Ein neues Kartellrecht mit Klauen und Zähnen?

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Am 05.04.2023 hat das Bundeskabinett die 11. GWB-Novelle, das sogenannte Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz, beschlossen. Diesem Regierungsentwurf ging eine heftige Debatte des Referentenentwurfs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vom September 2022 voraus.

Die wesentlichen Elemente des Referentenentwurfs blieben unverändert, wie etwa die deutlichen Kompetenzerweiterungen zugunsten des Bundeskartellamts. Nach massiver Kritik aus Wirtschaft, Anwaltschaft und Wissenschaft sind diese nun aber etwas abgemildert worden, gleichzeitig sind die verfahrens- und rechtsstaatlichen Verteidigungsmechanismen der Betroffenen erhöht worden. Es bleibt jedoch zu erwarten, dass die 11. GWB-Novelle eine deutliche Verschärfung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) mit sich bringen wird – nach wie vor wird an einer deutlichen Verschärfung des Kartellrechts mit „Klauen und Zähnen“ gearbeitet.

Die Sektoruntersuchung und neue Eingriffsinstrumente nach § 32e und § 32f RegE

Im Anschluss an eine Sektoruntersuchung soll das Amt zukünftig erhebliche und fortwährende Störungen des Wettbewerbs schnell und effektiv abstellen können. Es ist vorgesehen, dass verhaltensorientierte und quasistrukturelle Verpflichtungen durchgesetzt werden können, wie Verpflichtungen zum Zugang zu Schnittstellen oder Daten. Möglich sein sollen ferner etwa auch Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen oder zu bestimmten Vertragsgestaltungen, darüber hinaus Verpflichtungen zur organisatorischen Trennung von Unternehmensbereichen. Die Einführung einer seit vielen Jahren diskutierten Entflechtung soll als Ultima Ratio zur Beseitigung einer erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs möglich werden, wobei ein Missbrauch nicht erforderlich ist. Sofern ein Zusammenschluss in der Fusionskontrolle freigegeben worden ist, soll ein Vertrauensschutz von zehn Jahren gewährt werden.

In § 32f Abs. 3 Regierungsentwurf wurde der Wortlaut gegenüber dem Referentenentwurf abgemildert, dennoch bleibt es bei weitreichenden neuen Befugnissen des Bundeskartellamts. § 32f Abs. 3 Satz 1 RegE lautet nun: „Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend vorliegt, soweit die Anwendung der Befugnisse nach Teil 1 nach den im Zeitpunkt der Entscheidung beim Bundeskartellamt vorliegenden Erkenntnissen voraussichtlich nicht ausreicht, um der festgestellten Störung des Wettbewerbs angemessen entgegenzuwirken.“

Beachtlich und begrüßenswert ist zudem, dass das neue Verfahren nunmehr zweistufig ausgestaltet wird. Ein von Abhilfemaßnahmen betroffenes Unternehmen kann nun schon die Verfügung gerichtlich überprüfen lassen, mit der festgestellt wird, dass eine „erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörung“ vorliegt. Demnach können auch schon die Ergebnisse einer Sektoruntersuchung gerichtlich überprüft werden. Diese Möglichkeit bestand im Referentenentwurf nicht. Vorher sollte ein Rechtsschutz erst gegen die Abhilfemaßnahmen möglich sein, so dass die Ergebnisse der Sektoruntersuchung allenfalls inzident hätten überprüft werden können.

Ferner sollen durch § 32f Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 RegE nun auch die Kriterien für die Adressatenauswahl weiter definiert werden, so dass im Grunde nur solche Unternehmen im Fokus stehen werden, die einen wesentlichen Kausalitätsbeitrag zur Wettbewerbsstörung geleistet haben. Dabei ist unter anderem ihre Marktstellung zu berücksichtigen, so dass primär eher solche Unternehmen von zukünftigen Abhilfemaßnahmen betroffen sein dürften, bei denen schon vorher Marktmacht zu bejahen war.

Letztlich wird durch § 32f Abs. 5 Satz 3 RegE jetzt ferner deutlich gemacht, dass die Wettbewerbsstörung nur dann fortwährend ist, wenn sie über einen Zeitraum von drei Jahren dauerhaft vorgelegen hat oder wiederholt aufgetreten ist und zum Zeitpunkt der Verfügung keine Anhaltspunkte bestehen, dass die Störung innerhalb von zwei Jahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entfallen wird.

Eine verstoßunabhängige Entflechtungsanordnung als Ultima Ratio nach § 32f Abs. 4 RegE wird nunmehr auf marktbeherrschende Unternehmen beschränkt. Auch die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit sind präzisiert worden. Eine Entflechtung soll nur bei Gewähr einer Beseitigung oder erheblichen Verringerung der Wettbewerbsstörung möglich sein, sofern verhaltensorientierte Abhilfemaßnahmen nicht möglich oder nicht mindestens gleich wirksam wären.

Hinsichtlich des Erlöses bei einer Entflechtung legt § 32f Abs. 4 Satz 7 und 8 RegE einen Mindesterlös von 50% des Werts voraus. Diese Regelung wird durch eine Entschädigungsregelung bei Wertunterschreitungen flankiert. Sofern der tatsächliche Verkaufserlös den Wert des Unternehmensteils unterschreitet, den ein vom Bundeskartellamt beauftragter und bezahlter Wirtschaftsprüfer festgestellt hat, muss der Staat die Hälfte der Differenz zwischen dem ermittelten Wert des Vermögensteils und dem erzielten Verkaufserlös an das betroffene Unternehmen zahlen. Hierdurch soll den verfassungsrechtlichen Bedenken einer Entflechtung Rechnung getragen werden.

Schließlich ist vorgesehen, dass im Anschluss an eine Sektoruntersuchung Unternehmen verpflichtet werden können, alle relevanten Zusammenschlüsse auf bestimmten Märkten anzumelden, sofern der Erwerber im letzten Geschäftsjahr Umsatzerlöse in Deutschland von mehr als 50 Millionen Euro und das zu erwerbende Unternehmen mehr als 500.000 Euro Umsatz erzielt hat. Vorgesehen ist weiter, den bisherigen § 39a GWB deutlich schärfer und erweitert zu formulieren.

 

Abschöpfung von Vorteilen aus Kartellrechtsverstößen nach § 34 RegE

Zudem sollen Vorteile, die betroffene Unternehmen durch Kartellrechtsverstöße erzielt haben, künftig einfacher und effektiver abgeschöpft werden können. Sofern ein Wettbewerbsverstoß nachgewiesen wird, sollen diese Übergewinne bei den Unternehmen abgeschöpft werden. Geplant ist eine gesetzliche Vermutung, wonach ein Unternehmen durch den nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1% seiner Inlandsumsätze mit dem kartell- oder missbrauchsbefangenen Produkt oder einer ebensolchen Dienstleistung erzielt hat. Härten sollen durch eine Obergrenze von 10% des Vorjahresgesamtumsatzes bezogen auf die Behördenentscheidung vermieden werden. Eine Widerlegung dieser Vermutung soll nur unter sehr restriktiven Kriterien ermöglicht werden.

Der Digital Markets Act und die Anpassung der Verfahrensvorschriften

Ergänzend soll die 11. GWB-Novelle die Rechtsgrundlage schaffen, damit das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des neuen Digital Markets Act (DMA) sachgerecht unterstützen kann. Auch das sogenannte Private Enforcement, die zivilgerichtliche Durchsetzung des DMA, ist Ziel der Novelle.

Kommentar

Sicher ist, dass die Befugnisse des Bundeskartellamts auch in Zukunft weiter gestärkt werden, die neuen Eingriffsinstrumente machen dies überdeutlich. Mit Einführung der geplanten verstoß- und missbrauchsunabhängigen Marktstrukturkontrolle erhält das Kartellamt ein neues und sehr scharfes Schwert. Ob es mit der gebotenen Vorsicht eingesetzt werden wird, bleibt abzuwarten.

Der Ansatz, die präventive Fusionskontrolle auf Fälle unterhalb der Schwellenwerte des GWB auszudehnen, folgt den Entwicklungen in den USA, wo seit vielen Jahren schon Zusammenschlüsse unterhalb der Schwellenwerte aufgegriffen werden. Und auch die EU-Kommission marschiert in diese Richtung, indem sie die Mitgliedstaaten etwa zur Verweisung nach Art. 22 FKVO ermutigt, siehe Illumina/Grail. Und 50 Jahre nach seiner „Continental Can“-Entscheidung hat der EuGH in Sachen Towercast (C-449/21) im März 2023 (erneut) entschieden, dass Kontrolle nicht anmeldepflichtiger Zusammenschlüsse im Grund auch gemäß Art. 102 AEUV stattfinden darf. Der Rechtssicherheit ist dies nicht zuträglich, jedoch tragen auch andere regulatorische Verschärfungen, wie etwa die weltweit strenger gewordene Investitionskontrolle und die neu eingeführte Kontrolle drittstaatlicher Subventionen auf EU-Ebene, dazu bei, dass Planung und Rechtssicherheit bei der Konzeption und Durchführung von Unternehmenstransaktionen schwieriger werden.

Die neue Abschöpfungsregelung samt gesetzlicher Vermutung eines Vorteils in Höhe von 1% wird sicherlich auch auf Kartellschadensersatzfälle ausstrahlen. Ob dies bezweckt oder in Kauf genommen wird, ist unklar. Jedenfalls wird die Regelung dazu führen, dass die Diskussion zur Einführung einer ähnlichen Vermutung für Fälle des Kartellschadensersatzes ebenfalls neu entfacht wird.

 

sebastian.jungermann@asd-law.com

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