragnehmer grundsätzlich keine Möglichkeit, einen Ausgleich für Preissteigerungen zu erhalten.

Sofern derartige Probleme auf objektiv unvorhersehbare Ereignisse zurückzuführen sind, ist jedoch als Sonderfall die Anwendung der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht zu ziehen, aus denen ein Recht zur Preisanpassung folgen könnte.

Von einer Störung der Geschäftsgrundlage ist auszugehen, wenn sich bestimmte Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss durch unvorhersehbare Ereignisse so schwerwiegend verändert haben, dass die Parteien unter diesen Voraussetzungen den Vertrag nicht oder nur in veränderter Form geschlossen hätten.

Hinzukommen muss allerdings, dass zumindest einem der Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Der Krieg in der Ukraine dürfte ein solch unvorhersehbares Ereignis als Ursache der bestehenden Preisproblematik darstellen. Ob dies aber die Zumutbarkeitsgrenze für einen der Vertragspartner überschreitet, ist fraglich. Zwar lassen sich anhand entsprechender Entscheidungen in vergleichbaren Situationen der Vergangenheit Rückschlüsse ziehen. Das Vorliegen der Zumutbarkeitsvoraussetzung wird dennoch für jenen Einzelfall gesondert zu beurteilen sein, zumal an einen solchen Sonderfall hohe Anforderungen zu stellen sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH hängt die Grenze der Zumutbarkeit nicht von einem starren Prozentsatz ab und ist stets im Verhältnis zum Gesamtauftrag zu beurteilen und nicht nur in Bezug auf bestimmte Leistungspositionen. Dabei kommt es auf eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls an, wobei auch die Interessen des Auftraggebers zu berücksichtigen sind, der bei seiner Finanzierung mit den vereinbarten Preisen kalkuliert hat und höhere Baukosten im Zweifelsfall nicht finanzieren kann.

Folgende Beurteilungskriterien, die im Hinblick auf die Zumutbarkeit zu berücksichtigen sind, hat die Rechtsprechung herausgearbeitet (BGH 08.02.1978 – VIII ZR 221/76 zu Ölpreis; BGH 12.01.2022 – VII ZR 8/21 zu Covid-19; OLG Hamburg IBR 2006, 80 und OLG Düsseldorf IBR 2009, 256 zu Stahlpreis): die gesetzliche und vertragliche Risikoverteilung; die Ursache und Vorhersehbarkeit der Kostenveränderung; der Grad der Kalkulierbarkeit einer Kostenveränderung; die Möglichkeit der vorherigen und/oder derzeitigen Vermeidung der Risiken; der zur Vermeidung erforderliche Aufwand; die Dauer der Störung; der Prozentsatz der Mehrkosten, bezogen auf den Gesamtpreis; die Finanzierungsrisiken des Auftraggebers sowie mögliche Wertsteigerungen durch den Einbau teurerer Materialien.

An das Kriterium der Risikovermeidbarkeit werden besonders strenge Maßstäbe angelegt. Sind Beschaffungs- und Preisprobleme bereits bei Vertragsabschluss erkennbar, kommt eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB nicht in Betracht.

Sofern die Voraussetzungen des § 313 BGB vorliegen, besteht vorrangig ein Anspruch auf Preisanpassung. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einer Partei nicht zumutbar, hat diese nachrangig ein Recht auf Rücktritt vom Vertrag oder Vertragskündigung, § 313 Abs. 3 BGB.

Bei der Preisanpassung sind die hierzu von der obengenannten Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu berücksichtigen:

Ein Anpassungsanspruch besteht in der Regel nur für die Zukunft, ab Zugang des Anspruchsbegehrens. Anpassungen sind nur soweit vorzunehmen, wie es dem Ausgleich der konkreten schutzwürdigen Interessen beider Seiten unter Berücksichtigung der Risikoverteilung entspricht. Dementsprechend besteht kein vollständiger Preisanpassungsanspruch, sondern nur bis zur Grenze der Zumutbarkeit.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist die Grenze der Zumutbarkeit anzunehmen, wenn der Gewinn des Auftragnehmers aufgezehrt ist und dieser, bezogen auf die Gesamtkosten, Verluste zu verzeichnen hätte. Bis zur Grenze der Zumutbarkeit hat der Auftragnehmer die Preissteigerungen allein zu tragen. Darüber hinaus ist die Kostenübernahme durch den Auftraggeber auf die Hälfte der tatsächlichen Mehrkosten ohne Aufschläge beschränkt.

Was für neue Verträge gilt

Bei neu abzuschließenden Verträgen ist die Aufnahme entsprechender Preisgleitklauseln empfehlenswert. Dabei sind die oben dargestellten Grundsätze für die Preisanpassung bei geschlossenen Verträgen zu berücksichtigen.

Danach sollten Klauseln ausgewogen formuliert werden und sich an der oben dargestellten grundsätzlichen Risikoverteilung orientieren. Beide Parteien sollten nicht nur einen entsprechenden Anteil an den steigenden Kosten übernehmen, sondern auch von sinkenden Kosten profitieren. Preisgleitklauseln sollten sich auf bestimmte festgeschriebene Materialien beziehen und eine objektive Beurteilung tatsächlicher Preissteigerungen ermöglichen, indem sie objektive und nachvollziehbare Bezugspunkte enthalten, die vom Auftragnehmer beziehungsweise dem Anspruchsteller nachzuweisen sind. Es sollte eine Grenze festgelegt werden, ab deren Überschreitung von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist. Diese Grenze sollte sich an den oben dargestellten Kriterien orientieren und sich auf die Gesamtkosten beziehen. Derartige Klauseln sind zudem so zu formulieren, dass sie nicht an den Hürden der AGB-Prüfung, insbesondere des § 309 Nr. 1 BGB bei Verbraucherverträgen sowie § 307 BGB bei Unternehmerverträgen, scheitern.

 

c.weyand@taylorwessing.com

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