Nachhaltige Finanzierung ‒ ein Überblick zum Stand der europäischen Rechtssetzung

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Einleitung
Längst hat sich der Themenkomplex Nachhaltigkeit (oder Sustainability) mit Schlagwörtern wie Green Finance oder ESG- respektive Sustainability-Link den Weg in CFO-Etagen gebahnt und spielt ‒ unabhängig von der Unternehmensgröße ‒ auch im Bereich der Unternehmensfinanzierung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ungeachtet etwaiger Vorteile beim Pricing kann der Emittent oder Darlehensnehmer mit der Wahl eines nachhaltigen Finanzprodukts zeigen, dass für ihn nicht nur rein wirtschaftliche Aspekte der Finanzierung ein Anliegen sind, sondern er auch Belangen wie Umwelt- und Klimaschutz Bedeutung beimisst. Während in der Praxis und gleichermaßen bei den Regulierungsbemühungen auf EU-Ebene bislang vor allem letztere Komponenten des ESG-Begriffs (ESG steht für „Environmental, Social, Governance“) eine exponierte Rolle spielten, ist damit zu rechnen, dass zukünftig verstärkt auch solchen Instrumenten eine gesteigerte Relevanz zukommen wird, die soziale oder Aspekte der (guten) Unternehmensführung in den Vordergrund stellen; dabei verzeichnen sogenannte Social Bonds oder Loans, also Instrumente mit sozialer Komponente, bereits seit dem Beginn der Coronakrise im vergangenen Jahr einen enormen Nachfragezuwachs.

Nicht wenige warnen jedoch auch angesichts der steigenden Beliebtheit der Produkte vor dem Risiko eines Greenwashings, also der Gefahr, dass beispielsweise die Wahl einer „grünen“ Finanzierung der Vorspiegelung eines nachhaltigen Images ohne entsprechende inhaltliche Rechtfertigung dient. Auch wenn der Trend zu nachhaltigen Investments im Allgemeinen zweifellos positiv zu sehen ist, besteht in der Tat die Gefahr einer Verwässerung bis hin zum Ausnutzen des bloßen Labels ohne Substanz. Das ist ein Problem, das sich sowohl bei „grünen“ Finanzierungsinstrumenten stellt (bei denen der Erlös zur Finanzierung von nachhaltigen Projekten verwendet wird) als auch bei Produkten mit Sustainability-Link, bei welchen – ohne grundsätzliche Einschränkung des Verwendungszwecks – Konditionen wie beispielsweise der Zinssatz eines Darlehens an die Einhaltung bestimmter Parameter und Kennzahlen (etwa die Reduktion der Kohlenstoffintensität des Geschäftsbetriebs des relevanten Unternehmens) gekoppelt sind.
Die Europäische Union misst einem nachhaltigen Finanzwesen im Rahmen des European Green Deal ‒ der Zielsetzung, bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität auf europäischer Ebene zu erreichen ‒ eine zentrale Bedeutung bei, wobei sich vor allem die Europäische Kommission nicht zuletzt vor diesem Hintergrund seit ihrem „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ aus dem Frühjahr 2018 und dem Einsetzen einer Expertengruppe [Technical Expert Group (TEG) on sustainable finance] mit dem Themenkomplex ‒ ohne inhaltliche Beschränkung auf die Regulierung von Finanzinstrumenten ‒ auseinandergesetzt hat, der inhaltliche Fokus indes auf eher umweltbezogenen Fragestellungen liegt. Eines der Kernanliegen ist dabei die Verhinderung von Greenwashing.

Bisherige regulatorische Meilensteine im Überblick
Zahlreiche gesetzgeberische Akte zu diesem Themenkreis wurden auf EU-Ebene bereits umgesetzt, andere sind in Vorbereitung. So wurde zuletzt im April 2021 ein umfangreiches Maßnahmenpaket vorgestellt. Einige wesentliche Entwicklungen sollen im Folgenden skizziert werden:

  • Schon im Jahr 2019 hatte die EU mit der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten [Verordnung (EU) 2019/2088 vom 27.11.2019] sowie der Verordnung (EU) 2016/1011 hinsichtlich EU-Referenzwerten für den klimabedingten Wandel, hinsichtlich auf das Übereinkommen von Paris abgestimmter EU-Referenzwerte sowie hinsichtlich nachhaltigkeitsbezogener Offenlegungen für Referenzwerte [Verordnung (EU) 2019/2089 vom 27.11.2019] zwei Rechtsakte auf den Weg gebracht, deren maßgebliches Ziel die Vermeidung von Greenwashing ist. Die am 10.03.2021 in Kraft getretene Verordnung (EU) 2019/2088 erlegt dabei bestimmten Finanzmarktteilnehmern (im Sinne von deren Art. 2 Ziff. 1) umfangreiche Transparenz- und Informationspflichten auf, während die Verordnung (EU) 2019/2089 unter anderem Offenlegungspflichten für die Administratoren von Referenzwerten statuiert.
  • Als wesentlicher Baustein eines nachhaltigen Finanzwesens trat sodann am 12.07.2020 die Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088 [Verordnung (EU) 2020/852 vom 18.06.2020] („Klimataxonomie-Verordnung“) in Kraft. Ziel der Klimataxonomie-Verordnung ist es, ein Klassifizierungssystem im Sinne eines Bewertungsschemas zu schaffen, namentlich um nachhaltige Investitionsentscheidungen zu erleichtern. Darüber hinaus sieht die Klimataxonomie-Verordnung Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit von Unternehmen vor, die nach Maßgabe der Art. 19a bzw. 29a der Richtlinie 2013/34/EU (der sogenannten Bilanzrichtlinie, die nach den Änderungen durch die Richtlinie 2014/95/EU ‒ die sogenannte CSR-Richtlinie ‒ auch Vorgaben zur Bereitstellung nichtfinanzieller Information enthält) zur nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sind. Nach einem Übergangszeitraum findet die Klimataxonomie in ihren zentralen Bestandteilen ab dem 01.01.2022 Anwendung.
  • Zur Arrondierung der Klimataxonomie-Verordnung und Aufstellung technischer Bewertungskriterien, insbesondere hinsichtlich der beiden Umweltziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel (zu den übrigen Umweltzielen siehe auch unten), folgte im Herbst 2020 der Vorschlag für einen delegierten Rechtsakt, der nach erfolgter politischer Abstimmung im Rahmen des Maßnahmenpakets vom April 2021 voraussichtlich im Lauf des Jahres 2021 in Kraft treten und ab dem 01.01.2022 anwendbar sein wird.
  • Zum Paket vom April 2021 gehören daneben die Kommissionsvorschläge zu Änderungen bei sechs weiteren delegierten Rechtsakten. Erreicht werden soll hier insbesondere eine Verbesserung der Anlageberatung zum Thema Nachhaltigkeit mittels erweiterter Beratungs- und Aufklärungspflichten etwa in Bezug auf die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden.
  • Mit einem Vorschlag zu einer Corporate-Sustainability-Reporting-Richtlinie vom 21.04.2021, die im Wesentlichen die Richtlinie 2013/34/EU ändern und ergänzen soll, wird das aktuelle Maßnahmenpaket der EU-Kommission abgerundet. Der Vorschlag zielt auf die Erweiterung der nichtfinanziellen Berichterstattung ab; die Prüfungsstandards werden im Einzelnen noch erarbeitet. Zudem soll der Kreis der Berichtspflichtigen verbreitert werden, so dass, vorbehaltlich von Übergangsfristen und Ausnahmen, künftig etwa sämtliche kapitalmarktorientierten Unternehmen unabhängig von ihrer Größe und große Unternehmen unabhängig von ihrer Kapitalmarktorientierung zur nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sein sollen.

Klimataxonomie und Unternehmensfinanzierung
Die Klimataxonomie-Verordnung normiert dabei die Kernidee einer Klassifizierung mit dem Ziel, Finanzmittel in nachhaltigen Positionen zu allokieren und eine Lenkungswirkung auf die Marktteilnehmer zu entfalten. Die Konformität mit der Klimataxonomie ist gemäß Art. 3 der Klimataxonomie-Verordnung anhand eines wesentlichen Beitrags einer Wirtschaftstätigkeit zu einem von sechs Umweltzielen (namentlich Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung von Wasser­ und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung und Schutz sowie Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität) festzustellen, wobei keine Kollision mit einem der anderen Umweltziele im Sinn einer erheblichen Beeinträchtigung vorliegen darf. Die dafür maßgeblichen Kriterien werden für einen überwiegenden Teil der in der EU treibhausgasverursachenden Branchen zumindest hinsichtlich der Umweltziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel im obengenannten delegierten Rechtsakt zur Klimataxonomie-Verordnung festgelegt. Zudem verlangt die Klimataxonomie-Verordnung die Wahrung eines Mindestschutzes von als besonders schützenswert erkannten Prinzipien wie denjenigen, die die Internationale Charta der Menschenrechte enthält.
Ihre regulierende Wirkung entfaltet die Klimataxonomie-Verordnung dabei im Wesentlichen über ihre Transparenz- und Offenlegungsanforderungen, die sich zumal aus dem Zusammenspiel mit den übrigen Rechtsakten auf diesem Themengebiet ergeben, die resultierende Marktwahrnehmung und Sogwirkung auch auf solche Unternehmen, die (noch) nicht originär zur taxonomiekonformen Berichterstattung verpflichtet sind. Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der geplante, bislang indes nicht rechtsförmlich umgesetzte (fakultative) „EU Green Bond Standard“ (EU-GBS) – die Grundlagen dafür hatte die TEG vor allem in ihrem Abschlussreport vom 18.06.2019 und dem Usability Guide vom 09.03.2020 gelegt – für den Bereich der Unternehmensfinanzierung einen Rahmen für die Emission „grüner“ Anleihen schafft, der aber, anders als bestehende Richtlinien, im Anleihebereich etwa die „Green Bond Principles“ der ICMA (International Capital Market Association) oder die „Green Loan Principles“ der LMA (Loan Market Association) im Bankingsektor (für die es inzwischen jeweils ein „soziales“ Pendant gibt), auf die verbindlichen Regelungen der Klimataxonomie verweist. Nicht zuletzt aufgrund dieser Verknüpfung und des dadurch geförderten einheitlichen Rechtsrahmens haben die Regelungen des EU-GBS durchaus das Potential, auch außerhalb des Anleihesegments künftige Marktstandards zu setzen.
Ein enorm praxisrelevanter Bereich unterliegt hingegen bislang weiterhin keiner Regulierung, nämlich der Sektor der Anbieter von ESG-Ratings sowie Second-Party-Opinions, welchen sowohl bei „grünen“ Finanzierungsinstrumenten, deren Erlösverwendung der Finanzierung von nachhaltigen Projekten dient, als auch bei Produkten mit Sustainability-Link entscheidende Bedeutung zukommt. Dort entzündet sich gerade mit Blick auf die Gefahr eines Greenwashings nicht zuletzt deshalb Kritik, weil einheitliche Bewertungsmethoden und Standards fehlen. Zudem wird die zum Teil gängige Marktpraxis, dass der Emittent/Darlehensnehmer die Ratings oder Gutachten in Auftrag gibt (und bezahlt), für das Ziel einer neutralen Bewertung als abträglich angesehen. Die ESMA (European Securities and Markets Authority) hatte die Europäische Kommission bereits am 28.01.2021 über die aus ihrer Sicht bestehenden Missstände unterrichtet und verlangt namentlich einheitliche Bewertungsmaßstäbe für ESG-Ratings, so dass in naher Zukunft mit einer Interaktion auf europäischer Ebene zu rechnen sein dürfte. Der weitere Verfahrensgang wird zeigen, ob geeignete Kontrollmechanismen gefunden werden, um eine effektive Überwachung zu etablieren. Sinnvollerweise kann sich eine künftige Reglementierung am Rechtsrahmen orientieren, der für die bekannten Kreditratingagenturen besteht, die seit den Erfahrungen der Finanzkrise 2008/2009 zunehmend stärkere Regulierung erfahren haben.

Ausblick
Die EU treibt das Vorhaben, dem Bereich des nachhaltigen Finanzwesens und der nachhaltigen Finanzierung einen kohärenten Rechtsrahmen zu geben, stetig voran, wenngleich der Weg zu einer einheitlichen Regulierung noch weit ist. Fast schon zwangsläufig bleiben viele Themen zunächst ungeklärt oder unklar ‒ dies ist der neuartigen Materie und auch dem europäischen Rechtssetzungsprozess inhärent, es wird sich noch weisen, ob der neue Instrumentenkasten auch für die Anwendung in der Praxis taugt. Auf der anderen Seite steht zu hoffen, dass zusätzliche Reportingpflichten und Transparenzgebote rund um das Thema Nachhaltigkeit, namentlich im Rahmen der nichtfinanziellen Berichterstattung, mit Augenmaß erfolgen und die Unternehmen nicht über Gebühr belasten. Es bleibt zudem zu wünschen, dass die EU auf die für Unternehmensfinanzierungen mit Nachhaltigkeitskomponente wohl drängendste Frage der Schaffung eines Regulierungsrahmens für ESG-Ratings und entsprechende Agenturen eine Antwort findet.

Hinweis der Redaktion: Dem Thema Nachhaltigkeit widmet sich das in der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel seit April 2021 erscheinende Onlinemagazin SustainableValue. Siehe dazu hier. (tw)

a.vorndran@mmv-recht.de

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