Im Blickpunkt: Erkenntnisse einer Umfrage unter Rechtsanwälten und Unternehmensvertretern

Von Dr. Felix Wendenburg, M.B.A., und Mark Zimdars

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Welchen Stellenwert haben Konfliktlösungsklauseln, also solche vertraglichen Bestimmungen, die für den Konfliktfall alle verfahrensbezogenen Fragen regeln, in der Praxis der Vertragsgestaltung in B2B-Konstellationen? Um dieser Frage nachzugehen, hat der Förderverein Round Table Mediation und Konfliktmanagement der deutschen Wirtschaft e.V. (RTMKM) gemeinsam mit der EUCON – Europäisches Institut für Conflict Management e.V. – im Sommer 2018 eine Onlineumfrage durchgeführt.

Datengrundlage der Studie
Die Umfrage wurde im Schneeballsystem in Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien verbreitet. 103 Rückläufe waren zu verzeichnen, 52 von Rechtsanwälten, 51 von Unternehmensvertretern. Bedingt durch den Verteilerkreis der Umfragen, der primär Großunternehmen und -kanzleien umfasste, stammt die Mehrheit der Antwortenden aus Kanzleien mit mehr als 25 Rechtsanwälten (52%) oder Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern (86%). Die antwortenden Unternehmensvertreter ordnen sich nahezu exakt je zur Hälfte der Rechtsabteilung (53%) sowie anderen Unternehmensbereichen (47%) zu, sind jedoch alle mit der Abfassung oder Verhandlung von Verträgen befasst.

Kernergebnisse der Studie
(quantitativer Teil)
Als Ergebnis dieser quantitativ nicht repräsentativen und gleichwohl qualitativ recht aussagekräftigen Umfrage lassen sich einige Trends bestätigen sowie relevante Fragen aufwerfen, denen in Zukunft weiter nachgegangen werden sollte, um das Anliegen einer adäquaten Wahl des passenden Streitbeilegungsverfahrens weiter zu fördern. Die Umfrage bestand aus 13 Fragen, die sich mit Konfliktlösungsverfahren, deren Anwendung sowie wahrgenommenen Vor- und Nachteilen befassten. Im Folgenden seien einige besonders interessante Aspekte herausgegriffen.
Die Frage, ob Streitbeilegungsklauseln ein relevanter Bestandteil von Verträgen seien, wurde von 73% der Rechtsanwälte sowie von 61% der Unternehmensvertreter bejaht. Dies legt nahe, dass ein nicht unerheblicher Teil der Befragten für den Fall der Streitbeilegung auf die Regelungen des anwendbaren Rechts vertraut, mithin schlichtweg für den Klageweg vor den ordentlichen Gerichten votiert.
Von besonderem Interesse ist die Gegenüberstellung der Bewertung der Teilnehmer, welche Art von Konfliktlösungsklauseln sie als vorteilhaft bewerten gegenüber der tatsächlichen Verwendung dieser Klauseln in der kautelarjuristischen Praxis (siehe Schaubild 1).
Hier zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Bewertung und tatsächlicher Anwendung, sowohl bei den Rechtsanwälten als auch bei den Unternehmensvertretern. Hiernach wird die Streitbeilegung im Gerichtsverfahren in der Praxis noch weit häufiger eingesetzt, als sie im konkreten Fall für vorteilhaft erachtet wird. Klauseln, die alternative Streitbeilegungsverfahren vorsehen, genießen hingegen in der Theorie eine höhere Wertschätzung, als ihre praktische Anwendung dies vermuten ließe. Dieser Befund gilt für alle Klauseln, die alternative Streitbeilegung vorsehen, hierbei allerdings mit unterschiedlich stark ausgeprägten Diskrepanzen zwischen Anwälten und Unternehmen hinsichtlich Schieds- und Mediationsklauseln, gestuften Konfliktlösungsklauseln (gelegentlich auch Eskalationsklauseln genannt – hier ist eine Stufenfolge einzelner Verfahren vorgesehen) und dynamischen Konfliktlösungsklauseln, also Bestimmungen, die auf die Konfliktmanagementverfahren von Institutionen in ihrer jeweils aktuellen Fassung verweisen, wie sie beispielsweise in der Konfliktmanagementordnung der Deutschen Institution für Schiedsverfahren (DIS e.V.) geregelt sind. Letztere scheinen in ihrer Vorteilhaftigkeit in Theorie und Praxis noch kaum wahrgenommen zu werden.
Dieses Umfrageergebnis ähnelt den Befunden einer Studienserie, die die Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) gemeinsam mit PricewaterhouseCoopers in den Jahren 2005 bis 2016 durchgeführt hat. Schon hier war eine auffällige Diskrepanz zwischen der abstrakten Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Verfahren der alternativen Streitbeilegung und ihrer tatsächlichen Anwendung im Konfliktfall festgestellt worden (Europa-Universität Viadrina/PricewaterhouseCoopers: Commercial Dispute Resolution – Konfliktbearbeitungsverfahren im Vergleich, 2005, S. 4 f.; Europa-Universität Viadrina/­PricewaterhouseCoopers: Konfliktmanagement in der Wirtschaft – Entwicklungen eines Jahrzehnts, 2016, S. 37 ff.).
Die Antworten auf die Frage nach den Gründen für diese Diskrepanz ergeben ein klares Bild des gegenseitigen „Fingerpointing“: Während 71% der Rechtsanwälte angeben, ihren Mandanten häufig eine Konfliktlösungsklausel vorzuschlagen, geben die Unternehmensvertreter an, nur in 10% der Fälle häufig eine Konfliktlösungsklausel vorgeschlagen zu bekommen (siehe Schaubild 2).
In der Praxis scheint es, der Umfrage zufolge, kaum Vorgaben in den Unternehmen zu geben, welche Mechanismen zur Konfliktlösung zu verwenden sind. Die Wahl solcher Klauseln sowie ihre konkrete Ausgestaltung liegen somit bei den Verantwortlichen und ihren externen Rechtsberatern.

Kernergebnisse der Studie
(qualitativer Teil)
Vor diesem Hintergrund besonders interessant sind die qualitativen Aussagen der Rechtsberater zu Hemmnissen, das Verfahren der Mediation kautelarjuristisch vorzusehen. An dieser Stelle setzt sich der oben bereits beschriebene Befund des „Fingerpointing“ fort. So ist aus Sicht der Rechtsanwälte die Durchsetzbarkeit von reinen Mediationsklauseln „nach unserer Erfahrung in der Praxis sehr schwierig“: „Mandanten kennen die Verfahren nicht, nehmen sich nicht die Zeit, sich eine Meinung darüber zu bilden, und der Fokus liegt eindeutig nicht auf diesem Thema bei den Vertragsverhandlungen.“ Auch gegenüber Schiedsklauseln nehmen die Mandanten nach den Aussagen der an der Umfrage beteiligten Rechtsanwälte eine eher skeptische Haltung ein: „Schiedsklauseln werden, sofern keine Erfahrung mit Schiedsverfahren besteht, teilweise als chic empfunden. Nach Erfahrung mit Schiedsverfahren wird oft auf eine weitere Nutzung verzichtet.“
Zur Frage „Falls Sie nur Schiedsgerichtsklauseln verwenden: Wieso nehmen Sie die Mediation nicht in solche Klauseln auf?“ wurden unter anderem folgende Kommentare von Seiten der Kanzleien gegeben: „Weil die Mandanten zu Anfang eines Streits nicht mediations-, sondern nur streitbereit sind.“ „Bei vorgeschalteten Mediationen befürchten Mandanten oftmals eine Verzögerung der Streitlösung.“ „Befürchtung, dass die Mediation ohne verbindliches Ergebnis endet.“ „Die Erfahrung lehrt, dass es wirklich professionell akzeptierte Mediatoren selten gibt.“ „Manchmal auch fehlendes Interesse einzelner Mandanten, sich überhaupt näher mit dem Thema Streitbeilegung und Alternative Dispute Resolution (ADR) zu befassen.“ „Mediation macht nur dann einen Sinn, wenn in der konkreten Situation beide Parteien offen dafür sind. Dann kann man sie ad hoc vereinbaren. In anderen Fällen kann die Klausel von der Partei, die kein Interesse an der Einigung hat, genutzt werden, um den Streit zu verzögern.“
Hier zeigt sich nicht nur, dass bei Vertragsverhandlungen mögliche Streitigkeiten häufig gar nicht eingeplant werden. Das Phänomen des „Fingerpointing“ verweist zudem auch auf einen Mangel an Information und Kommunikation über Mediation und andere Verfahren der alternativen Streitbelegung, deren Funktion sowie die Voraussetzungen und Konsequenzen ihrer Durchführung.
Die Frage, wie wirksame Konfliktlösungsklauseln beschaffen sein müssen, wurde kontrovers beurteilt. Ein Teil der Befragten sowohl auf Kanzlei- als auch auf Unternehmensseite sprach sich für kurze, gut verständliche, gestufte und mit Fristen je Stufe versehene Konfliktlösungsklauseln aus, die idealerweise einen Verweis auf eine praxisbezogene Verfahrensordnung einer Institution enthalten. Zudem sollte die Formulierung so beschaffen sein, dass in der Diskussion mit Mandanten und Vertragspartnern Klauselanteile quasi bausteinartig und ohne besondere Umformulierungen verwendet werden können. Ein anderer Teil der Befragten merkte hingegen an, dass individuelle Lösungen vorzugswürdig seien. Letzteres entspricht der allgemeinen Beobachtung, dass Verfahrensbeteiligte dazu tendieren, ihren jeweiligen Fall als besonders komplex und speziell anzusehen, eine Ansicht, die der neutrale Beobachter nicht immer zu bestätigen vermag, so dass für die Frage einer angemessenen Verfahrenswahl bei Vertragsschluss standardisierte Lösungen weit häufiger verwendbar sind, als dies von den Befragten postuliert wird.

Fazit: Schlüsse aus der Umfrage
Insgesamt lässt sich als Ergebnis aus dieser Umfrage festhalten, dass in der Praxis der Wille nicht vollständig in die Tat umgesetzt wird. Zu Lasten der Vereinbarung alternativer Streitbeilegungsverfahren wird weiterhin ganz überwiegend auf Gerichtsstandsklauseln zurückgegriffen, alternativ allenfalls auf Schiedsklauseln. Letztlich scheint auch nach vielen Jahren der Diskussion über alternative Streitbeilegung weiterhin ein nicht geringer Informationsbedarf bei allen Beteiligten – Rechtsberatern wie Anwendern – zu bestehen.
Gleichwohl ist die Zurückhaltung bei der Vereinbarung alternativer Streitbeilegungsverfahren aus Sicht des RTMKM, dessen Mitgliedsunternehmen von alternativen Streitbeilegungsverfahren nachweislich häufiger Gebrauch machen (Europa-Universität Viadrina/PricewaterhouseCoopers: Konfliktmanagement in der Wirtschaft – Entwicklungen eines Jahrzehnts, 2016, S. 39), verständlich: Im Moment des Vertragsschlusses sind die Charakteristika eines zukünftigen Konflikts in der Regel noch nicht vorauszusehen – eine Konfliktlösungsklausel, die nicht gestuft oder dynamisch ist, sondern ein spezifisches Verfahren vorsieht, zielt daher gewissermaßen ins Dunkle und könnte ihre Wirksamkeit verfehlen, mithin tatsächlich nur zu zusätzlichem Zeit- und Kostenaufwand führen, ohne damit der Konfliktlösung näher zu kommen. Auch dynamische oder gestufte Konfliktlösungsklauseln können beim Anwender die Befürchtung hervorrufen, Zeit in Verfahren zu verlieren. Hier scheint eine vertiefte Kenntnis der verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung ein vielversprechender Weg, adäquate Klauseln weiter zu verbreiten. Beispielsweise kann eine Mediation jederzeit von jeder Partei beendet werden. Zudem besteht die Möglichkeit, eine Mediation parallel zu einem anhängigen Verfahren durchzuführen, so dass der relative Zeitverlust einer gescheiterten Mediation vernachlässigbar ist.
Vor diesem Hintergrund wäre es vernünftig, das passende Konfliktbeilegungsverfahren erst in dem Moment (ad hoc) auszuwählen, in dem der Konflikt auftritt. Konfliktbedingtes Misstrauen fördert in diesem Augenblick allerdings das Phänomen der reaktiven Abwertung, das Konfliktparteien dazu veranlasst, den Vorschlag der Gegenpartei abzulehnen, eben weil er von der Gegenpartei stammt.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ergibt sich gerade aus der Verwendung offener, gestufter Klauseln mit Fall-back-Verfahrensvorschlag. Dabei werden auch das Problem reaktiver Abwertung sowie die First-Move-Barriere gelöst. Ein anderer Ausweg könnte darin bestehen, das am besten geeignete Konfliktbeilegungsverfahren tatsächlich erst zu bestimmen, wenn der Konflikt auftritt – hierfür aber ein Vorgehen vorzusehen, das das Phänomen der reaktiven Abwertung (zum Tool siehe auch Wendenburg/Gendner/Zimdars/Hagel, Verfahrensauswahl in B2B-Konflikten, ZKM 2019, 63) umgeht. Während damit nicht per se das Problem der Einigung der Konfliktparteien auf ein Verfahren gelöst ist, könnte damit doch zumindest eine Optimierung im Sinne der Orientierung des Verfahrens am konkreten Streitfall erreicht werden.
Hierzu hat der RTMKM eine Software entwickelt, die sich inhaltlich an der langjährig erprobten Dispute-Resolution-Recommendation-Matrix von Bombardier Transportation und in der Darstellung am Wahl-O-Mat orientiert. Parteien eines B2B-Konflikts beantworten eine Reihe von Leitfragen zu ihrem Konflikt und erhalten eine kriteriengestützte Empfehlung für das in ihrem Fall am besten geeignete Verfahren nebst rechtlichen und praktischen Hinweisen zur Verfahrenseinleitung. Das Tool, das seit April 2019 zur kostenfreien Nutzung auf www.rtmkm.de zur Verfügung steht, soll es ermöglichen, auf durchaus spielerische Weise die Vielfalt der Konfliktbeilegungsverfahren zu erkunden und im Konfliktfall ad hoc ein Verfahren zu wählen, das die verfahrensbezogenen Parteiinteressen, die erst dann, wenn der Konflikt entstanden ist, benennbar sind (Vertraulichkeit, Drittexpertise, Ergebnisverbindlichkeit, Eignung zur Wahrung der Geschäftsbeziehung etc.), optimal reflektiert. Neben der Unterstützung beim Auswahlprozess des am besten geeigneten Konfliktlösungsverfahrens soll das Tool auch eine edukative Funktion haben und Konfliktparteien dazu ermutigen, einen differenzierten Blick auf ihre Verfahrensinteressen und einen interessierten Blick auf die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Konfliktlösungsverfahren zu werfen.

Begegnen unterschiedliche Formen von Konfliktlösungsklauseln den Umfrageergebnissen zufolge also einer theoretischen Eignungsskepsis sowie praktischen Anwendungsvorbehalten, so ist es einen Versuch wert, die Wahl des bestgeeigneten Konfliktbeilegungsverfahrens nicht abstrakt auf Klauselebene zu suchen, sondern auf den Moment der Konfliktentstehung zu verlagern, zu dem individuell kriteriengeleitet das passgenaue ­Verfahren bestimmt werden kann. Dieses Vorgehen sollte allerdings in einer vertraglichen Klausel abgesichert werden.

wendenburg@europa-uni.de

mark.zimdars@rail.bombardier.com

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