Im Blickpunkt: Sach- und Meinungsstand und Ausblick auf gesetzgeberische Aktivitäten

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Ausgangslage in der Politik
Am 14.07.2020 wurden dem Interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung die vorläufigen Ergebnisse der zweiten, im April und Mai 2020 durchgeführten, Befragungsrunde zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) vorgestellt. Das Ergebnis: Nur ein Bruchteil der teilnehmenden Unternehmen konnte die Vorgaben des NAP für die unternehmerische Sorgfalt mit Bezug auf die Achtung der Menschenrechte erfüllen.
Dieser sieht vor, „dass mindestens 50% aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten bis 2020 die fünf Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert haben.“
Diese fünf Kernelemente bestehen aus: (1) einer öffentlichen Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte; (2) Verfahren zur Ermittlung tatsächlicher und potentiell nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte; (3) Maßnahmen zur Abwendung potentiell negativer Auswirkungen und Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen; (4) Berichterstattung und (5) Einrichtung eines Beschwerdemechanismus für Betroffene. Dabei sollen die Unternehmen die erforderlichen Prozesse „in einer ihrer Größe, Branche und Position in der Liefer- und Wertschöpfungskette angemessenen Weise einführen“.
Nur 22% der teilnehmenden Unternehmen haben solche Prozesse eingeführt; zumindest waren dies 4% mehr als im Vorjahr 2019. Dieses Ergebnis nahmen die Bundesminister Heil und Müller in einer Pressemitteilung am 14.07.2020 zum Anlass, um zu fordern: „Jetzt greift der Koalitionsvertrag für ein Lieferkettengesetz. Ziel ist ein Abschluss noch in dieser Legislaturperiode.“ Im Koalitionsvertrag wurde festgehalten: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“
Gegen ein solches Lieferkettengesetz sperrte sich bislang Bundesminister Altmaier, der ebenfalls in einer Pressemitteilung am 14.07.2020 unter anderem verlauten ließ: „Wir werden genau prüfen, welche Lücken es gibt und wie wir unsere deutsche Ratspräsidentschaft nutzen können, um EU-weit zu einer verantwortungsvollen Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten zu kommen.“

Ausgangslage bei Verbänden und Unternehmen
Wie in der Politik sind sich Vertreter von Verbänden und Unternehmen nicht einig über das weitere Vorgehen. Die führenden Wirtschaftsverbände (BDA/BDI/DIHK/HDE) erteilten am 13.07.2020 in einem gemeinsamen Statement einem nationalen deutschen Lieferkettengesetz eine Absage. Gleichzeitig zeigten sie sich jedoch offen für eine „Ergänzung bestehender Berichterstattungspflichten für europäische Unternehmen um den Aspekt der menschenrechtlichen Sorgfaltsprozesse.“ Andere Verbandsvertreter zeigen sich offener und sprechen sich für eine EU-einheitliche Regelung aus. Eine solche würde ein europäisches „Level Playing Field“ schaffen; profitieren würden Unternehmen, die bereits in die Umsetzung der Kernelemente investiert haben.
Es verwundert daher nicht, dass schon mehr als 60 Unternehmen, teils namhafte Großkonzerne, einem Aufruf des Business & Human Rights Resource Centre folgen und es begrüßen, „wenn mit einem Sorgfaltspflichtengesetz in Deutschland der Weg für eine anspruchsvolle europäische Regelung geebnet wird.“

Eckpunkte eines Lieferkettengesetzes
Gegenstand der derzeitigen Diskussion ist der nichtoffizielle Entwurf eines Eckpunktepapiers der beiden Bundesministerien für Arbeit und Soziales (BMAS) und für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ). Das Papier soll offenbar im August vorgestellt werden.
Es sieht vor, dass in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern verpflichtet werden sollen, ihrer Verantwortung in der Wertschöpfungskette nachzukommen. Das Kriterium der „Ansässigkeit“ soll das Bestehen eines starken Inlandsbezugs und das Treffen von unternehmerischen Steuerungsentscheidungen in Deutschland verlangen. Eine bloße Geschäftstätigkeit in Deutschland soll demgegenüber nicht ausreichen.
Wie im NAP angelegt, sollen die vom Gesetz erfassten Unternehmen die fünf Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integrieren. Die Pflicht zur Berichterstattung wird dahingehend konkretisiert, dass die Unternehmen jährlich im Internet darlegen sollen, dass sie die tatsächlich und potentiell bestehenden negativen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte kennen und wie sie diesen in geeigneter Weise begegnet sind. Zudem sollen diese Berichte einer (noch zu benennenden) Bundesbehörde übersandt werden. Diese soll die Berichte überprüfen und gegebenenfalls beanstanden oder eine Nachbesserung veranlassen und bei erfolgloser Nachbesserung ein angemessenes Bußgeld verhängen.
Die dabei anzuwendenden Sorgfaltspflichten sind nicht absolut und sollen sich an den Vorgaben der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (Leitprinzipien) orientieren. Deshalb statuiert das Papier, wie in Leitprinzip 13b vorgesehen, nur eine Bemühungs- und keine Erfolgspflicht. Das hierzu erforderliche Risikomanagement soll nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit angemessen, also verhältnismäßig und zumutbar, ausgestaltet werden [Leitprinzipien 15 und 19 (iii)]. Relevante Parameter sind die Größe des Unternehmens, der aus der Geschäftstätigkeit resultierende, tatsächliche Einfluss, etwa auf Sublieferanten, und die tatsächlich bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten. Weitere Konkretisierungen der Sorgfaltsanforderungen sollen sich an geeigneten und anerkannten Leitfäden und Rahmenwerken ausrichten. Konsequenterweise soll ein Unternehmen trotz Schadenseintritt nicht für eine Rechtsverletzung haften, wenn das zur Schadensvermeidung Angemessene im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten unternommen wurde. Gemäß dem Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“ (Leitprinzip 19) sollen Unternehmen zunächst versuchen, die nachteiligen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit durch Einflussnahme zu mildern, bevor sie Geschäftsbeziehungen abbrechen. Weiterhin sieht das Papier vor, dass nicht sämtliche Menschenrechte geschützt werden sollen, sondern nur sogenannte relevante Risikofelder. Unter anderem werden Zwangsarbeit, Kinderarbeit oder Diskriminierung, Verstöße gegen Vereinigungsfreiheit und Arbeitsschutz, problematische Anstellungs- und Arbeitsbedingungen, aber auch Beeinträchtigungen der Umwelt und Korruptionsbekämpfung mit menschenrechtlichem Bezug genannt.

Haftung von Unternehmen
Betroffenen von im Ausland begangenen Menschenrechtsverletzungen soll ein inländischer Gerichtsstand für Klagen wegen Verletzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten gewährt werden, sozusagen am Sitz des „Lieferkettenmanagements“. Die Beweislast dafür, dass die Verletzung wesentlicher Rechtsgüter (beispielsweise Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum) bei Erfüllung der Sorgfaltspflichten vorhersehbar und vermeidbar gewesen wäre, soll dem Kläger obliegen. Eine Haftung des Unternehmens soll ausgeschlossen sein, wenn es seiner Bemühungspflicht angemessen nachgekommen ist. Unternehmen sollen ihre zivilrechtliche Haftung für die fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten ausschließen können, wenn sie einem – staatlich – anerkannten (Branchen-)Standard, etwa dem Textilbündnis, beitreten (Safe Harbor).

Das Papier sieht keinen Straftatbestand für die Geschäftsführung oder den von ihr fakultativ zu ernennenden Menschenrechtsbeauftragten bei der Verletzung von Sorgfaltspflichten vor.
Der zukünftig zuständigen Bundesbehörde sollen die gleichen Instrumente wie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zustehen, die für die Überwachung des Mineralische-Rohstoffe-Sorgfaltspflichten-Gesetzes (MinRohSorgG) zuständig ist. Sie könnte dann in analoger Anwendung von § 3 Abs. 3 MinRohSorgG verschiedenste Abhilfemaßnahmen von einem Unternehmen sowie die Überprüfung derselben durch einen unabhängigen Dritten verlangen. Des Weiteren hätte sie in analoger Anwendung von § 7 Abs. 1 MinRohSorgG unter anderem das Recht, Betriebsgrundstücke und Geschäftsräume zu betreten oder geschäftliche Unterlagen und Aufzeichnungen des Unternehmens einzusehen.

Inkrafttreten
Für den Aufbau der beschriebenen menschenrechtlichen Compliance soll betroffenen Unternehmen eine dreijährige Übergangsfrist nach Inkrafttreten des Gesetzes gewährt werden. Wenn die Pläne der beiden Bundesminister Altmaier und Müller dem inoffiziellen Eckpunktepapier entsprechen, werden sich die Geschäftsleitungen betroffener Unternehmen keinen unverhältnismäßigen Anforderungen ausgesetzt sehen – dies jedenfalls dann, wenn das vorhandene Risikomanagement der Vermeidung von Reputationsschäden durch die Geschäftstätigkeit angemessen Rechnung trägt. Angst vor dem Lieferkettengesetz brauchen sie nicht zu haben!

Ausblick
Es wird sich zeigen, inwieweit Bundesminister Altmaier die schon weit gediehenen Pläne seiner Ministerkollegen noch beeinflussen kann. Momentan sieht es danach aus, als ob es der Bundesregierung, wie im Fall des Verbandssanktionengesetzes, wichtiger ist, den Koalitionsvertrag abzuarbeiten, als auf die Stimmen der Unternehmensverbände zu hören.
Zumindest besteht die Möglichkeit, dass die Umsetzung des Papiers auf die EU-Ebene geschoben wird. Das Programm der Bundesregierung für die Ratspräsidentschaft sieht vor, dass sie sich „für einen EU-Aktionsplan zur Stärkung der Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten einsetzt, der menschenrechtliche, soziale sowie ökologische Standards und Transparenz fördert und den Erfahrungen und Lehren der Covid-19-Pandemie Rechnung trägt.“ Damit wird offensichtlich Unterstützung für die Pläne des Kommissars für Justiz und Verbraucher, Didier Reynders, signalisiert, der für das kommende Jahr ein EU-Lieferkettengesetz angekündigt hat. Damit dürfte auch den Wünschen von Bundesminister Altmaier Rechnung getragen werden, der sich „für eine zügige europäische Lösung einsetzt, um einen nationalen Flickenteppich und die damit verbundenen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU zu vermeiden.“
Die langfristigen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind noch nicht abzusehen. Ebenso ist noch unklar, inwieweit das Eckpunktepapier in verbindliche Regelungen auf Berliner und/oder Brüsseler Ebene einfließt. Ungeachtet dessen müssen sich aber Unternehmen darauf vorbereiten, dass zukünftig die Bundesregierung beim Thema der unternehmerischen Sorgfalt weniger auf freiwillige Selbstverpflichtungen als auf verbindliche, durchsetzbare Regelungen zum Schutz der Menschenrechte setzen wird.

Karsten.kuehnle@nortonrosefulbright.com

michael.wiedmann@nortonrosefulbright.com

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