Hamburger Bräuche sind zuweilen rau, macht’s die Seenähe? So soll mittels eines Schiffs namens „Bunte Kuh“ ein anderes namens „Toller Hund“ aufgebracht worden sein: die Gefangennahme von Klaus Störtebeker. Der Prozess war kurz: Wenige Tage später soll Störtebeker mit 72 Gefährten auf dem Grasbrook enthauptet worden sein. Die Legende besagt, dass Störtebeker um Gnade für die Männer gebeten habe, an denen er nach seiner Enthauptung vorbeiginge – Elfe waren es, aber den Henker hat das nicht geschert: Freudig enthauptete er weiter und bot sich sogar an, den Hamburger Rat gleich mit zu enthaupten, was diesem übel aufstieß, weshalb den Henker die eigene Enthauptung ereilte. Über den Eifer von dessen Exekutor ist nichts bekannt.
Mit seinem Urteil vom 27.10.2022 (I ZR 141/21 – „Vertragsstrafenverjährung“) hat sich der BGH mit einem milderen „Hamburger Brauch“ befasst:
Der Beklagte verwendete ein vom Kläger, einem Berufsfotografen, gefertigtes Lichtbild eines Antennenrotors für ein Verkaufsangebot bei eBay – Bildpiraterie eben. Auf eine Berechtigungsanfrage des Klägers hin verpflichtete er sich im Juni 2013, es bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Kläger zu bestimmenden, im Streitfall durch das zuständige Gericht zu überprüfenden angemessenen Vertragsstrafe zu unterlassen, das Bild im Internet zu veröffentlichen. Gleichwohl blieb das Lichtbild noch bis Mai 2014 als Produktabbildung in den Verkaufsangeboten des Beklagten auf verschiedenen Länderseiten von eBay abrufbar. Der Kläger forderte den Beklagten im Dezember 2016 zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 3.600 Euro auf. Diese Aufforderung blieb ebenso wie nachfolgende erfolglos, weshalb der Kläger im Dezember 2019 Klage erhob. Der Beklagte redete Verjährung ein.
Damit kam er beim BGH nicht durch: Eine Vertragsstrafe könne in der Weise vereinbart werden, dass dem Gläubiger gem. § 315 Abs. 1 BGB für den Fall einer künftigen Zuwiderhandlung des Schuldners gegen die vertragliche Unterlassungspflicht die Bestimmung der Strafhöhe nach seinem billigen Ermessen überlassen bleibe und dass diese Bestimmung im Einzelfall nach § 315 Abs. 3 BGB durch ein Gericht überprüft werden könne („Hamburger Brauch“; dazu BGH, Urteil vom 17.09.2009 – I ZR 217/07 = GRUR 2010, 355 – Testfundstelle).
Ein solcher Strafanspruch werde anders als der Anspruch auf Zahlung einer festen Vertragsstrafe nicht schon mit der Zuwiderhandlung fällig, sondern erst mit der dem Gläubiger übertragenen Bestimmung der Strafhöhe, also mit der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 und 2 BGB gegenüber dem Schuldner. Unterstelle man, dass der Kläger mit seinem Schreiben vom Dezember 2016 die zu zahlende Vertragsstrafe verbindlich auf 3.600 Euro festgelegt habe, dann sei der mögliche Vertragsanspruch erst im Dezember 2016 fällig geworden und damit im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden. Es bestehe kein Grund, bei dem Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ die Entstehung des Anspruchs im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB und damit den Verjährungsbeginn – abweichend von dem allgemeinen Grundsatz – nicht an die bei Festlegung der Vertragsstrafe eintretende Fälligkeit des Anspruchs, sondern an die Vollendung der Zuwiderhandlung zu knüpfen. Auch bei anderen Ansprüchen mit hinausgeschobener, von der Disposition des Gläubigers abhängiger Fälligkeit beginne die Verjährung nicht schon mit dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger die Fälligkeit hätte herbeiführen können.
Dem Verjährungsbeginn mit der durch Festlegung der Vertragsstrafe eintretenden Fälligkeit des Vertragsstrafeanspruchs stehe auch nicht entgegen, dass der Gläubiger nach Belieben den Anfang der Verjährungsfrist hinausschieben und dadurch den Eintritt der Verjährung hinauszögern könne: Regelmäßig habe der Gläubiger ein Interesse daran, durch die Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts die Fälligkeit und damit die Durchsetzbarkeit seines Vertragsstrafeanspruchs bald herbeizuführen. Durch eine verzögerte Festlegung der Vertragsstrafe seitens des Gläubigers würden schutzwürdige Belange des Schuldners regelmäßig nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Habe der Gläubiger sein Leistungsbestimmungsrecht nicht innerhalb einer objektiv angemessenen Zeit ausgeübt und wolle der Schuldner Klarheit darüber gewinnen, ob und in welcher Höhe er eine Vertragsstrafe verwirkt habe, könne er nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB eine Klage auf Leistungsbestimmung durch das Gericht erheben. Im Übrigen stehe es dem Schuldner, der die zeitlichen Unwägbarkeiten bei der Durchsetzbarkeit einer Vertragsstrafe von vornherein vermeiden wolle, frei, bei Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung statt einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ eine feste Vertragsstrafe zu versprechen.
Ganz so milde ist der hier behandelte „Hamburger Brauch“ also nicht: Er eröffnet dem Gläubiger grundsätzlich die Möglichkeit, mit der Bestimmung einer Vertragsstrafe eine längere Zeit zuzuwarten und so den Eintritt der Fälligkeit seines Strafanspruchs hinauszuschieben. Das bietet sich insbesondere dann an, wenn die Beobachtung des Verpflichteten über einen längeren Zeitraum hin mehrere Verstöße erwarten lässt, so dass ein höheres Strafverlangen gestellt werden kann. Aber besser, als kopflos an Piraten vorbeizugehen, ist das allemal.