Der Verkäufer ist bei M&A-Transak­tionen (noch) König

Beitrag als PDF (Download)

Die Welt befindet sich im Klammergriff der Coronapandemie. Bei Unternehmen verschieben sich die Prioritäten – weg von Transaktionen hin zur Sicherung des eigenen Geschäftsbetriebs. Aber: Sobald die Wirtschaft wieder anläuft, werden auch wieder Unternehmenstransaktionen durchgeführt. Die CMS European M&A-Study bietet Entscheidern eine wichtige Orientierungshilfe dafür.
Berichte über das Coronavirus füllen derzeit die Seiten sämtlicher Zeitungen, Magazine und Fachblätter. Da bleibt wenig Raum für andere Nachrichten. Gerade in solchen Zeiten kann es sinnvoll sein, auch einmal zurückzublicken, um den richtigen Weg für die Zukunft zu finden – das gilt auch für den Transaktionsmarkt. Europa ist derzeit noch ein Verkäufermarkt, das ist das zentrale Ergebnis der kürzlich veröffentlichten CMS European M&A-Study. Verkäufer schafften es auch im Jahr 2019, für sie wichtige Eckpunkte bei der Risikoverteilung in einer M&A-Transaktion umzusetzen. Ob sich dieser Trend im Jahr 2020 weiter fortsetzt, mag – auch angesichts der Coronapandemie und ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft – bezweifelt werden.
Die CMS European M&A-Study untersucht jährlich vertragliche Regelungen in M&A-Transaktionen, die von CMS betreut wurden (2019 insgesamt 466 Share- und Assetdeals), und vergleicht diese mit Vorjahresergebnissen und zeigt zugleich die Entwicklung im gesamten analysierten Zeitraum von zwölf Jahren mit über 3.300 untersuchten Transaktionen auf. Gerade dieser Vergleich macht deutlich, dass sowohl Käufer als auch Verkäufer immer anspruchsvoller werden und immer komplexere Regelungen treffen. Daher ist es umso wichtiger, dass die Vertragsparteien und ihre Berater jede Transaktion sorgfältig und sehr genau vorbereiten. Aufgrund der hohen Anzahl der analysierten Transaktionen und der Bandbreite der einbezogenen Länder ist die CMS European M&A-Study für alle Marktteilnehmer europaweit eine wertvolle und reichhaltige Informationsquelle und gute Orientierungshilfe

Trend setzt sich fort: Markt bleibt verkäuferfreundlich
Die bestehenden europaweiten Markttrends setzten sich auch im Jahr 2019 fort. So haben die Vertragsparteien erneut Risikoverteilungen eher zugunsten der Verkäufer vorgesehen. Dies lässt sich insbesondere anhand von Regelungen, die allgemein als verkäuferfreundlich angesehen werden, erkennen – so beispielsweise Haftungshöchstgrenzen, De-minimis- und Basket- oder ­Locked-Box-Regelungen. Auch die Verbreitung von Warranty-&-Indemnity-Versicherungen (W&I-Versicherungen), die Garantiezusagen des Verkäufers ersetzen oder ergänzen, hat erneut zugenommen. Die Marktpraxis hat sich, insbesondere was Kaufpreisanpassungen, Locked-Box-Regelungen, Haftungshöchstgrenzen, Earn-outs und die Absicherung von Garantieansprüchen anbelangt, in den zurückliegenden fünf Jahren in vielerlei Hinsicht kaum verändert. Auffallend ist jedoch, dass sich der Grund für die Durchführung der Transaktion (Dealtreiber) im Vergleich zum Vorjahr deutlich verschoben hat: 46% der untersuchten Transaktionen sind dabei auf das Interesse des Käufers an der Erschließung neuer Märkte zurückzuführen – hierin liegt ein deutlicher Zuwachs gegenüber dem Vorjahr (32%). Auch die Aneignung von Know-how oder der Erwerb von Fachkräften (Acqui-­Hire) traten 2019 verstärkt in den Vordergrund (41% gegenüber 23% im Vorjahr). Ob hiermit ein Trend begründet ist, lässt sich vermutlich erst in einem Jahr mit Sicherheit feststellen.

Locked-Box-Regelungen immer beliebter
Käufer bestehen auf sogenannte Kaufpreisanpassungsklauseln, um sicherzustellen, dass sie, stichtagsbezogen, den richtigen Kaufpreis für das Zielunternehmen bezahlen. Locked-Box-Regelungen sorgen demgegenüber eher dafür, dass der Verkäufer Sicherheit hinsichtlich des Kaufpreises erhält. Kaufpreisanpassungsklauseln werden insgesamt seltener verwendet (45%), wohingegen Locked-Box-Regelungen zunehmen (56%). Sofern eine Kaufpreisanpassung vereinbart wird, setzen die Vertragsparteien dabei häufiger auf möglichst einfache und manipulationsarme Anpassungsparameter, insbesondere auf Cash-free-/Debt-free-Regelungen (50%). Dies zeigt deutlich, dass Verkäufer und Käufer bei Vertragsunterzeichnung die Höhe des Kaufpreises möglichst sicher festlegen und das Streitpotential im Fall einer Kaufpreisanpassung minimieren wollen.

Rekordjahr für W&I-Versicherungen
W&I-Versicherungen sind dann besonders gefragt, wenn die Verkäufer nur einen niedrigen Haftungshöchstbetrag, wie etwa bei Private-Equity-Verkäufen, akzeptieren oder die Solvenz des Verkäufers unzureichend oder zweifelhaft ist. Der Anteil der Transaktionen mit W&I-Versicherung ist im Jahr 2019 insgesamt nochmals um 2 Prozentpunkte auf 19% gestiegen. Bei Abschlüssen mit einem Transaktionsvolumen von mehr als 100 Millionen Euro beträgt er sogar nahezu 50%. Dank gesunkener Versicherungsprämien ist es den Verkäufern insbesondere auch bei größeren Transaktionen jetzt möglich, das Risiko auf die W&I-Versicherung zu verlagern. Im Branchenvergleich liegt der Immobilien- und Bausektor bei der Anwendung der W&I-Versicherungen vorn.

Haftungshöchstgrenzen orientieren sich am Transaktionswert
Die Begrenzung der Gesamthaftung des Verkäufers aus dem Unternehmenskaufvertrag gehört in der M&A-Vertragspraxis zum absoluten Standard. Im Mittelpunkt der Vertragsverhandlungen steht meist allein die exakte Höhe der Haftungshöchstgrenze. Diese lag bei der Mehrzahl der Transaktionen (65 %) im Jahr 2019 unterhalb des Kaufpreises. Dabei werden die Haftungshöchstgrenzen zunehmend von der Höhe des Transaktionswerts bestimmt. So gilt bei kleineren Transaktionen zumeist der Kaufpreis als Höchstgrenze (30% der Transaktionen unter 25 Millionen Euro), während die Haftungshöchstgrenze bei größeren Transaktionen in der Regel deutlich unter dem Kaufpreis, und zwar oftmals bei nur 10% bis 25% des Kauf­preises, liegt.

Ausblick: Distressed-M&A-Transaktionen werden den Markt prägen
Bestehende Markttrends setzten sich 2019 fort. Dies gilt insbesondere für verkäuferfreundliche Regelungen und W&I-Versicherungen. Doch wie wird der M&A-Markt nach Abflauen der Coronapandemie aussehen? Derzeit steht er weitestgehend still. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass es im zweiten Halbjahr 2020 zu einem erneuten Aufschwung kommen wird. Dieser dürfte allerdings eher durch sogenannte Distressed-M&A-Transaktionen geprägt sein. Dabei ist davon auszugehen, dass die zuletzt sehr hohen Bewertungen sinken oder zumindest nicht weiter steigen werden. Viele Käufer haben mit Investitionen in Transaktionen zunächst abgewartet und werden ihre Mittel noch in diesem Jahr ausgeben wollen oder müssen. Sie werden dabei auf Verkäufer treffen, die durch die Coronakrise verstärktem Verkaufsdruck unterliegen, insbesondere zu Sanierungszwecken.

tobias.will@cms-hs.com

Aktuelle Beiträge