Ein Jahr Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland – eine Bestandsaufnahme

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Am 29.03.2022 fand die feierliche Gründungsveranstaltung des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) in Frankfurt am Main statt. Auf den Tag genau ein Jahr später, am 29.03.2023, lud der Verband zu einer virtuellen Geburtstagspressekonferenz ein. Vorstandssprecher Stefan Rizor hatte in seinem Kölner Büro die Umzugskartons bereits gepackt – denn seit dem 01.04.2023 residiert der Verband in der ersten eigenen Geschäftsstelle in der Bernburger Straße in Berlin-Mitte. Die Initiatoren rund um Stefan Rizor, Gründer und lange Jahre Managing Partner sowie Senior Partner von Osborne Clarke, und um den stellvertretenden Vorstandssprecher Prof. Dr. Thomas Wegerich, Herausgeber zahlreicher Publikationen zum unternehmensrelevanten Recht, sind vor einem Jahr mit dem Ziel angetreten, eine Interessengemeinschaft und Serviceorganisation für Wirtschaftskanzleien zu schaffen. Agil, das heißt ohne großen bürokratischen Apparat oder Regionaldirektionen, sowie proaktiv und transparent, beispielsweise durch den offenen Austausch mit Journalistinnen und Journalisten, wollte der Verband sein – und das Konzept scheint aufzugehen.

Zahlen und Fakten zum Verband

Zunächst ein Blick auf die Zahlen und Fakten: Im März 2022 mit 31 Mitgliedskanzleien gegründet, sind inzwischen 44 Kanzleien im BWD organisiert – ein Plus von über 40%. Auch wenn sich das Wachstum nicht in dieser Dynamik fortsetzen dürfte, sorgen Gespräche mit vielen interessierten Wirtschaftskanzleien für Zuversicht, schon bald weitere Neumitglieder begrüßen zu können. Die Zahl der bei den Mitgliedskanzleien beschäftigten Anwälten ist von 5.000 auf 5.700 gestiegen, die Zahl der Mitarbeiter von 17.000 auf mehr als 24.000 – dies dürfte für das politische Berlin eine noch größere Bedeutung haben. Der Jahresumsatz, den die Mitgliedskanzleien erwirtschaften, liegt nun bei insgesamt über 2,45 Milliarden Euro.

Bei der Auswahl neuer Mitglieder ist Diversität ein wichtiges Kriterium: Kanzleien wie Friedrich Graf von Westphalen, Haver & Mailänder oder Göhmann haben eine starke regionale Verankerung – auch das ein wichtiges Signal an die Politik, denn nicht nur Großkanzleien, die typischerweise in Ballungsgebieten ansässig sind, sondern auch kleinere und spezialisierte Wirtschaftskanzleien, die für den Föderalismus stehen, sollen im BWD eine Stimme finden. Bereits seit Anbeginn dabei ist beispielsweise reuschlaw, die sich auf das Thema Produkthaftung und Produktsicherheit spezialisiert haben. Das neue Mitglied Tsambikakis setzt seinen Schwerpunkt im Wirtschaftsstrafrecht. Die US-Kanzlei Lieff Cabraser Heimann & Bernstein steht vor allem für die Themen Litigation und Dispute Resolution. Auf Insolvenzrecht spezialisiert ist Schneider Geiwitz.

Auch die Mandantenseite wird in der Arbeit des BWD stets einbezogen. Dafür hat der BWD ein Advisory Board gegründet, dem inzwischen rund 30 handverlesene Unternehmensjuristen und Corporate Counsels angehören. Neu im Advisory Board sind beispielsweise Hanno Hinzmann, SAP, Dr. Jörg Thomaier, Baier AG, und Ute Bonde, Berliner Verkehrsbetriebe. Advisory-Board-Mitglied Dr. Valesca Molinari-Honekamp, früher Anwältin in einer Großkanzlei und jetzt General Counsel bei Sunfire, gehört gleichzeitig dem Vorstand des Legal-Tech-Verbands an, womit ein weiteres BWD-Ziel, nämlich der Dialog mit anderen Marktakteuren – hier insbesondere mit Blick auf die wichtigen Themen Digitalisierung der Justiz und Legal-Tech-Unternehmen –, weiter befördert wird.

Mit Prof. Dr. Madeleine Bernhardt (Hamburg), Prof. Dr. Martin Henssler (Köln), Prof. Dr. Bruno Mascello (St. Gallen), Prof. Dr. Michael Smets (Oxford) und Prof. Dr. Gregor Thüsing (Bonn) sind fünf namhafte Vertreter aus der Wissenschaft, die vor allem auf den deutschen Rechtsmarkt blicken, im Scientific Board organisiert.

Es ist dem BWD ein besonderes Anliegen, mit seinen Positionen im politischen Berlin wahrgenommen zu werden und auch dem Bundesjustizministerium (BMJ) als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Hier kann der BWD beispielsweise zum Thema „Strukturierte internationale Vernetzung“ wertvolle Beiträge leisten.

Task Forces als „Maschinenraum“ des BWD

Derzeit 17 Task Forces befassen sich mit Fragestellungen, von denen einige durch die Ampel im Koalitionsvertrag festgelegt gesetzt wurden, wie beispielsweise den Themen „Schnelle und effiziente Justiz“ oder „Erfolgshonorare“. Die Task Forces sind gewissermaßen der Maschinenraum des BWD, sagt Thomas Wegerich. Neben einem oder mehreren Task-Force-Leitern finden sich in den Arbeitsgruppen die jeweiligen Experten aus den Mitgliedskanzleien sowie interessierte Advisory-Board-Mitglieder, die die Mandantensicht einbringen. Auch das Scientific Board wird einbezogen, so dass ein 360-Grad-Blick auf die Themen entsteht. Mindestens ein Mitglied des 8-köpfigen Vorstands begleitet die Arbeit der jeweiligen Task Forces. So konnte sich der BWD mit der Task Force „Arbeitszeitgesetz“ nach der zunächst überraschenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Herbst 2022 bereits sehr frühzeitig mit einem eigenen Positionspapier in die Diskussion einbringen. Daran anknüpfend, fand im Januar 2023 der erste „Rechtspolitische Dialog“ des BWD in Kooperation mit dem Forschungsinstitut für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität und mit dem Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht statt. Christof Kleinmann, Managing Partner Graf von Westphalen und Leiter der Task Force „Arbeitszeitgesetz“, legte die Sicht der Wirtschaftskanzleien dar. Prof. Thüsing behandelte die europäische Dimension des Themas. Im Anschluss diskutierten Bundestagsabgeordnete der Ampelfraktionen SPD, Grüne und FDP sowie von CDU/CSU und der Linken über Folgen der aktuellen BAG-Entscheidung.

Des Weiteren hat die Task Force „Whistleblowing“ bereits im Oktober 2022 ein eigenes Positionspapier zum Hinweisgeberschutz vorgelegt.

Inzwischen wird der Verband immer wieder von Vertretern des rechtspolitischen Berlins um Einschätzungen gebeten und erweist sich auch da als stets sprechfähig, so beispielsweise in einer Stellungnahme zum Einsatz von Videotechnik in der Zivilgerichtsbarkeit, die dem BMJ bis zum 13.01.2023 vorzulegen war. Keine andere Anwalts-organisation konnte diese Frist einhalten.

Verbandsmagazin fourword

Bereits im Juli 2022 – nur wenige Monate, nachdem der Verband seine Arbeit aufgenommen hatte – erschien erstmals das Online-Verbandsmagazin fourword, das in der bewährten Partnerschaft zwischen dem juristischen Fachverlag German Law Publishers und dem F.A.Z.-Fachverlag (FBM) herausgegeben wird. Quartalsweise behandelt das Magazin fachliche, rechtspolitische und marktbezogene Themen, die der BWD in den jeweiligen Task Forces, im Austausch mit den Mitgliedern und im Dialog mit dem Gesetzgeber behandelt.

Drei Rubriken sollen beispielhaft genannt werden:

– In der Rubrik „Blickpunkt Berlin“ nehmen namhafte Vertreter der Rechtspolitik Stellung zu aktuellen Themen.
– Die Rubrik „Foreign affairs“ betrachtet wichtige Entwicklungen aus dem Ausland, die für den deutschen Rechtsmarkt wichtige Erkenntnisse bringen.
– Der „Proustsche Fragebogen“ für Wirtschaftsanwälte hat zwar keine unmittelbare Relevanz für das Kerngeschäft der Kanzleien, bietet aber pures Lesevergnügen.

Veranstaltungen fördern den Austausch

Auch eine ganze Reihe von Präsenzveranstaltungen kann sich der BWD auf seine Fahne schreiben, von der traditionellen Kuratoriumsversammlung, die jeweils im Mai auf Schloss Bensberg stattfindet, über das Netzwerktreffen „Deutscher AnwaltSpiegel meets BWD“ bis hin zum Parlamentarischen Abend, der im Juli 2022 erstmals in der Parlamentarischen Gesellschaft, Berlin, stattfand. Die Schirmherrschaft übernahm Richterin Sonja Eichwede, MdB, rechtspolitische Sprecherin der SPD. Die CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses Elisabeth Winkelmeier-Becker hielt eine Keynote.

Dialog mit dem DAV

Mit dem Deutschen Anwaltverein (DAV), der im Gegensatz zum BWD berufsständisch organisiert ist, besteht ein reger Austausch. Dieser hat auf die Verbandsgründung reagiert, in dem sich unter dem Dach des DAV ein eigenes „Forum der Wirtschaftskanzleien“ formiert hat. Dr. Alexander Ritvay, Noerr, und Dr. Annette Mutschler-Siebert, K&L Gates, führen den Vorsitz. Doppelmitgliedschaften seien ausdrücklich erwünscht, meint Stefan Rizor. Das Forum hat sich zunächst auf die drei Themenstellungen Arbeitszeit, anwaltliches Berufsrecht und Fremdbesitz festgelegt.

Dr. Hubertus Kolster, langjähriger Managing Partner und nunmehr Senior Partner von CMS Hasche Sigle, der als Gründungsmitglied und Vertreter des Kuratoriums am BWD-Pressegespräch am 29.03.2023 teilnahm, erklärte, dass er in dem DAV-Forum keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung sehe, der BWD als eigenständiger Verband jedoch eine höhere Sichtbarkeit im Markt erreiche und ein breiteres Themenspektrum abdecke. Von Anfang an ausschlaggebend für die Unterstützung der Verbands-idee war, dass es zum Gründungszeitpunkt keine derartige Interessenvertretung für Wirtschaftskanzleien gab und sich diese nicht ausreichend rechtspolitisch vertreten fühlten.

Vertrauensvolle Vorstandsarbeit

Elisabeth Lepique, Co-Managing Partner Luther und aktuelles Vorstandsmitglied des BWD, sprach ebenfalls ein Lob an Stefan Rizor und Thomas Wegerich aus. Man habe sich in der Vorstandsarbeit einem klaren Konzept verschrieben. Zweimal monatlich fänden virtuelle Vorstandssitzungen statt, die insgesamt sehr harmonisch und in einem guten Miteinander abliefen – zu Monatsbeginn eine längere Sitzung, in der Monatsmitte ein kürzerer, sogenannter Espressotalk. Dabei würden neben fachlichen und unternehmerischen Themen auch Verwaltungsthemen erörtert. Zudem wurden Formate entwickelt, die helfen sollen, der Verbandsarbeit einen Spiegel vorzuhalten und zu prüfen, inwieweit die Mitglieder mit der Leistung des BWD zufrieden sind. Das alles sei sehr zeitintensiv, 15 bis 20% der Arbeitszeit entfielen auf die Vorstandsaufgaben – mit Blick auf den ohnehin sehr anspruchsvollen Alltag als Co-Managing Partner durchaus eine Herausforderung.

Wie geht es nun weiter mit dem BWD? Ziel im ersten Jahr sei es gewesen, im Rechtsmarkt anzukommen, erklärte Stefan Rizor. Für das zweite Jahr habe sich der Verband vorgenommen, sich weiter im Rechtsmarkt zu etablieren. Hierzu ist bereits ein eigenes Intranet installiert, das unter anderem die Arbeit der Task Forces erleichtern soll. Thomas Wegerich ergänzte, es sei gelungen, geschützte Räume für den Austausch der Mitgliedskanzleien untereinander zu schaffen, in dessen Rahmen die Kanzleien, die sonst als Wettbewerber auftreten, erstaunlich offen miteinander interagieren und kommunizieren. Diese besondere Atmosphäre mit der damit verbundenen Transparenz ist möglicherweise der bisher größte Erfolg des noch jungen Verbands.

 

karin.gangl@faz-bm.de

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