Kaum ein Rechtsbereich ist so dynamisch und tagespolitisch aktuell wie derjenige der Wirtschaftssanktionen. Dies hat das Jahr 2022 eindrucksvoll gezeigt. Auf EU-Ebene sind zum Teil im Wochenrhythmus neue Regelungen erlassen worden. Nun ist – ebenfalls in fast rekordverdächtiger Zeit – auf nationaler Ebene nachgezogen worden, um auch die Durchsetzung dieser Sanktionen zu optimieren. Nachdem Bundestag und Bundesrat die entsprechenden Gesetzentwürfe innerhalb weniger Wochen billigten, sind das Sanktionsdurchsetzungsgesetz I (SDG I) und das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II (SDG II) im Mai beziehungsweise im Dezember 2022 in Kraft getreten. Für Unternehmen bedeuten die Neuerungen vor allem eines: Der öffentliche Druck zur Einhaltung von Sanktionen nimmt weiter zu. Sanktions- und Geschäftspartnerprüfung bleiben daher unverzichtbare Instrumente, um Verbotsverstöße und behördliche Ermittlungen zu vermeiden.
Hintergrund
Sanktionen oder „restriktive Maßnahmen“ sind ein wichtiges Instrument der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU. Von diesem Instrument macht die EU zunehmend Gebrauch. Während sich bis Anfang 2022 nur wenige deutsche Unternehmen von EU-Sanktionen betroffen fühlten, sind sie spätestens seit der Verhängung von Sanktionen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 in aller Munde.
Die gegen Russland und Belarus erlassenen Sanktionen umfassen das Einfrieren von Vermögenswerten gelisteter Personen, Reisebeschränkungen, Beschränkungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und des Zugangs zu den Finanzmärkten sowie Import- und Exportrestriktionen. Diese Sanktionen gelten unmittelbar in den Mitgliedsstaaten und bedürfen daher keiner nationalen Umsetzung. Allerdings hat sich im vergangenen Jahr in Deutschland (und in einigen anderen Mitgliedsstaaten) gezeigt, dass ein wirkungsstarker operativer Vollzug oftmals an unklaren Zuständigkeiten der nationalen Behörden, fehlender Zusammenarbeit und Hindernissen bei der Ermittlung von Vermögenswerten scheiterte. Der Gesetzgeber hatte sich deshalb zum Ziel gesetzt, zur wirksamen Durchsetzung von Sanktionen erforderliche Maßnahmen gesetzlich zu verankern. Dieses Ziel soll mit dem SDG I und dem SDG II erreicht werden.
Bei SDG I und SDG II handelt es sich um Änderungsgesetze (Novellen). Mit ihnen hat der Gesetzgeber bereits bestehende Gesetze geändert bzw. ergänzt.
Im Rahmen des SDG II ist auch das Sanktionsdurchsetzungsgesetz (SanktDG) erlassen worden, ein neues förmliches Bundesgesetz. Es regelt insbesondere die Aufgaben und Befugnisse der neu eingeführten Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfSD).
Neue Ermittlungsbefugnisse zum Auffinden und Sicherstellen von sanktioniertem Vermögen
Mit dem SDG I sind insbesondere die Ermittlungsbefugnisse der Behörden zum Auffinden von sanktioniertem Vermögen ausgeweitet worden. Ermittler können nun zum Beispiel mit dem gegebenenfalls erforderlichen Durchsuchungsbeschluss Wohnungen und Büros durchsuchen, wenn sie davon ausgehen, dass dort sanktioniertes Vermögen versteckt ist (§ 9a AWG n.F.). Dies führte unter anderem im September 2022 zu Durchsuchungen von Gebäuden in Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hamburg, die mit dem russischen Oligarchen Alischer Usmanow in Verbindung gebracht werden. Dieser soll rechtswidrig eingefrorene Gelder verwendet haben. Allerdings fehlte es trotz neuer Ermittlungskompetenzen an klaren Zuständigkeiten. Dies sollte mit dem SDG II durch eine klare Kompetenzzuweisung an den Bund geändert werden. Zudem sind die Ermittlungsbefugnisse für die Verfolgung von Geldwäsche und zur Sanktionsdurchsetzung gebündelt worden.
Zentrale Kompetenz bei der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung
Zur Umsetzung des SDG II ist zum 02.01.2023 im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfSD) als Direktion XI der Generalzolldirektion eingerichtet worden. Die ZfSD ist unter anderem dafür zuständig, Ermittlungen im Hinblick auf durch EU-Sanktionsmaßnahmen eingefrorene Vermögenswerte durchzuführen und sanktioniertes Vermögen sicherzustellen. Zu diesem Zweck ist die ZfSD mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet worden, wie etwa Auskunfts- und Betretungsrechten. Zudem nimmt sie Meldungen von sanktionierten Personen über ihre Vermögenswerte (§ 10 SanktDG) und Hinweise zu potentiellen oder tatsächlichen Verstößen gegen Sanktionsvorschriften (§ 15 SanktDG) entgegen.
Ein Verstoß gegen die Meldepflicht nach § 10 SanktDG wird mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft (§ 18 Abs. 5a AWG n.F.).
Mehr Transparenz und Kontrolle im Immobilien- und Finanzsektor
Auch andere Gesetze, wie unter anderem das Geldwäsche- und das Kreditwesengesetz, haben durch das Inkrafttreten des SDG II Änderungen erfahren.
Viele dieser Änderungen betreffen den Immobiliensektor: Für Immobilientransaktionen ist nunmehr die Bezahlung mit Bargeld, Kryptowerten und Rohstoffen untersagt. Ausländische Gesellschaften mit Immobilien-eigentum in Deutschland müssen künftig neben dem Neuerwerb auch Bestandsimmobilien an das Transparenzregister melden, und die vom Transparenzregister erstellten Eigentums- und Kontrollstrukturübersichten sind nun auch zuständigen Behörden und Gerichten zugänglich. So soll es Ermittlungsbehörden erleichtert werden, Immobilien ihren Eigentümern zuzuordnen.
In den Finanzdienstleistungsgesetzen (zum Beispiel Kreditwesengesetz und Wertpapierhandelsgesetz) sind die Zuverlässigkeitsregelungen angepasst worden. Schon heute müssen Unternehmer, geschäftsleitendes Personal oder Unternehmenserwerber im Finanzsektor vor Aufnahme ihrer Tätigkeit bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) grundsätzlich um Erlaubnis dafür ersuchen und ihre Zuverlässigkeit nachweisen. Künftig gelten nunmehr Personen und Unternehmen als unzuverlässig, wenn gegen sie Finanzsanktionen verhängt worden sind. Außerdem gelten Geschäftsleiter, Aufsichtsratsmitglieder oder vergleichbare Führungskräfte als unzuverlässig, wenn sie für ein sanktioniertes Unternehmen tätig sind. Letztere können jedoch Ausnahmegründe darlegen, um die Vermutung der Unzuverlässigkeit zu entkräften. Sie können etwa einwenden, ihre Einbindung bei dem sanktionierten Unternehmen falle geringfügig aus, die Vertragsbeendigung sei bereits eingeleitet oder sie hätten trotz ihrer leitenden Stellung aufgrund besonderer Umstände nur wenige Möglichkeiten der Einflussnahme auf Unternehmensabläufe.
Die Fiktion der Unzuverlässigkeit berechtigt die BaFin im Einzelfall, Aufsichtsmaßnahmen gegen sanktionierte Personen zu verhängen. So darf sie beispielsweise den Zugang einer Person, eines Unternehmens oder Erwerbers zum Finanzmarkt untersagen oder sanktionierte Funktionäre von ihren Posten abberufen. Ferner können Betroffene für die Dauer der Sanktion nicht mehr für leitende Positionen kandidieren.
Unmittelbare Wirkung von UN-Sanktionen
Durch das SDG II ist schließlich auch eine normenhierarchisch sehr interessante Neuerung eingeführt worden: Seit Inkrafttreten des SDG II sind auch Finanzsanktionen des UN-Sicherheitsrats unmittelbar, also ohne vorherige Umsetzung in nationales Recht, in Deutschland gültig. Dabei handelt es sich um eine signifikante Änderung in der internationalen Normenhierarchie, denn die Sanktionen des UN-Sicherheitsrats sind zwar verbindlich, müssen bislang aber erst durch die UN-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Sie haben also im Gegensatz zu den EU-Sanktionen keine unmittelbare Wirkung. Dies hat in der Vergangenheit teilweise zu Verzögerungen von ein bis zwei Tagen geführt, vor allem, wenn die Sanktionierung am Wochenende oder einem Feiertag erfolgte.
Die Auswirkungen dieser Neuregelung werden in der Praxis allerdings voraussichtlich eher gering sein. Zwar gelten UN-Finanzsanktionen nicht unmittelbar im nationalen Recht, die Mitgliedsstaaten sind aber verpflichtet, sie „unverzüglich“ umzusetzen. Innerhalb der EU werden sie daher bereits von der Union im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) durch unmittelbar anwendbare Verordnungen umgesetzt. Zusätzlich hatte der deutsche Gesetzgeber mit § 6 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) eine Regelung geschaffen, die ein Bereitstellungsverbot und das Einfrieren von wirtschaftlichen Ressourcen schon vor Erlass einer EU-Verordnung durch Erlass einer Allgemeinverfügung ermöglicht (sogenannter Einzeleingriff). Beim Entwurf des SDG II ging der Gesetzgeber aber davon aus, dass die vorhandenen Regelungen einer „unverzüglichen“ Umsetzung noch immer nicht gerecht werden. Die „Listung“ der betroffenen Person sei in einer nationalen Allgemeinverfügung nicht stets innerhalb von 24 Stunden möglich.
Daher gelten UN-Sanktionen durch die Gesetzesänderung des AWG im Rahmen des SDG II nunmehr unmittelbar, bis die Union eine entsprechende Verordnung erlässt oder die Behörde einen Einzeleingriff vornimmt (§ 5a AWG n.F.).
Was ist jetzt zu tun?
Unternehmen sollten, falls noch nicht geschehen, dringend prüfen, ob ihre Compliancemaßnahmen im Bereich Geldwäscheprävention und Sanktionsumsetzung den aktuellen Standards gerecht werden.
Künftig wird für die Sanktionsprüfung mit dem von der ZfSD geführten Register eine weitere Informationsquelle zur Verfügung stehen. Unternehmen sollten dieses Register nutzen, um die Ergebnisse ihrer eigenen Sanktionsprüfung zu verifizieren.
Ausländische Gesellschaften mit Immobilieneigentum in Deutschland müssen ihr bestehendes Immobilieneigentum bis zum 31.12.2023 an das Transparenzregister melden.
Finanzdienstleister sollten Vorkehrungen für den Fall treffen, dass die neue Unzuverlässigkeitsfiktion nach dem Kreditwesengesetz eingreift. Hierzu könnte präventiv der Aufbau einer Verteidigungsstrategie gegen die Unzulässigkeitsfiktion erwogen werden.
Unternehmen mit Auslandsgeschäftsverkehr müssen künftig auch die Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrats mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen, da dessen Sanktionsmaßnahmen künftig unmittelbar anwendbar sind.