Die EU-Mobilitätsrichtlinie schafft einen einheitlichen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Formwechsel, Spaltungen und Verschmelzungen

Von Dr. Tobias de Raet und Dr. Alexander von Rummel, LL.M.

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Das Motto der EU lautet „In Vielfalt geeint“. Hochaktuelle politische Themen wie der Brexit oder alle Fragen rund um Asyl und Migration erwecken zuweilen den Eindruck, dass es in der EU derzeit mehr um die Vielfalt als die Einigkeit geht. Das täuscht jedoch darüber hinweg, dass im Schatten dieser Themen bedeutende Projekte vorangetrieben werden. Dies gilt etwa für das europäische Gesellschaftsrecht: Am 01.01.2020 ist die Richtlinie (EU) 2019/2121 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (MobilitätsRL) in Kraft getreten. Die MobilitätsRL ist der zweite Teil des sogenannten „Company Law Package“ aus dem April 2018; als erster Teil ist im Sommer 2019 bereits die Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (DigitalisierungsRL) in Kraft getreten (siehe dazu Birkholz in Ausgabe 14/2017 des Deutschen AnwaltSpiegels: HIER).

Bisheriger Kodifizierungsbestand grenzüber-schreitender Umwandlungsvorgänge innerhalb der EU
Bisher bestanden nur für Teilbereiche grenzüberschreitender Umwandlungsvorgänge Regelungen im europäischen Sekundärrecht. Das Recht grenzüberschreitender Umwandlungen in Europa ist stattdessen vor allem durch das europäische Primärrecht geprägt.
Auf sekundärrechtlicher Grundlage sind grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge innerhalb der EU beispielsweise unter Einbindung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) oder einer Europäischen Genossenschaft (SCE) denkbar, wenn eine SE oder eine SCE durch Verschmelzung oder Umwandlung nationaler Aktiengesellschaften oder Genossenschaften gebildet wird. Vor allem gilt aber seit Ende 2005 die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (VerschmelzungsRL), die mittlerweile in der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (GesellschaftsrechtsRL) aufgegangen ist. Diese Vorgaben setzte der deutsche Gesetzgeber mit den §§ 122a ff. des Umwandlungsgesetzes um.
Neben der so geregelten grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften gab es aber bisher keine sekundärrechtlichen Vorgaben. Weder die Verschmelzung anderer Gesellschaftsformen (insbesondere Personengesellschaften) noch andere Umwandlungsvorgänge wie grenzüberschreitende Spaltungen oder grenzüberschreitende Formwechsel waren sekundärrechtlich geregelt. Mit einer Vielzahl wegweisender Urteile – etwa in den Sachen „Centros“, „Überseering“, „Inspire Art“, „VALE“ und „Polbud“ – hat der EuGH aber in den letzten Jahrzehnten deutlich gemacht, dass auch die sekundärrechtlich nicht geregelten Umwandlungsvorgänge auf Grundlage der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) zulässig und möglich sein müssen. Mangels sekundärrechtlicher Umsetzung bestanden aber in der Praxis erhebliche Umsetzungsunsicherheiten. Hier setzt die Mobilitätsrichtlinie an, indem sie für klare Vorgaben sorgt und erhebliche (wenngleich nicht alle) Regelungslücken schließt.

Vom Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht 2012 zur MobilitätsRL
Der MobilitätsRL ging ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren voraus. Bedeutende Teile haben ihre Wurzeln im Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance aus dem Dezember 2012, in dem die Europäische Kommission Initiativen zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung, eine Verbesserung des Mechanismus für grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie die Genehmigung grenzüberschreitender Spaltungen in Aussicht stellte. Dies führte zunächst dazu, dass mehrere gesellschaftsrechtliche Richtlinien in der GesellschaftsrechtsRL gebündelt wurden. Ziel war es, das europäische Gesellschaftsrecht anwenderfreundlicher zu gestalten und Inkonsistenzen zu beseitigen. Schon dies war ein großer Wurf, da es dadurch gelang, die bisherige Zersplitterung im europäischen Gesellschaftsrecht weitgehend zu beseitigen.
Als Teil des Company Law Package wurde dann im April 2018 erstmals ein Entwurf der MobilitätsRL vorgelegt, mit der die GesellschaftsrechtsRL geändert werden sollte. In Rekordzeit passierten die Entwürfe die europäischen Institutionen und das Trilogverfahren. Schon im April 2019 lag ein nahezu finaler Entwurf vor, der entgegen den ursprünglichen Planungen jedoch nicht mehr vor der Europawahl im Mai 2019, sondern erst im November 2019 verabschiedet werden konnte. Er schafft einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für nahezu alle nationalen und grenzüberschreitenden Umwandlungsformen (Formwechsel, Spaltung, Verschmelzung).

Erstmalige Kodifizierung des grenzüber­schreitenden Formwechsels
Ein bedeutender Schritt ist die erstmalige sekundärrechtliche Kodifizierung des grenzüberschreitenden Formwechsels, der mit der MobilitätsRL unter der – aus deutscher Begriffssystematik irreführenden – Bezeichnung „grenzüberschreitende Umwandlung“ in Art. 86a bis 86t in die GesellschaftsrechtsRL eingeführt wird.
Dass es für diese Form der Umwandlung ein erhebliches Bedürfnis in der Praxis gibt, verdeutlichen die zahlreichen hierzu ergangenen EuGH-Urteile. Schon im Jahr 2012 entschied der EuGH im Urteil „VALE“, dass die EU-Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV und 54 AEUV) einer nationalen (im konkreten Fall: italienischen) Regelung entgegensteht, die zwar für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung gestattet, aber die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft in eine inländische Gesellschaft mittels Gründung der letztgenannten Gesellschaft generell nicht zulässt (sog. Herein-Formwechsel). Das OLG Nürnberg übertrug diese Entscheidung im Jahr 2013 auf den Herein-Formwechsel in die deutsche Rechtsordnung.
Im Jahr 2017 entschied der EuGH in der Rechtssache „Polbud“ sodann den umgekehrten Fall des sogenannten Heraus-Formwechsels: Die Niederlassungsfreiheit umfasse auch die formwechselnde Umwandlung durch die isolierte Satzungssitzverlegung, wenn die im Zuzugsmitgliedstaat geltenden Bestimmungen eingehalten werden. Eine nationale Regelung, die einen grenzüberschreitenden Formwechsel durch die Verlegung des Satzungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat davon abhängig mache, dass die Gesellschaft (im Herkunftsstaat) aufgelöst werde, sei eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.
Trotz dieser eindeutigen EuGH-Rechtsprechung bestehen in der Praxis nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in der tatsächlichen Durchführbarkeit von grenzüberschreitenden Formwechseln. Dies liegt vor allem daran, dass die nationalen Gesetze zur Registerführung sowie die Praxis der registerführenden Stellen kaum aufeinander abgestimmt sind. Erfahrungswerte zu den konkreten Anforderungen sind daher bislang nur für Formwechsel zwischen ausgewählten Mitgliedstaaten verfügbar.

Erstmalige Kodifizierung der grenzüber­schreitenden Spaltung
Von ähnlicher Relevanz ist die erstmalige sekundärrechtliche Kodifizierung der grenzüberschreitenden Spaltung in den durch die MobilitätsRL eingeführten Art. 160a bis Art. 160u der GesellschaftsrechtsRL. Anders als bei Formwechsel und Verschmelzung ist das Ergebnis einer Spaltung naturgemäß nicht nur ein, sondern es sind mindestens zwei verbleibende Rechtsträger. Deshalb ist eine komplexe Aufteilung von Rechten und Pflichten erforderlich. Das betrifft insbesondere die Zuweisung von und die Haftung für (Alt-)Verbindlichkeiten, welche eine erhebliche Bedeutung für den Schutz der Rechte der Gläubiger und Arbeitnehmer hat.
Angesichts der EuGH-Rechtsprechung zu den anderen Umwandlungsformen konnte kaum Zweifel bestehen, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich auch die grenzüberschreitende Spaltung ermöglichen müssen. Aufgrund der zuvor genannten Komplexitäten sowie damit einhergehender Bewertungsfragen wurden jedoch – anders als beim grenzüberschreitenden Formwechsel – keine nennenswerten praktischen Versuche unternommen, grenzüberschreitende Spaltungen unter Berufung auf europäisches Primärrecht durchzuführen.
Es ist daher ein großer Fortschritt, dass die MobilitätsRL nun erstmals einen sekundärrechtlichen Rechtsrahmen für die grenzüberschreitende Spaltung schafft.

Novellierung der Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen
Schließlich werden durch die MobilitätsRL die bestehenden sekundärrechtlichen Vorschriften zur grenzüberschreitenden Verschmelzung (Art. 118 bis Art. 134 der GesellschaftsrechtsRL) novelliert.
Die Änderungen der MobilitätsRL betreffen neben redaktionellen Klarstellungen vor allem Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer, Gläubiger und Minderheitsgesellschafter. Die Änderungen beruhen zum einen auf Erfahrungen aus der Praxis und sollen zum anderen einen möglichst einheitlichen Verfahrensrahmen für sämtliche grenzüberschreitende Umwandlungsformen – Formwechsel, Spaltungen, Verschmelzungen – schaffen.

Umsetzung bis Anfang 2023
Die Mitgliedstaaten müssen die MobilitätsRL bis zum 31.01.2023 umsetzen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat hierzu eine Expertenkommission eingesetzt.
Angesichts der grenzüberschreitenden Elemente sollten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der MobilitätsRL Hand in Hand arbeiten, um den sekundärrechtlichen Rahmen in praxistaugliche nationale Gesetze umzusetzen. Dabei bietet es sich an, über den von der MobilitätsRL vorgegebenen Mindestrahmen hinauszugehen, um weiter verbleibende Lücken zu schließen (Gold-Plating). So geltend die Vorgaben der MobilitätsRL nach wie vor nur für Kapitalgesellschaften und in einigen Teilen sogar nur für Aktiengesellschaften (sowie vergleichbare Rechtsformen). Die Mitgliedstaaten sollten erwägen, vergleichbare Regelungen für grenzüberschreitende Umwandlungen von Personengesellschaften zu schaffen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Niederlassungsfreiheit sich auch auf solche erstreckt. Die Vorschriften zur grenzüberschreitenden Spaltung beziehen sich außerdem nur auf die Spaltung zur Neugründung. Im Rahmen der Umsetzung sollte auch die grenzüberschreitende Spaltung zur Aufnahme mitgeregelt werden.

Fazit
Die Geschichte des europäischen Gesellschaftsrecht ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Wie so oft, hat der EuGH bedeutende Impulse für die Fortentwicklung des Sekundärrechts gesetzt. Die Mitgliedstaaten sollten dies als Chance begreifen: Im globalen Wettbewerb wird das europäische Gesellschaftsrecht nur dann bestehen können, wenn es als Einheit und nicht als Flickenteppich wahrgenommen wird.

deraet@lindenpartners.eu

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