Pflichten und Risiken aus Sicht einer Konzernmutter

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Problemaufriss

Insbesondere aufgrund europäischer, aber auch rein deutscher Gesetze wird die Verantwortlichkeit von Konzernmüttern für die Complianceorganisation im Gesamtkonzern zunehmend erweitert. Ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung stellen die konzernrelevanten Regelungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) dar. Die Versuche der Verantwortungserweiterung treffen auf die unterschiedlichsten konkret gelebten Konzernstrukturen. Diese reichen von der Errichtung einer bloßen Beteiligungsverwaltungsgesellschaft als Konzernmutter mit naturgemäß lediglich geringem Personal bis hin zu klassischen industriellen Großkonzernen. Gerade im Bereich des Mittelstands haben sich insoweit differenzierte gesellschaftsrechtliche Organisationsstrukturen etabliert. Vor diesem Hintergrund ist der Frage nachzugehen, welche Pflichten aus Sicht einer Konzernmutter aus dem LkSG folgen und mit welchen Risiken die Umsetzung des LkSG verbunden sein können.

 

Konzerncompliance

Zunächst ist festzuhalten, dass ausgehend von der nach wie vor herrschenden Meinung bei der gesellschaftsrechtlichen Beurteilung von Konzernstrukturen grundsätzlich das Trennungsprinzip gilt. Eine Pflicht des Vorstands der Konzernmutter zur Konzerncompliance besteht daher regelmäßig nur gegenüber dieser Gesellschaft. Diese Pflicht des Vorstands besteht darin, die Interessen der Konzernmutter im Wege einer ordnungsgemäßen Beteiligungsverwaltung mit der gebotenen Sorgfalt zu schützen. Demgegenüber ist im Bereich des straf- oder bußgeldbewehrten Ordnungsrechts, wie beispielsweise mit Blick auf § 130 OWiG, zu konstatieren, dass zunehmend eine Verantwortung der Konzernmutter für den Gesamtkonzern, jedenfalls aber für die unmittelbare Tochtergesellschaft, bejaht wird. Generell besteht jedoch ein weites Ermessen der Leitungsebene der Konzernmutter bei der konkreten Ausgestaltung eines Compliance-Management-Systems (CMS) des Konzerns.

LkSG und Konzerncompliance

Bei der Berechnung der für die Anwendbarkeit des LkSG erforderlichen Anzahl von mindestens 3.000 (ab 01.01.2024: 1.000) Arbeitnehmern werden ausschließlich bei der Konzernmutter sämtliche im Inland beschäftigten Arbeitnehmer aller Konzerngesellschaften berücksichtigt. Dies führt beispielsweise dazu, dass eine Konzernmutter selbst dann unter den Anwendungsbereich des LkSG fallen kann, wenn sie nur einige wenige Mitarbeiter zum Zwecke der bloßen Beteiligungsverwaltung beschäftigt und über keinerlei oder nur rudimentäre Compliancestrukturen verfügt. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob der eigene Geschäftsbereich der übrigen Konzerngesellschaften unter dem Blickwinkel des LkSG dem Verantwortungsbereich der Muttergesellschaft zugeordnet wird. Vielmehr ist dies gemäß § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG nur dann der Fall, wenn die Muttergesellschaft auf die konzernangehörige Gesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss ausübt.

Insoweit werden in den Gesetzesmaterialien folgende Anhaltspunkte für einen bestimmenden Einfluss im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG genannt:

– eine hohe Mehrheitsbeteiligung,
– das Bestehen eines konzernweiten Compliancesystems,
– die Übernahme von Verantwortung für die Steuerung von Kernprozessen im Tochterunternehmen,
– personelle Überschneidungen auf (Geschäfts-)Führungsebene,
– ein bestimmender Einfluss auf das Lieferkettenmanagement der Tochtergesellschaft,
– eine Einflussnahme über die Gesellschafterversammlung und
– eine Vergleichbarkeit des Geschäftsbereichs der Tochtergesellschaft mit dem Geschäftsbereich der Obergesellschaft, etwa weil die Tochtergesellschaft die gleichen Produkte erstellt und verwertet oder die gleichen Dienstleistungen erbringt wie die Obergesellschaft.

Diese Aufzählung zeigt, dass durchaus vielfältige Konstellationen denkbar sind, in denen zwar eine Konzernmutter unter den Anwendungsbereich des LkSG fällt, gleichzeitig aber für den Geschäftsbereich einer Tochtergesellschaft nicht verantwortlich ist. Dies bedeutet zudem, dass in derartigen Fällen allein die Tochtergesellschaft für ihren Geschäftsbereich vollumfänglich verantwortlich bleibt, wenn sie selbst die Parameter für die Anwendbarkeit des LkSG gemäß § 1 LkSG erfüllt. Hinzu tritt, dass diese Tochtergesellschaft dann ggf. auch verantwortlich für den jeweiligen Geschäftsbereich eigener Tochtergesellschaften bzw. ihr zuzuordnender weiterer Konzerngesellschaften sein kann.

Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass, selbst wenn die Konzernmutter die Verantwortung für die Geschäftsbereiche weiterer Konzerngesellschaften gemäß § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG trägt, der Konzernleitung bei der Ausgestaltung des auf das LkSG bezogenen CMS ein weites Ermessen zusteht. Darüber hinaus unterliegen sämtliche Maßnahmen zudem gemäß § 3 Abs. 2 LkSG der weiteren Einschränkung durch das Prinzip der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit. Daneben bleibt die Eigenverantwortung der Tochtergesellschaft bestehen, wenn sie gemäß § 1 LkSG dem Anwendungsbereich des LkSG unterfällt.

Risiken, Nebenwirkungen und Prävention

Für die praktische Arbeit ergeben sich mit Blickrichtung auf Konzernsachverhalte im Anwendungsbereich des LkSG folgende Konsequenzen:

Unerlässlich ist eine exakte Prüfung mit Blickrichtung auf die konzernspezifische Zurechnungsnorm des § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG. Dabei ist ein restriktiver Maßstab anzusetzen. Denn sollte hier allzu vorschnell eine Verantwortlichkeit der Konzernmutter für den Geschäftsbereich der Tochtergesellschaft bejaht werden, wird im Fall eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Vorgaben des LkSG das Ergebnis eines entsprechenden Bußgeldverfahrens häufig präjudiziert. Die generelle Verantwortlichkeit sowie die damit einhergehende vermeintliche Pflichtverletzung werden nämlich wegen einer fehlerhaften Selbsteinschätzung faktisch nur noch sehr schwer mit dem Einwand der mangelnden Zurechenbarkeit gemäß § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG bekämpft werden können. Außerdem besteht dann die Gefahr eines Vollzugsdefizits auf der Ebene der Tochtergesellschaft.

Aber selbst wenn ggf., auch höchst vorsorglich, die Zurechnung gemäß § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG bejaht wird, sollte unter intensiver Einbeziehung der weiterhin ebenfalls verantwortlichen Tochtergesellschaft(en) das weite Ermessen beim Aufbau eines entsprechenden Konzern-CMS ebenso genutzt werden wie die Grenzen, die der Umsetzung der normierten Pflichten durch das Prinzip der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit gesetzt werden. Zu berücksichtigen ist bei all diesen Entscheidungen im Hinblick auf die Umsetzung der Vorgaben des LkSG im Konzern zudem, ob und inwieweit dort getroffene Grundsatzentscheidungen auch Auswirkungen auf sonstige compliancerelevante Bereiche und deren Behandlung durch die Konzernmutter haben können. So sind beispielsweise Konstellationen denkbar, in denen ohne eine unmittelbar aus dem LkSG folgende Pflicht aus Sicht der Konzernleitung der freiwillige Aufbau eines ggf. auch primär dezentral organisierten Konzern-CMS in diesem Bereich für sinnvoll erachtet wird. Dies könnte etwa in der Form allgemeinverbindlicher Konzernrichtlinien erfolgen. Allerdings führt dies dann aber zur Folgefrage, ob und inwieweit auch andere besonders compliancerelevante Themen, die bislang nur dezentral auf Ebene der Tochtergesellschaft(en) bearbeitet worden sind, zum Gegenstand eines konzernweiten CMS gemacht werden sollten.

Die ersten Erfahrungen im Zusammenhang mit der Umsetzung des LkSG durch die Beratungsbranche haben gezeigt, dass viele Unternehmen ohne diesbezüglich aus dem LkSG resultierende Not bereits entsprechende Grundsatzerklärungen veröffentlicht haben. Gerade im Hinblick auf die Frage des Ob und Wie der Umsetzung des LkSG im Konzern ist hier in besonderem Maße Vorsicht geboten. Es bedarf komplexer Abwägungen und Überlegungen, bevor auf der Grundlage des mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe operierenden LkSG das gebotene und, aus Sicht der Konzernmutter, praktikabelste sowie – für die Erreichung des mit dem LkSG verfolgten Zwecks – sinnvollste CMS entwickelt werden kann. Des Weiteren machen es gerade diese Überlegungen und Abwägungen erforderlich, im Rahmen der Grundsatzerklärung das letztlich gewählte Umsetzungsmodell sowie dessen Grundlagen detailliert zu beschreiben. Nur so ist es möglich, spätere unliebsame Überraschungen im Konfliktfall zu vermeiden. Denn insbesondere an der Grundsatzerklärung wird jedes Unternehmen bei der Umsetzung des LkSG zukünftig in der Öffentlichkeit, aber auch rechtlich gemessen. Die gerade im Mittelstand immer wieder festzustellende Tendenz, schnellstmöglich eine allgemeinen Ansprüchen gerecht werdende Grundsatzerklärung zu präsentieren, ohne sich eingehende Gedanken über die Umsetzung und Machbarkeit des Versprochenen zu machen, ist vor allem bei konzernspezifischen Konstellationen mit nicht zu unterschätzenden Risiken verbunden.

Fazit und Ausblick

Trotz all der unbestimmten Rechtsbegriffe, die das LkSG in vielfacher Hinsicht als wenig praxistauglich erscheinen lassen, ist dessen Umsetzung im Konzern gleichwohl machbar. An die Beratungspraxis ist die Anforderung zu stellen, nicht aus jeder prima facie bestehenden Rechtsunsicherheit sofort den Schluss zu ziehen, dass nur eine möglichst extensive Anwendung des LkSG im Konzern möglich ist. Vielmehr müssen auch hier die Grenzen der (Un-)Anwendbarkeit des LkSG ausgelotet werden. Zu erwarten ist, dass die Verlagerung von Complianceverantwortlichkeiten auf die Konzernmutter generell zunehmen wird.

Aufgabe der Rechtswissenschaft und der Beratungspraxis ist es daher, die ausufernde Durchsetzung möglichst umfassender und oftmals weit über das Ziel hinausschießender Compliancestandards einzudämmen. Die seitens der Beratungspraxis gesetzten Best-Practice-Standards sind vor diesem Hintergrund sicherlich häufig gut gemeint, oftmals aber kontraproduktiv. Mit Blick auf die Anwendung des LkSG im Konzern bleiben in Ansehung der europarechtlichen Entwicklung zudem spannende Fragen. In einem aktuellen Richtlinienentwurf zu Sorgfaltspflichten betreffend die Nachhaltigkeit ist zum einen bei der Ermittlung der Schwellenwerte für die Anwendbarkeit der Richtlinie eine Zurechnung von Arbeitnehmern in Konzernstrukturen nicht vorgesehen. Zum anderen sollen betroffene Unternehmen ausdrücklich auch die Verantwortung dafür tragen, dass die normierten Standards im Geschäftsbereich abhängiger Unternehmen eingehalten werden. Die weitere Entwicklung und die Reaktion des deutschen Gesetzgebers hierauf bleiben abzuwarten und sind kritisch zu begleiten.

 

u.wastl@westpfahl-spilker.de

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