Naturkatastrophen und Kriege als Beispiele in der Praxis

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Auch wenn vor der Covid-19-Pandemie die Fragen der Force Majeure nur für einen kleinen Kreis von Kollegen von Interesse waren, hat sich dies mittlerweile tiefgreifend geändert. Der Begriff ist in aller – insbesondere auch im nichtanwaltlichen – Munde. Seit dem Angriff auf die Ukraine hat sich ein weiteres Anwendungsgebiet eröffnet. Grund genug, sich noch einmal mit den Fragen, die Force Majeure für den Juristen aufwirft, auseinanderzusetzen.

Definition

Force Majeure ist zum einen der französischsprachige Begriff für den deutschen Begriff der höheren Gewalt, zum anderen aber auch ein Rechtsinstitut, das in verschiedenen Rechtsordnungen zu finden ist. Das deutsche Recht sieht das oft im internationalen Bereich verwendete oder vereinbarte Rechtsinstitut allerdings nicht direkt vor. Es spricht jedoch an einigen Stellen von höherer Gewalt.

Der deutsche Gesetzgeber benennt höhere Gewalt zum Beispiel in § 206 BGB: Wenn jemand innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist aufgrund höherer Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist, tritt Hemmung der Verjährung ein. Das bedeutet, dass das Ereignis höherer Gewalt nur zu einer Verhinderung des Ablaufs der Verjährung führt, aber weiter keine gestaltende Wirkung entfaltet. Grüneberg definiert höhere Gewalt dabei als ein Ereignis, das auch durch die äußerste, billigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht vorausgesehen und verhütet werden konnte, und dass schon das geringste Verschulden des Gläubigers höhere Gewalt ausschließt (Grüneberg-Ellenberger, BGB 81. Aufl.2022, § 206, Rn. 4.).

Für die Betrachtung der Force Majeure interessant ist der Mechanismus des § 206 BGB: Liegt eine durch höhere Gewalt verursachte Verhinderung vor, wird der Fristablauf „ausgesetzt“.

Im Grunde genommen ist dieser Mechanismus ebenfalls in vielen vertraglichen Force-Majeure-Klauseln zu finden, zum Beispiel in der ICC-Musterklausel zur Force Majeure. Auch dort wird davon ausgegangen, dass (nach Notifikation) das Vorliegen des Force-Majeure-Ereignisses zunächst zum Ruhen der vertraglichen Verpflichtungen führt, nach einem Zeitraum von sechs Monaten kann gekündigt werden.

§ 313 BGB: Störung der Geschäftsgrundlage

Vergleicht man den Regelungsgehalt solcher Force-Majeure-Klauseln mit deutschem Recht, so stößt man unweigerlich auf das alte Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Seit Kodifizierung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist dieses weitestgehend als Störung der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB normiert.

Geschäftsgrundlage ist die Summe aller Umstände, die beide Parteien dem Vertrag zugrunde gelegt haben. Bei der Beurteilung der Geschäftsgrundlage ist also auf die Kenntnis und Erwartungen der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Es liegt auf der Hand, dass der Eintritt eines Ereignisses höherer Gewalt von den Parteien zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet worden sein kann. Denn der Eintritt eines solchen Ereignisses liegt, wie oben ausgeführt, außerhalb des Einflussbereichs der Vertragsparteien. Unveränderte Geschäftsgrundlage und Ausbleiben eines Force-Majeure-Ereignisses können wohl synonym verwendet werden.

Um den Anwendungsbereich des § 313 BGB, die Störung der Geschäftsgrundlage, zu eröffnen, müssen sich die Grundannahmen, die Lebensumstände, die dem Vertragsschuss von beiden Parteien zugrunde gelegt wurden, erheblich geändert haben. Rechtsfolge ist dann ein Anspruch auf Anpassung des Vertrags, nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit zu dessen Beendigung.

Ein Unterschied zwischen dem Eintritt eines Force-Majeure-Ereignisses und einem Ereignis, das eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellt, liegt offensichtlich nicht auf der Hand; regelmäßig werden diese deckungsgleich sein. Das wird sowohl anhand der Covid-19-Pandemie als auch anhand des Ukrainekriegs offensichtlich. Mit dem Eintritt der Pandemie und den hierdurch begründeten weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens konnte und musste niemand vor deren Ausbruch rechnen. Genauso verhält es sich mit dem Ukrainekrieg. Bis zu dessen tatsächlichem Beginn rechnete kein redlicher Vertragspartner mit dem Eintritt solch eines Ereignisses. Der Krieg hat also kurz nach Covid-19 einen weiteren potentiellen Anwendungsbereich der Störung der Geschäftsgrundlage eröffnet.

Naturkatastrophen und Kriege als Lehrbuchbeispiele für Force Majeure

Naturkatastrophen und Kriege sind Lehrbuchbeispiele für Force Majeure. Diese und bereits eine Epidemie, also die Vorstufe zur Pandemie, hat die ICC in ihrer Musterklausel als Force-Majeure-Ereignisse normiert.

Doch abweichend von der vorgenannten Musterklausel, hatte der deutsche Gesetzgeber zum Ziel, das Bürgerliche Gesetzbuch nicht anhand einzelner Beispielfälle abzuleiten, auch wenn dies als Vorteil gesehen werden kann. Es sollte hiervon abweichend ein möglichst abstraktes Regelwerk entwerfen. Folgerichtig wurde aufgrund der vorgesehenen gesetzlichen Systematik keine Notwendigkeit für die Einfügung einer eigenständigen Force-Majeure-Regelung gesehen.

Das deutsche Recht regelt die Grundfrage der Force Majeure, die der Erbringbarkeit einer Leistung und der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen im Recht der Unmöglichkeit.

§ 275 BGB: Unmöglichkeit der Leistung…

Ausgehend vom Grundverständnis, dass niemand zu einer unmöglichen Leistung verpflichtet werden kann, schuf der Gesetzgeber die Regelung des § 275 Abs. 1 BGB. Der Anspruch auf Leistung ist hiernach bei unmöglichen Leistungen ausgeschlossen, wobei es keinen Unterschied macht, ob die Leistung nur dem Schuldner oder auch dem Gläubiger unmöglich ist. Weil im Rechtssinn „nicht können“ insbesondere auch „nicht dürfen“ bedeutet, ist auch die Erbringung von Leistungen, die unter ein gesetzliches Gebot fallen, unmöglich. Das bedeutet, dass ein Vertrag, der zur Lieferung eines Produkts verpflichtet, das von einem Embargo umfasst ist, nicht nur nach § 134 BGB nichtig ist, sondern dass flankierend auch die isolierte Lieferverpflichtung nach § 275 I BGB entfällt.

… und §326 BGB: Entfall des Leistungsanspruchs sowie Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche

Mit dem Freiwerden von der Erbringung der unmöglichen Leistung korrespondiert regelmäßig der Entfall des Anspruchs auf Entgelt für die nicht zu erbringende Leistung nach § 326 Abs. 1 BGB.

Selbstverständlich und unabhängig davon kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, zum Beispiel wenn die Unmöglichkeit bei Vertragsschluss bekannt war oder wenn eine Vertragspflicht verletzt ist. Ohne ins Detail gehen zu wollen, kommen in erster Linie Schadensersatzansprüche aufgrund einer Pflichtverletzung, § 280 BGB, sowie Schadensersatz statt der Leistung, § 283 BGB, in Betracht. Daneben hat der Gläubiger einen Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen nach § 284 BGB oder kann nach § 285 BGB die Herausgabe des Ersatzes vom Schuldner verlangen, wenn dieser aufgrund des Umstands, der ihn leistungsfrei macht, einen Ersatz erhalten hat. Voraussetzung für die Schadensersatzansprüche ist stets eine zu vertretende Pflichtverletzung des Schuldners.

War die Leistung anfänglich unmöglich und hat der Schuldner sich gleichwohl zu ihrer Erbringung verpflichtet, so wird er nur sanktionslos von der Leistung frei, wenn er das Leistungshindernis bei Vertragsschluss nicht kannte und seine Unkenntnis nicht zu vertreten hatte, § 311a II BGB. Ansonsten muss er den von ihm verursachten Schaden ersetzen.

Ist Force Majeure ein Vertragskorrektiv?

Das bloße Berufen auf Force Majeure, wie man es bereits in den vergangenen beiden Jahren aufgrund der Covid-19-Pandemie erlebt hat und nunmehr auch aufgrund des Ukrainekriegs erlebt, ist selbstverständlich nicht ausreichend, um alle vertraglichen Probleme zu lösen. Die konkreten Auswirkungen der Force Majeure auf jede einzelne Leistungsverpflichtung und die daraus folgende Unmöglichkeit der Leistung sind darzulegen. Und genau daran scheitern oftmals die Bemühungen der Parteien, aus den an sich negativen Umständen für sich vorteilhafte Ergebnisse zu erzielen.

Nicht immer werden die Folgen eines Ereignisses höherer Gewalt jedoch im Sinne aller Vertragsparteien liegen, so dass das unbedachte Berufen auf höhere Gewalt auch zu negativen Folgen führen kann. Die Rechtsfolge des § 326 Abs. 1 BGB; der Entfall der Vergütungspflicht, ist nicht unbedingt das Ziel, das Mandanten zu erreichen suchen.

Dennoch kann man festhalten, dass Force Majeure, in ihren im deutschen Recht gegebenen Auswirkungen, sehr wohl ein Vertragskorrektiv sein kann, wenn denn Umstände vorliegen, die die Fähigkeit einer Vertragspartei zur Leistungserbringung hindern, wenn sie nicht verschuldet sind.

 

frank.bernardi@roedl.com

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