Einleitung
Am 25.02.2022 hat das BVerwG in den beiden Sachen Az. 10 C 4.20 und 10 C 7.21 laut Pressemitteilung Nr. 14/2022 vom 25.02.2022 (hier, abgerufen 04.03.2022) entschieden, dass dem Insolvenzverwalter in den Streitsachen kein Zugang zu den schuldnerischen Steuerdaten der Finanzbehörden zu gewähren sei. Er, der Insolvenzverwalter, habe aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) keinen Anspruch gegen das Finanzamt auf Erteilung von Auskünften über die steuerlichen Belange des Insolvenzschuldners.
So weit, so gut. Die Entscheidungen werfen aber Zweifel auf, wenn man auch angesichts der noch nicht veröffentlichten Gründe noch gespannt sein darf, welche Erwägungen im Einzelnen zur Rechtsfindung geführt haben. Das Ergebnis jedenfalls ist schädlich für die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger in einem Insolvenzverfahren – insoweit ist vermutlich allseits Konsens gegeben. Der Konsens endet jedoch an der Gretchenfrage, ob man den Gläubigern, „vertreten“ durch den Insolvenzverwalter, ein Instrumentarium an die Hand geben soll, mit dem sie Ansprüche, die der Insolvenzmasse zustehen, zugunsten aller Gläubiger durchsetzen können, oder ob man dieses Instrumentarium verwehren soll, wenn sich solche Ansprüche gegen die Finanzverwaltung und damit gegen den Steuerzahler richten. Das BVerwG hat sich dieser Frage allerdings vermutlich – vorbehaltlich der noch nicht bekannten Entscheidungsgründe – weniger grundsätzlich zugewendet, sondern hat es bei rein informationsfreiheitsrechtlich determinierten beziehungsweise den datenschutzrechtlichen Erwägungen belassen.
Der Sachverhalt
Vorliegend ging es um das IFG Nordrhein-Westfalen. Nachdem der Insolvenzverwalter bezüglich zweier Insolvenzschuldnerunternehmen zur Verifizierung von Anfechtungsansprüchen nach §§ 129 ff. InsO Auskunft begehrt hatte, erteilte dem das Finanzamt eine Absage: „Steuergeheimnis!“. Der Insolvenzverwalter erhob Klage – und die Instanzverwaltungsgerichte (Vorinstanzen BVerwG 10 C 4.20 – Urteil vom 25.02.2022 waren: OVG Münster, OVG 15 A 29/17 – Urteil vom 14.09.2017 – VG Köln, VG 13 K 5152/15 – Urteil vom 01.12.2016 sowie Vorinstanzen BVerwG 10 C 7.21 – Urteil vom 25.02.2022 waren: OVG Münster, 15 A 162/17 – Urteil vom 14.09.2017 – VG Köln, 13 K 4797/15 – Urteil vom 01.12.2016 -) gaben dem klagenden Insolvenzverwalter unisono immerhin recht.
Aber Achtung, Koinzidenz: Zwischenzeitlich, nämlich gemäß Art. 99 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) am 25.05.2016, trat die EU-Datenschutz-Grundverordnung in Kraft und entfaltete Wirkung ab dem 25.05.2018. In einer der wenigen deutschen Gebrauchmachungen von der DSGVO-Öffnungsklausel wurde auch die Abgabenordnung (AO) geändert: Die Begrifflichkeiten von § 30 AO wurden zum Beispiel an die in der DSGVO angepasst. Nach Auffassung des BVerwG gibt es daher nun diverse Ausschlussgründe, die dem Auskunftsbegehren des Insolvenzverwalters zugunsten des Finanzamts entgegenstehen sollen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Informationszugang zu steuerlichen Daten der Finanzbehörden. Das Auskunftsrecht bestehe deswegen nicht gegenüber einer Finanzbehörde, weil die novellierte AO solche Auskunftsansprüche im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über zivilrechtliche Ansprüche in Übereinstimmung mit der DSGVO ausschließe, vorliegend auf Grundlage der §§ 32e, 32c Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. Art. 23 Abs. 1 lit. e/j DSGVO. Die unionsrechtlichen Öffnungsklauseln in Art. 23 DSGVO wollten nach Auffassung des BVerwG den Schutz wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses sicherstellen, etwa im Steuerbereich und bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche.
Und jetzt? Zu Recht wurde insbesondere wegen Fragen zu Art. 23 Abs. 1 lit. e/j DSGVO das Verfahren ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Diesem (AZ C-620/19, abgerufen am 04.03.2022) wurden die entscheidenden Rechtsfragen gestellt. Der EuGH erklärte sich aber offenbar für unzuständig, da es sich um Auskünfte bezüglich juristischer Personen handele, auf die die DSGVO keine Anwendung finde. Letztlich wies das BVerwG die Klage ab: Ein Auskunftsrecht des klagenden Insolvenzverwalters gegenüber der Finanzbehörde bestehe deswegen nicht, weil die novellierte Abgabenordnung solche Auskunftsansprüche im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über zivilrechtliche Ansprüche in Übereinstimmung mit der DSGVO ausschließe (§ 32e; § 32c Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Buchst. e und j DSGVO).
In einer der wenigen Inanspruchnahmen der Öffnungsklausel des Art. 23 DSGVO soll also nach Auffassung des BVerwG der Schutz wichtiger Ziele des Allgemeininteresses und insbesondere des Steuerbereichs sichergestellt werden. Laut Pressemitteilung sind die Finanzbehörden aber neben zivilrechtlichen Auskunftsansprüchen nicht mehr solchen Informationsansprüchen ausgesetzt, die sich aus dem Recht der Informationsfreiheit oder dem europäischen Datenschutz ergeben. Letzteres soll insbesondere für natürliche Personen gelten, also auch im Fall des Insolvenzverwalters.
Insolvenzverwalter und seine Zusammenarbeit mit den Insolvenzgerichten
Es kommt also offenbar unter anderem auf die Einordnung des Insolvenzverwalters und seine Zusammenarbeit mit den Insolvenzgerichten an. Dies erinnert an eine andere Entscheidung: Im Zusammenhang mit der (nicht gegebenen) datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit des Sach- oder Insolvenzverwalters hat sich jüngst das AG Hamburg, Urteil vom 15.11.2021 – 11 C 75/21– in einer grundsätzlich begrüßenswerten Entscheidung geäußert. Auch dort gab es Streit im Zusammenhang mit Anfechtungsansprüchen nach §§ 129 ff. Insolvenzordnung (InsO), die man beklagtenseitig auch unter Vorschützung datenschutzrechtlicher Gegebenheiten zu erschweren oder gar zu vereiteln versuchte. Diesem Unterfangen hat das AG Hamburg eine Absage erteilt. Dieses Urteil, insbesondere aber auch die angemerkten Entscheidungen des BVerwG zeigen eines auf: Nach wie vor ist für die Praxis der Insolvenzverwaltung eine „praktische Konkordanz“ unerlässlich (diese fordern bereits Weiß/Reisener, „Praktische Konkordanz“ zwischen Datenschutz und Insolvenzrecht. Dringend nötig! Aber wie? Einige Thesen, ZInsO 2019, 481). Aus Insolvenz- und Datenschutzrecht, und wie die hier angemerkten Entscheidungen des BVerwG zeigen, offenbar auch aus dem Bereich des Steuerrechts. Damit die Insolvenzverwalter gerade Anfechtungsansprüche, denen eine der größten Bedeutungen im Insolvenzrecht zukommt, im Interesse der Gläubigergesamtheit möglichst effizient prüfen und durchsetzen können. Die Entscheidungsgründe des AG Hamburg lassen nämlich ebenfalls einen Umstand erkennen, der in der Praxis immer öfter anzutreffen ist: Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters wird oft durch datenschutzrechtliche Ansprüche (vermeintlicher) Berechtigter versucht zu erschweren oder gar zu vereiteln.
AG Hamburg: nicht konsequent
Aber auch die obengenannte Entscheidung des AG Hamburg ist aufgrund „europarechtlicher Unzulänglichkeiten“ jedenfalls nicht konsequent; unter anderem in Bezug auf die Funktionenteilung zwischen Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter. Wie vom BVerwG praktiziert, vom EuGH aber nicht entschieden, wäre daher und nun auch das, was durch die geänderte AO das Steuerrecht betrifft, vom EuGH zu entscheiden oder durch den InsO-Gesetzgeber analog der AO nachzubessern (dazu bereits ausführlich Weiß, „Wenn sich Insolvenzverwalter was wünschen dürften: Eine § 11 StBerG analoge Vorschrift in der InsO als erster Lösungsweg für datenschutzrechtliche Probleme in der Insolvenzverwaltung?“, DSB 2020, 65). Nur dies würde zukünftig eine rechtsübergreifende Rechtssicherheit für den Insolvenzverwalter im Rahmen seines/bei seinem gesetzlichen Aufgabenkreis, der Generierung von Insolvenzmasse, bringen.
Unterdessen wird der Insolvenzverwalter jedenfalls nicht nach IFG-Vorschriften Erkenntnisgewinne erzielen können, die ihm bei der Erfüllung seiner in staatlichem [nämlich als (Gesamt-)Vollstreckungsperson], ja sogar gerichtlichem Auftrag zu erledigenden Aufgaben behilflich sind. Es ist schon kurios: Das Insolvenzgericht, das immerhin in Bezug auf die Ermittlung der Insolvenzmasse amtsermittlungspflichtig ist (§ 5 Abs. 1 InsO), bestellt einen Insolvenzverwalter, der dann von beteiligten Behörden keine Auskünfte bezüglich der den Insolvenzschuldner betreffenden Daten erhalten soll.
Praxistipp
Es scheint sich immer mehr herauszukristallisieren, dass Insolvenzverwalter den Weg über das Abgabenrecht beschreiten müssen, der zwar einzelfallbezogen und deswegen beschwerlich, aber immerhin erfolgversprechend ist: Nach gesicherter Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 19.03.2013, II R 17/11) gilt nämlich Folgendes: Ein Insolvenzverwalter, der nach § 80 Abs. 1 InsO i.V.m. § 34 Abs. 3 und 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners (Steuerpflichtigen) zu erfüllen hat und im Besteuerungsverfahren die Erteilung eines Kontoauszugs für den Insolvenzschuldner beantragt, hat Anspruch darauf, dass das Finanzamt darüber nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet. Im Rahmen der Ermessensentscheidung hat das Finanzamt das Interesse des Insolvenzverwalters an der Auskunft und den steuerrechtlichen Charakter dieser Auskunft zu berücksichtigen, also den unmittelbaren Zusammenhang mit der Erfüllung steuerlicher Pflichten oder mit der Prüfung der vom Finanzamt angemeldeten Insolvenzforderungen. Dies ist einzelfallbezogen darzulegen, ist aber unter verschiedenen Gesichtspunkten in den allermeisten Insolvenzverfahren tatsächlich gut begründbar.