Update zum aktuellen Stand des Umsetzungsverfahrens zur EU-Verbandsklagenrichtlinie

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Die Bundesregierung hat am 29.03.2023 einen Regierungsentwurf (siehe hier) veröffentlicht, mit dessen Herzstück – dem Entwurf eines Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes (VDuG) – die Umsetzung der Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (sogenannte Verbandsklagenrichtlinie) erfolgen soll. Es führt die bisher in der Zivilprozessordnung enthaltenen Regelungen über die Musterfeststellungsklage mit den Regelungen zur Einführung einer neuartigen Klageform – der sogenannten Abhilfeklage – zusammen.

Die eigentlich bereits für den 25.12.2022 avisierte Frist zur Umsetzung konnte aufgrund abweichender Positionen im Justizministerium und im Ministerium für Verbraucherschutz nicht gehalten werden. Angewendet werden müssen die neuen Vorschriften ab 25.06.2023. Mit dem nun im Kabinett beschlossenen Entwurf sollte – ein entsprechend zügiges weiteres parlamentarisches Verfahren vorausgesetzt – der Termin jedoch zu halten sein. Als Nächstes stehen die Beratungen im parlamentarischen Verfahren an. Die erste Lesung (siehe hier) des Gesetzes im Bundestag fand am 27.04.2023 statt, in dessen Anschluss der Gesetzentwurf an die relevanten Ausschüsse überwiesen wurde.

Es wird von Seiten der Bundesregierung damit gerechnet, dass das neue Instrument für Verbraucher und Verbraucherinnen sowie für kleine Unternehmen als attraktive Alternative zu den Individualklagen wahrgenommen wird. So soll letztlich auch die Justiz entlastet werden. Konkret erwartet die Bundesregierung künftig durchschnittlich 15 Abhilfeklagen und zehn Musterfeststellungsklagen pro Jahr. Es wird geschätzt, dass durch das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz rund 22.500 Individualklagen entfallen könnten.

Wesentliche Neuerungen im Vergleich zum Referentenentwurf

Der nun beschlossene Regierungsentwurf weist im Gegensatz zu dem am 16.02.2023 veröffentlichten Referentenentwurf (siehe hier) einige wesentliche Änderungen auf. Die zu dem vorherigen Referentenentwurf veröffentlichten Stellungnahmen warfen verschiedene Fragen zur Ausgestaltung des Vorhabens auf. Mit dem Regierungsentwurf wurden einige dieser Punkte aufgenommen und abgeändert.

Die erste Änderung betrifft die Anforderungen an die klageberechtigten Stellen, beispielsweise Verbraucherschutzverbände, die die Klagen für die Verbraucher führen. Die Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen orientieren sich nach dem Regierungsentwurf nicht mehr an den Voraussetzungen von § 606 Abs. 1 ZPO, sondern an den erheblich geringeren Hürden von § 4 Abs. 2
Unterlassungsklagengesetz (UKlaG). Verbände müssen nun nicht mehr, wie im vorherigen Referentenentwurf vorgesehen, vier Jahre in das sogenannte UKlaG-Register eingetragen sein, um sich für Verbandsklagen zu qualifizieren, sondern lediglich ein Jahr. Weggefallen ist auch, dass es jetzt kein Hindernis mehr für die Klageberechtigung der Verbände darstellt, wenn diese einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen. Und auch die Hürden hinsichtlich der Mitgliederzahl wurde gesenkt: Es genügt nun, wenn ein Verband 75 Personen oder drei Verbände als Mitglieder hat.

Zuvor waren 350 Personen oder zehn Verbände vorgesehen. Derzeit sind 75 Verbände in der Liste nach § 4 Abs. 1 UKlaG eingetragen.

Voraussetzung ist auch weiterhin, dass sich betroffene Personen im Verbandsklageregister des Bundesamtes für Justiz registrieren müssen, um an der Verbandsklage teilzunehmen. Damit gilt wie bisher das Opt-in-Modell. Kommt es zur Abhilfeklage, können sämtliche betroffene Verbraucher ihre Ansprüche im Verbandsklageregister nun jedoch auch noch bis zu zwei Monate nach dem ersten Verhandlungstermin anmelden. Vergleichsschlüsse und Gerichtsurteile sind daher erst nach Ablauf dieser Frist möglich, um zu vermeiden, dass Verbraucher den Ausgang des Verfahrens abwarten und opportunistische Entscheidungen treffen. Der Referentenentwurf hatte demgegenüber noch vorgesehen, dass die Verbraucher ihre Ansprüche spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung angemeldet haben müssen. Letztlich einigten sich das Bundesjustizministerium und das Bundesverbraucherschutzministerium jedoch auf eine längere Frist.

Geblieben ist ebenfalls, dass die Abhilfeklage aus vier Phasen bestehen soll: Sofern das Gericht die Ansprüche für dem Grunde nach gerechtfertigt hält, ergeht ein Abhilfegrundurteil. Dieses Abhilfegrundurteil hält die Voraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung fest, ebenso die von jedem einzelnen Verbraucher zu erbringenden Berechtigungsnachweise. Mit dem Regierungsentwurf wurde eine Ausnahme für Verfahren eingeführt, in denen eine Leistung an namentlich benannte Verbraucher begehrt wird: Hier kann im Unterschied zum Abhilfegrundurteil ein reguläres Endurteil auf Zahlung ergehen, um das Verfahren zu beschleunigen. Auf das Abhilfegrundurteil folgt eine Vergleichsphase, in der das beklagte Unternehmen und die klagende Stelle versuchen, eine gütliche Einigung zu finden. Gelingt das nicht, geht das Verfahren in die dritte Phase, in der das Gericht darüber entscheidet, in welcher Form das Unternehmen die Verbraucher zu entschädigen hat. Diese Entscheidung soll „Abhilfeendurteil“ heißen und legt den gegebenenfalls vom beklagten Unternehmen zu leistenden kollektiven Gesamtbetrag sowie die Details der Phase vier, des Umsetzungsverfahrens, fest.

Es bleibt abzuwarten, ob und welche Änderungen der Entwurf des VDuG im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens erfährt. Vor dem Hintergrund der Schlussbemerkungen im kürzlich veröffentlichten Abschlussbericht (siehe hier) zur Ursachenerforschung des Rückgangs der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten bleibt zu berücksichtigen, dass die Überlastung der Gerichte mit Massenverfahren weiterhin ein schwer beherrschbares Thema ist, das über einen funktionsfähigen kollektiven Rechtsschutz abgemildert werden kann. Ob das VDuG diesem Ziel gerecht wird, wird sich zeigen müssen.

johanna.weissbach@pinsentmasons.com

sandra.groeschel@pinsentmasons.com

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Hinweis der Redaktion:
Dieser Beitrag ist ein Update zu dem in Ausgabe 07/2023 des Deutschen AnwaltSpiegels erschienenen Beitrag „Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie in Deutschland | Bewältigung von Massenverfahren – ein Dauerbrenner“; siehe hier. (tw) 

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