Einleitung
Im zurückliegenden dritten Jahr der Coronapandemie mangelte es nicht an neuen Herausforderungen. Nachdem Lockdowns und Lieferengpässe weitestgehend überstanden schienen und sich allmählich eine Normalisierung abzeichnete, begann mit dem Ukrainekrieg eine neue Phase der Unsicherheit.
In wirtschaftlicher Hinsicht stehen sowohl das Jahr 2022 als auch das Jahr 2023 unter dem Eindruck von seit Dekaden nie gesehenen Inflationsraten und einer deutlichen Abkehr von der Niedrigzinspolitik des vergangenen Jahrzehnts. Dies hat teils gravierende Folgen für einzelne Branchen und beeinflusst Unternehmensbewertungen in allen Branchen.
Der vorliegende Beitrag skizziert Inflations- und Zinsentwicklungen anhand ausgewählter Parameter, erläutert die Bewertungsimplikationen und diskutiert die relevante Rechtsprechung zur Bemessung von Ausgleichszahlungen.
Inflations- und Zinsentwicklungen
Nach den hohen Inflationsraten in den 1970er und frühen 1980er Jahren, die in der Spitze rund 7,1% (1971) erreichten, waren die Jahre 1995 bis 2020 durch eine relativ niedrige Inflation von 0,5% bis 2,0% geprägt (Statistisches Bundesamt, 2023).
Nachdem in der zweiten Jahreshälfte 2020 sogar negative Preisentwicklungen zu beobachten waren, stiegen ab Frühjahr 2021 die Verbraucherpreise, unter anderem bedingt durch enorme Preissteigerungen für Energieprodukte und Nahrungsmittel sowie durch Lieferengpässe infolge der Coronapandemie, deutlich an und erreichten bereits im März 2022 Steigerungsraten von 7%, die zuletzt 1971 zu beobachten gewesen waren (siehe Abb. 1). Das bisherige Hoch ist mit 10,4% im Oktober 2022 verzeichnet worden. Seitdem schwächen sich die Preissteigerungsraten etwas ab. Ob damit das Ende der Hochinflationsphase bereits erreicht ist, bleibt abzuwarten.
Während bereits die Verbraucherpreissteigerungen im Jahr 2022 Rekordwerte annahmen, gilt dies umso mehr für die deutlich volatileren Erzeugerpreissteigerungen, die 2022 in der Spitze um ein Vielfaches (>40%) zulegten und sich gegen Ende 2022 wieder etwas abkühlten (siehe Abb. 2; Statistisches Bundesamt, 2023).
Derartig hohe Preissteigerungen werfen für Unternehmen und Bewerter folgende Fragen auf:
- Wie repräsentativ sind allgemeine Preissteigerungen für das zu bewertende Unternehmen?
- Inwieweit kann das zu bewertende Unternehmen Preissteigerungen auf der Beschaffungsseite auf seine Abnehmer überwälzen?
- Sind die derzeitigen Preisniveaus und Preissteigerungsraten nur kurzfristig, oder sind sie langfristig zu erwarten?
Da die Inflation über die Planung im Zähler oder den Wachstumsabschlag im Nenner beträchtliche Auswirkungen auf den Unternehmenswert hat, muss sich eine fundierte Unternehmensbewertung mit solchen Fragen, insbesondere mit Blick auf das Geschäftsmodell des zu bewertenden Unternehmens, detailliert auseinandersetzen. Dass es hierbei aufgrund der Zukunftsgerichtetheit von Unternehmensbewertungen auf künftige statt auf vergangene Preissteigerungen ankommt, macht diese Aufgabe keineswegs leichter.
Anhaltspunkte für von Marktteilnehmern erwartete Inflation können an Börsen gehandelte Kapitalmarktinstrumente wie inflationsindexierte Anleihen und inflationsgebundene Swaps sein. Nach einem Tiefpunkt in der frühen Phase der Coronapandemie (0,5% bis 1,0%) überschritten die so gemessenen Inflationserwartungen mit Beginn des Ukrainekrieges das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2% und liegen Ende Dezember 2022 zwischen 2,2% und 2,4% (siehe Abb. 3). Um der ungewohnt hohen Inflation Einhalt zu gebieten, hat die EZB ab Frühjahr/Sommer 2022 ihre Leitzinsen deutlich angehoben. Dies zeigt sich auch im für die Unternehmensbewertung relevanten risikolosen Basiszinssatz nach dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Nachdem dieser im Januar 2022 noch rund 0% betragen hatte, lag dieser Ende 2022 bereits bei rund 2% (siehe Abb. 4).
In Erwartung einer Rezession im Jahr 2023 lassen sich derzeit darüber hinaus erhöhte Ausfallrisikoprämien von Unternehmensanleihen beobachten (siehe Abb. 5), die damit in etwa auf dem Niveau zu Beginn der Coronapandemie liegen.
Zusammenfassend lässt sich für Unternehmensbewertungen festhalten:
- Die jüngst gemessenen Verbraucherpreissteigerungen liegen mit knapp unter 10% um ein Vielfaches höher als in den vergangenen Jahrzehnten. Die Erzeugerpreissteigerungen betragen wiederum ein Vielfaches davon.
- Die für die Unternehmensbewertung langfristig relevanten Inflationserwartungen sind derzeit mit geringfügig über 2% ebenfalls erhöht.
- Die der Unternehmensplanung zugrunde liegenden Inflationsannahmen sind unter anderem bezüglich Ausmaß, Dauer und unternehmensspezifischer Überwälzbarkeit kritisch zu würdigen.
- Das über den Wachstumsabschlag in der Bewertung zu berücksichtigende Preiswachstum dürfte derzeit unter Umständen höher als in vergangenen Jahren sein.
- Gegenläufig dazu und unternehmenswertreduzierend wirken die gestiegenen Basiszinssätze.
Nachfolgend werden die Bewertungsimplikationen im Fall eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags (BGAV) verdeutlicht.
Implikationen für die Bewertung beim BGAV
Im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen wie dem Abschluss eines BGAV dienen Unternehmensbewertungen einer fundierten Abfindungsbemessung. Bei Vertragsschluss ist den außenstehenden Aktionären neben einer Abfindung (§ 305 AktG) auch ein angemessener Ausgleich (§ 304 AktG) anzubieten. Während die Abfindung den Wert des Anteils reflektiert (Ertragswert oder diskontierter Ausgleich, Börsenkurs als Untergrenze), ist der Ausgleich als eine jährlich wiederkehrende Geldleistung (Ausgleichszahlung) im Sinne eines durchschnittlichen Gewinnanteils zu verstehen, der sich nach der bisherigen Ertragslage und den künftigen Ertragsaussichten richtet.
Diese jährliche feste Ausgleichszahlung wird durch Multiplikation des Ertragswerts mit dem sogenannten Verrentungszins ermittelt. Für die Bemessung des Verrentungszinses haben sich in Bewertungspraxis und Rechtsprechung zwei Ansätze etabliert: Sieht der Vertrag eine Klausel zum Wiederaufleben der Abfindung im Fall seiner Beendigung vor, ist der Verrentungszins aus Basiszinssatz zuzüglich Ausfallrisikoprämie (des Hauptaktionärs) zu ermitteln. Ist dies nicht der Fall, entspricht der Verrentungszins üblicherweise dem Basiszinssatz zuzüglich hälftigem Risikozuschlag der Eigenkapitalkosten (des Bewertungsobjekts). Hintergrund ist die unterschiedliche Risikoposition des außenstehenden Aktionärs bei Vertragsbeendigung. Während der Vertragslaufzeit unterliegt die Ausgleichszahlung dem Ausfallrisiko des Hauptaktionärs. Mit Vertragsbeendigung trägt der außenstehende Aktionär bei Nichtwiederaufleben der Barabfindung wieder das volle unternehmerische Risiko. Bei Wiederaufleben der Abfindung ist der Aktionär vor einer Wertreduktion geschützt, da er seine Aktie gegen Gewährung der ursprünglichen Barabfindung wieder andienen kann.
Auf Basis des jüngst gestiegenen Basiszinssatzes sind in beiden Fällen höhere Verrentungszinsen im Vergleich zu den vergangenen Jahren zu erwarten. Der relative Unterschied zwischen dem bonitätsinduzierten Ansatz (Basiszinssatz plus Ausfallrisikoprämie) und der Methode des halben Eigenkapitalkosten-Risikozuschlags hat sich jedoch deutlich eingeengt. So fällt der jeweilige Risikozuschlag relativ betrachtet nicht mehr so stark ins Gewicht wie zu Zeiten eines Basiszinssatzes nahe null. Zudem hat sich aufgrund der aktuell teilweise höheren Ausfallrisikoprämien die Differenz zwischen beiden Ansätzen reduziert. So liegen der mit hälftigem Risikozuschlag ermittelte Ausgleich und der mittels Ausfallrisikoprämie ermittelte Ausgleich derzeit wesentlich näher beieinander als in den Vorjahren.
In Bezug auf den durch den BGH höchstrichterlich als Wertuntergrenze eingezogenen diskontierten Ausgleich bei nachgelagerten Squeeze-outs verhält es sich umgekehrt: Hier führen die höheren Zinsen unter Umständen zu deutlich niedrigeren Werten für den diskontierten Ausgleich, der damit für Abfindungsbemessungen im Rahmen von Squeeze-outs weniger häufig Relevanz entfalten dürfte.
Ausblick Rechtsprechung: Börsenkurs (k)eine Basis zur Bestimmung des Ausgleichs
Der im BGAV vorgesehene Ausgleich ermittelt sich durch Verrentung des Unternehmenswerts pro Aktie. Die Bewertungspraxis ermittelt den Ausgleich in der Regel auf Basis des Ertragswerts. Gemäß langjähriger Rechtsprechung bildet der Börsenkurs die Wertuntergrenze bei der Bemessung der Abfindung. Jüngst ergangene Gerichtsentscheidungen des OLG München (Az. 31 Wx 190/20) und des OLG Frankfurt am Main (Az. 21 W 139/19) haben sich in diesem Zusammenhang auch für die (zusätzliche) Maßgeblichkeit des Börsenkurses als Basis für die Ermittlung der Ausgleichszahlung ausgesprochen und dies unter anderem mit Verweis auf „Methodenvielfalt“ begründet. Entgegengesetzt urteilte das OLG Stuttgart (Az. 20 W 8/19) und stellte klar, dass der Ertragswert selbst dann den maßgeblichen Ausgangswert zur Ermittlung des angemessenen Ausgleichs gemäß § 304 AktG bilde, wenn dieser – wie im vorliegenden Fall – unter dem Börsenkurs liege.
Aus ökonomischer Sicht ist dem OLG Stuttgart beizupflichten. So geht es im Rahmen der Ausgleichsermittlung um die finanzmathematische Verstetigung des entzogenen Ertragsstroms aus der Unternehmensplanung. Das ist nur bei Verrentung des Ertragswerts gewährleistet, da dieser explizit auf die erwarteten Erträge abstellt und diese in einer Größe kondensiert. Die Ermittlung des Ausgleichs ist nichts anderes, als diesen Wert finanzmathematisch wieder in eine konstante Ertragsreihe umzurechnen. Diese gesetzesseitig geforderte Anknüpfung an die Ertragslage dürfte beim Börsenkurs nicht immer gewährleistet sein, wohl aber beim Ertragswert. Außerdem fehlt dem Börsenkurs ein rechnerischer Bezug zum Verrentungszins.
Die Frage, ob die Ermittlung des festen Ausgleichs nach § 304 AktG anhand des Börsenkurses erfolgen darf oder der Ertragswert berücksichtigt werden muss, ist aktuell vom BGH zu beurteilen. Im Hinblick auf die Ermittlung des Verrentungszinses werden beide Ansätze in der obergerichtlichen Rechtsprechung akzeptiert. Lediglich das Kammergericht Berlin (Az. 2 W 6/17 SpruchG) hat sich gegen eine Verwendung der Ausfallrisikoprämie im Verrentungszins ausgesprochen.
Wir erwarten die abschließenden Beurteilungen des BGH in Bezug auf wesentliche Fragen der Ausgleichsermittlung daher mit großem Interesse.