Wie weit komme ich mit einer Reichweite von 450 km? – oder: Wo fängt der Sachmangel beim E-Auto an?

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Einleitung

Genau diese Fragen werfen aktuell offenbar einige Tesla-Fahrer auf, nachdem es in Norwegen jüngst eine erste Entscheidung von einem Gütegericht zugunsten von Tesla-Fahrern gegeben hatte, allerdings noch ohne Rechtskraft und ohne dass sich Tesla überhaupt auf das Verfahren eingelassen hatte. In Deutschland bringen sich einige der Kanzleien, die im Rahmen der Dieselthematik massenhaft Kläger bei ihren Klagen gegen verschiedene Automobilhersteller vertreten haben, schon in Stellung, um Kläger für Klagen gegen Tesla und andere Hersteller von E-Autos zu gewinnen. Glaubt man einzelnen Presseberichten, dann sind in Deutschland bereits erste Klagen gegen Tesla anhängig; ein Fall davon wohl beim LG München. Der Kläger wirft Tesla vor, man habe ein Softwareupdate aufgespielt, mutmaßlich um die Lebensdauer der Batterie zu verlängern. Das führe auch dazu, dass sich neben der Ladegeschwindigkeit auch die Ladekapazität und damit die Reichweite des Fahrzeuges verringere. Nähere Informationen zu dem Verfahren liegen nicht vor, eine Entscheidung ist noch nicht veröffentlicht. Es bleibt also spannend.

Während die Einhaltung der vom Hersteller angegebenen Emissionswerte bei Elektrofahrzeugen, anders als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, kein Thema sein wird, lassen sich die übrigen Themen, die bereits bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor im Rahmen von Garantie- und Sachmängelgewährleistungsansprüchen immer wieder Anlass zu Streit gegeben haben, wie Leistung, Beschleunigung, Höchstgeschwindigkeit, (Strom- oder Kraftstoff-)Verbrauch und Haltbarkeit ohne weiteres auch beim Elektrofahrzeug erwarten. Hinzukommen dürften jedoch auch noch neue Themen wie Ladedauer und -kapazität, Reichweite und Vampirstromverbrauch.

Entscheidend für Käufer: Ladekapazität und Reichweite

Vor allem der Stromverbrauch, die Ladekapazität und – größtenteils davon abhängig – die Reichweite eines Elektrofahrzeugs dürften für die meisten Käufer die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussen. Wenn dies aber so ist, erfolgt auch der Wettbewerb der Hersteller maßgeblich über die Angaben zu diesen Themen, wobei naturgemäß die Grenze des Vertretbaren ausgereizt wird.

Doch wie weit muss ein Fahrzeug mit einer angegebenen Reichweite von 450 Kilometern tatsächlich kommen? Das lässt sich pauschal nicht beantworten, wird die Reichweite eines E-Autos doch von vielen Faktoren beeinflusst. Kunden werden bei den Herstellerangaben meistens eine Fußnote finden, die in etwa lautet: „Wertangaben basieren auf Tests von Neufahrzeugen gemäß der WLTP-Norm. Die Reichweite des Fahrzeugs kann aufgrund von Alter und Zustand der Batterie, Fahrzeugkonfiguration, Fahrstil, Umgebungs- sowie Witterungsbedingungen variieren.“ Beim E-Auto gilt also ebenso wie bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, dass die Herstellerangaben sich auf Messwerte beziehen, die bei normierten Fahrten auf dem Prüfstand ermittelt wurden, was in aller Regel optimale Streckenbeschaffenheit, Beförderungslast und Fahrweise voraussetzt. Messwerte, die in einer solchen nahezu idealen Umgebung auf dem Prüfstand erzielt wurden, sind naturgemäß nicht 1:1 übertragbar auf Fahrten unter realen Fahrbedingungen. Die unter normierten Bedingungen erzielten Reichweiten dienen in erster Linie der Vergleichbarkeit der Fahrzeuge untereinander.

Reale Abweichung als Sachmangel?

Wann aber wird die reale Abweichung zum Sachmangel? Mangels einschlägiger Rechtsprechung stellt sich zunächst die Frage, inwieweit sich die von der Rechtsprechung zum Kraftstoffmehrverbrauch bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor entwickelten Grundsätze und Grenzwerte auf E-Autos übertragen lassen. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. nur BGH, Urteil vom 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229 (3233); BGH, Beschluss vom 08.05.2007 – VIII ZR 19/05, NJW 2007, 2111) ist der Rücktritt eines Fahrzeugkäufers nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausgeschlossen, wenn der Kraftstoffverbrauch des verkauften Neufahrzeuges um weniger als 10% von den Herstellerangaben abweicht. Ein differenzierterer Blick auf die Rechtsprechung der Instanzgerichte zeigt auch Abweichungen von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung, aber im Grundsatz wird man bei Verbrennungsmotoren mit diesem Wert arbeiten können.

Auf E-Autos lässt sich diese Rechtsprechung, wenn überhaupt, allenfalls bei einem neuen oder zumindest neuwertigen Fahrzeug übertragen. Denn während beim Verbrennungsmotor der Verbrauch maßgeblich durch das jeweilige Fahrverhalten des Fahrers beeinflusst wird, hat beim elektrisch angetriebenen Fahrzeug auch das Ladeverhalten einen erheblichen Einfluss auf die Lebensdauer der Batterie und damit mittelbar auch auf die Reichweite. Und selbst bei optimalem Ladeverhalten verliert die Batterie eines E-Autos im Laufe der Zeit zwangsläufig an Leistung, wodurch sich die Reichweite der Batterie verringert und damit der Verbrauch erhöht.

Daraus machen auch die Hersteller keinen Hehl und berücksichtigen das entsprechend bei ihren Herstellergarantien. Die Hersteller garantieren in der Regel eine gewisse Lebensdauer der Batterien. Dabei sind Garantien in Bezug auf den Erhalt der anfänglichen Ladekapazität (und damit mittelbar der Reichweite) von etwa 60 bis 80% für in der Regel die Dauer der ersten acht Jahre (manchmal auch etwas länger) oder bis zu einer Laufleistung in einer Größenordnung von maximal 160.000 bis 240.000 Kilometern. Dies zeigt deutlich den Unterschied zum Verbrennungsmotor.

Wichtiger Faktor: Das Alter des E-Autos

Dabei werden diese Unterschiede umso deutlicher, je älter ein E-Auto ist. Während gegebenenfalls bei einem E-Auto die von der Rechtsprechung für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren entwickelten Grenzwerte möglicherweise noch übertragbar sein könnten, dürfte dies spätestens nach einer gewissen Laufzeit des Fahrzeugs nicht mehr oder nur mit erheblichen Anpassungen möglich sein. So wird beispielsweise diskutiert, die Leistungsverluste zwischen 20 und 40%, mit denen die Hersteller bei ihren Garantieerklärungen kalkulieren, abhängig vom Alter der jeweiligen Batterie entsprechend als Aufschlag heranzuziehen. Wenn sich aber etwa bereits nach zwei Jahren bei der Batterie ein Leistungsverlust von über 20% zeigt, wird man in der Regel von einem Sachmangel ausgehen können. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass rechtlich ein Sachmangel nicht erst dann vorliegt, wenn das Garantieversprechen nicht erfüllt wurde. Wenn der Hersteller auf andere Weise in seiner Internetpräsenz oder in Fahrzeugprospekten bestimmte verkehrswesentliche Eigenschaften seines Fahrzeugs angibt, darf der Kunde erwarten, dass das E-Auto diese auch besitzt.

Im Übrigen werden die Kunden regelmäßig vor der Herausforderung stehen, nachweisen zu müssen, dass sie die Batterie stets sorgfältig gemäß den Vorgaben des Herstellers behandelt und ein optimales Ladeverhalten an den Tag gelegt haben. Allein an diesem Kriterium dürften viele Ansprüche scheitern. Vor Falschangaben sollten sich Kunden hüten, denn dank modernster Software für das Batteriemanagement lassen sich viele Informationen auslesen. Herstellern ist zu raten, den Kunden verständliche und möglichst konkrete Behandlungsanweisungen mitzuliefern und darauf hinzuweisen, dass eine abweichende Handhabung negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Batterie hat.

Analog zur „Diesel“-Rechtsprechung – gemeint sind hier die Emissionen, nicht der Verbrauch – dürfte jedenfalls dann ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags bestehen, wenn der Hersteller eines Elektrofahrzeugs die Prüfung gemäß WLTP-Norm bewusst manipuliert hat oder gar ohne tatsächlichen Anhaltspunkt mit einer praktisch unmöglichen Reichweite wirbt. Vorwürfe in diese Richtung sind bislang allerdings nicht bekannt und dürften auch schwer nachzuweisen sein.

Problematisch: Nachträgliches Softwareupdate

Kompliziert werden Fälle, bei denen ein nachträgliches Softwareupdate die Leistungsfähigkeit der Batterie negativ beeinflusst. Hier stellen sich zum Beispiel die Fragen, ob diese Abweichung als solche die Mangelschwelle überschreitet, ob das Softwareupdate daneben auch Vorteile bringt – also nicht nur der Fehlerbehebung dient – und ob der Kunde gegebenenfalls auf das Softwareupdate auch verzichten kann.

Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass sich die Reichweite – unabhängig vom Verhalten des Nutzers – aus einem komplexen Zusammenspiel zwischen der Batterie, dem Batteriemanagementsystem und diversen Fahrzeugeigenschaften ergeben kann. Da häufig zumindest die Batterien der E-Autos nicht von den Automobilherstellern selbst, sondern von spezialisierten Zulieferern hergestellt werden, ergeben sich im Fall einer Haftung des Automobilherstellers gegenüber dem Kunden schwierige Regressfragen in der Lieferkette. Batteriehersteller tun gut daran, mit den Automobilherstellern bestimmte batteriebezogene Spezifikationen zu vereinbaren, sich aber auf die Zusage bestimmter Eigenschaften, die sich erst aus dem Zusammenspiel mit der Umgebung ergeben, nicht einzulassen.

Fazit und Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wann und wie die Rechtsprechung Fälle nachlassender Performance von Batterien und (vermeintlich) unerreichter Reichweiten entscheiden wird und ob sie hierzu auf die für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren entwickelten Grundsätze zurückgreifen wird. Wie viele E-Auto-Käufer in Anbetracht der Nachweisprobleme und Enthaftungsmöglichkeiten überhaupt den Klageweg beschreiten, muss sich auch erst noch zeigen. Und ganz ehrlich: Ein verständiger Kunde, der sich vor seinem Kauf aus allgemeinen Quellen über E-Mobilität informiert hat, weiß, dass er die angegebene Reichweite kaum jemals erreichen wird. Er wird seine Fahrt so planen, dass er in einer deutlich geringeren Entfernung als 450 Kilometer die nächste Ladesäule ansteuern kann.

katharina.hoffmann@advant-beiten.com

andre.depping@advant-beiten.com

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