In unserer Rubrik „Lawyers-Top-5“ stellen wir Ihnen im Deutschen AnwaltSpiegel in loser Folge alle wichtigen und praxisrelevanten Themen vor, die bei führenden Anwälten, Unternehmensvertretern und Rechtsdienstleistern in Deutschland ganz oben auf der Agenda stehen. Mit Lawyers-Top-5 (und mit der Schwesterrubrik Inhouse-Top-5) wollen wir weiter zu einer verbesserten Transparenz im deutschen Rechtsmarkt beitragen, übrigens auf der Nachfrager- und auf der Anbieterseite: bei Unternehmen, Rechtsabteilungen, Sozietäten und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie Dienstleistern. Unsere Top-5-Rubriken ergänzen die im Deutschen AnwaltSpiegel seit 2009 eingeführte praxisbezogene Berichterstattung. Und weil der Faktor Zeit Geld (wert) ist, haben wir die Beiträge in eine möglichst kompakte Form gebracht – „in a Nutshell“. In dieser Ausgabe lesen Sie die Top-5-Themen von Stefan Beßling, Founder und Managing Director unserers langjährigen Kooperationspartners reThinkLegal.
Seine fünf Topthemen sind:
- Öffnung des RDG für Legal-Service-Provider
Unter großer Mühe öffnen sich das anwaltliche Standesrecht und das Rechtsdienstleistungsgesetz allmählich, sowohl für die Zusammenarbeit mit anderen Berufen als auch für die Anforderungen des Legal-Tech-Zeitalters. Im Fokus stehen dabei jedoch Anbieter, die sich auf inkassoorientierte Rechtsdienstleistungen für Verbraucher konzentrieren, so wie im Fall der Lexfox-Entscheidung des BGH. Diese Perspektive greift zu kurz.
Data-Science, künstliche Intelligenz (KI) und Rechtsberatung sind auch und gerade in klassischen Gebieten des Corporate Law längst miteinander verwoben. So sind zum Beispiel für E-Discovery in internationalen Wirtschaftsstrafverfahren, bei der Due Diligence für große M&A-Projekte oder in Kartellverfahren auf Konzernebene regelmäßig zwei Voraussetzungen nötig: der Einsatz intelligenter Software zur Verarbeitung großer Informationsmengen und die Mandatsdurchführung (auch) als IT-Projekt. Nur so lässt sich ein Qualitätsniveau gewährleisten, das bezüglich der Kosten, der Schnelligkeit und der Effizienz international akzeptabel ist.
Will Deutschland sich als ernstzunehmender Standort für modernes Corporate Law etablieren, dann müssen praktikable Wege für den Zusammenschluss von Wirtschaftskanzleien und innovativen Technologieunternehmen möglich werden. Aktuell ist das bestenfalls über Umwege möglich. Wenn der Dornröschenschlaf auf dem sanften Kissen etablierter standesrechtlicher Beschränkungen das Bereitstellen von IT-Sachverstand, von künstlicher Intelligenz und Data-Science als Rechtsdienstleistung weiter verhindert, wird Deutschland seinen Ruf als Spätentwickler beim Zusammenspiel von IT-Know-how und Legal-Excellence kaum loswerden. Eingeweihte wissen, dass dieser Aspekt bei Standortentscheidungen von Unternehmen der Londoner City im Zuge des Brexits oft genug als Negativfaktor zu Buche schlug. Es gilt,
das Rechtsdienstleistungsgesetz zu öffnen, damit in Deutschland zeitgemäße, IT-zentrierte Legal-Services möglich werden. - Patentierbarkeit von Software
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Patentschutz für Software möglich und sinnvoll ist, erhitzt die Gemüter seit langem. Wirklich entschieden ist die Diskussion noch immer nicht. Auch wenn das Europäische Patentamt (EPA) längst eine fünfstellige Zahl an Softwarepatenten erteilt hat, bleibt die Patentierung von Programmcodes nach wie vor mühselig. Sie verheddert sich regelmäßig in den Feinheiten der Frage, wann ein Programm die Lösung eines technischen Problems im Sinne des BGH darstellt und wann nicht.
Das ist misslich, denn diese Situation erschwert die Monetarisierung von innovativen Programmierlösungen und bildet damit ein echtes Entwicklungshindernis. Man stelle sich vor, für Start-ups wäre es viel einfacher, eine Patentanmeldung für ihre Softwareideen vorzunehmen und darüber Finanzierungsmöglichkeiten zu generieren. Den Finanzierungsgebern bieten Patente eine solide Bewertungsgrundlage und eine Absicherung ihres Risikos. Die Start-up-Szene erhielte einen entscheidenden Impuls.
Dazu müsste sich die deutsche Rechtslage in die Richtung entwickeln, die wir aus den USA kennen: Bei Vorliegen aller für eine Patentanmeldung erforderlichen Kriterien ist Softwarepatentierung dort ohne unangemessenen Aufwand möglich. Entscheidendes Kriterium muss natürlich die Einzigartigkeit des Algorithmus oder der Technologie sein: Niemand will eine Flut von Trivialpatenten. Aber was spricht dagegen, das Patentrecht als allgemeinen Schutzstandard für echte Fortschritte im Softwarebereich zu etablieren? Auch hier wird sich Deutschland bewegen müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren. - Zugänglichkeit von Legal-Data für Trainingszwecke
Innovative Unternehmen im Legal-Tech-Bereich setzen seit Jahren auf künstliche Intelligenz – mit großem Erfolg, allerdings auch mit systembedingten Schwierigkeiten. Zu den bereits erwähnten Hindernissen kommt das Fehlen umfangreicher Data-Sets als Trainingsmaterial für das Maschinenlernen mit rechtlichem Anwendungsgebiet.
In den USA wurden unter anderem die Archive des Justizministeriums, die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs und diverse weitere Datenmengen als Data-Sets für Trainingszwecke aufbereitet. Wenn den Entwicklern auch in Deutschland große Mengen an Legal-Data zur Verfügung stehen würden, wäre die Anwendungsentwicklung von Legal-Tech-AI hierzulande deutlich einfacher. - Urheberschaft von Werken, die durch künstliche Intelligenz generiert wurden
Auch das Urheberrecht muss sich weiterentwickeln, um auf die zunehmende Bedeutung von Maschinenlernen für Legal-Tech-Software zu reagieren. Auf eine konkrete Anwendung bezogen, lautet die Frage zum Beispiel: Wie steht es um die Urheberrechte, wenn eine Software auf Grundlage von künstlicher Intelligenz einen Vertragstext erstellt, mit Klauseln, die die Software in der vorliegenden Form neu geschaffen hat?
Technisch gesehen, ist die automatische Vertragserstellung schon lange keine Zukunftsmusik mehr. Urheberrechtlich ist die Situation dagegen ungeklärt. Entwickler berufen sich zumeist darauf, dass ein Urheberrecht dort entsteht, wo das Werk geschaffen wird. Das wirkt überzeugend: Leistet die Software einen intelligenten, eigenständigen Beitrag zu einem Vertragsdokument oder einem anderen Schriftstück, dann entsteht das Urheberrecht dort, wo die Software zur Verfügung gestellt wird – und nicht beim Mandanten, der sie nutzt.
Das gilt zumindest dann, wenn die Software so gestaltet ist, dass der Mandant zwar Eingaben vornimmt, dann aber auf deren Grundlage ein eigenständig produziertes Ergebnis erhält, etwa einen völlig neuen Vertragstext. Dieses Szenario wirft übrigens Rechtsfragen auf, die weit über die Klärung urheberrechtlicher Ansprüche hinausgehen. Schließlich wird hier die Schwelle zur automatisierten Rechtsberatung überschritten. Den regulatorischen und klassifikatorischen Herausforderungen, die damit einhergehen, werden sich weder die Anwaltschaft noch der Gesetzgeber lange verweigern können. - Rechtsanwälte müssen ihre Rolle als Digital Natives finden
In Deutschland blieb Digitalisierung lange ein inhaltsleeres Schlagwort. Auf vielen Ebenen versuchte die Gesellschaft, sich grundsätzlichen Veränderungen zu entziehen. Corona hat klargemacht, dass das nicht funktioniert. Ein Land, das weder technisch noch organisatorisch auf Home-Office und Home-Schooling vorbereitet war und in dem Gesundheitsämter die Infektionslage per Faxgerät meldeten, musste sich eingestehen, dass das Nutzen der neuen Möglichkeiten Beweglichkeit erfordert.
Das gilt auch für Rechtsanwälte. Auch sie können längst von überall auf der Welt Fälle bearbeiten, Schriftsätze austauschen und mit Mandanten kommunizieren. Das erfordert neue Konventionen und Standards für die praktische anwaltliche Arbeit. Bei der Rechtsberatung auf Distanz müssen Themen wie Datenschutz, das Gewährleisten der Verschwiegenheit und die Abstimmung über verschiedene Zeitzonen hinweg verbindlich geklärt werden.
Auch das ist Teil des Rechtsanwaltsberufs im digitalen Zeitalter.
stefan.bessling@rethinklegal.com