Die Covid-19-Pandemie hat die Lieferbeziehungen der global vernetzten Wirtschaft unterbrochen. Lieferengpässe, Produktionsausfälle, Störungen in der Logistik, Einschränkungen in der Mobilität von Fachkräften und veränderte Einkaufsparameter für Rohstoffe wie Dienstleistungen führen zu Vertragsverletzungen, Wegfall der Geschäftsgrundlage und Diskussionen über Force-majeure-Ereignisse. Eine Klagewelle droht, wenn global aufgestellte Unternehmen diese Situation nicht proaktiv managen.
Gestörte Lieferbeziehungen und Supply-Chain-Management
Solche Störungen in Vertragsbeziehungen in der Lieferkette treten dabei in einzelnen langjährigen Geschäftsbeziehungen ebenso auf wie in international verzweigten Lieferketten. Dabei kommen Unternehmen, die sich in Zeiten von „Lockdown“ und „Ramp-up“ im sogenannten New Normal in ihren Rechtsabteilungen vor allem mit Liquiditätsmanagement, neuen Beihilferegelungen und arbeitsrechtlichen Fragen der Pandemiefolgen auseinandergesetzt haben, erst nach und nach zur Aufarbeitung dieser Vertragsstörungen und der damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen. Wirtschaftliche Folgen solcher Störungen in der Lieferkette wirken umso schwerer, je weniger Handelsverträge auf verschiedenen Ebenen der Lieferkette aufeinander abgestimmt sind. Hier ist von Bedeutung, ob solche Verträge Back-to-Back-Regelungen enthalten und im Detail verzahnt sind. Ist das der Fall, stoßen Verzögerungen oder Ausfälle im Einkauf keinen Dominoeffekt für die Annahme von Vertragsleistungen anderer Lieferanten oder die eigene Produktion und den Vertrieb an. Je komplexer die Lieferkette aufgestellt ist und je weniger die vertraglichen Regelungen vereinheitlicht und aufeinander abgestimmt sind, desto größer ist dabei das Potential für Vertragsverletzungen, die zu Schadensersatzforderungen, Vertragsstrafen und zur Beendigung langfristiger Lieferbeziehungen führen können.
Zugleich machen die wirtschaftlichen Veränderungen im „New Normal“ nach Covid-19 die Anpassung und Veränderung von (internationalen) Lieferketten nötig. Dabei spielen eine stärkere Flexibilisierung bei gleichzeitiger Transparenz für die beteiligten Vertragspartner, Aspekte der Regionalisierung und Risikodiversifizierung durch Erweiterung des Lieferantenpools und Risikomanagement durch Lieferantenaudits sowie die Vereinbarung neuer Mindeststandards eine Rolle. Diese Veränderungen gilt es in den nächsten Monaten vertraglich zu regeln, während zugleich bestehende Konflikte aus zurückliegenden Vertragsstörungen beigelegt werden müssen.
Mediation statt Gerichts- und Schiedsverfahren
Für das proaktive Konfliktmanagement in der Lieferkette bietet sich die Mediation an. Denn sie ist effizient, flexibel, konsensual und ermöglicht strukturierte Verhandlungserfolge bei möglichst geringen Konfliktkosten.
Effizienz in der Mediation ist dabei nach Covid-19 nicht nur relevant, um hohe Gerichts- und Anwaltskosten zu sparen, sondern auch, um das Verfahren kurz und den internen Aufwand niedrig zu halten, der oft höhere Konfliktkosten verursacht als die offensichtlichen externen Kosten. Große Teile der Privatwirtschaft begegnen der Coronapandemie erfolgreich mit Home-Working und alternativen Arbeitsmodellen, doch Justiz und Schiedsgerichtsbarkeit reagieren langsamer: Hier dauern die Verfahren heute eher länger als früher. Onlineverfahren und Videoverhandlungen sind im Zivilprozess noch die Ausnahme. Meist werden Termine – teils mehrfach – vertagt, und Prozesse verzögern sich, weil Gerichte den Rückstau an Terminen abarbeiten müssen.
„Im Verlauf einer Mediation ergeben sich of Win-win-Situationen für die Fortsetzung der Zusammenarbeit, die vorher so nicht sichtbar waren.“
Die Mediation ist hier flexibler. Ein unabhängiger und unparteilicher Mediator kann das Verfahren maßgeschneidert und kurzfristig durchführen, auch online, unter Nutzung von Einzelgesprächen oder in speziell ausgewählten Räumlichkeiten, wenn alle Parteien dem zustimmen. Konflikte werden so oft binnen Stunden oder weniger Tage im Wege interessenbasierter Verhandlungen beigelegt. Insbesondere Konflikte mit mehreren Vertragspartnern in internationalen Lieferketten lassen sich zügig und im Wege des Interessenausgleichs zwischen allen Beteiligten lösen – wenn diese dazu bereit sind, auch in englischer Sprache.
Der größte Vorteil der Mediation ist, dass mehrere Konflikthemen gleichzeitig besprochen und geklärt werden können, während sowohl Gerichtsverfahren als auch Schiedsverfahren auf einen bestimmten, vorab definierten Streitgegenstand begrenzt sind. So ergeben sich oft im Verlauf der Mediation Win-win-Situationen für die Fortsetzung der Zusammenarbeit der Parteien, die vorher so nicht sichtbar waren.
In besonders hohem Maße eignet sich die Mediation für Konflikte auf mehreren Ebenen der Lieferkette aufgrund ihres konsensualen Charakters. Die Parteien selbst können die Besonderheiten und Veränderungen in ihrem Geschäft infolge der Pandemie am besten beurteilen. Sie können deshalb auch selbst am besten Lösungen für bestehende Konflikte erarbeiten und die Vertragsbeziehungen sowie die Strukturen in der Lieferkette anpassen. Die konsensuale Lösung stärkt das Vertrauen in die neu verhandelten Geschäftsbeziehungen ebenso wie die Lieferkette selbst durch angemessene und maßgeschneiderte Vereinbarungen. Die Entscheidungshoheit darüber bleibt bei den Vertragspartnern und Parteien der Mediation und liegt nicht wie im streitigen Verfahren beim Richter oder Schiedsrichter.
Fazit: Effizienz durch Konsens und höchste Zeit für das Singapurer Übereinkommen
Effizienz im Konfliktmanagement durch Covid-19 unerwartet gestörter Lieferketten ist nicht durch langwierige Gerichtsverfahren oder kostenaufwendige Schiedsverfahren zu erreichen. Effizienz braucht in solch außergewöhnlichen Konstellationen Konsens, den die Parteien entweder durch interessenbasierte Verhandlungen oder mit einem unparteilichen Mediator in der Mediation erreichen können. Dabei bleiben alle beteiligten Vertragspartner „Herren des Verfahrens“, können wirtschaftliche Lösungen und rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten ausloten, Vertrauen aufbauen und die rechtlichen Grundlagen ihrer Supply-Chain festigen.
Um solche Vereinbarungen als Ergebnis einer Mediation auch für internationale Verträge mit Parteien aus verschiedenen Ländern – wie in globalen Supply-Chain-Konstellationen üblich – vollstreckbar zu machen, ist es insofern höchste Zeit für eine zeitnahe Unterzeichnung und Ratifizierung des Singapurer Übereinkommens zur Mediation („United Nations Convention on International Settlement Agreements Resulting from Mediation“, August 2019), nach Covid-19 mehr denn je. Dies würde den Fokus auf alternative Streitbeilegung durch Mediation nach der EU-Richtlinie von 2008 und dem deutschen Mediationsgesetz von 2012 weiter betonen.
Damit wären Mediationsvergleiche weltweit vollstreckbar. Zugleich würde so der einvernehmlichen alternativen Streitbeilegung im Sinne global tätiger Unternehmen, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren wollen, der Rücken gestärkt und damit der Handelsverkehr, beispielsweise mit China und den USA oder Saudi-Arabien, drei der bereits 53 Unterzeichner des Übereinkommens, erleichtert. Hier bleibt im Sinne wirtschaftlicher Effizienz durch Konsens zu hoffen, dass das Singapurer Übereinkommen die Mediation zu einer veritablen Alternative zum internationalen Schiedsverfahren macht und ihr ein ähnliches Rückgrat verleiht, wie es das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 für die Schiedsgerichtsbarkeit geschafft hat.