Im Blickpunkt: Bestandsaufnahme und erste Bilanz

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Einleitung
Im März 2021 feiert das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) einjähriges Jubiläum. Ziel des Gesetzes: qualifizierten Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten den Weg in den deutschen Arbeitsmarkt zu ebnen und damit einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu leisten. Zeit für eine erste Bilanz: Denn obwohl das FEG vor allem in Regierungskreisen als großer Erfolg gefeiert wird, bleiben einige Baustellen offen. Diese liegen allerdings auch jenseits des Gesetzesrahmens – wenn es darum geht, Deutschland im internationalen Wettbewerb um ausländische Fachkräfte zu einem attraktiven Einwanderungsland zu machen.
Zunächst sei gesagt, dass dieses erste Jahr mit dem FEG außergewöhnlicher nicht hätte sein können. Das Timing bezüglich der Pandemie war denkbar ungünstig: Keine 30 Tage nach Gesetzeseinführung traten globale Reisebeschränkungen in Kraft, die Weltwirtschaft erfuhr einen massiven Dämpfer, und weltweit verabschiedeten sich immer mehr Ämter und Behörden in den Lockdown, um zeitweise komplett zu schließen. Dennoch lässt sich im Rückblick zumindest teilweise feststellen, welche Änderungen Deutschland als Einwanderungsland für Fachkräfte attraktiver machen und wo noch Nachholbedarf besteht.

Anerkennung von Berufsabschlüssen: Erste Schritte gehen nicht weit genug
Vor allem Wirtschaftsvertreter versprachen sich durch das FEG entscheidende Verbesserungen bei der Suche nach geeigneten Fachkräften, weniger komplizierte Prozesse sowie eine Senkung der Kosten.
Ein immer wieder betonter Vorteil des neuen Gesetzes: Die bis dato geltende Beschränkung auf Engpassberufe und eine Vorrangprüfung wurden abgeschafft. Im Einzelnen heißt das, dass beruflich Qualifizierte aus Drittstaaten unter dem FEG dann eine deutsche Arbeitserlaubnis erhalten, wenn sie einen Arbeitsplatz sowie ausreichende Sprachkenntnisse vorweisen können. Dies gilt auch für jene, die über einen Berufsabschluss verfügen, der in Deutschland nur teilweise anerkannt wird, sofern sie ein konkretes Stellenangebot mitbringen und ihre Nachqualifizierung bereits geregelt ist.
Für Fachkräfte aus dem IT-Bereich sieht das FEG sogar eine Sonderregelung vor: Diese Stellen können auch mit qualifizierten Kandidaten besetzt werden, denen eine Ausbildung fehlt. Eine Bedingung hierfür ist allerdings, dass fünf Jahre einschlägige Berufserfahrung vorgewiesen werden können.
Derartige Regelungen gibt es aber leider nicht für alle Bereiche. Genau hier lässt sich eine erste Schwachstelle des FEG identifizieren. Diese hat weniger mit dem Gesetz an sich zu tun, sondern gründet sich auf die altbekannte Hürde der zu starren Orientierung am deutschen Ausbildungssystem. Denn so sehr dieses einen entscheidenden Beitrag zur Qualitätsmarke „Made in Germany“ geleistet hat, ist es kein im Ausland vielkopiertes Erfolgsmodell.
Dadurch wird die Zahl der potentiellen Bewerber von vornherein dramatisch beschnitten. Dies gilt besonders für nichtakademische Berufe wie etwa jene aus dem Gesundheits- und Pflegebereich. In diesem Punkt kann man von europäischen Nachbarn wie Frankreich oder Großbritannien lernen, indem man fähigkeitsbezogene Tests einführt, anstatt zu prüfen, ob auf dem Papier bescheinigte Qualifikationen mit deutschen Abschlüssen vergleichbar sind.
Prüfungen durch Bundesagentur für Arbeit als neue Hürde
Eine möglicherweise größere Hürde stellt die Erweiterung der Rolle der Bundesagentur für Arbeit im Genehmigungsverfahren für Anträge zur Arbeitserlaubnis dar. Die Behörde kann laut FEG nämlich jeden Antrag einem „Seriositätstest“ unterziehen, der sich an das Unternehmen richtet, das eine ausländische Fachkraft einstellen will. Die Bundesagentur hat hierbei einen recht breiten Ermessensspielraum. So kann sie einen Antrag ablehnen, wenn der Arbeitgeber seinen steuerlichen, sozialversicherungs- oder arbeitsrechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist oder sich in einem laufenden Insolvenzverfahren befindet.
Die Überprüfung geht mit erweiterten Meldepflichten im Bewerbungsprozess und damit einem gesteigerten Bürokratieaufwand einher. Zudem erhöht sich durch derartige Prüfungen die Rechtsunsicherheit in Bezug auf Dauer und Ergebnis des Einwanderungsprozesses. Von der gewünschten Vereinfachung des Fachkräftezuzugs kann hier kaum die Rede sein.
Eine Möglichkeit, um an dieser Stelle nachzubessern, könnte ein verstärkter Fokus auf Nachprüfungen bei Verlängerungen von Arbeitserlaubnissen oder Verfehlungen sein. Darüber hinausgehende Prüfungen im Vorfeld einer Beschäftigung stellen hingegen schlicht eine weitere Hürde im Anwerbeprozess dar.

Das beschleunigte Fachkräfteverfahren und zentrale Ausländerbehörden
Zwei Neuerungen, die das FEG vorsieht, sind die Einrichtung zentraler Ausländerbehörden sowie das beschleunigte Fachkräfteverfahren. Der Grundgedanke bei den Ausländerbehörden ist, pro Bundesland eine zentrale Anlaufstelle einzurichten und so die Kompetenzen im Rahmen der Verfahren zu bündeln. Dadurch erhofft man sich einheitlichere, transparente und somit beschleunigte Visumverfahren.
Dabei bleibt es weiterhin fraglich, ob eine Umstellung auf eine zentrale Organisationsform überhaupt die gewünschten Effekte erzielt. Zum einen kann eine zentrale Lösung dazu führen, dass der Antragstellungsprozess für einzelne Arbeitgeber aufwendiger wird. Dies gilt besonders in Flächenstaaten. Zum anderen ist durch die zentrale Organisationform noch nicht garantiert, dass diese auch die notwendige Schlagkraft entwickeln kann, um die Prozesse wirklich zu beschleunigen. Dieser Aspekt bleibt stark abhängig davon, wie stark die Behörden personell aufgestellt sind und wie zügig die Anträge dementsprechend bearbeitet werden können.
Ebenfalls neu mit dem FEG kam die Einführung des beschleunigten Fachkräfteverfahrens. Dabei sichern die beteiligten Behörden gesetzlich definierte Bearbeitungs- und Antwortzeiten zu. Der gebührenpflichtige Prozess muss vom deutschen Arbeitgeber eingeleitet werden. Die Kosten für ein derartiges Verfahren belaufen sich auf 411 Euro. Zentrale Anlaufstelle für den Arbeitgeber ist hier die Einwanderungsbehörde. Diese organisiert alle notwendigen administrativen Schritte, wie etwa die Genehmigung des Verfahrens durch die Bundesagentur für Arbeit.
Dies kann ein probates Mittel sein, um Verfahren zu beschleunigen. Problematisch wird es allerdings im Fall einer Ablehnung des beschleunigten Verfahrens. Denn hier gibt es bislang kein Rechtsmittel, um diese direkt anzufechten. Stattdessen muss der Antragsteller das Visum erneut beantragen – und zwar im Standardverfahren.
Doch auch hier lassen die Turbulenzen aus dem Coronajahr noch kein abschließendes Urteil zu. Behörden und Arbeitgeber konnten sich bisher mitunter nur bedingt mit dem beschleunigten Verfahren vertraut machen. Gerade in den ersten Monaten der Pandemie waren etwa die Konsulate in wichtigen Herkunftsländern, wie etwa Indien oder China, lange Zeit geschlossen.
Dadurch ist ein teils massiver Bearbeitungsrückstau von Visumanträgen entstanden.

Bei einer Rückkehr zur Normalität bleibt also abzuwarten, ob diese Maßnahmen greifen und damit den erhofften Mehrwert erbringen können.

Attraktivität Deutschlands geht über die Gesetzeslage weit hinaus
Bei all der Kritik am FEG und seiner Umsetzung muss man allerdings immer auch einen Schritt zurückgehen und die hiesigen Voraussetzungen zum Anwerben ausländischer Fachkräfte mit der Situation in anderen Einwanderungsländern vergleichen. Bei einer solchen Analyse des internationalen Wettbewerbs schneidet Deutschland nämlich nicht schlecht ab.
So sind die rechtlichen Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich durchaus attraktiv. Beispielsweise können Fachkräfte hier bereits nach 21 Monaten eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Diese umfasst das Recht zu einem dauerhaften Aufenthalt und freien Zugang zum Arbeitsmarkt.
Auch bei den Wartezeiten ist Deutschland anderen Ländern voraus. Kanada oder Australien sind zum Beispiel für teils sehr lange Wartezeiten bekannt, und auch der Aufenthaltsstatus von Angehörigen bleibt in diesen Ländern anders als in Deutschland manchmal für Jahre unsicher. Dennoch sind diese Länder gerade bei Hochqualifizierten sehr beliebt. Aus dieser Beobachtung lässt sich schließen, dass es beim Werben um Fachkräfte nicht ausschließlich auf die Zuwanderungsgesetze ankommt. Denn kulturelle, wirtschaftliche und sprachliche Faktoren oder historische Beziehungen spielen eine sehr wichtige Rolle, bei der Entscheidung qualifizierter Arbeitnehmer für ein bestimmtes Land. Für Pflegekräfte von den Philippinen werden deshalb die USA immer eine besondere Attraktivität haben. Das hängt auch mit den vergleichsweise hohen Vergütungen von Pflegeberufen zusammen, die sich so in Deutschland nicht erzielen lassen.
So groß also die Freude über das FEG in Regierungskreisen auch ist: Man übersieht an dieser Stelle, dass die Hebelwirkung der neuen Gesetzeslage geringer ausfällt als die anderer Attraktivitätskriterien.

Bekenntnis zu mehr Einwanderung aufrechterhalten
Gleichwohl ist das politische Bekenntnis, das mit der Einführung des FEG einhergeht, zu begrüßen – nämlich, dass Deutschland ein Einwanderungsland für Arbeitsmigration ist. Denn dem zugrunde liegt die Erkenntnis, dass eine richtig gesteuerte Einwanderung zum wirtschaftlichen Wohlstand der Allgemeinheit beitragen wird. Daran anknüpfend, muss jetzt die bereits geschaffene Infrastruktur sukzessive optimiert und ausgebaut werden.
Erste Schritte hierzu wären eine stärkere Entbürokratisierung der Prozesse und eine weitere Digitalisierung der Verfahren. Dafür bedarf es Investitionen in zusätzliches Behördenpersonal und moderner Technologien – Investitionen, die sich in jedem Fall lohnen werden, wenn es dadurch gelingt, die Integrationshürden für ausländische Fachkräfte derart zu minimieren, dass etwaige Nachteile gegenüber anderen Einwanderungsländern kompensiert werden können und die deutsche Wirtschaft die Talente anlocken kann, die man für eine erfolgreiche Zukunft braucht

aboysen@fragomen.com

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