Einleitung
Der Entwurf eines deutschen Lieferkettengesetzes (Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten) hat zu massiven Protesten von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden geführt. Gerügt werden zu unbestimmte Handlungsvorgaben sowie unverhältnismäßige Sanktionsandrohungen. Auch die Schwelle für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des für die Stärkung der Menschenrechte gedachten Gesetzes bei lediglich 3.000 Mitarbeitern ab 2023 (bei 1.000 Mitarbeitern ab 2024) wird als zu niedrig kritisiert. Die bisherige Diskussion wird dabei vorrangig mit Blick auf mögliche Menschenrechtsverletzungen im Ausland geführt. Der derzeit im Bundestag behandelte Gesetzentwurf enthält aber auch Vorgaben, die umweltrelevante Tätigkeiten deutscher Unternehmen im Inland betreffen. Es drohen hier erweiterte Klagebefugnisse für NGOs und Klimaklagen gegen die Freisetzung von Treibhausgasen.
Menschenrechte und Umweltbelange
Mit dem Lieferkettengesetz sollen neue menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen geschaffen werden. Als Menschenrechte werden dabei aber nicht nur das Verbot der Kinder- und Zwangsarbeit, Arbeitsschutzpflichten und Diskriminierungsverbote erfasst. Vielmehr bezieht der Gesetzentwurf auch Umweltauswirkungen unternehmerischer Tätigkeiten des eigenen Betriebs oder seiner Zulieferer in den Begriff der Menschenrechtsrisiken ein. Genannt werden hier schädliche Bodenveränderungen, Gewässer- und Luftverunreinigungen, Lärm-emissionen oder ein übermäßiger Wasserverbrauch. Voraussetzung für eine Bewertung als Menschenrechtsrisiko ist deren Eignung, die natürlichen Grundlagen zum Erhalt und der Produktion von Nahrung erheblich zu beeinträchtigen, einer Person den Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser oder zu Sanitäranlagen zu erschweren oder die Gesundheit einer Person zu schädigen.
Konkret können Menschenrechtsverletzungen somit auch durch zu hohe nächtliche Lärmemissionen einer Industrieanlage erfolgen. Auch die von Teilen der Wissenschaft behaupteten Dürreauswirkungen der Kohlendioxidkonzentration in der Erdatmosphäre sind damit potentielle Menschenrechtsverletzungen: Vertrocknete Äcker können die Produktion von Lebensmitteln beeinträchtigen. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung bedarf es folglich nicht der Kinderarbeit in Bangladesch oder der Zwangsarbeit zur Gewinnung bestimmter Mineralien im Kongo, um den Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes zu eröffnen. Es reicht vielmehr bereits die gestörte Nachtruhe des Anwohners eines Produktionsbetriebs. Ebenso scheint der peruanische Landwirt, der durch schmelzende Gletscher Gefahren für seine Äcker und seinen Getreideanbau sieht, von dem Gesetzesvorschlag erfasst zu sein.
Offen lässt der Gesetzentwurf, nach welchen Maßstäben die immerhin teilweise geforderte Eignung zur Gesundheitsschädigung zu bestimmen ist. Für den Bereich der Luftverunreinigung mag eine Anlehnung an die Schadenseignung im Sinne des § 325 StGB naheliegen. Für Lärmimmissionen nimmt die Rechtsprechung bisher eine Eignung zur Gesundheitsbeschädigung ab einem Dauerlärmpegel zur Nachtzeit von 60 dB(A) an. Das sind letztlich aber keine hohen Schwellen: Menschenrechtsrisiken und -verletzungen können damit bereits je nach Lage aus dem Lkw-Verkehr eines Industrieunternehmens, dem Dauerbetrieb eines Industrielüfters oder nächtliche Ausfahrten aus dem Parkhaus einer Unternehmensverwaltung resultieren.
Erfassung auch rein nationaler Sachverhalte
Häufig übersehen wird in der Debatte um das Lieferkettengesetz die Erfassung auch rein nationaler Sachverhalte: Die neuen Sorgfaltspflichten sollen nicht nur im Hinblick auf ausländische Aktivitäten bestehen. Vielmehr werden auch die inländischen Tätigkeiten der Unternehmen und ihrer Zulieferer erfasst. Damit könnte zukünftig ein Unternehmen für Verstöße des von ihm beauftragten Logistikdienstleisters gegen nächtliche Lärmbeschränkungen in die Pflicht genommen werden. Ein Bauunternehmen hätte im Rahmen der vom Gesetzentwurf geforderten Risikoanalysen möglicherweise auch zu prüfen, ob der Betreiber des für die Zementherstellung benötigten Kalksteinbruchs die geltenden Staubemissionsgrenzwerte einhält.
Besonders brisant ist das auch wegen der angedachten neuen Klagemöglichkeiten von NGOs. Diese sollen zukünftig im Wege einer besonderen Prozessstandschaft berechtigt sein, die Rechte Betroffener geltend zu machen. Einer schriftlichen Bevollmächtigung bedürfen sie hierfür nicht. Die Bundesregierung hat auch darauf verzichtet, besondere Anforderungen an die Qualifikation der NGOs aufzustellen. Diese müssen lediglich eine auf Dauer angelegte eigene Präsenz unterhalten und sich nach ihrer Satzung für Menschenrechte einsetzen.
Faktisch wird damit zukünftig jede organisierte Interessengruppe in der Lage sein, vor Gericht gegen vermeintliche Menschen- und Umweltrechtsverletzungen von Unternehmen in Deutschland unabhängig von einer eigenen Betroffenheit vorzugehen. Aus umweltrechtlicher Sicht ist das ein sehr klarer Unterschied zu den bereits bestehenden Klagerechten von Umweltverbänden etwa nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz. Hier wird bisher eine mindestens dreijährige Tätigkeit der Verbände verlangt. Zudem müssen sie die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bieten und als gemeinnützig anerkannt sein. Derartige Anforderungen sind im Entwurf des Lieferkettengesetzes nicht vorgesehen. Was das für die zukünftige Beschäftigung der Justiz und Unternehmen mit mutwilligen Klagen von Nachbarschaftsinitiativen und Nimbies („Not in my Backyard“) bedeutet, liegt auf der Hand.
Das BAFA als Superumweltbehörde
Erschwerend kommt die Schaffung doppelter Behördenzuständigkeiten hinzu. Kontrolliert und durchgesetzt werden soll die Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Durch die Einräumung weitreichender Kontroll- und Eingriffsbefugnisse soll die Behörde dazu ermächtigt werden, Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten zu beseitigen und zu verhindern. Vorgesehen ist auch das Recht des Bundesamts, Abhilfemaßnahmen zu treffen, um Menschenrechtsverletzungen zu beenden oder zu verhindern. Damit würde dem BAFA faktisch die Stellung als deutsche Superumweltbehörde zuerkannt werden. Die Bundesbehörde mit Sitz in Frankfurt am Main wäre zukünftig in der Lage, mit Einzelanweisungen gegen typische Umweltdelikte wie Luftverunreinigungen, schädliche Bodenveränderungen oder zu hohe Lärmemissionen in ganz Deutschland vorzugehen. Wie sich hierzu die eigentliche Zuständigkeit etwa der Bodenschutz- oder der Immissionsschutzbehörde verhält, lässt der Gesetzentwurf offen.
Schlussfolgerung
Insgesamt zeigen sich bei einer Analyse des Entwurfs des Lieferkettengesetzes aus umweltrechtlicher Sicht mehr als nur handwerkliche Mängel. Das menschenrechtliche Gutmenschentum des Bundesarbeits- und des Bundesentwicklungshilfeministeriums hat sich hier offenkundig übernommen. Für die Unternehmen entstünden mit einer Verabschiedung des Gesetzentwurfs erhebliche neue Risiken im Bereich des Umweltrechts, die wegen der Erfassung auch der Zulieferer weit über den eigenen Bereich hinausgehen.
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