Tragen Sie sich mit dem Gedanken, in Ihrer Kanzlei die Position eines Kanzleimanagers oder eines Chief Operating Officers (COO) als Chef der Kanzleiverwaltung (Business Services) einzuführen? Das ist bei vielen Kanzleien ein Thema. Sozietäten, die über Jahre hinweg gewachsen sind, kommen organisatorisch irgendwann an ihre Grenzen. Für einzelne Fachbereiche wie IT, Business Development oder Marketing werden Fachspezialisten eingestellt. Diese berichten an die fachverantwortlichen Partner oder an den Managing Partner, für die der damit verbundene Aufwand immer mehr zunimmt. Gleichzeitig wird in der Partnerschaft gefordert, dass die Verwaltung „professionalisiert“ werden solle – was immer man darunter denn auch versteht. Jemand anderes hat wiederum von „modernen Managementmethoden“ gehört, die Konkurrenten angeblich anwenden, von denen aber niemand in der Partnerschaft weiß, was sie bedeuten.
Führung der Verwaltung im Nebenamt
Nichtjuristische, administrative Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Kanzlei machen rasch 25% und mehr des Personals aus. Diese im Nebenamt zu führen ist ab einer gewissen Größe eine erhebliche zeitliche wie auch inhaltliche Herausforderung. Neben der zeitlichen Belastung geht es notabene um Gebiete, in denen der Jurist Laie ist, auch wenn er das oft nicht wahrhaben will. Mitreden können, weil man kluge Fragen stellt und dem Gegenüber rhetorisch überlegen ist, macht einen noch lange nicht zum Fachexperten. Ein sinnvoller Schritt kann es daher sein, eine neue Position zu schaffen, der die Leitung der Business Services in der Kanzlei übertragen wird.
Nachteile
Das erste Argument gegen die Einführung einer COO-Position ist natürlich immer, dass diese Geld koste und man sich das nicht leisten könne. Oft ist das allerdings nur ein Scheinargument, da mit den eingesparten Partnerstunden und mit der daraus folgenden Effizienzsteigerung diese Kosten in der Regel rasch ausgeglichen und im Anschluss überkompensiert werden. Vielmehr ist der gefürchtete Macht- und Kontrollverlust oftmals der eigentliche Treiber hinter der Blockadehaltung innerhalb der Partnerschaft. Jedoch gibt es noch etliche andere Gründe, die gegen die Einführung einer COO-Position sprechen und gerne übersehen werden:
Es kann sich als Herausforderung erweisen, die neugeschaffene Rolle in die Unternehmenskultur zu integrieren. Auch fällt es oft schwer, den Erfolg des COO zu definieren und ihn daran zu messen. Zudem muss die betreffende Person eine ganze Reihe persönlicher und beruflicher Voraussetzungen mitbringen (dazu weiter unten mehr).
Und schließlich sind Konflikte zwischen dem Manager beziehungsweise dem COO und den einzelnen fachverantwortlichen Partnern nicht ausgeschlossen, weil man sich über die Abgrenzung Tagesgeschäft vs. strategische Themen nicht einig wird.
Vorteile
Für die Bündelung der Verwaltung unter einem COO sprechen folgende Argumente:
Der Zeitaufwand der Partner für die Verwaltung fällt weg oder kann erheblich reduziert werden. Der finanzielle Vorteil ist offensichtlich und lässt sich anhand der freigewordenen verrechenbaren Stunden leicht ermitteln. Viel wichtiger ist jedoch, wie die neugewonnene Zeit investiert wird: Wird diese bewusst für einen stärkeren Fokus auf Mandantenbedürfnisse und -zufriedenheit genutzt, ist der Ertrag weit größer als bloß der Wert der eingesparten Stunden – oder das dafür zu zahlende Gehalt eines COO.
Das Einstellen eines COO führt zu einer Weiterentwicklung der Verwaltung. Rechtsanwälte führen Kanzleiverwaltungen, wie sie ihre Teams führen: Sie wissen ihrer Selbsteinschätzung nach am besten, wie alles geht. Entsprechend werden die Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen als Befehlsempfänger behandelt, verbunden vor allem mit der Erwartung, dass sie fehlerfreie Ergebnisse zu den ihnen aufgetragenen Aufgaben abliefern. Dabei wird vergessen, dass der Partner eben nicht der Fachspezialist in den Bereichen IT, Marketing oder Business Development ist. Hingegen kann ein neu eingestellter COO die Verwaltung viel besser führen. Die von der Kanzlei für die einzelnen Bereiche angestellten Fachleute sind zu erstaunlichen Leistungen fähig – wenn man sie nur machen lässt. Managementerfahrung darf dabei nicht mit Führungserfahrung verwechselt werden. Partner in einer Kanzlei haben sehr wohl Führungserfahrung, sie führen ja ihre Teams, aber sie haben in der Regel keine Managementerfahrung, also Erfahrung in der effizienten Leitung und Weiterentwicklung einer Verwaltung.
Transformation: Oft haben Juristen große Teile ihres Berufslebens in ein und derselben Kanzlei verbracht. Ihnen fehlen daher nicht nur die Kenntnisse von und Erfahrungen mit Managementgrundsätzen wie Total-Quality-Management, Lean, Fast Forward oder Agilität, sondern auch die Möglichkeiten des Vergleichs. Wie es andere machen, ist ein wichtiges Element im Management – entweder, um aus den Fehlern anderer zu lernen, oder aber, um kostengünstig und schnell etwas nachzuahmen. Einer der wichtigsten Benefits eines COO ist daher das Einbringen der Außenperspektive, neuer Ideen und seiner Erfahrungen, die er aufgrund seiner bisherigen Karriere in einer oder mehreren Industrien oder auch aus einer anderen – im Vergleich meist größeren – Kanzlei mitbringt.
Falls die Position des sogenannten fachverantwortlichen Partners bleibt, sich ein Partner also im Sinne der Partnerschaft einem bestimmten Gebiet der Verwaltung widmet (zum Beispiel Marketing oder IT), kann sich dieser, wenn zusätzlich ein COO eingestellt wird, auf strategische Fragen und Empfehlungen fokussieren. Er kann das Tagesgeschäft (Planung, Ausführung, Personalfragen etc.) dem COO überlassen, bessere strategische Entscheide treffen oder den COO als Sounding Board und Coach unterstützen.
Mit einem COO haben die administrativen Mitarbeiter endlich einen Vorgesetzten, der Zeit für sie hat, was bei Partnern, für die Mandatsarbeit richtigerweise immer vorgeht, oft nicht der Fall ist. Auch hat er in seiner Karriere vor der Einstellung in der Kanzlei oftmals Erfahrung in größeren und komplexeren Organisationen gesammelt, Managementerfahrung eben. Matrixorganisationen sind ihm nicht fremd, genauso wenig wie „dotted Reporting Lines“ und andere Errungenschaften großer Unternehmen.
Schließlich hat die Schaffung einer COO-Position eine Außenwirkung: Man signalisiert damit den Mandanten, dass man gewillt ist, sich im Bereich der administrativen Dienste zu professionalisieren, was einen positiven Einfluss auf den Ruf der Kanzlei und ihrer Marke hat.
Welche Arbeiten werden übertragen?
Der COO steht der Verwaltung vor, entsprechend werden ihm insbesondere Leitung und Führung der administrativen Dienste übertragen. Das umfasst IT, HR, Marketing, Business Development, Beschaffungswesen und allgemeine Dienste (wie Gebäude, Sicherheit). Diese Aufgabenbereiche sind oft durch das Weiterbestehen von Fachverantwortungen seitens der Partner eingeschränkt.
Erweitert werden kann die Kompetenz des COO hingegen, indem man ihm die Finanzabteilung unterstellt. Dies wird den Chef der Buchhaltung, Head of Finance oder CFO nicht immer erfreuen, hat aber den Vorteil, dass es für die Partnerschaft nur einen Verantwortlichen und einen Ansprechpartner für alle administrativen Fragen gibt. Damit wird eine klare Hierarchie geschaffen, und Rivalitäten oder Unstimmigkeiten zwischen diesen beiden Personen können vermieden werden. Umgekehrt kann auch der Finanzchef die Leitung der restlichen Verwaltungsabteilungen übernehmen.
Darüber hinaus gibt es gerade in kleineren Kanzleien weitere Aufgaben, welche einem COO übertragen werden können. Oft ist das der Fall, wenn er eine besondere Vertrauensstellung innerhalb der Organisation innehat. Dadurch erhält er Zugang zu Informationen, die „normalen“ Mitarbeitern nicht zugänglich sind. Als „Geheimnisträger“ eignet er sich daher zu allerhand Zusatzaufgaben. Diese können im Bereich der Partnerschaft angelegt sein (Organisation von Partnermeetings, Mitverfassen des Jahresberichts, Schreiben von Protokollen etc.) oder strategische Themen betreffen (Analysen und Wahrnehmen von Aufgaben im Auftrag der Geschäftsleitung zu Themen wie Branding, Lateral Partner oder Expansion). Aber auch andere Aufgaben sind denkbar, wie der Aufbau und Betrieb des Weiterbildungsprogramms der Mitarbeiter („Academy“). Und schließlich ist da noch das Feld der Compliance, also das Sicherstellen der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. Da es sich um eine Unternehmung von und mit Juristen handelt, ist oft gerade bei kleineren und mittleren Kanzleien die Überzeugung verbreitet, dass es keiner aktiven Compliance bedarf, da ja alle Beteiligten juristisch ausgebildet sind und daher Recht von Unrecht unterscheiden können. Das kann sich als fataler Irrtum entpuppen, wenn „Conflict of Interest“-Regeln oder Regeln gegen die Geldwäsche gebogen werden oder bei der Weihnachtsparty ein Partner einer Mitarbeiterin zu nahe kommt und es keine Regeln gibt, wer einzugreifen hat und wie mit solchen Situationen umgegangen werden soll.
Wer wird COO – und was sind die Anforderungen an die Person des COO?
Zum COO kann ein Mitglied der Verwaltung befördert werden, das über die notwendigen Qualifikationen verfügt; oder ein neuer Mitarbeiter, von außen kommend, übernimmt diese Aufgabe. Ist der Kandidat eine bereits angestellte Person, muss sichergestellt werden, dass er die Aufgabe nicht als zusätzlichen Hut erhält, sondern dass er eine neue Stelle antritt und seine ehemalige Position neu besetzt wird. Wichtig ist, dass er über das nötige „Standing“ verfügt, um gegenüber der Partnerschaft zu bestehen und um als vollwertiger Gesprächspartner wahrgenommen zu werden.
Ein COO, ob intern oder extern rekrutiert, sollte die folgenden sechs persönlichen Eigenschaften haben, die hier der Illustration halber stark pointiert beschrieben werden:
- Fähigkeit, Dinge zu erledigen: COOs sind motiviert, Ergebnisse zu erzielen. Sie sind bei Widrigkeiten hartnäckig und haben eine „Ich-kann-das-Einstellung“. Sie sind Meisterorganisatoren und -projektplaner, sie blicken konsequent nach vorn und antizipieren Bedürfnisse, bevor sie entstehen.
- Strategisches Denken: Sie sind natürliche Problemlöser. Sie denken analytisch und strukturiert. Sie schaffen Ordnung aus Chaos, indem sie Systeme und Prozesse identifizieren, die gestrafft werden müssen. Sie verstehen die Geschäftsabläufe genau und synthetisieren leicht Informationen, um daraus einen Ausführungsplan zu entwickeln.
- Außergewöhnliche emotionale Intelligenz: COOs müssen die zugrundeliegenden Motivationen ihrer Mitarbeitenden verstehen, aber eben nicht nur diese. Die Partnerschaft ist in Kanzleien fast noch wichtiger. COOs müssen Beziehungen aufbauen und beeinflussen können. Sie sollten „politisch“ versiert sein, ohne selbst politisch zu sein. Sie sind die ultimativen Verbindungsleute, die über jedes wichtige Projekt Bescheid wissen und die in der Lage sind, die Punkte quer durch die Kanzlei zu verbinden. Sie sind positiv, einfühlsam, flexibel, neugierig. Sie flößen Respekt ein, und andere suchen ihre Nähe.
- Führungsstärke und eine Vision, wie eine Kanzlei in die Zukunft geführt werden kann: Sie sind „Change Agents“, die dabei helfen, die Kanzlei nicht nur im Inneren, sondern auch deren Auftritt nach außen weiterzuentwickeln und diese Entwicklung wesentlich mitzuprägen. Sie sind die Botschafter der Modernisierung, die über das Verwalten des Bestehenden hinaussehen und wesentliche Anstöße zur Weiterentwicklung der Kanzlei geben.
- Loyalität und „Managed Ego“: Die Partnerschaft muss ihrem COO mehr als sonst jemandem im Unternehmen vertrauen. COOs müssen daher der Partnerschaft gegenüber zutiefst loyal sein und an das Wohl der Kanzlei und der Partnerschaft denken statt an das eigene. Trotzdem müssen COOs selbstbewusst genug sein, um offen kommunizieren zu können und manchmal auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Sie sind Macher, die ohne großes Aufheben hinter den Kulissen wirken und den großen Auftritt anderen überlassen.
- Cultural Fit: Der COO muss zur Kanzlei passen. Er hat eine wesentliche Position zwischen der Partnerschaft, der Geschäftsleitung, dem Managing Partner und der Verwaltung inne. Entsprechend sollte er so gut zur Kanzlei passen, wie es bei einem Lateral Partner verlangt würde.
Zusätzlich zu seinen persönlichen Eigenschaften sollte ein Kanzlei-COO noch folgende Ausbildung und Berufserfahrung im Gepäck haben:
- Eine betriebswirtschaftliche Ausbildung: Er muss kein Finanzgenie sein, aber er muss mit Zahlen umgehen können. Diese Ausbildung kann auch im Rahmen eines MBA erworben worden sein und auf einem nichtbetriebswirtschaftlichen Grundstudium aufbauen.
- Erfahrung im Organisieren und Führen von administrativen Einheiten in einer oder mehreren Unternehmungen: Es ist wichtig, dass der COO „die echte Welt“ gesehen hat. Juristen haben oft das Gefühl, dass die Regeln der Physik und Naturwissenschaften bei ihnen keine Gültigkeit haben. Daher ist es wichtig, dass der COO Erfahrungen in anderen Organisationen als nur in Kanzleien gesammelt hat und über genügend Autorität verfügt, um dies gegenüber den Partnern auch vertreten zu können. Aus diesen Tätigkeiten bezieht der COO in der Regel sein Wissen zu den oben beschriebenen Managementansätzen (Lean, Agilität etc.).
- Internationalität: Bei Kanzleien mit internationalen Klienten sollte der COO umso mehr eine ebensolche Erfahrung haben, denn die Verwaltung, die er leitet, muss verschiedenartige kulturelle Erwartungen erfüllen können.
- Voraussetzungen: COOs müssen keine Juristen sein. Wenn der Kandidat die beiden Voraussetzungen – betriebswirtschaftliche Kenntnisse und praktische Erfahrung – erfüllt, kann jedoch ein Studium der Rechtswissenschaften zusätzlich von großem Vorteil sein. Er ist dann „one of us“. Ein Jurist spricht dieselbe Sprache wie die Partner und hat es insofern einfacher. Ihm kann man nicht weiszumachen versuchen, dass er halt kein Jurist sei und daher bestimmte Themen nicht verstehe.
Was kann den Erfolg gefährden?
Es gibt einige Kanzleien, die eine COO-Position geschaffen hatten, sich aber rasch wieder von ihrem COO trennten und diesen nicht ersetzten. Grund dafür ist nicht, dass das Schaffen der Position per se keine gute Idee war, sondern dass im jeweiligen Fall keine günstigen Rahmenbedingungen geschaffen worden waren. Das ist schade, denn es kostet die Kanzlei Zeit und Geld, und das Scheitern ist für beide Seiten eine frustrierende Erfahrung. Oft liegt es daran, dass man eine Führungskraft ins Haus geholt hat, ihr aber seitens der Partnerschaft aufgrund eines übersteigerten Selbstbewusstseins oder aus Angst vor Kontrollverlust nicht den Raum lässt zu tun, was sie tun müsste, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Andere Gründe können das mangelnde Standing des Kandidaten gegenüber der Geschäftsleitung oder die unklare Abgrenzung zwischen fachverantwortlichem Partner und COO sein, die zu Kompetenzgerangel und Unfrieden führen. Schließlich ist es wichtig, dass die Schaffung einer so wichtigen Position nach innen gut kommuniziert wird. Immerhin verlieren die Chefs der verschiedenen Administrativabteilungen den direkten Draht zum fachverantwortlichen Partner oder zur Partnerschaft insgesamt, was nicht jeden erfreut.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Schaffung einer COO-Position ist ein lohnendes Unterfangen. Aber sie muss sorgfältig aufgesetzt und kommuniziert werden, und die Person sollte eine ganze Anzahl an Voraussetzungen erfüllen und gut ausgesucht werden. Als Beteiligte ist es für die Partnerschaft oft nicht einfach, dies mit der nötigen Übersicht und dem notwendigen Abstand umzusetzen. Sich im Vorfeld dazu ausreichend bei Peers und externen Beratern zu informieren kann sich mehr als lohnen.
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