Ein Praxisbericht: Die Rolle des Prozessfinanzierers in streitigen Verhandlungssituationen

Von Christoph Schubert

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Verhandeln gehört zu unserem Alltag – egal ob im privaten oder im beruflichen Umfeld. Es gibt laufend Situationen, in denen unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen. Manchmal geht es dabei um die Frage, welcher Film abends gesehen werden soll, ein anderes Mal um Schadensersatzansprüche wegen eines gescheiterten Bauprojekts in Millionenhöhe.
Um einen Rechtsstreit zu vermeiden oder den Familienfrieden zu wahren, können die Beteiligten in beiden Situationen versuchen, durch Verhandlungen eine konstruktive und friedliche Einigung zu finden. Hier knüpfen die meisten Verhandlungsmethoden an, wie zum Beispiel das bekannte „Harvard-Konzept“, um für beide Seiten einen größtmöglichen Nutzen zu erreichen.

Orange halbiert – Win-win-Situation vertan
Verhandlungstrainer zeigen dies gerne am sogenannten Orangenbeispiel. Darin streiten zwei Kinder um eine Orange. Keines ist zum Teilen bereit. Am Ende halbiert die Mutter die Orange und gibt jedem Kind eine Hälfte. Auf den ersten Blick ist das ein fairer Kompromiss. Doch die optimale Lösung ist es trotzdem nicht. Denn während ein Kind nun die Schale seiner Hälfte benutzt, um einen Kuchen zu backen und das Fruchtfleisch wegwirft, will das andere Orangensaft machen und presst seine Hälfte deshalb aus; an der Schale hat es kein Interesse. Eigentlich wäre eine Win-win-Lösung mit beiderseitigem Nutzen möglich gewesen, wenn die Mutter die Motive der Kinder erkannt hätte und nicht von den vorgebrachten Positionen abgelenkt worden wäre.
Deutlich schwieriger wird es, wenn sich das eine Kind die Orange einfach greift und nicht bereit ist, irgendetwas davon abzugeben oder überhaupt nur darüber zu sprechen, oder wenn ein (Ehe-)Partner Gleiches mit der Fernbedienung tut, ohne über die Filmauswahl sprechen zu wollen. Viele Verhandlungsmethoden enthalten auf eine solche Situation keine Antwort, weil sie von fairen Verhandlungspartnern ausgehen, die sowohl gesprächs- als auch kompromissbereit sind.

Ohne Machtausgleich laufen Argumente oft ins Leere
Argumente helfen in einer solchen Lage selten weiter, was faire Verhandler zum Verzweifeln bringen kann. Denn bekanntlich gibt es für jedes Argument ein Gegenargument. Und niemand ist gezwungen, ein Argument anzuerkennen. Ein einfaches Nein – oder schlimmer – bloßes Schweigen genügt. Argumente nützen nur dann, wenn es einen Richter gibt, der über den Streit anhand der vorgebrachten Argumente entscheidet. Dies gilt für sachliche wie für rechtliche Argumente gleichermaßen, seien sie auch noch so stichhaltig. Auch Anwaltsschreiben gehen in solchen Fällen regelmäßig ins Leere oder werden mit spiegelbildlichen Rechtsargumenten beantwortet, womit sich die Diskussion im Kreis dreht. Eine echte Verhandlung beginnt gar nicht erst.
Erfolgversprechender ist es in einer solchen Situation, zunächst das Machtverhältnis zwischen den Beteiligten auszugleichen. Denn meistens beruht eine Verhandlungsverweigerung oder ein unangemessenes Vergleichsangebot auf einem tatsächlichen oder empfundenen Machtgefälle zwischen den Parteien. Das kann etwa daran liegen, dass eine Seite wirtschaftlich unterlegen ist und daher eine schnelle Vergleichszahlung benötigt oder sich keinen langen Rechtsstreit leisten kann. Manchmal hat es ein Kontrahent aber auch nur trickreich geschafft, der anderen Seite zumindest den Eindruck der Überlegenheit zu vermitteln.
Beim Ausgleich eines echten oder gefühlten Machtgefälles kann schon eine kreative Idee, verbunden mit Entschlossenheit, helfen. Das zeigt etwa das Beispiel eines Autozulieferers, der, nachdem ein wirtschaftlich vermeintlich überlegener Automobilhersteller eigenmächtig die Einkaufspreise reduziert hatte, wodurch erhebliche Rechnungssummen offenstanden, seine weitere Leistung verweigerte. Nach dem ersten Bandstillstand willigte der Hersteller zügig in Gespräche ein, die in kurzer Zeit mit einem Vergleich abgeschlossen wurden. Darin soll sich auch ein Verzicht des Herstellers auf etwaige Schadensersatzansprüche befunden haben, mit denen er dem Zulieferer anfangs noch wegen des angekündigten Bandstillstands gedroht hatte.

Auch sture Gegner lassen sich außergerichtlich zähmen
Bleibt der Gegner jedoch stur und verweigert konstruktive Verhandlungen, da er der wirtschaftlich schwächeren Partei nicht zutraut, ihre Forderung zwangsweise per Klage durchzusetzen, kann die Einbeziehung eines Prozessfinanzierers weiterhelfen. Dadurch wird dem sich im Vorteil wähnenden Gegner vor Augen geführt, dass die finanziellen Mittel für einen kostenintensiven und möglicherweise langwierigen Rechtsstreit vorhanden sind. Dies führt oft dazu, dass der Gegner einem Rechtsstreit nicht mehr (angeblich) „gelassen entgegensieht“ und stattdessen Vergleichsgespräche aufnimmt.
Ein erfolgreiches Vorgehen setzt natürlich voraus, dass der Prozessfinanzierer sich nicht nur auf die Finanzierung eines Rechtsstreits beschränkt, da dieser ja gerade durch die Aufnahme von Verhandlungen vermieden werden soll, um eine schnelle und friedliche Lösung mit beiderseitigem Gewinn zu erreichen.
Spezialisierte Prozessfinanzierer bieten daher auch die Begleitung außergerichtlicher Verhandlungen an und übernehmen die dabei entstehenden Kosten, wie etwa die Vergütung von Anwälten und Gutachtern, gegen eine erfolgsorientierte Beteiligung an einem möglichen Vergleichserlös. Einige bieten ihren Kunden zudem eine Teilzahlung auf die streitige Forderung an (sogenannte Monetarisierung), wenn schnelles Geld benötigt wird. Damit kann der Abschluss eines „faulen“ Vergleichs aus zeitlicher Not vermieden und ohne Zeitdruck verhandelt werden.
Darüber hinaus ist die aktive Begleitung außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen wichtig. Der Prozessfinanzierer fungiert dabei entweder als taktischer Berater des Anspruchsinhabers im Hintergrund („Ghost-Negotiator“) oder nimmt durch erfahrene Verhandler an den Verhandlungsgesprächen selbst teil. Diese achten darauf, dass die Verhandlungen lösungsorientiert verlaufen, erkennen frühzeitig unfaire Tricks der Gegenseite und reagieren darauf in Abstimmung mit dem Anspruchsinhaber und seinem Rechtsanwalt.
Dabei versteht sich der Prozessfinanzierer, der selbst keine rechtliche Beratung anbietet, bewusst nicht als Ersatz des Rechtsanwalts, sondern als verhandlungstaktische Ergänzung. Ziel ist es, die jeweilige Verhandlungssituation sowie die Interessen und Motive der Beteiligten zu analysieren und Lösungsmöglichkeiten zu moderieren, um ein beiderseits gewinnbringendes Ergebnis zu erreichen.

Ein Beispiel aus der Praxis: Insolvenzverwalter
In vielen (vorläufigen) Insolvenzverfahren stellt sich das Problem, dass nur geringe liquide Mittel vorhanden sind und daher werthaltige Forderungen der Insolvenzmasse nicht gerichtlich verfolgt werden können. Prozesskostenhilfe erhält ein Insolvenzverwalter nur dann, wenn den Insolvenzgläubigern ein Prozesskostenvorschuss nicht zumutbar ist. Die fehlende Bereitschaft eines Gläubigers, sich an der Finanzierung des Prozesses zu beteiligen, genügt nicht. Genau daran scheitert es in der Praxis häufig. Getreu dem Motto „Werfe kein gutes Geld dem schlechten hinterher!“ verweigern Gläubiger regelmäßig eine Kostenbeteiligung.
Vor diesem Hintergrund spekulieren manche Schuldner eines insolventen Unternehmens darauf, dass der Verwalter bestehende Ansprüche gegen sie nicht klageweise durchsetzen kann, und verweigern grundlos die Zahlung. Außergerichtliche Verhandlungsangebote werden ignoriert oder mit inakzeptablen Vergleichsangeboten beantwortet.
Die Beteiligung eines Prozessfinanzierers auf der Seite des Insolvenzverwalters führt in solchen Fällen oft dazu, dass die Gegenseite gesprächsbereit und letztlich ein angemessener Vergleich gefunden wird, um eine durchfinanzierte Klage des Verwalters zu vermeiden.

Christoph.schubert@foris.com

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