Der halbjährliche Praxisüberblick zum Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht

Von Philipp Reusch

Beitrag als PDF (Download)

Rein produkthaftungsrechtliche oder produktsicherheitsrechtliche Urteile sind selten. Daher muss man sich als Autor eines Rechtsprechungsreports zu diesem Thema häufig in anderen Rechtsgebieten umsehen, die Fragen der Produkthaftung und Produktsicherheit teilweise nur am Rande streifen.

Sachmängelhaftungsrecht

BGH, Urteil vom 20.03.2019 – VIII ZR 213/18
Die Klägerin erwarb für ihre Vogelfutterproduktion eine Verpackungsmaschine von der Beklagten. Nach Inbetriebnahme behauptete die Klägerin, dass die Maschine nur neun Vogelfutterportionen pro Minute statt der geforderten 20 verpacken könne. Die Klägerin erklärte nach fruchtloser Fristsetzung zur Nachbesserung den Rücktritt und klagte auf Rückabwicklung des Vertrags. Das LG gab der Klage statt, das OLG wies die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurück. Diese legte daraufhin Revision ein.
Die Revision hatte Erfolg. Der BGH sah in der Abweichung keinen Sachmangel. Die in der Auftragsbestätigung angegebene Produktionsgeschwindigkeit von „up to 40 pcs/min“ (bis zu 40 Stück pro Minute) erfülle nicht die hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine Beschaffenheitsvereinbarung stelle. Hinsichtlich der vertraglich vorausgesetzten Verwendung gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB sei lediglich der Einsatzzweck relevant (Verpacken von Vogelfutter), nicht aber einzelne Merkmale (die Geschwindigkeit der Maschine). Ob die Maschine gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 2 BGB mangelhaft sein könnte, weil sie sich nicht oder nur eingeschränkt zur Verwendung als industrielle Verpackungsmaschine eignete, konnte der BGH aufgrund mangelnder Feststellungen zur Geschwindigkeit durch das Berufungsgericht nicht beurteilen.

OLG Hamm, Urteil vom 14.08.2019 – 12 U 73/18
Das OLG Hamm beschäftigte sich mit der Vermutungswirkung bei der Einhaltung von DIN-Normen. Die Klägerinnen schlossen mit der Beklagten einen Bauträgerkaufvertrag ab. Im notariellen Vertrag wurde festgehalten, dass die DIN 18195 („Bauwerkabdichtungen“) einzuhalten war, um im Keller sich zeitweise stauendes Wasser an den Kelleraußenwänden abzuhalten. Der Architekt (Streitverkündeter) sah eine Kombinationsabdichtung aus WU-Betonplatten und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung vor. Ein Jahr nach Übergabe des Hauses stellten die Klägerinnen Feuchtigkeit im Keller fest. Die Beklagte und der Streitverkündete boten daraufhin eine Sanierung nach dem INTRASIT-System an. Dies lehnten die Klägerinnen ab, weil diese Methode nur die Symptome und nicht den Mangel beseitige. Notwendig sei der Einbau einer Vorrichtung über die gesamte Kellerfläche. Gegen das überwiegend erfolgreiche erstinstanzliche Urteil richtete sich die Berufung der Beklagten.
Das Gericht stellte fest, dass das Werk wegen des Wassereintritts nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufwies und damit gemäß § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB mangelhaft war. Die von der Beklagten vorgeschlagene Methode sei zur Mangelbeseitigung ungeeignet gewesen, weil damit keine dauerhafte Mängelbeseitigung möglich sei. Die gewählte Kombinationslösung entspreche nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Die Kombinationslösung erfülle laut Gericht zwar die Voraussetzungen der DIN 18195-6 (sowie der nachfolgenden DIN 18533). Bei der Einhaltung von DIN-Normen bestünde die Vermutung, dass die anerkannten Regeln der Technik angewandt wurden. Diese Vermutung wurde nach Überzeugung des Gerichts allerdings durch das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten widerlegt. Demnach sei die Kombinationslösung nicht dazu geeignet, eine dauerhafte Abdichtung zu schaffen, da es mit dieser Methode in der Vergangenheit bekanntermaßen zu diversen Schadensfällen gekommen war. Im Ergebnis sah das Gericht die Vermutungswirkung damit als widerlegt an.

Produkthaftungsrecht

Kammergericht, Urteil vom 27.05.2019 – 20 U 115/17
Das Kammergericht hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Kläger Ansprüche aus § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG und § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Hüftprothese geltend machte, die Metallabrieb aufwies. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Auch das Kammergericht verneinte Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG), weil das Inverkehrbringen zu lange zurücklag und sie somit bereits erloschen waren, vgl. § 13 ProdHaftG. Abzustellen sei auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Produkts und nicht auf den Zeitpunkt der Implantation. Sobald das Produkt in Verkehr gebracht worden sei, fange die Erlöschensfrist an zu laufen. Das Gericht wies darauf hin, dass auch dann kein Anspruch bestünde, wenn § 13 ProdHaftG nicht einschlägig wäre. Alle Prothesen hätten einen gewissen Abrieb, für diesen gebe es keine medizinisch belastbaren Grenzwerte. Zudem wies es darauf hin, dass auch ein Instruktionsfehler nicht vorläge, weil allein der Hinweis auf erhöhten Abrieb diesen nicht verhindert hätte. Auch aus § 823 Abs. 1 BGB wurden dem Kläger keine ­Ansprüche zugesprochen, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnte, dass die Prothese zu einem Schaden bei dem Kläger geführt hatte. Abrieb stelle nicht grundsätzlich eine Körperverletzung dar, weil dieser immer stattfinde.

LG Freiburg, Urteil vom 02.08.2019 – 1 O 266/12
und LG Freiburg, Urteil vom 02.08.2019 – 1 O 223/12 (verbundene Verfahren)

LG Freiburg, Urteil vom 02.08.2019 – 1 O 460/11
Das LG Freiburg hat in gleich drei Verfahren die Fehlerhaftigkeit von Hüftprothesen nach dem Produkthaftungsgesetz bejaht. Bei allen Klägern kam es nach dem Einsetzen der Hüftprothesen zu Beschwerden, in deren Folge sie die Hüftprothesen tauschen ließen. Die Geschädigten verklagten daraufhin den Hersteller der Prothesen.
Die Fehlerhaftigkeit der Prothesen wurde aufgrund von Instruktionsfehlern anerkannt. Die Anleitungen waren hinsichtlich diverser Vorgaben unzureichend, da sie nicht gewährten, dass die Prothese durch den Operateur richtig eingesetzt werden konnte. Dadurch kam es zu erhöhtem Metallabrieb. Weil der Instruktionsfehler bei Inverkehrgabe erkennbar war, wurde ein Entwicklungsfehler, der die Ersatzpflicht des Herstellers gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ausschließt, verneint. Obwohl bereits ein tatsächlicher Fehler bejaht wurde, äußerte sich das Gericht zu den Sachverhalten, die unter dem Stichwort des „Fehlerverdachts“ diskutiert werden (vgl. auch EuGH, Urteil vom 05.03.2015 – C-503/13 und C-504/13). Auch ohne konkreten Fehlernachweis seien die Prothesen bereits deshalb fehlerhaft gewesen, weil sie zu einer Serie mit einer erhöhten Ausfallwahrscheinlichkeit gehörten. Weil es sich bei implantierbaren Hüftprothesen um eine Produktgruppe handele, die hohe berechtigte Sicherheitserwartungen wecke, genüge bereits eine erhöhte Fehlerwahrscheinlichkeit, um einen Fehler anzunehmen.

BGH, Beschluss vom 16.04.2019 – VI ZR 157/18
In seinem Beschluss definiert der BGH die Anforderungen an die Darlegung eines Produktfehlers, die das Berufungsgericht zuvor überspannt und somit den Anspruch auf rechtliches Gehör des Klägers gemäß Artikel 103 Abs. 1 GG verletzt hatte.
Die Beklagte importierte Hüftprothesen. Eine dieser Hüftprothesen wurde der Klägerin eingesetzt. In der Folge litt die Klägerin an Schmerzen, zudem wurden erhöhte Chrom- und Cobaltwerte im Blut festgestellt. Letztlich wurde die Prothese jeweils in den Jahren 2009 und 2015 getauscht. Die Klägerin behauptete, die Prothese sei fehlerhaft, da sie konstruktionsbedingt erhöhten Metallabrieb aufweise. Sie verlangte daher aus Produkthaftungsgesetz Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung. Klage und Berufung blieben erfolglos, die Revision wurde nicht zugelassen. Die Klägerin wendete sich mit Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH.
In der Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach der Kläger den Beweis über das Vorliegen eines Fehlers der Hüftprothesen nicht geführt habe, sah der BGH einen Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Artikel 103 Abs. 1 GG). Der Kläger habe vorgetragen, dass Tests zum Abrieb vor Inverkehrbringen hätten durchgeführt werden müssen, weil bereits vor Zulassung Gefahren zum Metallabrieb bekannt gewesen seien. Das Berufungsgericht sei laut BGH jedoch in seinen Entscheidungsgründen nicht mehr auf diese Argumente eingegangen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei Berücksichtigung dieser Argumente ein Fehler angenommen worden wäre, so dass die Verletzung rechtlichen Gehörs bejaht wurde. Der BGH hat den Rechtsstreit daher wieder an das Berufungsgericht verwiesen.

BGH, Beschluss vom 02.07.2019 – VI ZR 42/18
Der BGH sah den Anspruch auf rechtliches Gehör ein weiteres Mal im Zusammenhang mit der Geltendmachung einer Klage wegen eines wirkungslosen Produkts verletzt.
Die Klägerin machte nach einem Wohnungseinbruch Ansprüche aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG und § 823 Abs. 1 BGB gegen den Hersteller des Türschlosses geltend. Der Täter habe das Schloss mit einem Weichholz öffnen können, andere Einbruchsursachen kämen nicht in Betracht. Das LG wies die Klage ab, das OLG wies die Berufung zurück. Die von der Klägerin daraufhin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde war erfolgreich.
Der BGH stellte fest, dass das Berufungsgericht bei seinen Beurteilungen zum schlüssigen Vortrag der Klägerin den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Abs. 1 GG verletzt habe. Das Berufungsgericht habe die Substantiierungsanforderungen an den Tatsachenvortrag überspannt. Die Sache wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Produktsicherheitsrecht

OVG Lüneburg, Urteil vom 17.12.2019 – 13 LB 135/19
Die Klägerin brachte zwei Produkte als Medizinprodukte im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr. Diese wurden von der zuständigen Behörde allerdings mit Bescheid als zulassungspflichtige Arzneimittel eingestuft. Eine Klage hiergegen blieb ohne Erfolg. Auf Grundlage des Arzneimittelgesetzes untersagte die Beklagte der Klägerin dann das Inverkehrbringen der Produkte und ordnete den Rückruf an. Auch die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Außerhalb von Deutschland brachte die Klägerin die Produkte inklusive CE-Kennzeichen allerdings weiterhin in Verkehr. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangte, untersagte sie der Klägerin auch das Inverkehrbringen im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum. Sie begründete dies damit, dass die Produkte durch die Einstufung als Arzneimittel die Berechtigung verloren hätten, ein CE-Kennzeichen zu tragen und damit im Europäischen Wirtschaftsraum nicht mehr verkehrsfähig seien. Gegen diesen Bescheid klagte die Klägerin. Das VG wies die Klage ab. Hiergegen richtete sich die Berufung der Klägerin.
Die Berufung hatte Erfolg. Trägt ein Medizinprodukt unrechtmäßig ein CE-Kennzeichen, ist die Behörde gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 Medizinproduktegesetz (MPG) zum Eingriff ermächtigt. Das OVG stellte fest, dass dies auch für Produkte gelte, die keine Medizinprodukte seien. Dabei erklärte das OVG, dass § 27 Abs. 2 Satz 1 MPG auch für Produkte gelte, die wie zwar keine Medizinprodukte darstellen, auf denen aber unzulässigerweise ein CE-Kennzeichen angebracht wurde. Allerdings stelle § 27 Abs. 2 Satz 1 MPG keine Ermächtigungsgrundlage dar, mit Hilfe derer eine deutsche Behörde das Inverkehrbringen für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum untersagen könnte. Aufgrund des Territorialprinzips beschränke sich auch die Bestimmung des § 27 Abs. 2 MPG nur auf die Bundesrepublik.

VG Münster, Urteil vom 13.11.2019 – 9 K 2514/16
Wird die von einem Spielzeug ausgehende Gefahr von einer Marktüberwachungsbehörde fehlerhaft eingestuft und kommt es deswegen zu einer RAPEX-Warnung (das Rapid Exchange of Information System ist ein Schnellwarnsystem der EU für den Verbraucherschutz), kann der Hersteller oder Einführer nach einem Urteil des VG Münster von der Behörde verlangen, dass diese bei der Europäischen Kommission einen Antrag auf Rücknahme dieser Meldung stellt.
Im streitgegenständlichen Fall importierte und veräußerte der Kläger Radiergummis in Enten- und Golfset-Form. Diese trugen ein CE-Kennzeichen, waren mit einem Verbotsschild mit dem Zusatz „0–3“ und dem textlichen Zusatz „Achtung! Nicht geeignet für Kinder unter 3 Jahren, da verschluckbare Kleinteile. Erstickungsgefahr! Überwachung durch Erwachsene ratsam. Warnhinweis bitte aufheben.“ versehen. Die Marktüberwachungsbehörde kam zu dem Schluss, dass von den Produkten ein ernstes Risiko für die Altersgruppe unter 36 Monaten ausgehe und veranlasste eine entsprechende RAPEX-Meldung.
Die Klägerin erhob Klage mit dem Ziel, die RAPEX-Meldung aus dem RAPEX-Meldesystem beseitigen zu lassen. Das VG Münster stellte fest, dass die Meldung rechtwidrig erfolgt sei, da die Einstufung der Produkte als Spielzeug für Kinder im Alter von unter 36 Monaten und somit die darauf aufbauende Risikobewertung fehlerhaft gewesen seien. Die Ausgestaltung und die Aufmachung der Produkte einschließlich der beigefügten Warnhinweise schlössen eine etwaige Bestimmung der Produkte für Kinder unter 36 Monaten eindeutig aus. Eltern oder Aufsichtspersonen könnten aufgrund der Funktionen, Abmessungen und Eigenschaften der Produkte nicht davon ausgehen, dass sie zur Verwendung durch Kinder der angegebenen Altersgruppe bestimmt seien.

VG Münster, Urteil vom 21.08.2019 – 7 K 5299/16
Das VG Münster hatte zudem über die Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids zu entscheiden, der dem Urteil über die Überprüfung von Tierspielzeug aus dem Jahr 2018 stark ähnelt (vgl. VG Münster, Urteil vom 18.05.2018 – 7 K 2477/15).
Die Bezirksregierung führte bei der Klägerin, einem Möbel- und Haushaltswarengeschäft, Testkäufe von insgesamt vier Produkten durch, die als Türstopper dienen sollten, wobei die Bezirksregierung diese als Spielzeug bewertete. Bei drei von ihnen („Igel“, „Pinguin“, „Fuchs“) bestanden formale Sicherheitsmängel, da die CE-Kennzeichnung fehlte. Außerdem war die Identifikationskennzeichnung nur auf angehängten Etiketten vorhanden, nicht aber auf den am Körper angenähten Etiketten. Auch beim vierten Türstopper („Frühlingswichtel“) fehlte die CE-Kennzeichnung, zudem waren die weiteren notwendigen Kennzeichnungen nur angehängt, nicht aber eingenäht. Auch die sicherheitstechnische Prüfung hatte der „Frühlingswichtel“ nicht bestanden. Gegen den für die Überprüfung ausgestellten Kostenbescheid wehrte sich die Klägerin teilweise mit Erfolg.
Hinsichtlich der Kosten für die Sichtprüfung war der Kostenbescheid zwar rechtmäßig. Kosten für eine entsprechende Überprüfung dürfen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) in Rechnung gestellt werden, wenn die Kontrolle der Produkte ergibt, dass die Anforderungen des Abschnitts 2 des ProdSG nicht erfüllt sind. Das VG stellte fest, dass keiner der geprüften Türstopper die Anforderungen an die Kennzeichnungspflichten nach dem ProdSG erfüllte. Obwohl es möglich gewesen wäre, seien die notwendigen Informationen nicht auf den Produkten selbst angebracht, sondern nur angehängt.
Anders verhielt es sich mit der sicherheitstechnischen Überprüfung des „Frühlingswichtels“. Das Produkt hat die Überprüfung zwar nicht bestanden. Entgegen der Ansicht der Behörde handelte es sich bei dem Produkt aber nicht um ein Kinderspielzeug, so dass die sicherheitstechnische Prüfung nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Ein Kinderspielzeug ist als solches „bestimmt“ oder „gestaltet“. Der „Frühlingswichtel“ sei nicht für Kinder bestimmt gewesen, was insbesondere aus der Beschriftung hervorgehe. Auch sei er nicht zum Spielen für Kinder gestaltet. Neben der äußeren Attraktivität für Kinder müsse bei der Beurteilung, ob es sich um Spielzeug handelt, auch die Gestaltung, die Gesamtheit der Erscheinung sowie die Beschriftung herangezogen werden. Die eindeutigen Hinweise auf dem Produkt machten jedoch deutlich, dass Kinder nicht mit dem Produkt spielen sollen. Somit war der Kostenbescheid insoweit rechtswidrig.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.07.2019 – 6 U 51/19
Die Parteien, die beide Leuchten und Leuchtmittel vertreiben, stritten um die Pflicht zur Kennzeichnung einer Lampe nach dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG). Eine Lampe der Antragsgegnerin wies nicht das nach § 9 Abs. 2 ElektroG, Anlage 3 ElektroG notwendige Symbol einer durchgestrichenen Mülltonne auf. Die Antragstellerin verlangte vor dem LG Darmstadt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin Unterlassung des Vertriebs der streitgegenständlichen Lampe nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Notwendig für den Unterlassungsanspruch aufgrund einer unlauteren geschäftlichen Handlung gemäß § 3a UWG ist stets, dass ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung vorliegt. Das LG hielt fest, dass § 9 Abs. 2 ElektroG keine abmahnfähige Markverhaltensregelung darstelle. Hiergegen legte die Antragstellerin Berufung vor dem OLG Frankfurt am Main ein.
Das OLG Frankfurt am Main sah in der Kennzeichnungspflicht eine Marktverhaltensregelung. Eine Vorschrift stelle nicht alleine dann eine Marktverhaltensregelung dar, wenn sie nur dem Schutz der Umwelt dient. Das ElektroG diene vorrangig abfallwirtschaftlichen Zwecken. Ausreichend sei allerdings, dass die Vorschrift wenigstens mittelbar dem Verbraucherschutz diene. Erwerbe der Verbraucher ein Produkt, das mit einer Mülltonne gekennzeichnet ist, wisse er bereits beim Kauf, dass die Entsorgung nicht im Hausmüll stattfinden könne, sondern ein aufwendigerer Weg gewählt werden müsse. Zudem werde das Gesetz seit 2015 durch § 1 Satz 3 ElektroG ergänzt, der ausdrücklich vorschreibt, dass das Gesetz das Marktverhalten der Verpflichteten regele, um so die abfallwirtschaftlichen Zwecke zu erreichen. Die Antragsgegnerin konnte sich auch nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 9 Abs. 2 Satz 2 ElektroG berufen, wonach die Kennzeichnung nicht auf dem Gerät angebracht werden muss, wenn dies nicht ohne eine Funktionsbeeinträchtigung möglich ist. Das OLG gab der Antragstellerin in dem Eilverfahren recht und bejahte einen Anspruch auf Unterlassung.

OLG Köln, Urteil vom 05.07.2019 – 6 U 21/15
Die Wettbewerbszentrale verlangte von der Beklagten, die u.a. Gehäuse für Steckverbindungen vertreibt, es zu unterlassen, diese Gehäuse mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen. Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs nach dem UWG ist eine unlautere geschäftliche Handlung. Das Anbringen der CE-Kennzeichnung stellte nach Meinung der Klägerin im vorliegenden Fall eine solche unlautere geschäftliche Handlung dar.
Ein CE-Kennzeichen darf gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 ProdSG nur dann angebracht werden, wenn eine Vorschrift dies vorsieht. Die 1. Produktsicherheitsverordnung (ProdSV) zum Produktsicherheitsgesetz sieht eine solche Kennzeichnung für „elektrische Betriebsmittel“ vor. Die Klägerin behauptete, bei den Gehäusen allein handele es sich nicht um elektrische Betriebsmittel in diesem Sinn, da sich die Sicherheit nicht nur anhand des Gehäuses, sondern erst in zusammengebautem Zustand beurteilen lasse. Das LG legte dem EuGH die Frage vor, ob die Vorschriften der Niederspannungsrichtlinie (die in Deutschland durch die 1. ProdSV umgesetzt wird) dahingehend auszulegen seien, „dass Gehäuse als Bauteil für mehrpolige Steckverbindungen (…) nicht mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen sind“. Der EuGH stellte fest, dass auch Gehäuse elektrische Betriebsmittel im Sinne dieser Vorschriften sein können, wenn sie über den Schutz des Inhalts und ihrer ästhetischen Funktion hinausgehende Sicherheitsfunktionen hätten. Dies sei ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn die Sicherheit des elektrischen Betriebsmittels im Wesentlichen davon abhänge, wie es in das Endprodukt eingebaut werde. Eine Gegenausnahme hiervon bestehe wiederum dann, wenn das elektrische Betriebsmittel auch nach seinem Einbau noch eigene, vom Einbau unabhängige Sicherheitsmerkmale aufweise, die auf Sicherheitsanforderungen hin kontrolliert werden können. In einem solchen Fall bestehe die gesonderte Kennzeichnungspflicht für das Gehäuse weiter. Das LG wies daraufhin die Klage ab.
Auf die Berufung der Klägerin schloss sich das OLG Köln der Rechtsansicht des LG an. Zwar stelle § 7 Abs. 2 Nr. 1 ProdSG grundsätzlich eine abmahnfähige Marktverhaltensregelung i.S.d. § 3a UWG dar. Allerdings sah es in der angebrachten CE-Kennzeichnung keinen Verstoß gegen diese Vorschrift. Das OLG Köln bezieht sich dabei auf das Urteil des EuGH. Da die Gehäuse eigenständig prüfbare Sicherheitsmerkmale aufwiesen, deren Konformität bei ordnungsgemäßem Einbau nicht beeinträchtigt werde, bejahte es die Eigenschaft als elektrisches Betriebsmittel i.S.d. § 1 Abs. 1 der 1. ProdSV und damit die Pflicht zur Anbringung der CE-Kennzeichnung.

p.reusch@reuschlaw.de

27 replies on “Rechtsprechungsreport”

Comments are closed.

Aktuelle Beiträge