Zugleich Anmerkung zu LG Mannheim, Urteil vom 18.03.2021, 21 O 1/20

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Eine jüngst ergangene Entscheidung des LG Mannheim verdeutlicht die zentrale Bedeutung der Gestaltung von Gesellschaftsverträgen für den Schutz der Interessen von Minderheitsgesellschaftern. Gegenstand der Entscheidung vom 18.03.2021 (Az. 21 O 1/20) war ein Streit zwischen Kommanditisten, der in der Auflösung der Gesellschaft endete. Im Vermögen der Gesellschaft befanden sich unter anderem zwei Gewerbeimmobilien, die der Mehrheitsgesellschafter zuvor – unter Verstoß gegen seine Pflichten als Geschäftsführer – an eine Gesellschaft veräußert hatte, deren Anteile zu dieser Zeit zu 100% von seiner Ehefrau gehalten wurden. Während die Minderheitsgesellschafter versuchten, die Rückübertragung der Grundstücke an die Gesellschaft zu erwirken, beschloss der Mehrheitsgesellschafter deren Auflösung und Liquidation. Da die Liquidation dabei im Wege der Versteigerung des Gesellschaftsvermögens unter den Gesellschaftern erfolgen sollte, ermöglichte der Mehrheitsgesellschafter durch seine Stimmabgabe somit zugleich den Erwerb des Gesellschaftsvermögens.

Sachverhalt
Im vorliegenden Fall wandten sich die Kläger als Minderheitsgesellschafter der A. GmbH und Co. KG (nachfolgend: Gesellschaft) gegen die mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters gefassten Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zur Auflösung der Gesellschaft. Der Gesellschaftsvertrag enthielt eine Klausel, nach der „alle Beschlüsse mit Mehrheit der Stimmen aller Gesellschafter gefasst“ werden, „soweit dieser Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes bestimmt“. Der Mehrheitsgesellschafter berief sich auf diese allgemeine Regel und fasste gegen die Stimmen der Minderheitsgesellschafter einen Beschluss über die Auflösung der Gesellschaft und der Versteigerung ihrer Vermögenswerte. Die klagenden Minderheitsgesellschafter waren dagegen der Auffassung, dass der Beschluss über die Liquidation nur einstimmig gefasst werden könne, weil es sich um einen grundlegenden Beschlussgegenstand handele, für den jedenfalls im Wege der Auslegung ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis gelte.

Entscheidungsgründe
Nach Auffassung des LG Mannheim wurden die Beschlüsse formell und materiell ordnungsmäßig gefasst. Es prüfte dabei die Wirksamkeit des Liquidationsbeschlusses in zwei Schritten1: Erstens müsse der Gesellschaftsvertrag formell gestatten, dass ein Beschluss über den jeweiligen Gegenstand im Wege der Mehrheitsentscheidung (und nicht etwa einstimmig) gefasst werde. Zweitens dürfe aber auch der formell wirksame Mehrheitsbeschluss nicht materiell gegen das Gebot der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander (sogenannte gesellschafterliche Treuepflicht) verstoßen. Das gelte allgemein für alle Beschlussgegenstände, also auch bei sogenannten „Grundlagengeschäften“ oder Maßnahmen, die in den „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte oder in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingriffen.2
Die Prüfung der formellen Legitimation auf der ersten Stufe erfolge nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Möglich sei daher nicht nur, dass der in Frage stehende Beschlussgegenstand in einem Katalog explizit genannt sei, sondern auch, dass eine umfassende Mehrheitsklausel im (schriftlichen) Gesellschaftsvertrag oder sogar eine konkludente Vereinbarung die Mehrheitszuständigkeit ermögliche.3
Eine solche auslegungsfähige Regelung liege hier vor. Denn der Gesellschaftsvertrag sehe vor, dass grundsätzlich alle Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden könnten. Diese Regelung sei auch zulässig, da das Einstimmigkeitserfordernis oftmals unpraktikabel und grundsätzlich dispositiv sei. Lege man die vorliegende Klausel aus, gebe es keine durchgreifenden Bedenken, dass auch die Liquidation von der Klausel umfasst sein solle.
Weiter führte das LG Mannheim aus, dass die gefassten Beschlüsse aber auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden seien. Da es sich bei der durch die Auflösung der Gesellschaft betroffenen Mitgliedschaft als solcher weder um ein Sonderrecht noch um ein relativ unentziehbares Recht handele, komme es auf der zweiten Stufe nicht darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei.4 Vielmehr trage der formell wirksame Auflösungsbeschluss grundsätzlich seine Legitimation in sich. Dagegen müssten die Kläger als Minderheit den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung führen; dies sei ihnen vorliegend nicht gelungen.

Auswirkungen
Das LG Mannheim arbeitete heraus, dass die Prüfung der formellen Legitimation einer Mehrheitsentscheidung im Wege der Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen erfolgt. Der hier früher herangezogene Bestimmtheitsgrundsatz ist dabei auch nicht mehr in Gestalt einer Auslegungsregel zu berücksichtigen, dass etwa allgemeine Mehrheitsklauseln restriktiv auszulegen sind oder Beschlussgegenstände, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen oder ungewöhnliche Geschäfte beinhalten, jedenfalls von allgemeinen Mehrheitsklauseln, die außerhalb eines konkreten Anlasses vereinbart wurden, regelmäßig nicht erfasst werden. Eine solche Auslegungsregel findet im Gesetz keine Stütze. Hieraus ergibt sich, dass die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zur Anwendung kommen.
Das gesetzliche Einstimmigkeitserfordernis in Kommanditgesellschaften kommt dagegen nur dann zur Anwendung, wenn sich im Wege der Auslegung nicht eine abweichende Vereinbarung der Gesellschafter feststellen lässt. Diese Grundsätze gelten für alle Beschlussgegenstände, da das gesetzliche Einstimmigkeitsprinzip (§ 709 Abs. 1 BGB, §§ 119 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB) grundsätzlich dispositiv ist. Den Gesellschaftern steht es im Wege der Privatautonomie frei, sich dahingehend zu einigen, ob und in welchem Umfang das starre, praktischen Erfordernissen oftmals nicht gerecht werdende Einstimmigkeitsprinzip durch das Mehrheitsprinzip ersetzt wird.5
Im Rahmen der materiellen Wirksamkeit des Beschlusses hebt das LG Mannheim hervor, dass es im Rahmen eines Liquidationsbeschlusses nicht darauf ankommt, ob ein Eingriff in den sogenannten Kernbereich gegeben ist. Zu den unentziehbaren Rechten zählen nur die individuellen, dem Gesellschafter nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag zustehenden wesentlichen Gesellschafterrechte, die seine Stellung in der Gesellschaft maßgeblich prägen, wie etwa das Stimmrecht oder das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös.6 Es müssen gerade solche Maßnahmen in Rede stehen, welche die gesellschaftsvertraglichen Grundlagen berühren (sogenanntes Grundlagengeschäft) oder in den „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte eingreifen.7 Das ist bei der Auflösung nicht der Fall, und zwar selbst dann nicht, wenn mit der Auflösung – wie hier – zugleich eine bestimmte Art der Auseinandersetzung beschlossen wird.8 Die Mitgliedschaft selbst, die durch die Auflösung in fundamentaler Weise berührt wird, stellt nämlich kein relativ unentziehbares Recht dar.

Rechtsfolgen und Ausblick
Das LG Mannheim hat im Rahmen der vorliegenden Entscheidung klargestellt, dass die Auflösung einer Gesellschaft mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann, auch wenn der Gesellschaftsvertrag keine ausdrückliche Regelung über ein Mehrheits- oder Einstimmigkeitserfordernis enthält. Es betont weiter, dass ein solcher Liquidationsbeschluss nicht in die relativ unentziehbaren Rechte der Gesellschafter eingreift und somit auch rechtmäßig ist, wenn er nicht den erhöhten Anforderungen entspricht.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze dieser Entscheidung kann die Auflösung einer Kommanditgesellschaft auch gegen die Stimmen anderer Gesellschafter mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, wenn im Gesellschaftsvertrag nur eine allgemeine Klausel das Mehrheitserfordernis regelt und sich nicht explizit auch auf den Fall der Auflösung bezieht.

Mehrheitsgesellschaftern ermöglicht dies, eine Beendigung der Bindung aus dem Gesellschaftsvertrag herbeizuführen und gegebenenfalls – wie im vorliegenden Fall – im Wege der Liquidation einzelne Vermögensgegenstände zu erwerben, um diese außerhalb der Gesellschaft und ohne Einfluss und Zugriff der Mitgesellschafter zu nutzen. Umgekehrt sollten Minderheitsgesellschafter bei Abschluss und Verhandlung von Gesellschaftsverträgen sehr kritisch prüfen, ob von einem – grundsätzlich pragmatischen – allgemeinen Mehrheitserfordernis nicht Ausnahmen geboten sind, etwa für die Auflösung der Gesellschaft.

1 Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BGH, vgl. etwa BGH, Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 12; ebenso BGH, Urteil vom 22.09.2020 – II ZR 141/19 –, Rn. 32, zitiert nach juris.
2 Vgl. BGH, Urteil vom. vom 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 12; ebenso BGH, Urteil vom 22.09.2020 – II ZR 141/19 –, Rn. 32, zitiert nach juris.
3 Unter Verweis auf BGH, Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 14; BGH, Urteil vom 13.10.2020 – II ZR 359/18, zitiert nach juris, Rn. 11.
4 BGH, Urteil vom 13.10.2020 – II ZR 359/18 –, Rn. 21 ff., zitiert nach juris.
5 BGH, Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 84/13–, BGHZ 203, 77 Rn. 16.
6 Vgl. BGH, Urteil vom 10.10.1994 – II ZR 18/94 –, Rn. 8, zitiert nach juris und BGH, Urteil vom 13.10.2020 – II ZR 359/18 –, Rn. 16.
7 So BGH, Urteil vom 24.11.2008 – II ZR 116/08 –, BGHZ 179, 13 Rn. 17.
8 Vgl. Schäfer, in: Staub, HGB, 5. Aufl., § 131, Rn. 22 mwN; Enzinger, in: MüKoHGB, 4. Aufl., § 119 Rn. 70 ff., sowie BGH, Urteil vom 12.11.1952 – II ZR 260/51 –, BGHZ 8, 35 Rn. 11 zum umgekehrten Fall der Rückumwandlung einer Abwicklungsgesellschaft in eine werbende Gesellschaft.

s.schneider@tiefenbacher.de

 

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